TE Vfgh Erkenntnis 2006/2/27 B1003/04

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Veröffentlicht am 27.02.2006
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und gesetzwidriger Verordnungen in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit 2.160 € bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu erstatten.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die beschwerdeführende Gesellschaft beantragte am 17. Juni 2003 bei der NÖ Gebietskrankenkasse die Rückzahlung der seit Mai 1998 entrichteten Beiträge - Zuschläge zum Arbeitgeberanteil des Arbeitslosenversicherungsbeitrages nach §12 Abs1 Z4 Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz (IESG) - und stellte nach verstreichen der 6-monatigen Entscheidungsfrist einen Devolutionsantrag an den Landeshauptmann von Niederösterreich. Gegen die abweisende Entscheidung erhob sie Einspruch, dem der Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge gibt. Auf die Behauptung, diese Beitragspflicht beruhe auf einem verfassungswidrigen Gesetz und einer die Höhe des Beitrages gesetzwidrig festlegenden Verordnung, könne der an diese Rechtsvorschriften gebundene Minister nicht eingehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und gesetzwidriger Verordnungen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.

2. Aus Anlass einer gleichartigen Beschwerde (und weiterer, auch spätere Beitragsjahre betreffender Beschwerden) hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 9. März und 23. Juni 2005 von Amts wegen Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der einschlägigen Verordnungen über die Höhe des Zuschlags und der Verfassungsmäßigkeit einiger die Verwendung von Fondsmittel regelnder gesetzlicher Bestimmungen eingeleitet.

Mit Erkenntnis vom 13. Oktober 2005, G39,40,82/05, V 25-31, 32-37, 56-63/05 hat er die Absätze 6 und 7 des §12 Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz in der Fassung der Budgetbegleitgesetze 2000, BGBl. I 26, und 2001, BGBl. I 142/2000 als verfassungswidrig und u.a. die Verordnungen der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales bzw. des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über die Festsetzung des Zuschlags zum Arbeitslosenversicherungsbeitrag, BGBl. II 511/1999, 410/2000, 452/2001 und 454/2002 als gesetzwidrig aufgehoben.

II. 1. Gemäß Art140 Abs7 bzw. Art139 Abs6 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes bzw. einer Verordnung auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 bzw. Art139 Abs6 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind - regelmäßig - all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988; vgl. aber auch VfGH

v. 15.10.2005, B844/05).

Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 27. September 2005 um 8.30 Uhr. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 3. August 2004 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

2. Die belangte Behörde hat ein verfassungswidriges Gesetz und gesetzwidrige Verordnungen angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft nachteilig war.

Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde folglich durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und gesetzwidriger Verordnungen in ihren Rechten verletzt (VfSlg. 10.404/1985, 10.515/1985).

Der Bescheid ist daher ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung aufzuheben (§19 Abs4 Z3 VfGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 360 €

enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B1003.2004

Dokumentnummer

JFT_09939773_04B01003_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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