TE Vfgh Erkenntnis 2005/12/12 B841/04

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Veröffentlicht am 12.12.2005
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Index

91 Post-und Fernmeldewesen
91/01 Fernmeldewesen

Norm

B-VG Art83 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
TelekommunikationsG 2003 §7

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal und im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Abspruch über eine Entschädigung nach dem TelekommunikationsG für die Einräumung von Leitungsrechten durch ein Fernmeldebüro bzw durch einen Bundesminister; keine Zuständigkeit eines Tribunals im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Entscheidung über diesen zivilrechtlichen Anspruch

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal und in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie) ist verpflichtet, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2003 beantragte die beschwerdeführende Partei beim Fernmeldebüro für Steiermark und Kärnten, der Telekom Austria AG für die Verlegung von Lichtwellenleitern auf einem im Eigentum der beschwerdeführenden Partei stehenden Grundstück in einer Länge von 348 m die Bezahlung des Betrages von € 1,89 je Laufmeter (insgesamt € 657,72) samt Umsatzsteuer und Zinsen aufzutragen, einen allenfalls über diesen Betrag hinausgehenden Entschädigungsbetrag zu ermitteln sowie festzustellen, dass mangels Vorliegen eines Angebots der Telekom Austria AG auf Entschädigung gemäß den einheitlichen Richtsätzen im Sinne von §7 Telekommunikationsgesetz (TKG) die Nutzung des Grundstücks für Zwecke von Telekommunikationslinien "nicht nicht gehemmt" sei [d.h. die Lichtwellenleiter nicht verlegt werden dürfen]. Mit Schreiben aus dem Jahr 1974 habe die Rechtsvorgängerin der Telekom Austria AG zur Herstellung "taxativ beschriebener" Fernmeldeanlagen am Grundstück der beschwerdeführenden Partei ein Leitungsrecht gemäß §1 Abs1 Telegraphenwegegesetz (TWG) geltend gemacht. Im Zuge der Herstellungsarbeiten sei zusätzlich ein Leerrohr mitverlegt worden. Die beschwerdeführende Partei habe damals keinerlei Entschädigung erhalten. Im Jahr 2001 habe die Telekom Austria AG eigenmächtig damit begonnen, einen Suchschlitz zu graben, und in weiterer Folge Lichtwellenleiter in das Leerrohr eingeblasen.

1.2. Das Fernmeldebüro für Steiermark und Kärnten sprach über diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Februar 2004 folgender Maßen ab:

"Das Fernmeldebüro für Steiermark und Kärnten stellt fest, dass die Erweiterung einer Telekommunikationslinie durch die Telekom Austria AG im Zeitraum September 2001 auf [dem Grundstück der beschwerdeführenden Partei] im Umfang einer Kabellänge von 348 m im Rahmen des §1 Abs1 Z2 des Bundesgesetzes über Telekommunikationswege, BGBl 1929/435 idF BGBl. I 100/1997, und somit rechtens erfolgte. Ein gesonderter Entschädigungsanspruch des betroffenen Grundeigentümers für diese Erweiterung kann nicht festgestellt werden. Eine Hemmung der Nutzung [des Grundstücks der beschwerdeführenden Partei] für Zwecke der Telekommunikation wegen behaupteter Ermangelung eines Anbotes auf Entschädigung gemäß den einheitlichen Richtsätzen im Sinne von §7 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) BGBl. I, 70/2003, kann wegen Nichtanwendbarkeit dieser Gesetzesstelle für die ggsdl. Erweiterung der Telekommunikationslinie, die im Rahmen des §1 Abs1 Z1 TWG erfolgte, ebenfalls nicht festgestellt werden."

1.3. Die dagegen von der beschwerdeführenden Partei erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §66 Abs4 AVG iVm §1 Abs1 Z1 TWG und §7 TKG 2003 ab.

"Gemäß §1 Abs2 lita TWG, BGBl. Nr. 435/1929 idF BGBl. Nr. 20/1970, umfassen Leitungsrechte das Recht zur Führunq und Erhaltung von Leitungen im Luftraum oder unter der Erde.

Gemäß §1 Abs1 Z1 TWG, BGBl. Nr. 435/1929 idF BGBl. I Nr. 100/1997, umfassen Leitungsrechte das Recht zur Errichtung, zur Erweiterung und zur Erhaltung von Telekommunikationslinien im Luftraum oder unter der Erde.

