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L3 FinanzrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzBeachte
vgl. Kundmachung LGBl. 19/1980 am 16. Mai 1980; s. Anlaßfälle VfSlg. 8780, 8804/1980Leitsatz
Wr. Abgabenordnung; §149 Abs2 und 3 idF vor Inkrafttreten des Gesetzes, LGBl. 28/1978, gleichheitswidrigSpruch
§149 Abs2 und 3 der Wiener Abgabenordnung - WAO, LGBl. für Wien 21/1962, idF vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 27. Juni 1978, LGBl. für Wien 28/1978, mit dem die Wr. Abgabenordnung - WAO geändert wird, waren verfassungswidrig.
Die Gesetzesstellen sind nicht mehr anzuwenden.
Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung der Feststellung im Landesgesetzblatt für Wien verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. §149 des Gesetzes vom 21. September 1962, LGBl. für Wien 21/1962, betreffend allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgabenbehörden der Stadt Wien verwalteten Abgaben (Wr. Abgabenordnung - WAO) lautete in seiner bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 27. Juni 1978, LGBl. für Wien 28/1978, mit dem die Wr. Abgabenordnung - WAO geändert wird (das ist bis zum Ablauf des 29. September 1978) geltenden Stammfassung:
"(1) Wenn die Abgabenvorschriften die Selbstbemessung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen ohne abgabenbehördliche Festsetzung der Abgabe zulassen, gilt die Abgabe durch die Einreichung der Erklärung über die Selbstbemessung festgesetzt.
(2) Der Abgabepflichtige ist jedoch berechtigt, in den Fällen, in denen die Selbstbemessung zu hoch ist, die Erklärung innerhalb eines Monates ab deren Einreichung zu berichtigen. In der Erklärung unterlaufene Schreib- und Rechenfehler oder andere offenbar auf einem ähnlichen Versehen beruhende tatsächliche Unrichtigkeiten können jedoch vom Abgabepflichtigen innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Einreichung der Erklärung berichtigt werden.
(3) Die Abgabenbehörde hat die Abgabe mit Bescheid festzusetzen, wenn der Abgabepflichtige die Einreichung der Erklärung unterläßt oder wenn sich die Erklärung als unvollständig oder die Selbstbemessung als zu niedrig erweist. Von der bescheidmäßigen Festsetzung ist abzusehen, wenn der Abgabepflichtige nachträglich die Mängel behebt."
Gem. dem genannten Gesetz LGBl. 28/1978 ist der Abs2 neu gefaßt worden und ist der Abs3 entfallen; inhaltlich entspricht der neugefaßte Abs2 dem früheren Abs3 mit der alleinigen Änderung, daß - in Anlehnung an §201 der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961 - statt der Wortfolge "als zu niedrig erweist" die Wortfolge "als unrichtig erweist" getreten ist.
Der VfGH hat gem. Art140 Abs1 B-VG beschlossen, von Amts wegen zu prüfen:
§149 Abs2 und 3 der WAO, LGBlW 21/1962, idF der Gesetze LGBlW 12/1964 und 4/1974 (Beschluß vom 21. 6. 1978 B112/76-8, B121/77-12, B241/77-12, B36/78-8)
§149 Abs3 WAO, LGBl. 21/1962, idF der Gesetze LGBl. 12/1964 und 4/1974 (Beschlüsse vom 16. 6. 1979 B267/77-11 und vom 10. 10. 1979 B413/78-6).
2. Das Gesetzesprüfungsverfahren zu Z G107/78 wurde aus Anlaß der Beschwerden zu B112/76, B121/77, B241/77, B36/78 und B267/77 eingeleitet. Die Anlaßfälle sind durch nachstehende, für das Gesetzesprüfungsverfahren wesentliche Umstände gekennzeichnet:
a) (B112/76) Die Beschwerdeführerin hat im Wege der Selbstbemessung Getränkesteuererklärungen abgegeben und die Steuer entrichtet. Bei einer Revision wurde festgestellt, daß für den Zeitraum Jänner bis März 1973 zuviel Steuer entrichtet worden ist. Die Beschwerdeführerin beantragte am 13. August 1974 die Rückerstattung eines Betrages von 628,80 S zuzüglich 171,65 S für Eigenverbrauch und Schwund. Das Ansuchen wurde vom Magistrat der Stadt Wien mit Bescheid gem. §149 Abs2 WAO abgewiesen, und zwar mit der Begründung, daß kein Antrag innerhalb der in dieser Gesetzesstelle genannten Frist gestellt worden war. Die Berufung dagegen wurde von der Abgabenberufungskommission mit dem angefochtenen Bescheid gem. §224 Abs2 WAO als unbegründet abgewiesen.
