RS Vfgh 2006/6/24 B362/06

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Veröffentlicht am 24.06.2006
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AsylG 1997 §5, §5a, §19, §36b
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenpolizeiG 2005 §76 Abs2 Z4, §77
PersFrSchG 1988 Art1 Abs3

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Anordnung bzw Aufrechterhaltung der Schubhaft für einen - faktischen Abschiebeschutz genießenden - Asylwerber mangels nachvollziehbarer Begründung über die Notwendigkeit der Haft; verfassungskonforme Auslegung der Ermächtigung des Fremdenpolizeigesetzes 2005 über die Verhängung der Schubhaft bei Annahme der Zurückweisung des Asylantrags mangels Zuständigkeit Österreichs geboten; Verpflichtung der (Fremdenpolizei-)Behörden zur Beachtung des im Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit festgelegten Gebotes der Verhältnismäßigkeit

Rechtssatz

Der in Art1 Abs3 PersFrSchG 1988 verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist insbesondere bei Regelungen über bzw bei Verfügungen von präventiven Freiheitsentziehungen zu beachten.

Der Wortlaut des §76 Abs2 Z4 FremdenpolizeiG 2005 stellt darauf ab, dass die Schubhaft bereits verhängt werden kann, wenn (bloß) "anzunehmen" ist, dass der Antrag des Fremden mangels Zuständigkeit Österreichs zurückgewiesen werden wird.

Der Gesetzgeber ist sichtlich davon ausgegangen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unmittelbar und im Einzelfall von den zuständigen Behörden zu berücksichtigen ist. Auch die Erläuternden Bemerkungen zu §76 FremdenpolizeiG 2005 machen deutlich, dass das Gebot, wonach die Verhängung der Schubhaft notwendig sein muss, um das Verfahren zu sichern, vom Gesetzgeber nicht unterlaufen werden sollte.

Keine Bedenken gegen §76 Abs2 Z4 FremdenpolizeiG 2005.

Die in §76 Abs2 Z4 FremdenpolizeiG 2005 festgelegte Ermächtigung ist im Lichte des aus dem PersFrSchG 1988 erfließenden unmittelbar anwendbaren Gebots der Verhältnismäßigkeit auszulegen.

Dass es der Gesetzgeber - im Wissen um die Verpflichtung der Behörden, von der Anordnung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und verhältnismäßig ist - den vollziehenden Behörden (unter der nachprüfenden Kontrolle der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) überlässt, die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen, belastet die Regelung nicht mit Verfassungswidrigkeit.

Auch der UVS wäre verpflichtet gewesen, zu überprüfen und nachvollziehbar darzulegen, inwiefern die Anordnung und Aufrechterhaltung der Schubhaft über den Beschwerdeführer notwendig war, um den Sicherungszweck zu erreichen sowie Überlegungen darüber anzustellen, ob die Sicherung des Verfahrens auch durch die Anwendung gelinderer Mittel gemäß §77 FremdenpolizeiG 2005 erreicht werden könnte.

Im bekämpften Bescheid hat der UVS die Abweisung der Schubhaftbeschwerde sowie die Feststellung, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, ausschließlich darauf gestützt, dass dem Beschwerdeführer als Asylwerber keine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß §36b AsylG 1997 ausgehändigt wurde.

Keine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach dem Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof seiner Beschwerde gegen den Bescheid des UBAS betreffend Zurückweisung des Asylantrags und Ausweisung die aufschiebende Wirkung zuerkannt hat, maßgebliche Bedeutung zukomme.

Die belangte Behörde hat dadurch Willkür geübt, dass sie es - entgegen der verpflichtenden Beachtung des Gebots der Verhältnismäßigkeit - unterlassen hat, eine nachvollziehbare Begründung dahingehend vorzunehmen, weshalb die Anordnung bzw Aufrechterhaltung der Schubhaft im vorliegenden Fall erforderlich war.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Fremdenrecht, Asylrecht, Auslegung verfassungskonforme, Bescheidbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B362.2006

Dokumentnummer

JFR_09939376_06B00362_2_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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