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L6 Land- und ForstwirtschaftNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Aufhebung einer Wasserleitungsgebührenordnung mangels ordnungsgemäßer Kundmachung; Anschlag lediglich einer Niederschrift einer Gemeinderatssitzung über die Beschlussfassung und nicht des Verordnungstextes nicht ausreichend im Sinne des Kundmachungserfordernisses der Tiroler GemeindeordnungSpruch
Die Wasserleitungsgebührenordnung der Gemeinde Patsch (Beschluss des Gemeinderates der Gemeinde Patsch vom 7. November 1991, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 12. bis 27. November 1991, in der Fassung des Beschlusses vom 20. Jänner 2000, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 28. Jänner bis 14. Februar 2000, sowie des Beschlusses vom 6. September 2001, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 14. September bis 1. Oktober 2001) wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Mai 2006 in Kraft.
Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1584/04 das Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Mit Berufungsbescheid vom 28. Juni 2004 schrieb der Gemeindevorstand der Gemeinde Patsch dem Beschwerdeführer für die Errichtung eines Wohn- und Wirtschaftsgebäudes auf einem im Gemeindegebiet gelegenen Grundstück auf Grund der Wasserleitungsgebührenordnung dieser Gemeinde eine Wasseranschlussgebühr in Höhe von EUR 4.399,70 vor.
Der dagegen erhobenen Vorstellung gab die Tiroler Landesregierung mit Bescheid vom 4. November 2004 Folge; der Bescheid des Gemeindevorstandes wurde aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an diese Gemeindebehörde verwiesen. Begründend heißt es dazu, die nach §3 der Wasserleitungsgebührenordnung als Bemessungsgrundlage der Anschlussgebühr dienende Baumasse sei (entgegen der Rechtsauffassung der Gemeindebehörde) nicht in sinngemäßer Anwendung des Tiroler Verkehrsaufschließungsabgabengesetzes, sondern nach der (im Zeitpunkt der Erlassung der Gebührenordnung noch in Kraft stehenden) Bestimmung des §20 der Tiroler Bauordnung (idF LGBl. Nr. 33/1989) zu ermitteln; überdies sei die Gemeindebehörde ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht gerecht geworden.
2. Bei Behandlung der gegen diesen Vorstellungsbescheid erhobenen Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Wortfolge "einer Anschlußgebühr," in §1, des §2 Abs1 sowie des §3 der Wasserleitungsgebührenordnung der Gemeinde Patsch entstanden; er hat daher am 7. Juni 2005 beschlossen, diese Verordnungsstellen von Amts wegen einem Normenprüfungsverfahren zu unterziehen.
In diesem Verfahren erstattete nur der Beschwerdeführer des Anlassverfahrens eine schriftliche Äußerung.
3. Die Wasserleitungsgebührenordnung der Gemeinde Patsch vom 7. November 1991 in der im vorliegenden Fall maßgebenden Fassung des Beschlusses vom 6. September 2001 lautet auszugsweise samt Überschriften (die in Prüfung gezogenen Teile sind hervorgehoben):
"Der Gemeinderat hat mit Sitzungsbeschluß vom 7.11.1991 auf Grund des §15 Abs3 Z5 ... FAG. 1989, BGBl. Nr. [6]87/1988 nachstehende Wasserleitungsgebührenordnung erlassen:
§1 Einteilung der Gebühren
Für den Anschluß eines Grundstückes an die Wasserversorgungsanlage der Gemeinde Patsch und für den laufenden Wasserbezug sowie für die Benutzung von Wasserzählern erhebt die Gemeinde Benützungsgebühren in Form einer Anschlußgebühr, einer laufenden Gebühr (Wassergebühr)[,] einer Bauwassergebühr und einer Zählergebühr. Im Falle der Errichtung von neuen Hochbehältern, neuen Quellfassungen, neuen Versorgungsleitungen, Tiefbrunnen, Pumpanlagen und dergleichen behält sich die Gemeinde das Recht der Vorschreibung einer Erweiterungsgebühr vor.
§2 Entstehen der Gebührenpflicht
(1) Die Pflicht zur Entrichtung der Anschlußgebühr entsteht mit dem Zeitpunkt der Beendigung der nach §6 der Wasserleitungsordnung von der Gemeinde durchzuführenden Anschlußarbeiten.
Bei Zu- und Umbauten und bei Wiederaufbau von abgerissenen oder zerstörten Gebäuden entsteht die Gebührenpflicht mit Baubeginn.
(2)-(4) ...
§3 Berechnung der Anschluß- und der Erweiterungsgebühr
(1) Bemessungsgrundlage ist die Baumasse, ermittelt nach den Bestimmungen des §20 Abs1 bis 3 TBO. Bei landwirtschaftlichen Betrieben werden Stallungen, Tenne und Geräteschuppen von der Berechnung für die Bemessungsgrundlage ausgenommen.
(2) Bei Zu- und Umbauten und bei Wiederaufbau von abgerissenen oder zerstörten Gebäuden entsteht die Gebührenpflicht nur insofern, als die Bemessungsgrundlage den Umfang der früheren übersteigt. Abs2 1. Satz gilt nur, wenn die frühere Bemessungsgrundlage bereits einmal Grundlage für die Ermittlung einer Anschlußgebühr nach dieser Wasserleitungsgebührenordnung oder nach einer früheren Wasserleitungsgebührenordnung war.
(3) Die Anschlussgebühr beträgt ATS 27,25 (€ 1,98) incl. MWSt pro m³ der Bemessungsgrundlage.
(4) Bei Gewerbebetrieben im Sinne der Gewerbeordnung beträgt die Anschlußgebühr ATS 21,19 (€ 1,54) incl. MWSt je m³ der Bemessungsgrundlage.
(5) Für Schwimmbecken sowohl im Freien als auch in geschlossenen Räumen ist zusätzlich eine Anschlussgebühr von ATS 99,07 (€ 7,2) incl. MWSt pro m³ Rauminhalt des Schwimmbeckens zu entrichten.
(6) Die Anschlußgebühr wird bescheidmäßig vorgeschrieben und ist binnen einem Monat fällig zu stellen.
...
§7 Gebührenschuldner
Zur Entrichtung der Gebühren sind die Eigentümer der angeschlossenen Grundstücke verpflichtet. Die Nutznießer haften anteilsmäßig für die richtige und rechtzeitige Entrichtung der Gebühren. ...
§8 Verfahrensbestimmungen
Für das Verfahren gelten die Bestimmungen der Tiroler Landesabgabenordnung, LGB[l]. Nr. 34/1984 in der jeweils gültigen Fassung."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
A. Zur Zulässigkeit des Verfahrens:
1. Bei dem in Prüfung gezogenen Verwaltungsakt - der (wie der Anlassfall zeigt) von den Gemeindebehörden vollzogen wird und so ein Mindestmaß an Publizität erlangt hat (vgl. VfSlg. 12.382/1990 mwN) - handelt es sich um eine Verordnung iS des Art139 B-VG.
2. Zweifel an der Zulässigkeit der Anlassbeschwerde oder an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Teile der Wasserleitungsgebührenordnung der Gemeinde Patsch sind nicht entstanden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde zwar der vom Beschwerdeführer erhobenen Vorstellung stattgegeben und der Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde Patsch aufgehoben; soweit sich die belangte Behörde hiebei jedoch auf andere als in der Vorstellung vorgetragene Gründe gestützt hat, die für die Gemeindebehörde im fortgesetzten Verfahren bindende Wirkung entfalten (vgl. §120 Abs5 der Tiroler Gemeindeordnung 2001), besteht - anders als in den zB den Beschlüssen VfSlg. 12.437/1990 und 15.252/1998 zugrunde liegenden Fällen - zumindest die (für die Beschwerdelegitimation erforderliche) Möglichkeit, dass der angefochtene Bescheid den Beschwerdeführer in einem subjektiven Recht verletzt hat.
3. Das Verfahren erweist sich damit als zulässig.
B. In der Sache:
1. Der Verfassungsgerichtshof hegte in seinem Prüfungsbeschluss das Bedenken, die im Jahr 1991 vom Gemeinderat der Gemeinde Patsch beschlossene Stammfassung der Wasserleitungsgebührenordnung sei nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden. Dieses Bedenken erweist sich als begründet.
1.1. §53 Abs1 der - im Zeitpunkt der Erlassung der Wasserleitungsgebührenordnung (vgl. zur Relevanz dieses Zeitpunktes für die Frage der rechtmäßigen Kundmachung einer Verordnung zB VfSlg. 12.382/1990, S 588/589 mwN) maßgebenden - Tiroler Gemeindeordnung 1966, LGBl. Nr. 4, schrieb vor, dass "[a]lle Beschlüsse und Verfügungen der Gemeindeorgane, die Verpflichtungen oder Belastungen der Gemeindebewohner zum Inhalt haben ..., ... binnen einer Woche nach Beschlußfassung durch öffentlichen Anschlag während zweier Wochen und in sonst ortsüblicher Weise in der Gemeinde kundzumachen" sind. Zu diesen "Beschlüssen und Verfügungen" gehören auch Verordnungen wie die Wasserleitungsgebührenordnung (vgl. VfSlg. 16.377/2001 mwN).
Die vorgelegten Verordnungsakten enthalten ein Schriftstück mit folgendem Wortlaut:
"NIEDERSCHRIFT
Nr. 21
aufgenommen am 7. November 1991 im Sitzungszimmer der Gemeinde Patsch anläßlich der dort stattgefundenen Gemeinderatssitzung.
...
Tagesordnung
1.-3. ...
4.
Festsetzung der Wassergebührenordnung
5.
...
Beschlüsse
...
Zu Pkt. 4)
Die Wassergebührenordnung wird wie im Entwurf des Gemeindevorstandes einstimmig erlassen.
...
Wer sich durch die Beschlü[ss]e in seinen R[e]chten verletzt fühlt, kann innerhalb der Kundmachung[s]frist dagegen Beschwerde erheben.
Der Bürgermeister:
[Unterschrift]"
Nach der Aktenlage wurde (nur) diese "Niederschrift" am 12. November 1991 an der Amtstafel der Gemeinde Patsch angeschlagen und am 27. November 1991 abgenommen. Im Verordnungsprüfungsverfahren wurde weder behauptet noch ist hervorgekommen, dass auch der Text der in diesem Schriftstück erwähnten Gebührenordnung - durch Anschlag an der Amtstafel - verlautbart worden wäre.
1.2. Durch den öffentlichen Anschlag einer derartigen Kundmachung, in der lediglich festgestellt wird, dass eine bestimmte Verordnung erlassen wurde, nicht aber auch der Text dieser - kundzumachenden - Verordnung wiedergegeben wird, ist dem Erfordernis des §53 Abs1 der Tiroler Gemeindeordnung 1966 nicht entsprochen worden.
Die Verordnungen des Gemeinderates der Gemeinde Patsch vom 23. Dezember 1991, vom 20. Jänner 2000 und vom 6. September 2001 (betreffend §§3, 4 und 6 der Wasserleitungsgebührenordnung) sind von diesem Fehler zwar nicht betroffen, doch reicht die ordnungsgemäße Kundmachung einer Novelle, die sich - wie hier - nur auf einzelne Bestimmungen der Stammverordnung bezieht, nicht aus, den dieser Stammvorschrift anhaftenden Kundmachungsmangel zu sanieren (vgl. VfSlg. 16.377/2001, 16.548/2002, 16.690/2002).
2. Die als gesetzwidrig erkannte Verordnung steht in ihrer präjudiziellen Fassung mit einem auf die Vergangenheit beschränkten zeitlichen Anwendungsbereich weiterhin in Geltung; es war daher mit Aufhebung gemäß Art139 Abs3 B-VG und nicht mit einem Ausspruch gemäß Art139 Abs4 B-VG vorzugehen (vgl. zuletzt etwa VfGH 9. März 2005, V77/04 mwN).
Da nicht bloß der in Prüfung gezogene - im Anlassfall präjudizielle - Teil der Verordnung, sondern in gleicher Weise auch die übrigen Verordnungsbestimmungen vom festgestellten Kundmachungsmangel betroffen sind, war gemäß Art139 Abs3 litc B-VG die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben. Umstände, die dem im Sinne des Art139 Abs3 letzter Satz B-VG entgegenstünden, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Auf spätere Novellierungen der Gebührenordnung war insoweit nicht Bedacht zu nehmen (vgl. dazu neuerlich VfSlg. 16.377/2001).
Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der Verordnung beruht auf Art139 Abs5 letzter Satz B-VG. Die Kundmachungspflicht der Tiroler Landesregierung gründet in Art139 Abs5 erster Satz B-VG iVm §60 Abs2 VfGG und §2 Abs1 litj des Tiroler Landes-Verlautbarungsgesetzes.
3. Dem Beschwerdeführer des Anlassverfahrens waren für den von ihm eingebrachten Schriftsatz Kosten nicht zuzusprechen, weil das VfGG für Verfahren nach Art139 B-VG - sieht man vom hier nicht gegebenen Fall des §61a VfGG ab - einen Kostenersatz nicht vorsieht.
C. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Bindung (Rechtsanschauung der Vorstellungsbehörde), Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Gemeinderecht, Vorstellung, Wasserversorgung, Verordnung Kundmachung, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Kosten, VfGH / Legitimation, VfGH / VerwerfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2005:V76.2005Dokumentnummer
JFT_09948795_05V00076_00