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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Verfassungswidrigkeit einer Verordnungsermächtigung des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger zur Festlegung einheitlicher Grundsätze für die EDV-Abrechnung der Vertragsärzte wegen Widerspruchs zu den Grundsätzen der nicht territorialen Selbstverwaltung in Hinblick auf deren Beschränkung auf einen bestimmten Personenkreis; unmittelbare Gestaltung der Rechtssphäre der betroffenen, dem Hauptverband jedoch nicht angehörenden Ärzte; Aufhebung der als Verordnung einzustufenden Einheitlichen Grundsätze über die EDV-Abrechnung und der Organisationsbeschreibung Datenaustausch mit Vertragspartnern nach Wegfall der gesetzlichen GrundlageRechtssatz
Zulässigkeit der von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Prüfung einer Wortfolge in §340a ASVG, der "Einheitlichen Grundsätze gemäß §340a ASVG über die EDV-Abrechnung der Vertragsärzte" - EG sowie der Organisationsbeschreibung "Datenaustausch mit Vertragspartnern (DVP), Version 2.0.1".
Keine Klaglosstellung des Beschwerdeführers im Anlassverfahren durch eine Vereinbarung des Hauptverbandes mit der Bundeskurie der Zahnärzte betreffend eine Änderung der Abrechnungsmodalitäten (keine Anführung mehr des Behandlungsdatums).
Im Anlassverfahren geht es nicht um diesen Aspekt der elektronischen Rechnungslegung der Vertragsärzte, sondern vielmehr schlechthin um die Frage, ob und inwieweit die vom Hauptverband erlassenen "Einheitlichen Grundsätze" auf den bestehenden Gesamtvertrag - und damit auch auf das zwischen den Beschwerdeführern und der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse bestehende Vertragsverhältnis - einwirken.
Verordnungscharakter der EG und der Organisationsbeschreibung.
Gemäß §10 Abs1 EG haben "[d]ie Struktur des Datenbestandes und der Datensätze (Satzarten) sowie die Inhalte der Datenfelder (Codes bzw Schlüssel) ... den Regelungen der vom Hauptverband herausgegebenen Organisationsbeschreibung 'DVP' in der jeweils geltenden Fassung zu entsprechen". Diese Bestimmung beruft den Hauptverband, die von ihm selbst festgelegten Grundsätze zu konkretisieren. Eine Norm dieses Inhalts ist daher mit einer bloßen Anknüpfung an technische Standards nicht vergleichbar. Es besteht somit nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass den sonach erlassenen "Regelungen", wie sie in der Organisationsbeschreibung "DVP" enthalten sind, keine normative Kraft zukäme.
Verfassungswidrigkeit der Wortfolge "vom Hauptverband" in §340a zweiter Satz ASVG idF der 59. ASVG-Nov, BGBl I 1/2002.
Gesetzwidrigkeit der "Einheitlichen Grundsätze gemäß §340a ASVG über die EDV-Abrechnung der Vertragsärzte" - EG, Amtliche Verlautbarung der österreichischen Sozialversicherung im Internet Nr 148/2002, idF der 1. Änderung, Amtliche Verlautbarung der österreichischen Sozialversicherung im Internet Nr 31/2004, sowie der Organisationsbeschreibung "Datenaustausch mit Vertragspartnern (DVP), Version 2.0.1".
Hauptverband als Körperschaft öffentlichen Rechts, keine Weisungsgebundenheit, Organisation als Selbstverwaltungskörper; keine Bedenken iSd Art20 Abs1 B-VG (Hinweise auf die Vorjudikatur). Beschränkung des Wirkungsbereichs auf Aufgaben, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der zum Selbstverwaltungskörper zusammengeschlossenen Personen gelegen und geeignet sind, von dieser Gemeinschaft besorgt zu werden (so schon VfSlg 8215/1977). Beschränkung der nicht territorialen Selbstverwaltung jeweils auf einen bestimmten Personenkreis.
