Index
66 SozialversicherungNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Diskriminierung gleichgeschlechtlicher haushaltsführender Hausgenossen durch die Mitversicherung lediglich andersgeschlechtlicher Partner in der Krankenversicherung; kein Abstellen auf das Vorhandensein von Kindern; keine sachliche Rechtfertigung dieser Differenzierung nach dem Geschlecht bzw nach der sexuellen Orientierung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte; Aufhebungsumfang abgestellt auf die Vermeidung rechtspolitischer Entscheidungen des Gerichtshofes betreffend die Definition des AngehörigenbegriffsRechtssatz
Gleichheitswidrigkeit des §123 Abs8 litb ASVG idF BGBl 282/1981 sowie des §83 Abs8 GSVG idF BGBl 643/1989.
Gesetzwidrigkeit des §22 Abs1 der Satzung 2003 der Nö Gebietskrankenkasse, Verlautbarung Nr 5/2003 (umbenannt in §21 Abs1 durch die Verlautbarung Nr 28/2004 - Einfügung durch Berichtigung gem §42 VfGHGO, B v 24.01.06), sowie des §12 der Satzung 2003 der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft, Verlautbarung Nr 61/2003.
Zulässigkeit der Verfahren, Präjudizialität gegeben.
Die im Prüfungsbeschluss aufgeworfene Frage, ob die Aufhebung auf je ein Wort zu beschränken ist, ist eine Frage des Aufhebungsumfanges, nicht aber des Prüfungsumfanges.
Die in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen diskriminieren gleichgeschlechtliche haushaltsführende Hausgenossen und verstoßen gegen den Gleichheitssatz.
Das Verfahren hat nicht ergeben, dass die in den Prüfungsbeschlüssen gezogenen Schlussfolgerungen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Falle Karner unzutreffend wären.
Die Bundesregierung will einen Unterscheidungsgrund in der Absicht der Förderung von Familien mit Kindern sehen, die es in gleichgeschlechtlichen Gemeinschaften nicht geben könne. Die in Prüfung stehende Regelung stellt aber nicht auf das Vorhandensein von Kindern ab und es ist auch nicht zu erkennen, dass die Mitversicherung eines haushaltsführenden Hausgenossen oder Partners einen nennenswerten Anreiz in diese Richtung schaffen sollte oder könnte. Im Vordergrund steht vielmehr offenkundig die im Gesetz umschriebene Tatsache der unentgeltlichen Haushaltsführung in häuslicher Gemeinschaft. Eine familienpolitische Zielsetzung hätte der Gesetzgeber ohne weiteres durch eine Einschränkung auf eine Hausgemeinschaft mit Kindern erreichen können. Dass vielleicht eine einschlägige Nebenwirkung eintritt, reicht für die getroffene Unterscheidung ebenso wenig aus wie der Umstand, dass das Beitragsrecht unter anderem darauf abstellt, ob der Mitversicherte sich der Kindererziehung widmet oder gewidmet hat.
Mögen auch dem Gesetzgeber nur Lebensgemeinschaften vorgeschwebt sein, nach dem Gesetz kommt es auf das Vorliegen einer solchen nicht an. Eine Abgrenzung von Lebensgemeinschaften zu bloßen Wohngemeinschaften ist daher nicht nötig; vielmehr genügt neben der "Hausgemeinschaft" die unentgeltliche Hauhaltsführung, und die Feststellung und Kontrolle dieser Voraussetzungen bereitet bei gleichgeschlechtlichen Personen keine größeren Schwierigkeiten als bei andersgeschlechtlichen.
Mit dem Wegfall der Ermächtigungsnormen werden auch die darauf gestützten Satzungsbestimmungen gesetzwidrig.
Die erforderliche rechtspolitische Entscheidung soll dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben, nicht aber der Verfassungsgerichtshof sie durch Teilaufhebung in eine bestimmte Richtung lenken.
Der Verfassungsgerichtshof wertet daher eine Ausweitung des Angehörigenbegriffs (durch Beseitigung bloß der Worte "andersgeschlechtliche") als eine im Verhältnis zu den Vorstellungen des Gesetzgebers intensive, und daher nicht dem Verfassungsgerichtshof zukommende Veränderung des Gesetzesinhaltes. Die geprüften Normen waren daher zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.
Dem Gesetzgeber soll einerseits Gelegenheit gegeben werden, die ihm als erforderlich erscheinenden legistischen Maßnahmen zu treffen, während andererseits die Problematik der Aufrechterhaltung einer als konventionswidrig erkannten Rechtslage für den davon betroffenen Personenkreis durch die Möglichkeit der Selbstversicherung (§16 ASVG) weitgehend ausgeglichen wird; unter diesen Umständen hält der Verfassungsgerichtshof eine Frist von neun Monaten für zumutbar und ausreichend.
Anlassfälle: E v 14.10.05, B47/05 ua: Abweisung der Beschwerden aufgrund Wegfalls der Grundlage der Mitversicherung nicht verwandter Personen, jedoch Kostenzuspruch ("Ergreiferprämie").
Entscheidungstexte
Schlagworte
Rechtspolitik, Sozialversicherung, Krankenversicherung, VfGH / Anlaßfall, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Fristsetzung, VfGH / Kosten, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang, Homosexualität, Lebensgemeinschaft, VfGH / BerichtigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2005:G87.2005Dokumentnummer
JFR_09948990_05G00087_01