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L1 GemeinderechtNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Verstoß einer Bestimmung des Innsbrucker Stadtrechtes über die Kundmachung von Verordnungen gegen das Determinierungsgebot; kein Kundmachungsmangel der Innsbrucker Friedhofsordnung aufgrund der bereinigten Rechtslage; kein Verstoß gegen die Erwerbsausübungsfreiheit und die Meinungsäußerungsfreiheit durch das in der Friedhofsordnung normierte Verbot des Verteilens von Druckschriften jeder Art auf Friedhöfen; gerechtfertigte Einschränkung zum Schutz der Religionsausübung; öffentliches Interesse gegebenRechtssatz
Aufhebung der Wortfolge "und allenfalls im 'Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck'" in §40 Abs1 des Stadtrechtes der Landeshauptstadt Innsbruck 1975, LGBl für Tirol 53/1975.
Präjudizialität gegeben; zum Prüfungsumfang:
Die Aufhebung des Wortes "allenfalls" würde gegenüber der Aufhebung der gesamten in Prüfung gezogenen Wortfolge den schwereren Eingriff darstellen, zumal in diesem Fall sämtliche Beschlüsse und Verfügungen der Gemeindeorgane zwingend an der Amtstafel und im "Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck" kundzumachen wären.
Die in Prüfung gezogene Kundmachungsvorschrift widerspricht dem Determinierungsgebot des Art18 B-VG, da durch die Verwendung des Wortes "allenfalls" nicht mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommt, in welchen Fällen zum Anschlag an der Amtstafel die Kundmachung im Amtsblatt hinzutreten muss, um den Anforderungen des Gesetzes an eine ordnungsgemäße Kundmachung zu genügen. Der Gesetzgeber sieht mit der in Prüfung gezogenen Wortfolge eine zweite Verlautbarungsform vor, die für eine ordnungsgemäße Kundmachung von Verordnungen konstitutiv ist.
Kein bloß informativer, sondern normativer Charakter der Kundmachung im Amtsblatt; Anschlag an der Amtstafel und Kundmachung im Amtsblatt gleichermaßen verbindliche Kundmachungsformen.
Kein Kundmachungsmangel der FriedhofsO der Stadt Innsbruck, Beschluss des Gemeinderates vom 03.12.98, aufgrund der bereinigten Rechtslage.
Kein Verstoß gegen die Erwerbsausübungsfreiheit und die Meinungsäußerungsfreiheit durch das in §5 Abs2 Z3 der auf §33 Tir GemeindesanitätsdienstG gestützten FriedhofsO normierte Verbot des Verteilens von Druckschriften jeder Art auf Friedhöfen.
Öffentliches Interesse an dem vom Gesetz- und Verordnungsgeber verfolgten Ziel, nämlich Ernst, Pietät und die gebotene Würde auf Friedhöfen zu wahren sowie deren widmungsgemäße Verwendung sicherzustellen (§33 Abs3 Tir GemeindesanitätsdienstG; §5 Abs1 FriedhofsO); Verteilungsverbot adäquat und geeignet zur Erreichung dieses Ziels.
Das Gebot verfassungskonformer Auslegung (vgl VfSlg 15959/2000, 16053/2000 ua) des §33 Abs3 Tir GemeindesanitätsdienstG und der gesetzeskonformen Interpretation des §5 FriedhofsO legen es nahe, das Verbot des "Verteilens von Druckschriften jeder Art" im Lichte des §5 Abs1 FriedhofsO auszulegen. Im Einklang mit dem Wortlaut des §5 Abs1 ist davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber mit der Ordnungsvorschrift des §5 FriedhofsO solche Verhaltensweisen untersagt, die dem Ernst, der Pietät, der Würde oder der widmungsgemäßen Benützung des Friedhofes entgegenstehen. Bei §5 Abs2 Z3 handelt es sich um einen speziellen Tatbestand, der zur Generalklausel des §5 Abs1 FriedhofsO hinzutritt. Druckwerke aber, die typischerweise bei Begräbnisfeierlichkeiten und liturgischen Handlungen zur Verteilung gelangen, wie etwa Liedertexte, Gedenkbilder udgl, sind vom Verbot des §5 Abs2 Z3 von vornherein nicht erfasst.
Bei anderen Druckschriften, insbesondere solchen mit werblichem Charakter erscheint es jedoch vertretbar anzunehmen, dass das Verteilen derselben nicht in notwendigem Zusammenhang mit typischen Handlungen auf Friedhöfen steht und dass sie daher unter §5 Abs2 Z3 FriedhofsO fallen. Insoweit rechtfertigt das Gewicht der Interessen der Angehörigen und Teilnehmer an Begräbnissen sowie von sonstigen Besuchern von Friedhöfen an ungestörter Religionsausübung und Andacht den Eingriff in das Recht auf Verbreitung von Werbebotschaften (mögen diese auch thematisch und in der Aufmachung an den Ort der Verteilung angepasst sein) durch eine örtliche Beschränkung eines bestimmten Aspekts der Erwerbsausübung.
Keine Verletzung auch der Meinungsäußerungsfreiheit iSd Art10 EMRK;
zur Zielsetzung des Verteilungsverbots siehe bereits oben;
Verteilungsverbot dient daher der Aufrechterhaltung der Ordnung sowie dem Schutz der Rechte anderer, insbesondere der ungestörten Religionsausübung.
Dem Gesetzgeber und dem Verordnungsgeber kann nicht entgegengetreten werden, wenn diese (neben dem Verbot des Plakatierens) das Verbot des Verteilens von Druckschriften, die nicht typischerweise bei Begräbnisfeierlichkeiten und liturgischen Handlungen zur Verteilung gelangen, zur Erreichung dieser legitimen Ziele zulassen bzw für erforderlich halten.
Siehe auch Anlassfall B3172/05 vom selben Tag: Abweisung der Beschwerde eines Bestattungsunternehmens, dem gem §5 Abs2 Z3 FriedhofsO die Verteilung bzw Auflage einer Werbebroschüre in den Aufbahrungshallen untersagt wurde; keine denkunmögliche Anwendung der Bestimmungen der FriedhofsO; Werbebroschüre nicht typischerweise im Zusammenhang mit Begräbnisfeierlichkeiten oder anderen liturgischen Handlungen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Leichen- und Bestattungswesen, Friedhöfe, Meinungsäußerungsfreiheit, Erwerbsausübungsfreiheit, Verordnung, Kundmachung, Determinierungsgebot, VfGH / Prüfungsumfang, Werbung, Pressefreiheit, VerteilungsbeschränkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2006:G39.2006Dokumentnummer
JFR_09938995_06G00039_01