Gemäß §4 TWG ist bei Ausübung der Leitungsrechte mit tunlichster Schonung der benützten Liegenschaften sowie in möglichst wenig belästigender Weise vorzugehen. Insbesondere hat der Leitungsberechtigte während der Ausführung der Arbeiten auf seine Kosten für die tunlichste Aufrechterhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauches der benützten Liegenschaften zu sorgen und nach Beendigung der Arbeiten schleunigst einen klaglosen Zustand herzustellen.

Wird auf einem Grundstück eine durch Recht gesicherte Leitung oder Anlage vom Inhaber auch für die Errichtung, den Betrieb, die Erweiterung oder die Erneuerung von Kommunikationslinien genutzt, ist dies gemäß §7 TKG 2003 vom Eigentümer zu dulden, wenn durch die Errichtung, den Betrieb, die Erweiterung oder die Erneuerung der Kommunikationslinie die widmungsgemäße Verwendung des Grundstückes nicht dauerhaft zusätzlich eingeschränkt wird. Dem Eigentümer oder sonst Nutzungsberechtigten ist eine angemessene Entschädigung zu zahlen, sofern nicht eine solche bereits für eine Nutzung zu Zwecken der Kommunikation geleistet wurde. Die Regulierungsbehörde legt binnen sechs Monaten im Einvernehmen mit Vertretern der betroffenen Parteien bundesweit einheitliche Richtsätze zur einmaligen Abgeltung fest, die in geeigneter Form kundzumachen und auf Verlangen auszuzahlen sind. Sobald ein Angebot auf Entschädigung gemäß den einheitlichen Richtsätzen vorliegt, wird die Nutzung des Grundstücks für Zwecke von Kommunikationslinien nicht gehemmt.

Den Ausführungen der Berufungswerberin hinsichtlich der Bestimmung der anzuwendenden Rechtslage ist entgegenzuhalten, dass im Jahr 1997 durch eine Novelle zum TWG die Definition des Begriffs 'Leitungsrecht' neu festgesetzt wurde. Der Gesetzgeber hat aus Anlass dieser Novellierung jedoch keine Festlegung dahingehend getroffen, die damit verbundene Erweiterung des Leitungsrechtes betreffe ausschließlich nach dem In-Kraft-Treten der Novelle entstehende Leitungsrechte. Es ist daher davon auszugehen, dass sämtliche Leitungsrechte, also auch vor dem In-Kraft-Treten der Novelle zustandegekommene, von der Neudefinition umfasst sind. Diese Auslegung wird nicht nur durch eine Verbalinterpretation der in Rede stehenden Bestimmungen, sondern nicht zuletzt auch durch eine historisch-teleologische Interpretation gestützt. Die Novelle des TWG mit BGBl. I Nr. 100/1997 erfolgte gleichzeitig mit der Kundmachung des Telekommunikationsgesetzes, BGBl. I Nr. 100/1997 (TKG), dessen Anliegen - wie aus der Zielbestimmung des §1 hervorgeht - es war, den Wettbewerb im Bereich der Telekommunikation sowie die Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft mit zuverlässigen, preiswerten, hochwertigen und innovativen Telekommunikationsdienstleistungen zu gewährleisten. Erreicht sollte dies insbesondere auch durch die Schaffung einer modernen Telekommunikationsinfrastruktur werden. Die Erweiterung der Definition des Begriffs 'Leitungsrecht' ist vor dem Hintergrund dieser programmatischen Zweckdefinition zu sehen. Die Berechtigung, einmal verlegte Telekommunikationslinien zu erweitern, erleichtert den Ausbau des Telekommunikationsnetzes und fördert auf diese Weise die Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft mit zuverlässigen, preiswerten, hochwertigen und innovativen Telekommunikationsdienstleistungen.

