RS Vfgh 2006/3/4 G154/05, V118/05 - G124/06, V44/06, G107/06 ua, V36/06 ua, G47/07

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Veröffentlicht am 04.03.2006
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Index

97 Öffentliches Auftragswesen
97/01 Öffentliches Auftragswesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
BundesvergabeG 2002 §175, §177, §191, Anhang X
PauschalgebührenV, BGBl II 324/2002 §1
BundesvergabeG 2006 §318, Anhang XIX

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der Regelung des Bundesvergabegesetzes 2002betreffend die für Feststellungsanträge im Nachprüfungsverfahren zuleistende Pauschalgebühr für die Inanspruchnahme desBundesvergabeamtes; Kumulierung und Multiplizierung der hohenGebühren infolge verschiedenartiger Anträge sachlich nichtgerechtfertigt; Behinderung der Effizienz des Rechtsschutzes;Feststellung der Verfassungswidrigkeit der gesetzlich festgelegtenHöhe der Gebühr für Bauaufträge im Unterschwellenbereich;Feststellung der Gesetzwidrigkeit der gleichlautenden Bestimmung inder Pauschalgebührenverordnung mangels gesetzlicher Grundlage

Rechtssatz

Auch die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des Anhanges X des BundesvergabeG 2002 sind präjudiziell, da nach Wegfall der in Prüfung gezogenen Wortfolge in §1 PauschalgebührenV die gleichlautende Anordnung in Anhang X anzuwenden wäre.

Hinzu kommt, dass die PauschalgebührenV gemäß der Ermächtigung des §191 Abs4 BundesvergabeG 2002 lediglich die im Anhang X vorgesehenen Gebührensätze an geänderte Verhältnisse anpassen soll, sodass bei Überprüfung ihrer Gesetzmäßigkeit vom Gerichtshof notwendiger Weise auch Anhang X heranzuziehen ist.

§177 Abs1 BundesvergabeG 2002 sieht eine Differenzierung nach Arten der Anträge, aber keine weitere Differenzierung vor. Diese Bestimmung ist in Zusammenhang mit dem Anhang X zu sehen, der bloß eine Differenzierung nach Art der Vergabeverfahren vorsieht. Die Verordnungsermächtigung des §191 Abs4 BundesvergabeG 2002 erlaubt eine Anpassung der in Anhang X genannten Gebührensätze, aber keine weitere Differenzierung. Es war die klare Absicht des Gesetzgebers, bei den Gebührensätzen nach keinen anderen Kriterien zu differenzieren, als nach jenen, die durch Anhang X vorgegeben sind.

Würde man nach Aufhebung der PauschalgebührenV und des Anhangs X §177 Abs1 BundesvergabeG 2002 in dem Sinn verstehen, dass nun alle Möglichkeiten der Differenzierung offen stehen, so käme man zu einem vom Gesetzgeber sicherlich nicht gewollten Interpretationsergebnis, das auch die Verfassungsmäßigkeit der Verordnungsermächtigung, für die es dann keinen Rahmen mehr gäbe, in Frage stellen würde. Insofern sind §177 Abs1 BundesvergabeG 2002 und dessen Anhang X als ein System zu sehen, dessen Verfassungsmäßigkeit insgesamt zu beurteilen ist.

Mit dem im Anlassverfahren B266/04 angefochtenen Bescheid wurde eine Pauschalgebühr für einen Feststellungsantrag gemäß §175 Abs1 BundesvergabeG 2002 vorgeschrieben, sodass die in §177 Abs1 enthaltenen Verweise auf Nachprüfungsanträge, Feststellungsanträge gemäß §164 Abs1 sowie Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nicht präjudiziell sind. Diesbezüglich Einstellung des Gesetzesprüfungsverfahrens. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die nicht präjudiziellen Gebührenregelungen zur Beurteilung der Sachlichkeit der in Prüfung gezogenen Regelung nicht herangezogen werden dürften.

Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Wortfolge "und 175 Abs1" in §177 Abs1 sowie der Wortfolge "Bauaufträge ... 2 500 €" in der fünftletzten Zeile des Anhanges X des BundesvergabeG, BGBl I 99/2002, und Feststellung der Gesetzwidrigkeit der Wortfolge "Bauaufträge ... 2 500 €" in der fünftletzten Zeile des §1 der Verordnung der Bundesregierung betreffend die Gebühren für die Inanspruchnahme des Bundesvergabeamtes, BGBl II 324/2002, - PauschalgebührenV.

Es ist nicht unsachlich, dass bei Bauaufträgen eine höhere Pauschalgebühr als bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen zu entrichten ist und auch je nach dem Vergabeverfahren Gebührensätze unterschiedlicher Höhe vorgesehen sind.

Die (im Anlassverfahren präjudizielle) Pauschalgebühr für Bauaufträge im Unterschwellenbereich ist jedoch vom Antragsteller nicht nur einmal (etwa für einen Nachprüfungsantrag gemäß §163 Abs1) sondern in gleicher Höhe auch für den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung sowie für jeden weiteren Antrag auf Verlängerung der einstweiligen Verfügung und weiters noch für einen allenfalls nachfolgenden Feststellungsantrag zu entrichten.