b) (B121/77) Die Beschwerdeführerin hat im Wege der Selbstbemessung für mehrere Betriebe Vergnügungssteuer entrichtet. Bei einer Revision wurde festgestellt, daß im Jahre 1974 für einige Betriebe zu wenig (insgesamt 70527 S), für einen Betrieb zuviel (nämlich 38444 S) Steuer entrichtet worden ist. Die Beschwerdeführerin hat am 27. Feber 1976 die Rückzahlung des zuviel entrichteten Betrages beantragt; bei Einzahlung der nachgeforderten Steuer hat sie die zuviel entrichtete Steuer abgezogen. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Rückzahlung der zuviel einbekannten Getränkesteuer (richtig Vergnügungssteuer) gem. §149 Abs2 WAO abgewiesen, und zwar mit der Begründung, daß die in dieser Gesetzesstelle genannten Fristen zur Zeit der Antragstellung abgelaufen waren. Die Berufung dagegen wurde von der Abgabenberufungskommission mit dem angefochtenen Bescheid gem. §224 Abs2 WAO als unbegründet abgewiesen.
c) (B241/77) Die Beschwerdeführerin hat im Wege der Selbstbemessung Gebrauchsabgabe entrichtet. Sie hat nach ihrer Berechnung in den Jahren 1973 und 1974 einen Betrag von 886222 S zuviel entrichtet und am 10. Feber 1976 Rückzahlung beantragt. Mit dem angefochtenen, im Devolutionsweg erlassenen Bescheid hat die Abgabenberufungskommission den Antrag gem. §243 Abs2 iVm §149 Abs2 WAO abgewiesen, und zwar mit der Begründung, daß die Fristen der zuletzt genannten Gesetzesstelle zur Zeit der Antragstellung längst abgelaufen waren.
Einem in der Folge von der Beschwerdeführerin gestellten Antrag um Nachsicht der Abgabenschuldigkeit in Höhe von 886222 S hat der Magistrat der Stadt Wien im Berufungsverfahren gem. §211 WAO mit Berufungsvorentscheidung vom 24. April 1979 stattgegeben.
d) (B36/78) Die Beschwerdeführerin hat im Wege der Selbstbemessung Getränkesteuererklärungen abgegeben und die Steuer entrichtet. Bei einer Revision wurde festgestellt, daß sie für die Zeit von Feber 1975 bis Oktober 1976 zuviel an Getränkesteuer entrichtet hat. In einer von der Beschwerdeführerin unterfertigten Niederschrift vom 23. November 1976 ist der Vermerk enthalten: "Auf Rückerstattung der Plusdifferenz wird verzichtet". In den beiden nachfolgenden Monaten ersuchte die Beschwerdeführerin um Überweisung ihres Guthabens und um einen Abrechnungsbescheid. Das Ansuchen um Rückerstattung der in der Zeit vom 1. Feber 1975 bis 31. Oktober 1976 entrichteten Getränkesteuer im Betrag von 256,40 S wurde vom Magistrat der Stadt Wien mit Bescheid gem. §149 Abs2 WAO als verspätet abgewiesen. Die Berufung dagegen wurde von der Abgabenberufungskommission mit dem angefochtenen Bescheid gem. §224 Abs2 WAO als unbegründet abgewiesen.
e) (B267/77) Den Beschwerdeführern, die keine Getränkesteuererklärungen eingereicht haben, ist mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien gem. dem Getränkesteuergesetz und der §§145 und 149 Abs3 WAO für den Zeitraum von 1. Jänner 1969 bis 30. November 1974 eine im Schätzungswege ermittelte Getränkesteuer von 60000 S vorgeschrieben worden. Die dagegen erhobene Berufung wurde von der Abgabenberufungskommission mit dem angefochtenen Bescheid gem. §224 Abs2 WAO als unbegründet abgewiesen.