Die TA AG war auf Grund des im Jahr 1974 hinsichtlich des in Rede stehenden Leitungsabschnittes begründeten Leitungsrechtes berechtigt, Erweiterungen der Telekommunikationslinie auf diesem Streckenabschnitt vorzunehmen. Im vorliegenden Fall hätten dafür zwei Möglichkeiten bestanden. Einerseits wäre die Neuverlegung von Leitungen denkbar gewesen. Diese Vorgangsweise hätte nicht nur höheren Arbeitsaufwand für die Leitungsberechtigte bedeutet, sondern auf einer Streckenlänge von 348 m einen physischen Eingriff in die Liegenschaft erfordert. Die Leitungsberechtigte wählte sohin die im konkreten Fall durch die bereits erfolgte Verlegung von Leerverrohrung ebenfalls mögliche Vorgehensweise des Einblasens von Kabeln in diese Leerrohre. Der physische Eingriff in die Liegenschaft beschränkte sich bei dieser Variante auf das Graben eines Suchschlitzes. Die TA AG hat durch die Auswahl dieser Vorgangsweise dem in §4 TWG festgelegten Schonungsgebot Rechnung getragen. Der Meinung der Berufungswerberin, durch das Vorgehen der Leitungsberechtigten würden Entschädigungsverpflichtungen umgangen, ist daher entgegenzuhalten, dass der TA AG durch den gesetzlichen Auftrag bei Ausübung von Leitungsrechten mit tunlichster Schonung vorzugehen, kein anderes Vorgehen zumutbar war.

Die Abweisung des den §7 TKG 2003 betreffenden Antrages erfolgt aus den bereits [von der Behörde I. Instanz] dargelegten zutreffenden Gründen, welche auch durch die Erläuterungen zu dieser Bestimmung bestätigt werden. Wie den Materialien (Regierungsvorlage, 128 BlgNR, 22. GP) eindeutig zu entnehmen ist, regelt §7 nämlich jene Fälle, in denen eine Leitung zu einem anderen Zweck errichtet wurde, diese jetzt aber auch für Zwecke der elektronischen Kommunikation genützt werden soll."

2. Dagegen richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, vgl. 2.1.) und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG, vgl. 2.2.) geltend gemacht wird.

2.1. Die Begründung und auch die Erweiterung eines Leitungsrechtes im Sinne der Bestimmungen des TWG und des TKG bewirke eine Beschränkung des Eigentumsrechtes des Liegenschaftseigentümers, die von der Eigentumsgarantie des Art5 StGG umfasst seien. Die im Jahr 1974 - über das geltend gemachte Leitungsrecht hinausgehend - verlegten Leerrohre seien als unselbständige Bestandteile des Grundstücks der beschwerdeführenden Partei in deren Eigentum übergegangen. Für die Zulässigkeit von Enteignungen sei eine angemessene Entschädigung erforderlich. Durch die Feststellung, die Telekom Austria AG sei zur Erweiterung der Telekommunikationslinie auf dem Grundstück der beschwerdeführenden Partei berechtigt und ein gesonderter Entschädigungsanspruch hiefür könne nicht festgestellt werden, sei das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.

2.2. Zum Zeitpunkt der ursprünglichen Geltendmachung des Leitungsrechts am 1. April 1974 sei der Rechtsvorgängerin der Telekom Austria AG gemäß §1 Abs1 und 2 TWG in der Fassung BGBl. Nr. 20/1970 das Recht zur Herstellung, Instandhaltung und Betrieb von Leitungen zugestanden. Das Recht zur Erweiterung als Bestandteil der Leitungsrechte sei erst durch die Novelle des TWG BGBl. I Nr. 100/1997 ergänzt worden (§1 Abs1 Z1 TWG). Gemäß Art49 Abs1 B-VG sei eine Rückwirkung von Gesetzen zwar grundsätzlich möglich, bedürfe aber einer ausdrücklichen Bestimmung. Die Novelle BGBl. I Nr. 100/1997 habe eine Rückwirkung nicht ausdrücklich angeordnet, sondern das Inkrafttreten mit 1. Jänner 1998. Damit bestehe das Recht zur Erweiterung von Telekommunikationslinien erst für ab dem 1. Jänner 1998 begründete Leitungsrechte.

Mit der angesprochenen Novelle sei auch §6a TWG über "Abgeltung, Ausgleich und Entschädigung" neu eingeführt worden. Würde man der Ansicht der belangten Behörde dahingehend folgen, dass das Recht zur Erweiterung auch für vor dem 1. Jänner 1998 begründete Leitungsrechte gelte, so bedeute dies, dass der Gesetzgeber gleichzeitig mit der Schaffung der Möglichkeit, bei bestehenden Leitungsrechten Erweiterungen vorzunehmen, auch die Verpflichtung eingeführt habe, nicht nur die Begründung, sondern auch die Erweiterung von Leitungsrechten zu entschädigen, denn nur so könne §6a TWG verfassungskonform verstanden werden.

