RS Vfgh 2008/12/5 G113/08

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Veröffentlicht am 05.12.2008
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Index

97 Öffentliches Auftragswesen
97/01 Öffentliches Auftragswesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
BundesvergabeG 2006 §29, §291 Abs3, §332 Abs2
Vergabe-Richtlinie 2004/18/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge - Vergabe-RL Art31 Abs1 litb

Leitsatz

Kein Verstoß von Wortfolgen in einer Bestimmung betreffend dieVergabe von Lieferaufträgen im Verhandlungsverfahren ohne vorherigeBekanntmachung im Bundesvergabegesetz 2006 gegen dasDeterminierungsgebot; Auslegbarkeit der in der Vergabe-Richtlinie undim Bundesvergabegesetz verwendeten, gleichlautenden Begriffe im Sinneder Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes; kein Verstoß gegenden Gleichheitssatz durch behaupteten Einfluss von Auftraggebern aufdie Frage der Vergabebekanntmachung sowie durch zu kurzeAntragsfristen; Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts;Unzulässigkeit der Aufhebung von das Gemeinschaftsrecht fast wörtlichumsetzenden Bestimmungen mangels gesetzlichen Spielraumes zurSchaffung einer Ersatzregelung

Rechtssatz

Keine Zulässigkeit des Hauptantrags des Bundesvergabeamtes (BVA) auf Aufhebung des §29 Abs2 Z2 BundesvergabeG 2006 betreffend die Vergabe von Lieferaufträgen im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung zur Gänze; nicht alle drei Tatbestände präjudiziell; keine künstlerischen Gründe hier maßgebend für die Auftragsvergabe, sondern technische.

Grundsätzliche Antragslegitimation des BVA gem §291 Abs3 BundesvergabeG 2006 iVm Art89 und Art140 Abs1 B-VG.

Der Verfassungsgerichtshof vermag dem BVA nicht entgegenzutreten, wenn es ausführt, dass es auch die Wortfolge "oder auf Grund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten" anzuwenden habe. Der (Eventual-)Antrag, in §29 Abs2 Z2 BundesvergabeG 2006 die Wortfolgen "technischen oder" sowie "oder auf Grund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten" aufzuheben, ist somit zulässig.

Kein Verstoß dieser Wortfolgen gegen das Determinierungsgebot.

Umsetzung von Gemeinschaftsrecht (Art31 Abs1 litb Vergabe-RL), Auslegung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (siehe die Judikatur-Zitate in der Entscheidung).

Auslegbarkeit der in der Vergabe-RL und im BundesvergabeG 2006 verwendeten, gleichlautenden Begriffe, kein zu weiter Beurteilungsspielraum, wie der EuGH aufzeigt, enge Auslegung geboten.

Die Anwendung der angefochtenen Bestimmung kommt nur in Betracht, wenn die technischen Besonderheiten, die mit dem Auftrag verbunden sind, oder die Ausschließlichkeitsrechte es unbedingt erforderlich machen, den Auftrag an ein bestimmtes Unternehmen und nur an dieses zu vergeben. Die bloße Berufung auf einen Ausnahmetatbestand durch den öffentlichen Auftraggeber reicht nicht aus. Der öffentliche Auftraggeber hat vielmehr das Vorliegen von Ausnahmetatbeständen zu beweisen.

Kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz durch behaupteten Einfluss von Auftraggebern auf die Frage der Vergabebekanntmachung sowie durch zu kurze Antragsfristen iSd §332 Abs2 BundesvergabeG 2006 (30 Tage ab Kenntnis oder Kennenmüssen der Zuschlagsentscheidung, Rechtsschutz ausreichend).

Bindung des Gesetzgebers an die verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht (Grundsatz der doppelten Bindung, VfSlg 14863/1997).

Auf Grund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts auch vor dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten (vgl VfSlg 16050/2000) wäre aber die Aufhebung einer Bestimmung, die Gemeinschaftsrecht umsetzt, unzulässig, wenn das Gemeinschaftsrecht dem innerstaatlichen Gesetzgeber keinen Spielraum für die inhaltliche Gestaltung einräumt, sodass der Gesetzgeber keine Möglichkeit hätte, eine Ersatzregelung zu schaffen, die sowohl dem Gemeinschaftsrecht als auch dem innerstaatlichen Verfassungsrecht entspricht.

(SW}

Vergabewesen, EU-Recht Richtlinie, Auslegung verfassungskonforme, Determinierungsgebot, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Präjudizialität, Eventualantrag, Fristen, Rechtsschutz

Entscheidungstexte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2008:G113.2008

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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