TE Vfgh Erkenntnis 2006/3/8 B1494/03

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Veröffentlicht am 08.03.2006
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97 Öffentliches Auftragswesen
97/01 Öffentliches Auftragswesen

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist schuldig, den Beschwerdeführern die mit € 2.534,40 bestimmten Prozesskosten zuhanden ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Im Vergabeverfahren betreffend das Projekt "A2 Südautobahn, Baulos: Abschnitt Klagenfurt/See - Pörtschach/Ost, Instandsetzung der Betonfahrbahndecke und der Brückenobjekte AB-KM 325,8 - 334,3", dessen geschätzter Auftragswert vom Auftraggeber, der Autobahn- und Schnellstraßenfinanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG), mit ca. € 23,0 Mio. angegeben wurde, stellten die Beschwerdeführer einen Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung und einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

Nachdem das Bundesvergabeamt (im Folgenden: BVA) einen Mängelbehebungsauftrag gemäß §13 Abs3 AVG erlassen und den Beschwerdeführern insbesondere aufgetragen hatte, die Entrichtung der Pauschalgebühr durch Vorlage einer Kopie des Erlagscheines nachzuweisen, übermittelten die Beschwerdeführer zunächst einen Zahlscheinabschnitt zum Nachweis der Gebührenentrichtung in Höhe von € 5.000,--. Einige Tage später zogen sie jedoch ihre Anträge auf Nichtigerklärung sowie auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung "vor Verbesserung" zurück.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid erlegte das BVA den Beschwerdeführern die noch offene Pauschalgebühr in Höhe von € 5.000,-- auf und begründete dies damit, dass es sich beim vorliegenden Vergabeverfahren um einen Bauauftrag im Oberschwellenbereich gehandelt habe, womit gemäß Anhang X des Bundesvergabegesetzes 2002, BGBl. I Nr. 99/2002 (im Folgenden: BVergG), iVm der Verordnung der Bundesregierung betreffend die Gebühren für die Inanspruchnahme des Bundesvergabeamtes, BGBl. II Nr. 324/2002 (im Folgenden: Pauschalgebühren-VO), die Pauschalgebühren in Höhe von € 5.000,-- sowohl für den Antrag auf Nichtigerklärung, als auch für den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung jeweils - in Summe daher € 10.000,-- - zu entrichten seien. Da ein auch nur teilweiser Entfall der Pauschalgebühren im Falle der Zurückziehung von Anträgen im Gesetz nicht vorgesehen sei, wäre die noch offene Pauschalgebühr vorzuschreiben gewesen.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung und einer gesetzwidrigen Verordnung geltend gemacht wird.

Das BVA hat als belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den angefochtenen Bescheid verteidigt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit dem am 3. März 2006 gefällten Erkenntnis G91/05, V69/05, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass die Wortfolge "Bauaufträge ... 5 000 €" in der vorletzten Zeile des Anhanges X des BVergG sowie die gleichlautende Wortfolge in der vorletzten Zeile des §1 der Verordnung der Bundesregierung betreffend die Gebühren für die Inanspruchnahme des Bundesvergabeamtes verfassungs- bzw. gesetzwidrig war.

2. Gemäß Art140 Abs7 bzw. Art139 Abs6 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes bzw. einer Verordnung auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig oder gesetzwidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 bzw. Art139 Abs6 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Normprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Normprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988). Im Fall einer Beschwerde gegen einen Bescheid, dem ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. II.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfGH 15.10.2005, B844/05).

3. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 10. November 2003 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig erkannte Gesetzesbestimmung bzw. die als gesetzwidrig erkannte Verordnungsbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Die Beschwerdeführer wurden somit wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung sowie einer gesetzwidrigen Verordnungsbestimmung in ihren Rechten verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein 20%-iger Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 327,--, Umsatzsteuer in der Höhe von € 392,40 sowie eine Eingabegebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,-- enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B1494.2003

Dokumentnummer

JFT_09939692_03B01494_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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