3. Das Gesetzesprüfungsverfahren zu Z G49/79 wurde aus Anlaß der Beschwerde zu B413/78 eingeleitet. Der Anlaßfall ist durch nachstehende Umstände gekennzeichnet:
Der Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin hat im Wege der Selbstbemessung Getränkesteuer entrichtet. Bei einer Revision wurde festgestellt, daß er für die Zeit vom November 1973 bis Juni 1975 zuwenig an Getränkesteuer entrichtet hat. Der Magistrat der Stadt Wien hat mit Bescheid gem. dem Getränkesteuergesetz und der §§145 und 149 Abs3 WAO für die Zeit von 1. November 1973 bis 30. Juni 1975 Getränkesteuer von 13800 S vorgeschrieben, und zwar mit der Begründung, daß der Verkaufserlös als zu niedrig einbekannt worden war. Die dagegen erhobene Berufung wurde gegenüber der Beschwerdeführerin als Rechtsnachfolgerin von der gem. §211 WAO angerufenen Abgabenberufungskommission mit dem angefochtenen Bescheid gem. §224 Abs2 WAO der Sache nach als unbegründet abgewiesen.
4. Im Gesetzesprüfungsverfahren zu Zahl G107/78 (soweit es durch die Beschwerdefälle B112/76, B121/77, B241/77 und B36/78 veranlaßt worden ist) hat die Wr. Landesregierung eine Äußerung erstattet, in der sie ausführt, daß die in Prüfung stehenden Regelungen an tatsächlichen Unterschieden orientiert und damit trotz eventueller Bedenken gegen deren Zweckmäßigkeit jedenfalls nicht gleichheitswidrig sind.
In dem zu dieser Z geführten Gesetzesprüfungsverfahren (soweit es durch den Beschwerdefall B267/77 veranlaßt worden ist) hat die Wr. Landesregierung eine Äußerung erstattet, in der sie auf die genannte Äußerung verweist.
Auch im Gesetzesprüfungsverfahren zu Z G49/79 (welches durch den Beschwerdefall B413/78 veranlaßt worden ist) hat die Wr. Landesregierung eine Äußerung erstattet, in der sie auf die erstgenannte Äußerung verweist.
II. Der VfGH hat erwogen:
Zu den Prozeßvoraussetzungen:
1. Der VfGH geht davon aus, daß der Antrag eines Abgabepflichtigen auf Rückerstattung einer im Wege der Selbstbemessung gem. §149 Abs1 WAO entrichteten Abgabe, sofern dieser Antrag nach Ablauf der dem Abgabepflichtigen gem. §149 Abs2 WAO eingeräumten Berichtigungsfristen gestellt wird, als ein Antrag auf behördliche Festsetzung der Abgabe zu werten ist, denn die Erledigung eines solchen Rückerstattungsantrages setzt voraus, daß die Behörde die Rechtsfrage der Abgabenschuldigkeit beantwortet.
In den Anlaßbeschwerdefällen B112/76, B121/77, B241/77 und B36/78 waren daher von der jeweils belangten Behörde bei Erlassung der die Rückerstattung abweisenden Bescheide die Bestimmungen des §149 Abs2, aber auch des Abs3 WAO anzuwenden. Auch der VfGH hätte diese Gesetzesbestimmungen iS des Art140 Abs1 B-VG in diesen Rechtssachen anzuwenden.
In den Anlaßbeschwerdefällen B267/77 und B413/78 wurden von der jeweils belangten Behörde bei Festsetzung der der Selbstbemessung unterliegenden Getränkesteuer die Bestimmungen des §149 Abs3 WAO angewendet. In diesen Rechtssachen hätte auch der VfGH diese Gesetzesbestimmung iS des Art140 Abs1 B-VG anzuwenden.
In den die Anlaßfälle betreffenden Prüfungsbeschlüssen vom 21. Juni 1978 B112/76-8, B121/77-12, B241/77-12 und B36/78-8, vom 16. Juni 1979 B267/77-11 und vom 10. Oktober 1979 B413/78-6, hat der VfGH die gegen die Verfassungsmäßigkeit der angeführten Gesetzesstellen sprechenden Bedenken (§§62 Abs1 und 65 VerfGG 1953) dargelegt.