Diese mehrfache Gebührenpflicht für Anträge betreffend dieselbe Vergabe steht in keinem auch nur annähernden Verhältnis zum jeweiligen Verfahrensaufwand, der zur Entscheidung über die Anträge erforderlich ist.

Die Vergebührung eines Feststellungsantrages nach §175 Abs1 BundesvergabeG 2002 kann mit der Vergebührung eines Nachprüfungsantrages und eines Antrages auf Erlassung oder Verlängerung einer einstweiligen Verfügung kumulieren. Verstärkt kommt es zu einer Kumulierung beim Widerruf der Ausschreibung.

Zu einer weiteren Kumulierung führt auch das System gesondert anfechtbarer Entscheidungen.

Der Umstand, dass Entscheidungen des Auftraggebers aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht bloß gemeinsam mit der Anfechtung der Zuschlagsentscheidung bekämpft werden können, ändert aber nichts daran, dass der Antragsteller mehrfach hohe Pauschalgebührensätze bei derselben Auftragsvergabe zu entrichten hat, ohne dass die Multiplizierung der Gebühr einer vergleichbaren Multiplizierung des Aufwandes gegenübersteht, weil bei jedem weiteren Verfahrensschritt in der Regel auf vorherige Verfahrensschritte zumindest teilweise zurückgegriffen werden kann, was sich etwa zeigt, wenn auf ein Nachprüfungsverfahren ein Feststellungsverfahren folgt.

Es ist dem Gesetzgeber an sich überlassen, ein Gebührensystem so zu gestalten, dass dem rechtspolitisch legitimen Ziel der Schaffung einer angemessenen Verfahrensbarriere Rechnung getragen wird. Dabei darf aber nicht gleichzeitig das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit und der Effizienz des Rechtsschutzes verletzt werden.

Ein möglicher Gebührenersatz vermag weder die Unsachlichkeit einer jedenfalls vorläufig zu bestreitenden (und allenfalls auch endgültig zu tragenden) Gebühr zu rechtfertigen noch stellt er die durch eine hohe Verfahrensgebühr beeinträchtigte Effektivität des Rechtsschutzes wieder her. Ein verfassungswidriges Gebührensystem wird nicht dadurch verfassungsmäßig, dass die Gebühr letztlich unter Umständen von einer anderen Partei zu tragen ist.

Im Übrigen tritt der den Rechtsschutz beeinträchtigende Effekt einer Gebühr bereits mit der vorläufigen Entrichtung der hohen Gebühren ein.

Gerade bei Vergaben im Unterschwellenbereich, an denen sich auch kleinere Unternehmen beteiligen, wird die Abwägung zwischen Gebührenrisiko und dem möglichen Nutzen bei sorgfältiger kaufmännischer Überlegung zum Verzicht auf einen (vielleicht durchaus aussichtsreichen) Rechtsschutz führen.

Der Umstand, dass es Fälle gibt, in denen der Antragsteller die ausgelegte Pauschalgebühr nicht ersetzt erhält, obwohl er nicht als Unterliegender anzusehen ist, verstärkt nur noch die Wirkung der Gebührenhöhe. Soweit die Bundesregierung meint, dass derartige Konstellationen nicht vorkommen, sei darauf hingewiesen, dass beim Verfassungsgerichtshof derartige Fälle anhängig sind.

Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz, wonach Rechtsschutz nur dann gewährt werden muss, wenn die Parteien dessen Kosten zu tragen gewillt sind. Im Gegenteil: Das gesetzgeberische Anliegen der Deckung des durchschnittlichen Verfahrensaufwandes darf jedenfalls nicht dazu führen, dass die Effektivität des Rechtsschutzes beeinträchtigt wird.

Anlassfall: E v 07.03.06, B266/04 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Siehe auch E v 11.10.06, G124/06, V44/06, hinsichtlich der Gebühr für Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung (§171 Abs1 BundesvergabeG 2002) in Verfahren im Oberschwellenbereich betreffend Liefer- und Dienstleistungsaufträge; Redaktionsversehen des fehlenden Gebührensatzes der einschlägigen Position im Anhang X des BundesvergabeG 2002; nach Wegfall des unvollständigen Postens im Anhang X Gesetzwidrigkeit der "Anpassung" des Gebührensatzes in der PauschalgebührenV.

Anlassfall zu G124/06, V44/06: E v 11.10.06, B850/05.

Siehe weiters E v 12.12.06, G107/06 ua, V36/06 ua: Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Wortfolgen "163 Abs1" und "164 Abs1" in §177 Abs1 BundesvergabeG 2002 unter Verweis auf G154/05, V118/05; im Übrigen Zurückweisung der Anträge des VwGH bzw Einstellung der Verfahren infolge Zurückziehung der Anträge.

Vgl auch zu der - der Rechtslage des BundesvergabeG 2002 im Wesentlichen entsprechenden - Rechtslage des BundesvergabeG 2006:

G47/07, E v 08.10.07: Aufhebung der Wortfolge "den §§320 Abs1, 328 Abs1 und" in §318 Abs1 sowie der Wortfolge "Dienstleistungsaufträge ... 1600 €" in der letzten Zeile des Anhanges XIX jeweils des BundesvergabeG 2006, BGBl I 17/2006.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Vergabewesen, Rechtsschutz, Gebühr, Auslegung verfassungskonforme,Kostenrisiko, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:G154.2005

Zuletzt aktualisiert am

05.02.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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