RS Vfgh 2006/3/8 B3303/05

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Veröffentlicht am 08.03.2006
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art83 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
ASVG §341 ff, §344, §345, §345a

Rechtssatz

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung des Antrags auf Feststellung der Unwirksamkeit einer Bestimmung des Gesamtvertrages betreffend das Verbot der Erbringung wirkungsloser bzw Patienten gefährdender Leistungen durch Kassenärzte; Zuständigkeit der Landes- bzw der Bundesschiedskommission und nicht der Landesberufungskommission; Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung auch des Antrags auf Erlassung eines Feststellungsbescheides betreffend das Nichtbestehen einer Verpflichtung der antragstellenden Ärzte zur Beachtung eines Rundschreibens betreffend das Verbot der Erbringung bestimmter komplementärmedizinischer Leistungen durch Kassenärzte; Feststellungsinteresse der antragstellenden Ärzte hinsichtlich dieser Konkretisierung vertraglicher Rechte und Pflichten gegeben

Keine Verletzung des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei Regelung der Zusammensetzung der paritätischen Schiedskommission in §344 Abs2 ASVG.

Unbedenklichkeit der Landesberufungskommission in Hinblick auf Art6 Abs1 EMRK (siehe Vorjudikatur, zB E v 27.09.05, B1548/04 und B610/05).

Die paritätische Schiedskommission (§344 Abs1 ASVG), in zweiter Instanz die Landesberufungskommission (§344 Abs4, §345 Abs2 Z1 ASVG) ist zwar befugt, bei Feststellung des Inhalts des Einzelvertrages - vorfrageweise - die Gültigkeit von Bestimmungen des maßgebenden Gesamtvertrages zu beurteilen (vgl zB VfSlg 15178/1998); als Hauptfrage ist die Beurteilung der Gültigkeit eines bestehenden Gesamtvertrages aber der Landes- bzw Bundesschiedskommission vorbehalten.

Die belangte Behörde hat auch zu Recht abgelehnt, über die Wirksamkeit einer Regelung des mit 01.10.02 in Kraft getretenen Gesamtvertrages zu entscheiden: "Sache" eines Berufungsverfahrens ist nämlich der durch den Spruch des Bescheides der Unterbehörde begrenzte Gegenstand des vorangegangenen Verfahrens in dem durch den Berufungsantrag bestimmten Umfang. Die Zuständigkeit der belangten Behörde (als Berufungsinstanz) reichte daher nur so weit, über den bei der Paritätischen Schiedskommission (als Behörde erster Instanz) gestellten Bescheidantrag zu entscheiden. Dieser Antrag bezog sich aber (ua) auf die Feststellung der Unwirksamkeit des mittlerweile außer Kraft getretenen §10 Abs4 des Gesamtvertrages. Soweit die Beschwerdeführer im Berufungsverfahren nunmehr auch eine Entscheidung über die Wirksamkeit des mit 01.10.02, somit erst nach Erlassung des Bescheides der Paritätischen Schiedskommission, in Kraft getretenen §10 Abs4 des Gesamtvertrages begehrten, fiel eine solche Entscheidung nicht in die funktionelle Zuständigkeit der belangten Behörde (vgl zB VwSlg 10305 A/1980; siehe auch VfSlg 7641/1975, 8886/1980 mwN).

Dem im angefochtenen Bescheid vertretenen Standpunkt, auf Grund des "Außerkrafttretens" des Rundschreibens Nr 707/2001 sei keine - ein Feststellungsinteresse begründende - einzelvertragliche Verpflichtung mehr gegeben, kann nicht gefolgt werden:

Das Feststellungsinteresse der Antragsteller beruht darauf, dass die Verfasser dieses Rundschreibens zweifelsfrei intendierten, das sich aus §10 Abs4 letzter Satz des Gesamtvertrages ergebende Verbot, erwiesenermaßen wirkungslose oder gar für die Patienten schädliche Leistungen zu erbringen, mit Wirkung für die Beschwerdeführer klarzustellen und die in Betracht kommenden Leistungen aufzuzählen. Ab dem Zugang dieses Rundschreibens konnten sich die Beschwerdeführer nicht mehr darauf berufen, eine der in diesem Rundschreiben genannten Leistungen entschuldbar für nicht verboten gehalten zu haben. Sie konnten sich daher nur mehr unter der Voraussetzung des Nachweises, dass die den genannten Leistungen unterstellte Wirkungslosigkeit (oder gar Schädlichkeit) ungeachtet ihrer Aufzählung im Rundschreiben nicht vorliegt, vor erheblichen Nachteilen (zB Vertragskündigung) schützen.

Daran hat aber die während des Verfahrens in Kraft getretene Änderung des §10 Abs4 des Gesamtvertrages nur insoweit etwas geändert, als der rechtliche Maßstab, an dem das Feststellungsbegehren der Beschwerdeführer mit Wirkung pro futuro zu beurteilen ist, ein anderer geworden ist.

Das Feststellungsinteresse der Beschwerdeführer besteht auch hinsichtlich der Frage, ob §10 Abs4 des Gesamtvertrages in der Neufassung rechtswirksam ist, ohne dass sich am Gegenstand des Verfahrens (nämlich dem Begehren auf verbindliche Feststellung strittiger Pflichten der Beschwerdeführer aus dem Vertragsverhältnis zur Gebietskrankenkasse) etwas geändert hätte. Die Frage der Rechtswirksamkeit des §10 Abs4 des Gesamtvertrages wäre von der belangten Behörde als Vorfrage zu beurteilen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Sozialversicherung, Ärzte, Behördenzuständigkeit, Kollegialbehörde, Feststellungsbescheid, Behördenzusammensetzung, Berufung, Berufungsgegenstand, Bescheiderlassung (Zeitpunkt maßgeblich für Rechtslage), Novellierung, Berufungsgegenstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B3303.2005

Dokumentnummer

JFR_09939692_05B03303_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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