RS Vfgh 2006/3/3 G144/05 - B359/04

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Veröffentlicht am 03.03.2006
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8240 Abfall, Müll

Norm

B-VG Art4
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
Oö AbfallwirtschaftsG 1997 §33
AbfallwirtschaftsG 2002 §63

Leitsatz

Keine Verletzung der Einheit des Wirtschaftsgebietes und der Erwerbsausübungsfreiheit durch das Verbot der Lagerung außerhalb Oberösterreichs angefallener Abfälle in diesem Bundesland und der diesbezüglichen Ausnahmeregelung; geeignetes, adäquates und aus umweltpolitischen Gründen erforderliches Mittel zur Vermeidung unnötiger Umweltbelastungen durch vermeidbare Mülltransporte

Rechtssatz

Keine Verfassungswidrigkeit des §33 Abs1 und Abs2 Oö AbfallwirtschaftsG 1997, LGBl 86/1997.

Bei regional differenzierten, die Erwerbs(ausübungs)freiheit einengenden Regelungen sind nicht nur die Position der von der Maßnahme betroffenen Marktteilnehmer und die Intensität des Eingriffs zu berücksichtigen, sondern auch Zweck und Inhalt der Regelung sowie öffentliche Interessen.

Keine sachliche Rechtfertigung mehr aufgrund gestiegener Deponierungskapazitäten, jedoch andere Rechtfertigungsgründe.

Zum einen hat der Gesetzgeber im Oö AbfallwirtschaftsG 1997 das (im Oö AbfallwirtschaftsG 1990 noch nicht enthalten gewesene) Prinzip der Nähe ausdrücklich verankert (§33 Abs3). Der Gerichtshof teilt den Standpunkt der oberösterreichischen Landesregierung, dass mit diesem Prinzip - gegen das der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken gehegt hat - ein allgemeiner Grundsatz aufgestellt wird, der im gesamten landesrechtlichen Abfallrecht umfassende Geltung hat und der daher zur verfassungskonformen Auslegung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen herangezogen werden kann: Mit Blick darauf ist das Prinzip der Entsorgungsnähe sowohl bei abfallrechtlichen Maßnahmen innerhalb des Landesgebietes als auch bei Beurteilung der Kriterien für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Ausnahmebewilligung nach §33 Abs2 Oö AbfallwirtschaftsG - und somit auch im Zusammenhang mit der Ablagerung von Abfällen, die zwar nächst einer oberösterreichischen Deponie, aber in einem anderen Bundesland anfallen - zu beachten. Dieser Grundsatz nimmt auf die Tatsache Bedacht, dass auch nicht verwertbare ungefährliche Abfälle Umweltbelastungen bewirken können und daher unnötig weite Transportwege (in der Regel mittels LKW und damit einhergehende zusätzliche potentielle Beeinträchtigungen der Umwelt) zu vom Ort des Entstehens des Abfalls entfernt gelegenen (allenfalls aus Konkurrenzgründen gewählten) Deponien vermieden werden sollen.

Ferner ist der Umstand zu berücksichtigen, dass nach §33 Abs2 Oö AbfallwirtschaftsG ein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Erteilung einer (ebenfalls dem umweltpolitischen Prinzip der Nähe folgenden) Ausnahmebewilligung vom Gebot des Abs1 leg cit bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (Schutz von Mensch und Umwelt als maßgebliches Ziel des ua gleichermaßen an verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben orientierten Abfallwirtschaftsplanes - §41 iVm §4 Oö AbfallwirtschaftsG) besteht.

Dem Landesgesetzgeber kann daher aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn er auf einem relativ schmalen Wirtschaftssektor, nämlich im Bereich des Deponierens von aus einem anderen Bundesland als Oberösterreich stammenden (ungefährlichen) Abfall aufgrund öffentlicher Interessen eine durch (sachlich gerechtfertigte, für den Einzelnen in einem verhältnismäßig unkomplizierten Verfahren durchsetzbare) Ausnahmetatbestände relativierte (und daher schonende) einschränkende Regelung vorsieht.

Ausnahmegewährung überdies als Regelfall, getroffene Vorkehrungen daher ein (im Regelfall) geeignetes, adäquates und aus umweltpolitischen Gründen auch erforderliches Mittel zur Vermeidung der Gefahr unnötiger Umweltbelastungen durch abfallwirtschaftlich vermeidbare Mülltransporte.

Verfassungskonforme Auslegung auch der Verlängerung der Ausnahmebewilligung gem §33 Abs2 dritter Satz Oö AbfallwirtschaftsG 1997 bei weiterem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen.

Die Möglichkeit der Verbringung oberösterreichischen Abfalls in andere Bundesländer unterliegt ebenfalls insoweit (sachlich gerechtfertigten) Schranken, als sowohl die Bezirksabfallverbände bei Erfüllung ihrer Aufgaben im Zusammenhang mit der Ablagerung von Hausmüll (§15 Abs2 Z3 Oö AbfallwirtschaftsG) als auch die Landesregierung bei Genehmigung der von Dritten mit den Abfallverbänden abgeschlossenen Verträgen zur Übernahme dieser Verpflichtung (§16 Abs12 Oö AbfallwirtschaftsG) an die Beachtung des Prinzips der Nähe gebunden sind.

Anlassfall: E v 17.03.06, B359/04 - keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte bei Versagung der Erteilung einer Ausnahmebewilligung auf Grund der vertretbaren Annahme, die Beurteilung des Vorliegens der Kriterien für die Bewilligung einer Ausnahme nach § 33 Abs 2 Oö AbfallwirtschaftsG sei erst nach Fertigstellung der Anlage und erfolgter Überprüfung iSd § 63 AbfallwirtschaftsG 2002 möglich.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Abfallwirtschaft, Mülldeponie, Wirtschaftsgebietseinheit, Erwerbsausübungsfreiheit, Umweltschutz, Mülltransport, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:G144.2005

Dokumentnummer

JFR_09939697_05G00144_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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