RS Vfgh 2005/12/13 B1159/04

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 13.12.2005
beobachten
merken

Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8 Abs2
FremdenG 1997 §10 Abs4, §19 Abs2 Z6, §20 Abs1, §21 Abs3

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Familienleben durch Versagung einer Niederlassungsbewilligung; denkunmögliche Gesetzesanwendung durch Nichtberücksichtigung humanitärer Gründe; Familiennachzug bei einem Vater von drei Kindern geboten

Rechtssatz

Keine hinreichende Klärung wesentlicher Umstände des Einzelfalles bzw Nichtberücksichtigung der Möglichkeit, dass in besonderen Fällen aus humanitären Gründen auch ein Familiennachzug der vorliegenden Art, also des Vaters zu den Kindern, geboten sein kann.

Art8 EMRK enthält zwar kein Recht von Ausländern auf Entfaltung des Familienlebens in einem bestimmten Staat ihres Aufenthalts (vgl EGMR, 19.02.96, Gül gegen die Schweiz, Nr 53/1995/559/645, RJD 1996-I, Z38). Dennoch kann sich gemäß Art8 EMRK unter besonderen Umständen eine Verpflichtung des Staates ergeben, die Einreise und Niederlassung von Familienangehörigen zu ermöglichen (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Auflage, 2005, §22, Rz 28 und 45 mwN), mit der Folge, dass die Verweigerung der Einreise oder Niederlassung einen Eingriff in das Grundrecht bildet.

Solche Umstände sind hier gegeben: Die drei (überwiegend minderjährigen, seiner Obsorge anvertrauten) Kinder des Beschwerdeführers verfügen über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung, leben seit ihrer Geburt in Österreich und haben hier ihre Pflichtschulausbildung absolviert (bzw absolvieren diese noch).

Wie dem angefochtenen Bescheid zu entnehmen ist, geht die belangte Behörde davon aus, dass die Fälle eines zulässigen Familiennachzugs in §20 Abs1, §19 Abs2 Z6 und §21 Abs3 FremdenG abschließend geregelt sind. Nach Auffassung der belangten Behörde könnten diesen Bestimmungen zufolge nur Ehegatten und/oder minderjährige unverheiratete Kinder in den Genuss des Familiennachzugs kommen, sodass ein Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Kindern/Eltern" von Vornherein gesetzlich nicht vorgesehen sei.

Die Behörde hat damit nicht nur die vom Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfSlg 17013/2003 angestellten Überlegungen vernachlässigt, sondern auch eine mit dem Grundrecht auf Achtung des Familienlebens konforme Deutung des §10 Abs4 FremdenG unterlassen.

Ob im konkreten Fall besonders berücksichtigungswürdige humanitäre Gründe in verfassungskonformer Interpretation des Gesetzes die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gebieten, kann nur aufgrund einer eingehenden Analyse der Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Dabei sind entsprechend der Judikatur des EGMR die Nachteile des Beschwerdeführers dem Gewicht des legitimen Ziels des Eingriffs gegenüberzustellen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Fremdenrecht, Privat- und Familienleben, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:B1159.2004

Dokumentnummer

JFR_09948787_04B01159_2_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten