RS Vfgh 2006/10/2 V79/03 ua

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Veröffentlicht am 02.10.2006
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Index

58 Berg- und Energierecht
58/02 Energierecht

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z8
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art133 Z4
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsumfang
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
AVG §45, §52
ElWOG §1
Energie-RegulierungsbehördenG §12, §16 Abs1 Z13, Abs4
EnergieliberalisierungsG Art5
Gas-Systemnutzungstarife-Verordnung der Energie-Control Kommission idF der Novelle 2003 (Gas-Systemnutzungstarife-V - GSNT-VO)
GaswirtschaftsG §12, §23, §23a, §23b, §23c, §23d, §23e
PreisG 1992 ArtII

Leitsatz

Teils Abweisung, teils Zurückweisung von Individualanträgen eines Netzbetreibers auf Aufhebung von Bestimmungen der Gas-Systemnutzungstarife-Verordnung (GSNT-VO) in der Fassung der Novelle 2003 betreffend den Netzbereich Niederösterreich; kompetenzrechtliche Deckung der preisrechtlichen Regelungen des Systemnutzungsentgelts im Gaswirtschaftsgesetz; Festsetzung der Tarife in Verordnungsform, Erlassung der Verordnungen durch eine Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag sowie Regelungen über das Netzbereitstellungsentgelt und bestimmte Höchstpreise durch Verfassungsbestimmung des Energie-Regulierungsbehördengesetzes gedeckt; keine Bedenken gegen das verschiedene Netzbetreiber betreffende Tarifbildungsschema, gegen die Festlegung des Netzbereitstellungsentgelts und gegen die Leistungspreisstaffelung; keine Unbestimmtheit der Vorgaben für die Tariffestsetzung bzw der Abgrenzung zwischen Netznutzungs- und Netzbereitstellungsentgelt; keine Gesetzwidrigkeit der Festlegung der Netznutzungstarife sowie der Berechnung der Finanzierungskosten auf Grund von Sachverständigengutachten; ausreichendes Ermittlungsverfahren vor Verordnungserlassung, keine Verletzung in subjektiven Verfahrensrechten mangels Anwendbarkeit der Bestimmungen des AVG

Rechtssatz

Teilweise Zulässigkeit von Individualanträgen eines Netzbetreibers auf Aufhebung der Gas-Systemnutzungstarife-Verordnung (GSNT-VO) der Energie-Control Kommission (E-CK) idF der Novelle durch die Verordnung vom 12.05.03.

Zurückweisung der Anträge hinsichtlich §3 GSNT-VO betreffend allgemeine Berechnungsvorschriften als zu eng gefasst mangels Mitanfechtung der davon betroffenen Tarife (vgl VfSlg 17564/2005).

Zurückweisung des Antrags hinsichtlich §4 Z1 lita GSNT-VO betreffend die Bestimmung des Netzbereiches "Ostösterreichischer Bereich" für die Netzebene 1 infolge zumutbaren Umwegs durch Stellung eines Antrags gemäß §12 Energie-RegulierungsbehördenG auf Feststellung der Höhe der auf Grund der Zusammenfassung von Netzen unterschiedlicher Eigentümer sich ergebenden Ausgleichszahlungen (vgl VfSlg 16851/2003).

Gerade die Frage nach der Zulässigkeit einer derartigen Zusammenfassung könnte im Rahmen eines amtswegigen Normenprüfungsverfahrens beurteilt werden. Eine allfällige Aufhebung des §23b Abs2 Z1 lita GaswirtschaftsG oder des §4 Z1 lita GSNT-VO hätte dann entsprechend dem Spruch des Verfassungsgerichtshofs infolge der Kostenwälzungsbestimmung des §3 eventuell eine Änderung der Tarife und Nettozahlungen gemäß §3 Abs5 GSNT-VO zur Folge.

Unzulässigkeit der isolierten Anfechtung der allgemeinen Regelungen zur Bestimmung des Netznutzungsentgelts (§6 Abs1 bis Abs5 GSNT-VO); Zulässigkeit nur im Zusammenhang mit der Anfechtung der konkreten Tariffestsetzungen in §6 Abs6 GSNT-VO.

Zulässigkeit der Anträge hinsichtlich der Aufhebung des Betrages von "0,- €" im §5 Abs2 Z1 und Z2, jeweils litc, GSNT-VO (Netzbereitstellungsentgelt für die Netzebenen 2 und 3 für den Bereich Niederösterreich).

Zulässigkeit auch des Antrags auf Aufhebung des gesamten §7 GSNT-VO betreffend das Entgelt für Messleistungen.

Der gesamte §7 greift in die Rechtssphäre der antragstellenden Gesellschaft insofern ein, als er amtliche Preise für Messleistungen festsetzt. Im Hinblick auf das Bedenken der antragstellenden Gesellschaft, die Ermächtigung zur Regelung der Höchstpreise für Messleistungen sei verfassungswidrig, ist eine Anfechtung einzelner Bestimmungen des §7 unzulässig.

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelungen des Systemnutzungsentgelts in §23 bis §23e GaswirtschaftsG sowie §16 Abs4 Energie-RegulierungsbehördenG.

Keine kompetenzrechtlichen Bedenken.

Herausnahme der Kompetenz zur Festlegung der Preise für die Lieferung von Erdgas aus der Sonderkompetenzbestimmung des ArtII PreisG 1992 durch die Novelle BGBl I 121/2000 (Art5 EnergieliberalisierungsG).

Keine dem §1 ElWOG entsprechende Kompetenzklausel im GaswirtschaftsG.

Kompetenzrechtliche Deckung der preisrechtlichen Regelungen in Art10 Abs1 Z8 B-VG (Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie).

Mit den im Versteinerungszeitpunkt vorgefundenen gewerbepolizeilichen Regelungen, einschließlich der Genehmigung eines Gebührentarifs sollte Missständen begegnet werden, die mit der Ausübung bestimmter Gewerbe ihrer Eigenart wegen verbunden sind: Erhält der Gewerbeinhaber mit der Verleihung einer Konzession eine marktbeherrschende Stellung, so soll mit den gewerbepolizeilichen Regelungen eine allfällige Ausnützung dieses Marktvorteils zu Lasten der Kunden unterbunden werden.

Die Ausübung der Tätigkeit eines Fernleitungsunternehmens oder eines Verteilerunternehmens bedarf gemäß §12 GaswirtschaftsG einer Genehmigung der E-CK. Im §4 GaswirtschaftsG werden den Netzbetreibern verschiedene gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegt.

Obwohl im Gefolge der Erdgasbinnenmarktrichtlinie der Markt hinsichtlich der Lieferung von Erdgas liberalisiert wurde - der Kunde kann den Erdgaslieferanten frei wählen - wurde der Betrieb von Verteilernetzen weitgehend reguliert, um sicherzustellen, dass der Kunde, der einen Gaslieferanten wählt, der mit dem Netzbetreiber in keinem wirtschaftlichen Zusammenhang steht, genauso behandelt wird, wie jener Kunde, der Gas von einem dem Netzbetreiber wirtschaftlich nahe stehenden Lieferanten bezieht. Diese Regulierung erfordert aber als notwendige Maßnahmen auch Preisregelungen. Die preisrechtlichen Bestimmungen des GaswirtschaftsG halten sich daher im Rahmen des Kompetenztatbestandes des Art10 Abs1 Z8 B-VG.

Zulässigkeit der Festsetzung der Tarife in Verordnungsform (vgl E v 11.10.05, V133/03).