Es sind also die Prozeßvoraussetzungen gegeben.
2. Im Anlaßbeschwerdefall B241/77 wurde nach Erhebung der Beschwerde der strittige Betrag iS des §182 WAO wegen Unbilligkeit der Einhebung nachgesehen und der Beschwerdeführerin überwiesen, Die belangte Behörde beantragte deshalb beim VfGH, das Anlaßbeschwerdeverfahren wegen "faktischer Klaglosstellung" einzustellen.
Für das Gesetzesprüfungsverfahren ist dieser Antrag ohne Bedeutung. Wie immer der VfGH im Anlaßbeschwerdeverfahren den Umstand der nachträglichen Erlassung eines Nachsichtsbescheides wertet (der angefochtene Bescheid ist dadurch weder beseitigt - vgl. VfSlg. 5939/1969 und 8262/1978 -, noch ist er vollständig unwirksam geworden und überholt - vgl. VfSlg. 3288/1957 -, denn der Nachsichtsbescheid kann aus den Gründen des §228 WAO abgeändert oder zurückgenommen werden, in welchem Fall der angefochtene Bescheid wieder voll wirksam wäre), auch im Falle der Klaglosstellung der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren ist gem. Art140 Abs2 B-VG idF BGBl. 302/1975 das bereits eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren fortzusetzen.
3. Im Anlaßbeschwerdefall B36/78 hat die Beschwerdeführerin anläßlich der Revision laut der der Niederschrift vom 23. November 1976 beigeschlossenen und von ihr unterschriebenen Durchrechnung, die eine fatierte Plusdifferenz an Kleinhandelspreisen von 2564 S ergab, auf die Rückerstattung der Plusdifferenz an Steuer ausdrücklich verzichtet. In einer als Berufung bezeichneten Eingabe der Beschwerdeführerin an den Magistrat der Stadt Wien vom 1. Feber 1977 findet sich folgender Satz: "Sollte sich in den Akten tatsächlich ein Verzicht auf die zu hoch abgeführte Getränkesteuer finden, so wäre dieser mangels gesetzlicher Grundlage ungültig und wurde von mir auch nicht als Verzicht auf eine Getränkesteuerrückforderung verstanden."
Der VfGH brauchte im Gesetzesprüfungsverfahren auf die Rechtswirkungen dieses Verzichtes nicht einzugehen. Der im Anlaßbeschwerdefall angefochtene Bescheid nimmt auf den von der Beschwerdeführerin ausgesprochenen Verzicht nicht Bezug, sondern weist das Ansuchen um Rückerstattung allein wegen verspäteter Einbringung ab. Es kann daher im Gesetzesprüfungsverfahren die Frage dahin gestellt bleiben, ob die vom VfGH für den Bereich des öffentlichen Rechtes grundsätzlich bejahte Möglichkeit eines wirksamen Verzichtes auf Ansprüche (vgl. dazu VfSlg. 1693/1948, 5099/1965) auch in einem Fall wie dem vorliegenden gegeben ist und ob ein solcher Verzicht die Folge hätte, daß die Abweisung des Ansuchens um Rückerstattung ein subjektives Recht der Beschwerdeführerin nicht verletzen könnte, sodaß die Anlaßbeschwerde mangels Beschwerdeberechtigung zurückzuweisen wäre (vgl. VfSlg. 6273/1970 und die dort angeführte Vorjudikatur, VfSlg. 6416/1971, 7198/1973).
