RS Vfgh 2006/6/9 B3585/05

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 09.06.2006
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Index

L5 Kulturrecht
L5500 Baumschutz, Landschaftsschutz, Naturschutz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art83 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
Allg LandschaftsschutzV 1995. Sbg LGBl 89/1995 §2, §3
Sbg NaturschutzG 1999 §3, §3a, §16, §18
SeenschutzV 1980. Sbg LGBl 93/1980
StGB §34

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Entscheidung in angemessener Zeit aufgrund überlanger Verfahrensdauer durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe über die ÖBB wegen Setzung naturschutzrechtlich bewilligungspflichtiger Maßnahmen im Landschaftsschutzgebiet Wallersee (Westbahnstrecke) ohne Bewilligung; keine Verletzung sonstiger verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte; gesetzliche Regelung der Bewilligungspflicht ausreichend determiniert, Ausnahmen sachlich gerechtfertigt; keine Verletzung des Berücksichtigungsgebotes; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Rechtssatz

Kein Verstoß des §18 Sbg NaturschutzG 1999 (Erteilung naturschutzrechtlicher Bewilligungen im Landschaftsschutzgebiet) gegen Art18 B-VG; Vorgehen des Verordnungsgebers durch Zielkatalog und Verfahrensbestimmungen hinreichend determiniert.

Kein Verstoß gegen die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern durch §3 Sbg NaturschutzG 1999 (seit der Novelle LGBl 1/2002 §3a leg cit).

Der Landesgesetzgeber ist jedenfalls (auch) befugt, vermeidbare Eingriffe in Naturschutzinteressen zu untersagen bzw durch die Erteilung von Auflagen und Bedingungen für einen entsprechenden Ausgleich zu sorgen. Im Falle von Eingriffen, die nicht vermeidbar sind und deren nachteilige Folgen auch nicht ausgeglichen werden können, muss jedoch zumindest in Form einer Abwägung zwischen den Interessen des Naturschutzes und den anderen, den Eingriff bewirkenden Interessen auch für die gebotene Berücksichtigung kompetenzfremder Interessen Raum sein ("Berücksichtigungsgebot" vgl etwa VfSlg 10292/1984, 15552/1999, 15281/1998 ua). Eine derartige Berücksichtigung kompetenzfremder Interessen lässt die beanstandete Bestimmung zu.

Verpflichtung des Verordnungsgebers zum Hinweis auf den Schutzzweck bei Erlassung von Landschaftsschutzverordnungen iSd §16 Sbg NaturschutzG 1999 hier unbeachtlich; Verfahrensgegenstand vor dem UVS lediglich die Frage der Bewilligungspflicht der getroffenen Maßnahmen. Keine Geltung dieser Verpflichtung für die Allg LandschaftsschutzV 1995, da diese Verordnung gerade kein bestimmtes Gebiet zum Landschaftsschutzgebiet erklärt.

Die Bewilligungspflicht der im §2 Allg LandschaftsschutzV 1995 genannten Maßnahmen ist im öffentlichen Interesse am Naturschutz gelegen und durch die Ausnahmemöglichkeiten (§3 leg cit) auch sachlich gerechtfertigt.

Zuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft in erster Instanz und des Unabhängigen Verwaltungssenates im gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren gegeben, kein Entzug des gesetzlichen Richters.

Keine denkunmögliche Gesetzesanwendung.

Hingegen Feststellung der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art6 EMRK hinsichtlich der ausgesprochenen Strafe (siehe §34 StGB, unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer als Milderungsgrund):

Die ungewöhnliche Länge des zu beurteilenden Verfahrens ist allein auf das Handeln staatlicher Organe (zum überwiegenden Teil auf das Verhalten des Verwaltungsgerichtshofes) zurückzuführen.

Da nach der Aktenlage weder Art und Umfang des Sachverhalts noch die zu beurteilenden Rechtsfragen die Behandlung dieser Rechtssache ungewöhnlich komplex oder schwierig erscheinen lassen und sich im vorliegenden Verfahren auch keine weiteren besonderen Umstände ergeben haben, welche die Dauer des Verfahrens, im Besonderen vor dem Verwaltungsgerichtshof, rechtfertigen könnten, ist die Dauer des Verfahrens von 6 Jahren 6 Monaten und 11 Tagen (davon eine Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgerichtshof von über drei Jahren) nicht mehr als angemessen im Sinne des Art6 Abs1 EMRK zu qualifizieren.

Nach der Judikatur des EGMR sind Verfahrensverzögerungen, die auf eine länger andauernde Belastung einzelner Gerichte zurückzuführen sind (hier: Überlastung des VwGH), als ein struktureller Mangel der Gerichtsorganisation zu qualifizieren, der jedoch nicht als Rechtfertigungsgrund für Verfahrensverzögerungen gelten kann (vgl VfSlg 16385/2001 mwN).

Die belangte Behörde hat dadurch, dass sie die überlange Verfahrensdauer nicht festgestellt und strafmildernd bewertet hat, das Gesetz bei der Strafbemessung in einer dem Art6 Abs1 EMRK widersprechenden Weise angewendet (VfSlg 16385/2001 mwN; VfGH 06.06.06, B3593/05).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Naturschutz, Landschaftsschutz, Determinierungsgebot, Kompetenz Bund - Länder, Berücksichtigungsprinzip, Verfahrensdauer überlange, Behördenzuständigkeit, fair trial, Verwaltungsstrafrecht, Strafrecht, Strafbemessung, Bundesbahnen, Entscheidung in angemessener Zeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B3585.2005

Dokumentnummer

JFR_09939391_05B03585_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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