Zusammenfassend bedeute dies, dass die belangte Behörde dem TWG entweder durch die Annahme einer Rückwirkung der Novelle BGBl. I Nr. 100/1997 oder einer Entschädigungsfreiheit für die Erweiterung eines Leitungsrechtes einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt habe.

3. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt und ausführt:

"Die erstmalige Begründung des Leitungsrechts an der Liegenschaft der Beschwerdeführerin erfolgte im Jahr 1974. Dieses Leitungsrecht war der damals in Kraft stehenden Bestimmung des TWG zufolge auf die Führung und Erhaltung von Leitungen beschränkt. Mit In-Kraft-Treten des 'neuen' TWG wurde dieses Recht um die Erweiterung von Telekommunikationslinien ausgeweitet. Die verbindliche Kraft dieses Bundesgesetzes begann gem. ArtVII Abs1 des Bundesgesetzes, mit dem ein Telekommunikationsgesetz erlassen wird, das Telegraphenwegegesetz, das Fernmeldegebührengesetz und das Kabel- und Satelliten-Rundfunkgesetz geändert werden sowie ergänzende Bestimmungen zum Rundfunkgesetz und zur Rundfunkverordnung getroffen werden, - insofern wird der Ansicht der Beschwerdeführerin gefolgt - am 1. August 1997. Ab diesem Tag war §1 TWG auf sämtliche Sachverhalte, in welchen (auch bestehende) Leitungsrechte betroffen waren und deren Umfang zu bestimmen war, anzuwenden. Nach der Konzeption des TWG besteht ein Leitungsrecht nicht bloß aus dessen Begründung bzw der Errichtung einer Leitung sondern entfaltet seine Rechtswirkungen auch während des gesamten Zeitraums, in dem die auf Grund des betreffenden Rechts errichtete Leitung existiert. Zum Zeitpunkt der Verwirklichung des Sachverhaltes 'Erweiterung der Telekommunikationslinie' im September 2001 umfasste das Leitungsrecht der TA AG auf der gegenständlichen Liegenschaft sohin auch die Erweiterung dieser Telekommunikationslinie.

[...] Zur Rechtslage hinsichtlich allfälliger Entschädigungsansprüche ist auszuführen, dass das TWG ursprünglich keinerlei Entschädigung vorgesehen hat. Ein derartiger Anspruch wurde erst mit BGBl. I Nr. 100/1997 in das 'neue' TWG aufgenommen.

Gemäß §6a Abs1 TWG 'neu' ist der Eigentümer oder sonst Nutzungsberechtigte einer gemäß §1 Abs3 belasteten Liegenschaft durch eine einmalige Abgeltung zu entschädigen.

Gemäß §1 Abs3 TWG 'neu' stehen Inhabern einer Konzession zur Erbringung eines öffentlichen Telekommunikationsdienstes und anderen Anbietern öffentlicher Telekommunikationsdienste Leitungsrechte an in fremdem Privateigentum stehenden Liegenschaften zu, sofern

1. deren widmungsgemäße Verwendung durch die Nutzung nicht oder nur unwesentlich dauernd eingeschränkt wird,

2. sich darauf keine durch ein Recht gesicherte unter §1 Abs1 Z1, 2 oder 3 angeführte Anlage befindet und

3. überwiegende öffentliche Rücksichten nicht im Wege stehen.

In §1 Abs3 TWG 'neu' werden der Umfang des zur Inanspruchnahme eines Leitungsrechtes berechtigte Personenkreis sowie die sonstigen Voraussetzung für die Inanspruchnahme eines Leitungsrechtes festgesetzt. Diese Norm bezieht sich sohin ausschließlich auf die Neubegründung von Leitungsrechten. Durch die eindeutige Bezugnahme auf diese Bestimmung in §6a ist dessen Regelungsumfang auf nach dem Regime des TWG 'neu' zu begründende Leitungsrechte eingeschränkt. Der Beschwerdeführerin ist daher entgegenzuhalten, dass aus §6a TWG 'neu' ein Entschädigungsanspruch für die Beschwerdeführerin nicht abgeleitet werden kann.

[...]

Wie im Erkenntnis VfSlg. 10.305 ausgeführt wird, gehört zum Kompetenztatbestand Post- und Fernmeldewesen auch die Einräumung von Leitungsrechten für die Herstellung, die Instandhaltung und den Betrieb von Fernmeldeanlagen sowie die Regelung der Frage, ob die eingeräumten Leitungsrechte unentgeltlich oder nur gegen Entgelt zu dulden sind. Mit dem damals in Kraft stehenden §2 Fernmeldegesetz hat der Bund sich und den öffentlichen Telegraphenanstalten die in Rede stehenden Leitungsrechte auf öffentlichem und privatem Grund eingeräumt und dafür ein Entgelt (eine Entschädigung) nicht vorgesehen. Begründet wurde dies mit den Argumenten, dass die Inanspruchnahme fremden Grundes vergleichsweise geringfügig ist und öffentliches Interesse an solchen Fernmeldeanlagen besteht.

Die gesetzlichen Grundlagen zur Regelung des Fernmeldewesens waren zwar seit dem zitierten Erkenntnis mehrfachen Änderungen unterworfen, die damals für die Unentgeltlichkeit der Ausübung von Leitungsrechten angeführten Argumente sind jedoch nach wie vor gültig. Die Inanspruchnahme fremden Grundes für Zwecke der Leitungsverlegung stellt einen lediglich geringfügigen Eingriff dar, dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall, in welchem es sich lediglich um eine Erweiterung eines bereits begründeten Leitungsrechtes handelt. Darüberhinaus bestand diese Erweiterung nicht etwa in der Neuverlegung zusätzlicher Rohre (und den damit verbundenen Grabungsarbeiten), sondern wurden Kabel in bereits vorhandene Rohre eingeblasen, sodass der physische Zustand des Grundstückes vor und nach der Erweiterung unverändert ist.

Weiters ist zu bedenken, dass die Schaffung sowie der Ausbau von Infrastruktur unverzichtbar für die Erhaltung und Steigerung der Standortqualität Österreichs sind und damit im öffentlichen Interesse liegen. Wie bereits in dem in Beschwerde gezogenen Bescheid ausgeführt, hat der Gesetzgeber die dem Telekommunikationsrecht zu Grunde liegenden Ziele in §1 TKG 1997 explizit festgehalten, wobei das Ziel 'Schaffung einer modernen Telekommunikationsinfrastruktur zur Förderung der Standortqualität auf hohem Niveau' an erster Stelle gereiht wurde."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die §§5, 6 und 7 TKG lauten:

"2. Abschnitt

Leitungs- und Mitbenutzungsrechte

Leitungsrechte

§5. (1) Leitungsrechte umfassen unbeschadet der nach sonstigen gesetzlichen Vorschriften zu erfüllenden Verpflichtungen das Recht

1. zur Errichtung und zur Erhaltung von Kommunikationslinien im Luftraum oder unter der Erde,

2. zur Anbringung und Erhaltung von Leitungsstützpunkten, Vermittlungseinrichtungen und sonstigen Leitungsobjekten und anderem Zubehör,

3. zur Einführung und Führung von Kabelleitungen in Gebäuden und sonstigen Baulichkeiten,

4. zum Betrieb der unter Z1, 2 und 3 angeführten Anlagen sowie

5. zur Ausästung, worunter das Beseitigen von hinderlichen Baumpflanzungen und das Fällen einzelner Bäume verstanden wird, sowie zur Vornahme von Durchschlägen durch Waldungen.

Der Inhalt des jeweiligen Leitungsrechtes ergibt sich aus der Vereinbarung oder aus der Entscheidung der Fernmeldebehörde.

(2) Den mit der Errichtung und Erhaltung der unter Abs1 Z1, 2 oder 3 angeführten Anlagen Beauftragten ist das Betreten des Inneren von Gebäuden, dringende Notfälle ausgenommen, nur bei Tageszeit und nach vorheriger Anmeldung bei dem Hauseigentümer oder dessen Vertreter und nur insoweit gestattet, als es andere gesetzliche Vorschriften nicht verbieten.

(3) Bereitsteller eines Kommunikationsnetzes sind berechtigt, Leitungsrechte an öffentlichem Gut, wie Straßen, Fußwege, öffentliche Plätze und den darüber liegenden Luftraum, ausgenommen das öffentliche Wassergut, unentgeltlich und ohne gesonderte Bewilligung nach diesem Gesetz in Anspruch zu nehmen. Unentgeltlichkeit im Sinne dieser Bestimmung betrifft nicht die bereits am 1. August 1997 bestanden habenden rechtlichen Grundlagen der Einhebung von Abgaben.

(4) Bereitsteller eines öffentlichen Kommunikationsnetzes sind berechtigt, Leitungsrechte an privaten Liegenschaften in Anspruch zu nehmen, sofern öffentliche Rücksichten nicht im Wege stehen und wenn

1. die widmungsgemäße Verwendung des Grundstückes durch die Nutzung nicht oder nur unwesentlich dauernd eingeschränkt wird und wenn

2. a) sich auf einem Grundstück keine Leitung oder Anlage befindet oder

b) eine bestehende Anlage erweitert werden soll,

c) sich auf einem Grundstück eine Leitung oder Anlage befindet, welche jedoch nicht im Eigentum desjenigen steht, welcher das Grundstück in Anspruch nehmen möchte, und die Mitbenutzung der bestehenden Leitung oder Anlage nicht möglich oder nicht tunlich ist oder der Eigentümer der Leitung oder Anlage nicht gemäß §8 Abs1 zur Gestattung der Mitbenutzung verpflichtet ist.

(5) Dem Eigentümer einer gemäß Abs4 belasteten Liegenschaft ist eine der Wertminderung entsprechende Abgeltung zu leisten.

Verfahren zur Einräumung von Leitungsrechten, Abgeltung

§6. (1) Berechtigte gemäß §5 Abs3 haben ihre Vorgangsweise bei der Ausübung dieser Rechte mit den Eigentümern oder Nutzungberechtigten der betroffenen Grundstücke abzustimmen.

(2) Werden Leitungsrechte geltend gemacht, so hat der Leitungsberechtigte den Eigentümern unter Beigabe einer Planskizze die auf ihren Liegenschaften beabsichtigten Herstellungen bekannt zu geben. Bestehen auf den in Anspruch genommenen Liegenschaften andere Anlagen, so ist gegenüber ihren Unternehmern in gleicher Weise vorzugehen.

(3) Kommt zwischen dem gemäß §5 Abs4 Verpflichteten und dem Berechtigten eine Vereinbarung über das Leitungsrecht an privaten Liegenschaften oder über die einmalige Abgeltung binnen einer Frist von sechs Wochen ab Einlangen der Nachfrage nicht zustande, kann jeder der Beteiligten die Fernmeldebehörde zur Entscheidung anrufen.

(4) Bis zur Rechtskraft der Entscheidung der Fernmeldebehörde über das Leitungsrecht darf der Bau der beabsichtigten Anlage nicht in Angriff genommen werden.

(5) Sofern ein Vorschlag der Fernmeldebehörde über die Höhe der Abgeltung von einem der Beteiligten abgelehnt wird, ist die Höhe der Abgeltung auf Grund der Schätzung eines beeideten Sachverständigen zu bestimmen. Die Kosten für die dem Sachverständigen zustehenden Gebühren sind vom Leitungsberechtigten zu tragen. Diese Kosten können in angemessenem Verhältnis geteilt werden, wenn dies der Billigkeit entspricht.

(6) Jede der Parteien kann binnen drei Monaten ab Erlassung des die Abgeltung bestimmenden Bescheides die Festsetzung des Betrages bei jenem Bezirksgericht begehren, in dessen Sprengel sich der Gegenstand des Nutzungsrechtes befindet. Der Bescheid der Behörde tritt hinsichtlich des Ausspruchs über die Abgeltung mit Anrufung des Gerichtes außer Kraft. Der Antrag an das Gericht auf Festsetzung der Abgeltung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Nutzungsrecht an durch Recht gesicherten Leitungen

oder Anlagen

§7. Wird auf einem Grundstück eine durch Recht gesicherte Leitung oder Anlage vom Inhaber auch für die Errichtung, den Betrieb, die Erweiterung oder die Erneuerung von Kommunikationslinien genutzt, ist dies vom Eigentümer zu dulden, wenn durch die Errichtung, den Betrieb, die Erweiterung oder die Erneuerung der Kommunikationslinie die widmungsgemäße Verwendung des Grundstückes nicht dauerhaft zusätzlich eingeschränkt wird. Dem Eigentümer oder sonst Nutzungsberechtigten ist eine angemessene Entschädigung zu zahlen, sofern nicht eine solche bereits für eine Nutzung zu Zwecken der Kommunikation geleistet wurde. Die Regulierungsbehörde legt binnen sechs Monaten im Einvernehmen mit Vertretern der betroffenen Parteien bundesweit einheitliche Richtsätze zur einmaligen Abgeltung fest, die in geeigneter Form kundzumachen und auf Verlangen auszuzahlen sind. Sobald ein Angebot auf Entschädigung gemäß den einheitlichen Richtsätzen vorliegt, wird die Nutzung des Grundstücks für Zwecke von Kommunikationslinien nicht gehemmt."