Die im Falle der Einrichtung von Selbstverwaltung zulässige Ausnahme vom sonst gebotenen Weisungszusammenhang mit den obersten Organen der Vollziehung (Art19 iVm 20 Abs1 B-VG) und die sich daraus ergebende Entkoppelung der Selbstverwaltung von deren demokratischer Legitimation erfordern es, dass dem Selbstverwaltungskörper statt dessen seinerseits eine entsprechende demokratische Legitimation durch die von ihm Verwalteten zukommt. Es wäre jedenfalls unzulässig, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts zwar als Selbstverwaltungskörper einzurichten, diesem aber die Zuständigkeit zu übertragen, auch solche Angelegenheiten - unter Einsatz von imperium - weisungsungebunden zu besorgen, die sich auf einen Personenkreis beziehen, der von jenem verschieden ist, welcher dem Selbstverwaltungskörper die erforderliche demokratische Legitimation vermittelt, dh der bei der Kreation (jedenfalls) des obersten Organs dieses Selbstverwaltungskörpers mitwirken konnte. Damit würde nämlich das Organisationskonzept der Bundesverfassung, das im Prinzip eine Unterstellung der hoheitlich zu besorgenden Verwaltungstätigkeiten unter die obersten Organe im Sinne des Art19 Abs1 B-VG verlangt, die ihrerseits der parlamentarischen Kontrolle unterliegen, umgangen werden (VfSlg 17023/2003).
§340a zweiter Satz ASVG beruft den - auch in dieser Angelegenheit weisungsfrei agierenden - Hauptverband, für die EDV-Abrechnung der Vertragsärzte durch Verordnung einheitliche Grundsätze festzusetzen. Abgesehen davon, dass es sich dabei um eine Angelegenheit handelt, die in zumindest gleicher Intensität auch die Interessen der Vertragsärzte der Versicherungsträger berührt, wird mit einer solchen Verordnung nicht bloß der zulässige Inhalt von Gesamtverträgen, sondern unmittelbar die Rechtssphäre der Vertragsärzte gestaltet.
Wichtiges öffentliches Interesse an einer möglichst kostengünstigen Steuerung des Gesundheitswesens, Durchsetzung einer Abrechnung mit den Vertragsärzten nach einheitlichen Standards auch gegen den Willen jener Vertragsärzte.
Die für die soziale Selbstverwaltung geltenden verfassungsrechtlichen Schranken lassen es aber nicht zu, die Durchsetzung dieses Interesses einer in Selbstverwaltung eingerichteten (Personal-)Körperschaft im eigenen Wirkungsbereich (dh weisungsfrei) zu überlassen, der die Ärzte nicht angehören, deren Organe daher auch ohne ihre Mitwirkung kreiert werden und deren Befugnis zur heteronomen Normsetzung gegenüber dieser Berufsgruppe daher auch nicht demokratisch legitimiert ist.
Keine Vergleichbarkeit mit Regelungen über den Erstattungskodex, nur wirtschaftliche Reflexwirkungen auf Heilmittelerzeuger (E v 15.10.05, B446/05 ua); VfSlg 15697/1999 zu den Richtlinien über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung durch VfSlg 17023/2003 zur Struktur des Hauptverbands überholt.
Aufhebung von EG und DVP nach Wegfall der gesetzlichen Grundlage, beschränkter zeitlicher Anwendungsbereich der DVP gegeben, daher Aufhebung gem Art139 Abs3 B-VG und nicht Ausspruch gem Art139 Abs4
B-VG.
Setzung der bundesverfassungsgesetzlich höchstmöglichen Fristen vom Hauptverband und von der Bundesregierung beantragt.
Der Verfassungsgerichtshof erachtet jedoch im Hinblick darauf, dass eine außergewöhnliche Komplexität solcher Vorkehrungen - die etwa in der Überführung der Aufgaben in den übertragenen Wirkungsbereich des Hauptverbandes oder in die unmittelbare Staatsverwaltung liegen könnten - nicht zu erkennen ist, eine Frist bis 30.06.07 für ausreichend.
Anlassfall: E v 21.06.06, B667/05 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Geltungsbereich (zeitlicher) einer Norm, Sozialversicherung, Ärzte, EDV, Selbstverwaltung, VfGH / Prüfungsgegenstand, Verordnungsbegriff, VfGH / Gegenstandslosigkeit, VfGH / Klaglosstellung, Novellierung, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Fristsetzung, e-cardEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2006:G145.2005Dokumentnummer
JFR_09939381_05G00145_01