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41 Innere AngelegenheitenNorm
B-VG Art140 Abs5 / FristsetzungLeitsatz
Verstoß gegen Artikel 3 EMRK und das Gebot der Effektivität desRechtsschutzes durch die Regelung über einen gleichzeitig mit derAusweisung zur erteilenden befristeten Durchführungsaufschub wegenvorübergehender Abschiebungshindernisse im Asylgesetz 2005; keineVerlängerungsmöglichkeit auch bei zu kurzer Frist, keine anderenMöglichkeiten einer AufschiebungRechtssatz
Aufhebung der Wortfolge "gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass" sowie des Wortes "ist" am Satzende in §10 Abs3 AsylG 2005 (Fremdenrechtspaket 2005, BGBl I 100/2005) wegen Verstoßes gegen Art3 EMRK und gegen das Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes.
Ein Asylwerber, dem wegen einer drohenden Verletzung von Art3 EMRK ein befristeter Durchführungsaufschub gewährt wurde, dessen Frist jedoch abgelaufen ist, kann auch durch einen Antrag gemäß §46 Abs3 FremdenpolizeiG 2005 nicht verhindern, abgeschoben zu werden, auch wenn der Zustand, der zu einer drohenden Verletzung von Art3 EMRK führte, andauert:
Trotz eines Antrages nach §46 Abs3 FremdenpolizeiG 2005 müsste mit der Abschiebung nicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag zugewartet werden. Dazu kommt, dass gegen die Abweisung eines solchen Antrags auf Abschiebungsaufschub kein ordentliches Rechtsmittel zulässig ist (§9 Abs2 FremdenpolizeiG 2005). Selbst wenn daher gegen den Bescheid, mit dem der Abschiebungsaufschub versagt wurde, Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung des Art3 EMRK erhoben würde, so könnte der Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zuerkannt werden, weil der bekämpfte Abweisungsbescheid einem Vollzug iSd §85 Abs2 VfGG nicht zugänglich wäre (mit Judikaturhinweisen).
Die Möglichkeit, eine Verletzung von Art3 EMRK nach Ablauf des Durchführungsaufschubes durch Wiederaufnahme des Verfahrens abzuwenden, scheidet ebenso aus. Ein Antrag auf Wiederaufnahme nach §69 Abs1 Z2 AVG hat keine aufschiebende Wirkung, sodass bis zur Bewilligung der Wiederaufnahme eine Abschiebung weiterhin zulässig ist.
Eine amtswegige Abänderung oder Aufhebung von Bescheiden nach §68 Abs2 AVG vermag - da der Betroffene überhaupt kein Antragsrecht und damit auch kein effektives Rechtsmittel gegen eine negative Entscheidung hat - ebenfalls die Verfassungswidrigkeit nicht abzuwenden.
Die von der Bundesregierung aufgezeigten Möglichkeiten, einen weiteren Aufschub der Abschiebung auf andere Weise als durch Verlängerung des in §10 Abs3 AsylG normierten Durchführungsaufschubs zu bewirken, sind daher insgesamt nicht geeignet, bei einem - auch noch nach Fristablauf - anhaltenden Abschiebungshindernis, das im Falle der Abschiebung zu einer Verletzung des Art3 EMRK führen würde, eine Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben herzustellen.
Keine Aufhebung der Wortfolge "und diese nicht von Dauer sind" in §10 Abs3 AsylG 2005.
Bei nicht bloß vorübergehenden Hinderungsgründen kommt eine Ausweisung gar nicht in Betracht: Vielmehr ist in Fällen, in denen die Aufenthaltsbeendigung eine - vorab zeitlich nicht begrenzte - reale Gefahr einer Verletzung des Art3 EMRK darstellen würde, dem Asylwerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 AsylG zuzuerkennen. Derartige Hinderungsgründe werden jedenfalls dann nicht mehr vorübergehend iSd §10 Abs3 AsylG sein, wenn bereits im Zeitpunkt der Entscheidung der Asylbehörde absehbar ist, dass diese innerhalb der Überstellungsfrist nach Art19 bzw Art20 Dublin II-VO (sechs Monate) nicht wegfallen werden. Im Falle der Zuständigkeit eines anderen "Dublin-Staates" wird daher von der Zurückweisung nach §5 AsylG Abstand zu nehmen und - nach Ausübung des Selbsteintrittsrechts - das Asylverfahren zuzulassen sein, an dessen Ende ebenfalls die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§8 AsylG) stehen kann.
Zur Herstellung eines verfassungskonformen Zustandes ist eine Aufhebung der Wortfolge "und diese nicht von Dauer sind" nicht erforderlich: Diese Wortfolge dient der - verfassungsrechtlich zulässigen - Differenzierung von Abschiebungshindernissen je nach dem, ob das Hindernis von Dauer ist oder nicht, woran sich die rechtliche Konsequenz knüpft, ob eine Ausweisung befristet aufzuschieben oder überhaupt nicht zu verfügen ist.
Keine Fristsetzung.
Eingedenk des Umstandes, dass durch die Aufhebung bloß eines Teiles der in Prüfung gezogenen Wortfolgen ein verfassungskonformer Zustand hergestellt werden konnte, einerseits und angesichts der Schwere eines verfassungswidrigen Eingriffes im Falle des (temporären) Fortbestandes des §10 Abs3 AsylG in seiner Fassung vor der Aufhebung andererseits kommt die Setzung einer Frist nicht in Betracht.
(Anlassfall B1655/06 ua, E v 01.10.07, Aufhebung der angefochtenen Bescheide; Quasi-Anlassfälle: B1690/06, E v 08.10.07, B1649/07, E v 29.11.07).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Asylrecht, Refoulement-Verbot, Fremdenrecht, Fremdenpolizei,Ausweisung, Rechtsschutz, Verwaltungsverfahren, Wiederaufnahme,Abänderung und Behebung von amtswegen, VfGH / Wirkung aufschiebende,VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / FristsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2007:G179.2007Zuletzt aktualisiert am
30.01.2009