RS Vfgh 2006/11/27 B299/06 ua

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Veröffentlicht am 27.11.2006
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art83 Abs2
ASVG §343, §345a, §346, §347
AVG §63 Abs4, §69

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Entscheidungen der Bundesschiedskommission (BSK) über eine Berufung gegen die Kündigung eines Einzelvertrages einer Ärztin und einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens trotz zwischenzeitig erfolgter rechtswirksamer Zurücknahme der Berufung; Zurückziehung der Berufung noch vor Zustellung der angefochtenen Bescheide; kein ungerechtfertigter Druck auf die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin hinsichtlich der einem Berufungsverzicht gleich zu haltenden Zurückziehung; keine Zuständigkeit mehr der belangten Behörde zur Bescheiderlassung

Rechtssatz

Anwendbarkeit des AVG iSd §347 ASVG.

Zurückziehung der Berufung noch vor Zustellung der angefochtenen Bescheide; Recht der Partei, ihre Berufung jederzeit zurückzuziehen; Zurückziehung als nachträglicher Berufungsverzicht (vgl §63 Abs4 AVG); meritorische Erledigung nach Berufungsverzicht nicht mehr zulässig.

Ob die Partei auf die Einbringung der Berufung verzichtet oder nach deren Einbringung die Berufung zurücknimmt, macht in Bezug auf die Rechtsfolge der funktionellen Unzuständigkeit der Berufungsbehörde keinen Unterschied.

Voraussetzung für einen gültigen Rechtsmittelverzicht bzw für die gültige Zurückziehung eines Rechtsmittels ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, dass eine solche Erklärung ohne Druck und in Kenntnis der Rechtsfolgen abgegeben wird. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, dass hier ein solcher ungerechtfertigter Druck auf die damals anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin ausgeübt worden wäre, dass an der Rechtswirksamkeit der Berufungsrücknahme ein Zweifel entstehen könnte. Die Motive für die Erklärung, die Berufung zurückzuziehen, sind aber solange unerheblich, als keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, die Partei sei durch Drohung mit rechtswidrigem Verhalten zur Abgabe dieser Erklärung bestimmt worden.

Ein einmal ausgesprochener Berufungsverzicht kann auch nicht mehr zurückgenommen werden.

Beschlussfassung der BSK über die Berufung noch vor deren Zurücknahme unerheblich; Bescheiderlassung eines nicht mündlich verkündeten Bescheides erst mit Zustellung; Änderung auch der funktionellen Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens maßgeblich.

Ebenso für den Wiederaufnahmeantrag.

Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht nämlich gemäß §69 Abs4 AVG jener Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat. Durch die Zurückziehung der Berufung gegen den - in erster Instanz ergangenen - Bescheid der Landesschiedskommission (LSK), die mit dem Zugang der Zurückziehungserklärung an die LSK wirksam wurde, ist dieser Bescheid rechtskräftig geworden. Die - in zweiter Instanz entscheidende - BSK war daher jedenfalls ab diesem Zeitpunkt auch zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag nicht (mehr) zuständig.

Entscheidungstexte

  • B 299/06 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 27.11.2006 B 299/06 ua

Schlagworte

Sozialversicherung, Ärzte, Behördenzuständigkeit, Verwaltungsverfahren, Anwendbarkeit AVG, Berufung, Wiederaufnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B299.2006

Dokumentnummer

JFR_09938873_06B00299_2_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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