Erlassung der Verordnungen durch eine Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag (E-CK) sowie Regelungen über das Netzbereitstellungsentgelt und Höchstpreise für Messleistungen durch die Verfassungsbestimmung des §16 Abs1 Z13 Energie-RegulierungsbehördenG, BGBl I 121/2000 idF BGBl I 148/2002, gedeckt (Netzbereitstellungsentgelt und Höchstpreise für Messleistungen fallen unter die "sonstigen Tarife" in §23d GaswirtschaftsG, auf den §16 Abs1 Z13 Energie-RegulierungsbehördenG verweist).

Keine Unbestimmtheit der Vorgaben für die Tariffestsetzung (§23a GaswirtschaftsG); Hinweis auf VfSlg 17348/2004 zu §25 ElWOG.

Keine Unbestimmtheit der Abgrenzung zwischen Netznutzungs- und Netzbereitstellungsentgelt (§23 Abs2 und Abs4 GaswirtschaftsG).

§23 ist einer verfassungskonformen Interpretation zugänglich: die Bestimmung verlangt die Berücksichtigung von Kosten im einmaligen Netzbereitstellungsentgelt, wenn die auf einen Netzanschluss entfallenden Herstellungskosten nach dem Verursacherprinzip mit vertretbarem Aufwand klar zugeordnet werden können; ist eine solche Zuordnung der Kosten nicht möglich, sind sie im allgemeinen Netznutzungsentgelt zu berücksichtigen.

Keine gesetzwidrige Festsetzung des Netzbereitstellungsentgelts (§5 GSNT-VO):

Mit den allgemeinen Behauptungen, infolge Senkung der Netznutzungstarife sei ein Netzbereitstellungsentgelt in der Höhe von 0,- € nicht mehr zu rechtfertigen, vermag die antragstellende Gesellschaft die Gesetzwidrigkeit der Festsetzung des Netzbereitstellungsentgelts nicht darzutun. Es hätte vielmehr entsprechender Darlegungen bedurft, welche auf einen Netzanschluss entfallenden Herstellungskosten eindeutig zuordenbar sind und daher einmalig in Rechnung gestellt werden können.

Keine gesetzwidrige Festsetzung der Netznutzungstarife (§6 GSNT-VO) auf Grund von Sachverständigengutachten.

Ausreichendes Ermittlungsverfahren vor Verordnungserlassung; keine Anwendbarkeit der Bestimmungen des AVG, insbesondere über das Parteiengehör und den Sachverständigenbeweis (§45 Abs3, §52 AVG); Hinweis auf E v 11.10.05, V133/03.

Dass der antragstellenden Gesellschaft nur der sie betreffende Teil des Gutachtens übermittelt wurde, könnte nur dann einen wesentlichen Verfahrensfehler bedeuten, wenn zB die im allgemeinen Teil des Gutachtens enthaltenen Ausführungen in die Entscheidung eingeflossen wären, ohne dass sich die Behörde mit den Argumenten der antragstellenden Gesellschaft auseinandergesetzt hätte. Dies ist jedoch nach der Aktenlage - dem Verfassungsgerichtshof stand das gesamte Gutachten zur Verfügung - nicht der Fall.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um keine Streitentscheidung über zivilrechtliche Ansprüche iSd Art6 EMRK, sondern um eine Regulierung in Form von generell-abstrakten Rechtsvorschriften.

Keine mangelnde Berücksichtigung von Baukostenzuschüssen:

Der E-CK kann nicht vorgeworfen werden, dass sie ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen ist, wenn nicht einmal die antragstellende Gesellschaft in der Lage war, die Verwendung der Baukostenzuschüsse nachzuweisen.

Keine gesetzwidrige Berechnung der Finanzierungskosten:

Die Berechnung der Zinskosten erfolgte gemäß dem Gutachten nach der WACC(Weighted Average Cost of Capital)-Methode.

Die Gutachter haben sich in ihrem - vor Erlassung der Stammfassung der GSNT-VO eingeholten - Gutachten im Kapitel "Bestimmung von Finanzierungskosten einschließlich der Kosten für das allgemeine[n] Unternehmerwagnis und Körperschaftsteuer mit Hilfe von Kapitalmarktmodellen" mit den Einwendungen der Netzbetreiber auseinandergesetzt.

Dass die verordnungserlassende Behörde auf die Argumente der antragstellenden Gesellschaft ohne neuerliche Befassung der Gutachter selbst einging, belastet die Verordnung nicht mit Gesetzwidrigkeit, da die E-CK angesichts der schon gegen die Ausgangspunkte des Gutachtens betreffend die Stammfassung der Verordnung vorgebrachten Argumente und der Erwiderung darauf von der Schlüssigkeit des Gutachtens ausgehen durfte. Das ist nicht zuletzt deshalb nicht zu beanstanden, weil die Konstruktion der E-CK mit Fachleuten aus verschiedenen Sachgebieten einen institutionalisierten Sachverstand gewährleistet, der sie jedenfalls befähigt, die Schlüssigkeit von Gutachten nachzuprüfen.

Selbst wenn die Tarife in anderen Netzbereichen überhöht, das heißt gesetzwidrig, festgesetzt worden seien, kann die antragstellende Gesellschaft daraus keine nachteilige Auswirkung auf ihre Rechtsstellung ableiten. Es kommt nur darauf an, ob die Tarife der antragstellenden Gesellschaft gesetzmäßig festgesetzt wurden.

Die antragstellende Gesellschaft legt nicht näher dar, inwieweit die Einführung einer weiteren Zone bzw Staffel für den Netzbereich Niederösterreich in ihre Rechtsstellung nachteilig eingreift.

Der Verfassungsgerichtshof hegt keine Bedenken dagegen, dass die für die Tarifierung maßgeblichen Kosten nach dem Anfall im entsprechenden Geschäftsjahr berücksichtigt wurden.

Die E-CK begründet in nachvollziehbarer Weise die Art der Zonung und Staffelung, die sich an den in der GSNT-VO definierten Schwellenwerten orientiere, die bei der Tarifierung der Arbeits- und Leistungspreise angewendet werden.

Kein Eingehen auf die Bedenken zum Entgelt für Messleistungen und zur Ermittlung der Kosten der Netzebene 1 mangels Darlegung eines nachteiligen Eingriffs in die Rechtssphäre der antragstellenden Gesellschaft.

Die E-CK legt plausibel dar, dass man die einzelnen Kunden in den Zonen unterschiedlich bezüglich der Höhe des Leistungspreisanteils am gesamten Netznutzungspreis behandeln würde, wenn man die Vorgabe des §23a Abs3 GaswirtschaftsG bei einer Unterteilung in 12 Zonentarife nur auf die Netzebene anwenden würde.

Zurückweisung des Antrags in der Eingabe zu V13/04:

Mit dem zusätzlichen Bedenken, dass ein Begutachtungsverfahren durch den Erdgasbeirat gemäß §23d Abs2 GaswirtschaftsG bei der Erlassung der Stammfassung der GSNT-VO nicht durchgeführt wurde, bringt die antragstellende Gesellschaft ein Bedenken vor, das sich gegen die - nicht angefochtene - Stammfassung der GSNT-VO richtet und nicht auf die angefochtene Fassung (die dem Erdgasbeirat zur Begutachtung vorgelegt wurde) durchschlägt, sodass sie es nicht in zulässiger Weise geltend macht.

Entscheidungstexte

  • V 79/03 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 02.10.2006 V 79/03 ua

Schlagworte

Kompetenz Bund - Länder Gewerbe und Industrie, Versteinerungstheorie, Preisrecht, Energierecht, Gasrecht, Verordnungserlassung, Kollegialbehörde, Determinierungsgebot, Auslegung verfassungskonforme, Verwaltungsverfahren, Anwendbarkeit AVG, Ermittlungsverfahren, Sachverständige, civil rights, VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Bedenken, Feststellungsbescheid

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:V79.2003

Dokumentnummer

JFR_09938998_03V00079_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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