2. Der Antrag, den die beschwerdeführende Partei an das Fernmeldebüro für Steiermark und Kärnten gestellt hat, richtet sich primär auf die Zuerkennung einer Entschädigung für die Verlegung von Lichtwellenleitern über ihr Grundstück, somit einer Entschädigung für eine Eigentumsbeschränkung, und zwar nach den "einheitlichen Richtsätzen im Sinne von §7 TKG 2003". Der Ausspruch des Fernmeldebüros für Steiermark und Kärnten, ein "gesonderter Entschädigungsanspruch des betroffenen Grundeigentümers" könne "nicht festgestellt werden" stellt der Sache nach eine Entscheidung über diesen Entschädigungsanspruch dar. Die belangte Behörde hat die Berufung der beschwerdeführenden Partei gegen diesen Bescheid ua. "gemäß §7 Telekommunikationsgesetz 2003" abgewiesen und in der Begründung dargelegt, dass der dort geregelte Entschädigungstatbestand nicht verwirklicht sei.

3. Gemäß Art6 Abs1 EMRK muss über "civil rights" von einem "unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht ('Tribunal')" entschieden werden. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, genügt die nachprüfende Kontrolle der Entscheidungen einer nicht als "Tribunal" eingerichteten Behörde über Enteignungsentschädigungen durch den Verwaltungsgerichtshof (gegebenenfalls gemeinsam mit deren Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof) den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art6 EMRK nicht (siehe VfSlg. 11.762/1988, 11.760/1988). Diese Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof auf Entscheidungen über Ansprüche auf Entschädigungen für Eigentumsbeschränkungen übertragen (vgl. VfSlg. 17.242/2004).

Weder das Fernmeldebüro für Steiermark und Kärnten, noch die belangte Behörde sind als "Tribunal" im Sinne des Art6 EMRK eingerichtet. Die beschwerdeführende Partei wendet sich somit gegen eine inhaltliche Entscheidung über einen Entschädigungsanspruch gemäß §7 TKG, die nicht in einem Verfahren getroffen wurde, das den Anforderungen des Art6 EMRK entspricht.

4. Die beschwerdeführende Partei wurde darüber hinaus auch in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) verletzt.

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde insbesondere dann verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002), aber auch dann, wenn sie als Berufungsbehörde die sachliche Unzuständigkeit der erstinstanzlichen Behörde nicht aufgreift, dh. den bei ihr bekämpften Bescheid nicht aufhebt (vgl. VfSlg. 6323/1970).

Ob nun für Entschädigungsansprüche gemäß §7 TKG eine "sukzessive Kompetenz" der ordentlichen Gerichte nach Bestimmung einer Entschädigung durch die Fernmeldebehörde in (analoger) Anwendung des §6 Abs5 und 6 TKG anzunehmen ist oder aber gemäß §1 JN von einer primären Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auszugehen ist, kann dahingestellt bleiben (vgl. bereits das Erkenntnis des VwGH vom 15. Dezember 2003, Z2001/03/0292). Denn in beiden Fällen ist das Recht der beschwerdeführenden Partei auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt: Die belangte Behörde hätte im Falle einer sukzessiven Gerichtszuständigkeit die Berufung hinsichtlich der Entschädigung zurückweisen und im Falle einer primären Gerichtszuständigkeit die Unzuständigkeit der erstinstanzlichen Behörde wahrnehmen und deren Bescheid aufheben müssen.

5. Die beschwerdeführende Partei ist somit in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal (Art6 EMRK) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) verletzt worden. Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb aufzuheben.

Auf die Behauptungen der beschwerdeführenden Partei, sie sei in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) verletzt worden, also insbesondere auf die Frage, ob ein Entschädigungsanspruch der beschwerdeführenden Partei besteht, konnte bei diesem Ergebnis nicht eingegangen werden.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von 360,- € und eine Eingabegebühr in Höhe von 180,- € enthalten.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Behördenzuständigkeit, Fernmelderecht, Kollegialbehörde, Entschädigung, Gericht Zuständigkeit - Abgrenzung von Verwaltung, Kompetenz sukzessive, Tribunal, civil rights

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:B841.2004

Dokumentnummer

JFT_09948788_04B00841_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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