RS Vfgh 2007/10/10 G187/06

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Veröffentlicht am 10.10.2007
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StGG Art5
EMRK 1. ZP Art1
ÄrzteG 1998 §118 Abs3a, §195

Leitsatz

Abweisung des Antrags der Österreichischen Ärztekammer auf Aufhebungder gesetzlichen Verpflichtung zur Einrichtung eines Solidarfonds zumZweck der finanziellen Unterstützung geschädigter Patienten infolgeschuldhaften Handelns eines freiberuflich tätigen Arztes; keinunverhältnismäßiger Eingriff in das Eigentumsrecht durch die demAnsehen der Ärzteschaft und der Erhaltung des Vertrauens derPatienten in ihre Ärzte dienende Regelung; sachliche Rechtfertigungauch im Hinblick auf angestellte Ärzte; kein Verstoß gegen dasLegalitätsprinzip im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte und dieausdrückliche Zweckbindung

Rechtssatz

Zulässigkeit des Antrags der Österreichischen Ärztekammer auf Aufhebung des §118 Abs3a ÄrzteG 1998 idF BGBl I 122/2006.

Die Bestimmung berührt die Österreichische Ärztekammer nachteilig, unmittelbar und aktuell in ihrer Rechtsposition, da die Pflicht begründet wird, einen unselbständigen "Fonds" einzurichten und diesem eine bestimmte Vermögensmasse zu widmen, die ihr künftig zur Erfüllung anderer Aufgaben nicht zur Verfügung steht.

Kein zumutbarer (Um-)Weg durch Erlassung einer Satzungsbestimmung, derzufolge kein Solidarfonds eingerichtet wird. Die Aufsichtsbehörde könnte durch Untätigkeit über drei Monate die Genehmigungsfiktion des §195 Abs3 3. Satz ÄrzteG eintreten lassen, ohne dass ein Bescheid erlassen werden müsste.

Auch Unterlassung der Einrichtung des Solidarfonds kein zumutbarer Weg. Es ist den höchsten Repräsentanten einer gesetzlichen beruflichen Vertretung angesichts der drohenden Aufsichtsmittel (vgl §195 Abs9 ÄrzteG) sowie unter Umständen drohender strafrechtlicher Sanktionen nicht zumutbar, sich rechtswidrig zu verhalten, nur um einen Bescheid zu erwirken.

Dass es sich um einen rechtlich unselbständigen Fonds ohne Rechtspersönlichkeit handelt, ergibt sich aus der Anordnung der Legalzession des §118 Abs3a 2. Satz ÄrzteG zugunsten der Österreichischen Ärztekammer.

Das vom Solidarfonds umfasste Vermögen wird der Österreichischen Ärztekammer nicht entzogen. Vielmehr wird durch die Widmung für einen bestimmten Zweck eine anderweitige Verwendung der Mittel für eine andere Aufgabe der antragstellenden Kammer ausgeschlossen. In der gesetzlichen Anordnung zur Einrichtung des Solidarfonds liegt daher keine Enteignung, sondern eine Eigentumsbeschränkung.

Mit der Regelung soll dem Vorbild anderer Berufsgruppen der freien Berufe folgend ein Sicherungssystem geschaffen werden, mit dem das durch den Anlassfall beeinträchtigte Ansehen der österreichischen Ärzteschaft wiederhergestellt und die damit einhergehende Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patienten beseitigt wird. Diese Ziele des Gesetzgebers liegen im öffentlichen Interesse.

Die Verpflichtung zur Einrichtung eines Solidarfonds schafft ausweislich der gesetzlich vorgegebenen Zweckbindung die Voraussetzung dafür, dass Patienten eine Unterstützung erhalten, die durch schuldhaftes ärztliches Handeln von freiberuflich tätigen Ärzten einen Schaden erlitten haben und nicht anderweitig innerhalb einer angemessenen Frist eine Entschädigung erhalten. Eignung dieser gesetzlichen Maßnahme zur Erreichung der genannten Ziele.

Finanzielles Ausmaß der Verpflichtung begrenzt (geringe Zahl nicht von der Berufshaftpflichtversicherung der Ärzte abgedeckter Fälle). Nur "Unterstützung und Entlastung" der Patienten angestrebt, sodass nicht der Ersatz des vollen, anderweitig nicht abgedeckten Schadens sichergestellt werden muss. Die Ärztekammer kann daher mit entsprechend geringeren Beträgen das Auslangen finden.

Der Eingriff dient dem Ansehen der Ärzteschaft und der Erhaltung des Vertrauens der Patienten in ihre Ärzte, mithin Zielen, die insbesondere für den Großteil der zur gesetzlichen beruflichen Vertretung der Antragstellerin zusammengefassten Berufsgruppe von eminenter Wichtigkeit und auch insgesamt gesundheitspolitisch von erheblicher Bedeutung sind. Angelegenheiten im gemeinsamen beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Interesse der Kammerangehörigen und somit im Wirkungskreis der Österreichischen Ärztekammer berührt.

Der Umstand, dass nicht alle Mitglieder der Ärztekammern freiberuflich tätige Ärzte sind, hat nicht die Verfassungswidrigkeit der Regelung zur Folge. Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, insoweit eine Durchschnittsbetrachtung anzustellen, weil das Ansehen der Ärzte unteilbar ist und alle Ärzte (auch die angestellten Ärzte) von einem Verlust des Ansehens der Ärzteschaft materiell und immateriell betroffen sein können.

Kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Eigentumsrecht.

Regelung auch sachlich gerechtfertigt.

Kein Verstoß gegen das aus dem Legalitätsprinzip erfließende Bestimmtheitsgebot.

Die Verpflichtung zur Einrichtung des Solidarfonds selbst ist sowohl durch die Entstehungsgeschichte der Regelung als auch durch eine ausdrückliche Zweckbindung determiniert; ihr zur Seite gestellt sind die Anordnung der Subsidiarität gegenüber anderen Formen der Entschädigung (insbesondere aus einer Berufshaftpflichtversicherung) und einer Legalzession zugunsten der antragstellenden Kammer.

Keine formalgesetzliche Delegation in der Verordnungsermächtigung des §118 Abs3a 3. Satz ÄrzteG 1998. Vielmehr ergeben sich bereits aus dem ersten Satz ("Unterstützung", "Entlastung", keine anderweitige "angemessene Entschädigung", "in angemessener Zeit", Bezeichnung "Solidarfonds") Anhaltspunkte für die nähere Gestaltung des Fonds.

Auch in der Anordnung, dass in der Satzung oder in einer gesonderten Verordnung festzulegen ist, dass für vor Inkrafttreten der Novelle BGBl I 122/2006 erlittene Schäden Leistungen zu erbringen sind, liegt kein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Ärzte, Ärztekammer, berufliche Vertretungen, Legalitätsprinzip,Determinierungsgebot, Schadenersatz, Haftung, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:G187.2006

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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