Zur Sache:
4. Der VfGH geht in seinem die Prüfung des §149 Abs2 und 3 WAO einleitenden Beschluß vom 21. Juni 1978 davon aus, daß der Abgabepflichtige nach §149 Abs3 WAO keinen Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung bzw. auf Festsetzung der Abgabe durch die Behörde aufgrund der von ihm abgegebenen Erklärung in den Fällen hat, in denen er eine Selbstbemessung vorgenommen hat. Der VfGH geht weiters davon aus, daß der Abgabepflichtige keine Berechtigung hat, nach Ablauf eines Monates ab der Einreichung, in den Fällen, in denen die Selbstbemessung zu hoch ist, die Erklärung zu berichtigen; der Abgabepflichtige vielmehr nur berechtigt ist, in allen Fällen, in denen die Selbstbemessung zu nieder ist, die Erklärung noch nach Ablauf eines Monates ab der Einreichung zu berichtigen. Seine Bedenken gegen die Regelung legte der VfGH wie folgt dar:
"Es scheint unter dem Blickpunkt des Gleichheitsgebotes unvereinbar, daß eine Partei im Bereich der Selbstbemessungsabgaben keinen Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und daher auch keinen Anspruch auf Bekämpfung des Rechtsstandpunktes der Behörde haben sollte. Dies gilt umsomehr, als das Abgabenrecht von dem Grundsatz der Amtswegigkeit des Verfahrens beherrscht wird. Nach dem Fristablauf kann nämlich auch vor dem Vorliegen eines allfälligen behördlichen Bescheides nach Abs3 keine Berichtigung einer - objektiv unrichtigen (zu hohen) - Erklärung vorgenommen werden. Es ist eine gerichtsbekannte Erfahrungstatsache, daß Unrichtigkeiten wiederholt erst später, zB anläßlich der Erstellung des Jahresabschlusses, hervorkommen. Diese können aber dann in der Regel nicht mehr berichtigt werden."
Dieser Darlegung der Bedenken fügte der VfGH an, daß sie ungeachtet des Erk. Slg. 4757 (richtig: 7457)/1974 bestehen.
In den die Prüfung des §149 Abs3 WAO betreffenden Beschlüssen vom 16. Juni 1979 und vom 10. Oktober 1979 legte der VfGH seine Bedenken wie folgt dar:
"Im vorliegenden Beschwerdefall ist zwar - anders als in den Anlaßfällen des genannten Gesetzesprüfungsverfahrens - die Abgabe bescheidmäßig vorgeschrieben worden, sodaß Bedenken gegen §149 Abs3 WAO allein aus der Sicht dieses Falles nicht entstehen müßten. Im Falle einer Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen würde aber auch eine Grundlage des vorliegenden Bescheides wegfallen. Es ist daher geboten, die Verfassungsmäßigkeit des §149 Abs3 WAO auch aus Anlaß dieses Beschwerdefalles zu prüfen."
5. Die Regelung des §149 WAO stellt im Abgabenverfahren insofern eine Sonderregelung dar, als hier bezüglich der sogenannten Selbstbemessungsabgaben Ausnahmen von dem sonst allgemein geltenden Grundsatz, daß Abgaben von den Abgabenbehörden durch Abgabenbescheid festgesetzt werden (§146 WAO), normiert sind.
Wenn der Gesetzgeber - wie in §149 Abs1 WAO - vorsieht, daß in solchen Fällen die Abgabe durch die Einreichung der Erklärung über die Selbstbemessung festgesetzt gilt, so muß er naturgemäß auch für Erklärungen, die sachliche oder rechtliche Fehler enthalten, die Möglichkeit entsprechender Berichtigungen entweder durch den Abgabepflichtigen selbst oder durch behördliche Festsetzung vorsehen. Gem. dem für den Gesetzgeber aus dem Gleichheitssatz erfließenden Sachlichkeitsgebot (vgl. zB VfSlg. 7973/1976 und die dort angeführte Vorjudikatur) dürfen dabei iS der sonst für das Abgabenverfahren maßgeblichen Verfahrensgrundsätze nicht nur den Abgabepflichtigen Verpflichtungen auferlegt werden, die eine Verkürzung der Abgabe verhindern (vgl. hiezu zB §§92 und 108 WAO), sondern muß auch dafür gesorgt sein, daß die für die Abgabenbemessung nach den materialrechtlichen Abgabenvorschriften maßgeblichen Umstände in objektiver Weise und daher auch zugunsten der Abgabepflichtigen festgestellt werden können (vgl. dazu zB §§89, 90, 214 und 215 WAO). Demgegenüber treten Überlegungen der Verwaltungsökonomie, wenngleich diese für die Zulassung der Selbstbemessung von Abgaben eine Rolle spielen, in den Hintergrund.
