RS Vfgh 2007/3/5 B864/06 ua - B887/04 ua

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Veröffentlicht am 05.03.2007
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6650 Flurverfassung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Satzung der Agrargemeinschaft Bürs §4

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch die im dritten Rechtsgangerfolgte neuerliche Abweisung von Anträgen der Nachkommen weiblicherMitglieder auf Aufnahme in die Agrargemeinschaft Bürs; sachlich nichtgerechtfertigte Differenzierung zwischen männlichen und weiblichenMitgliedern; verfassungskonforme Auslegung der rückwirkendenStichtagsregelung der nach aufhebendem Erkenntnis desVerfassungsgerichtshofes geänderten Satzung dieser Agrargemeinschaftim Sinne einer Zuzählung derer, die im Zeitpunkt der Satzungsänderungbereits hätten aufgenommen werden müssen, geboten

Rechtssatz

Siehe Vorjudikat VfSlg 13975/1994 und B v 04.10.04, B887/04 ua; außerdem VwGH E v 16.10.03, Zl 2002/07/0027-0031, und E v 24.11.05, Zl 2004/07/0190, /0192 und /0193.

Geltendmachung von Rechten nach einem weiblichen Vollmitglied (nicht Nachfolge in ein Witwenrecht, wie ursprünglich angenommen), was nach der Satzung 1969 nicht möglich war, weil ein Anspruch auf Aufnahme nur durch (eheliche) Abstammung von einem männlichen Mitglied vorgesehen war.

Im Erkenntnis vom 12.12.94, VfSlg 13975/1994, bei dem es um jene Satzungsbestimmung ging, nach der die Mitgliedschaft von Töchtern während der Zeit ihrer Verheiratung ruhte (§6 litb), hat der Gerichtshof klargestellt, dass (behördlich genehmigte) Satzungen einer Agrargemeinschaft, die dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen, als nichtig zu behandeln sind. Eine solche gleichheitswidrige Satzungsbestimmung war aber wegen der ausschließlichen Maßgeblichkeit männlicher Vorfahren auch §4 lita. Für diese Beschränkung der Möglichkeit der Weiterleitung der Mitgliedschaft auf Männer gibt es gleichfalls keine sachlichen Gründe. Das von der belangten Behörde einmal mehr ins Treffen geführte Interesse am Verhindern des Ansteigens der Mitgliederzahl kann die Differenzierung zwischen männlichen und weiblichen Mitgliedern offenkundig auch in dieser Hinsicht nicht rechtfertigen. Dass die Beschränkung Söhne und Töchter nach der Mutter gleicherweise trifft, ändert nichts daran, dass sie Nachkommen von Frauen anders behandelt als solche von Männern.

Für die Beschwerdeführer des vorliegenden Verfahrens ist durch VfSlg 13975/1994 offenkundig geworden, dass sie entgegen dem Wortlaut der Satzung 1969 einen Anspruch auf Aufnahme in die Agrargemeinschaft hatten. Diesen Anspruch haben sie noch im Jahre 1995 geltend gemacht. Er ist durch die (rückwirkende) Festsetzung des Stichtages für die Mitgliedschaft (vgl §3, §4 Z5 der Satzung 1996) auf jenen Zeitpunkt, zu dem das Erkenntnis VfSlg 13975/1994 ergangen ist, beseitigt worden, zu einem Zeitpunkt also, zu dem der Anspruch auf Aufnahme praktisch noch gar nicht geltend gemacht werden konnte.

Das verfassungsrechtlich unbedenkliche Bestreben, die Zahl der Mitglieder der Agrargemeinschaft nicht zu hoch werden zu lassen, erlaubt jedenfalls ein Anknüpfen an einen früheren Zeitpunkt. Die in Rede stehende, die diskriminierende Folge der Satzungsanwendung unter gezieltem Ausschluss der durch die gleichheitswidrige Bestimmung Benachteiligten möglichst aufrecht haltende, Stichtagsregelung bewirkt dagegen, dass die Mitgliedschaftsansprüche der Beschwerdeführer, die sie praktisch erst seit Anfang 1995 geltend machen konnten, rückwirkend vernichtet werden. Es ist aber kein Grund ersichtlich, der die rückwirkende Beseitigung gerade solcher durch die Antragstellung bei der Agrargemeinschaft aktualisierten Ansprüche rechtfertigen könnte. Im Zeitpunkt ihrer Antragstellung hätten die Beschwerdeführer nach der Satzung 1969 aufgenommen werden müssen, wären also bei rechtmäßigem Handeln im Zeitpunkt der Satzungsänderung bereits Mitglieder gewesen. Eine Beseitigung dieser eben erst verwirklichbaren Anwartschaften kommt daher einem Festhalten an der am 12.12.94 als gleichheitswidrig erkannten Satzungsbestimmung gleich.

Verfassungskonforme Auslegung der die Nachkommen von Frauen nach wie vor benachteiligenden Stichtagsregelung, keine Nichtigkeit.

Es genügt, den zum Stichtag in der Mitgliederliste Erfassten jene zuzuzählen, die im Zeitpunkt der Satzungsänderung zufolge ihres Antrages bereits hätten aufgenommen werden müssen und im Zeitpunkt ihrer Antragstellung nicht bereits säumig waren.

Der rückwirkende Ausschluss jener bis 12.12.94 durch die Satzung am Eintritt in die Agrargemeinschaft gehindert gewesenen Nachkommen weiblicher Mitglieder, die noch vor der Satzungsänderung ihren Antrag gestellt haben, setzt sich mit dem Gleichheitssatz in Widerspruch.

Entscheidungstexte

  • B 864/06 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 05.03.2007 B 864/06 ua
    JFT_09958996_04B00887 TE VfGH Beschluß 2004/10/04 B 887/04 ua

Schlagworte

Flurverfassung, Bodenreform, Satzung, Agrargemeinschaft, GleichheitFrau-Mann, geschlechtsspezifische Differenzierungen, Ersatzbescheid,Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:B864.2006

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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