Die Regelung des §149 Abs2 WAO sieht Möglichkeiten der Berichtigung einer Erklärung über die Selbstbemessung durch den Abgabepflichtigen innerhalb bestimmter - gem. §85 Abs1 WAO nicht verlängerbarer - Fristen vor. Diese Möglichkeiten werden allerdings noch ergänzt durch die Regelung des zweiten Satzes in §149 Abs3 WAO, wonach in den Fällen einer unvollständigen Erklärung oder einer zu niedrigen Selbstbemessung auch dann von einer bescheidmäßigen Festsetzung der Abgabe abzusehen ist (also die Festsetzung im Wege der Selbstbemessung erfolgt), wenn der Abgabepflichtige diese Mängel nachträglich behebt. Solche Fälle können sich etwa anläßlich der Erstellung des Jahresabschlusses (sofern dieser zeitlich nach Ablauf der in Abs2 genannten Fristen liegt) oder anläßlich abgabenbehördlicher Prüfungen (vgl. §§113 ff. und §123 WAO) ergeben.
Die Regelung des §149 Abs3 WAO sieht unter den dort normierten Voraussetzungen eine bescheidmäßige Festsetzung der Abgabe durch die Abgabenbehörde vor. Dabei ist keine Möglichkeit für eine den materiellrechtlichen Bestimmungen entsprechende Festsetzung in den Fällen vorgesehen, in denen der Abgabepflichtige nach Ablauf der in Abs2 genannten Fristen eine zu hohe Selbstbemessung (etwa auch anläßlich der Erstellung des Jahresabschlusses) feststellt oder in denen die Abgabenbehörde anläßlich einer Prüfung eine solche Feststellung macht.
Da somit in diesen Fällen eine den materiellrechtlichen Abgabenvorschriften entsprechende Bemessung der Abgabe weder im Wege der Berichtigung fehlerhafter Erklärungen durch den Abgabepflichtigen noch im Wege einer bescheidmäßigen Festsetzung der Abgabe seitens der Abgabenbehörde möglich ist, trifft das Gesetz eine sachlich ungerechtfertigte Differenzierung innerhalb der Gruppe jener Abgaben, deren Selbstbemessung zugelassen ist, wie auch im Verhältnis zu allen anderen Abgaben, bei deren Bemessung nach den Grundsätzen der Amtswegigkeit vorzugehen ist. Dieser Mangel haftet den beiden Abs2 und 3 des §149 WAO in ihrem Zusammenhalt an.
6. Damit widerspricht die Regelung des §149 Abs2 und 3 WAO dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot.
Im Erk. Slg. 7457/1974 hat der VfGH ausgeführt und begründet, daß gegen die Regelung des §149 Abs2 WAO aus dem Blickwinkel des damaligen Beschwerdefalles (§149 Abs3 WAO war nicht präjudiziell) keine Bedenken bestanden. Soweit sich aus diesem Vorerkenntnis eine andere Rechtsauffassung ableiten läßt, als die vorstehend aus dem Zusammenhalt der Abs2 und 3 dargelegte, wird diese nicht aufrechterhalten.
Mit Rücksicht darauf, daß die Bestimmungen beider Absätze mit Ablauf des 29. September 1978 außer Kraft getreten sind, war wie im Spruch zu entscheiden.
Der Ausspruch, daß §149 Abs2 und 3 WAO nicht mehr anzuwenden sind, daß sich also die Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieser Gesetzesbestimmung nicht bloß auf die Anlaßfälle auswirkt, ist auf den zweiten Halbsatz des Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG idF BGBl. 302/1975 gestützt (vgl. hiezu die zu der gleichlautenden Bestimmung in Art139 Abs6 B-VG ergangenen Erk. VfSlg. 8014/1977 und insb. vom 29. Juni 1977, V12/77 in dem nicht in VfSlg. 8102/1977 verlautbarten Punkt IV der Entscheidungsgründe).
Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Wien zur unverzüglichen Kundmachung der Feststellung, daß §149 Abs2 und 3 WAO verfassungswidrig waren, erfließt aus Art140 Abs5 zweiter Satz B-VG idF BGBl. 302/1975 und §64 Abs2 VerfGG 1953 idF BGBl. 311/1976.
Schlagworte
Finanzverfahren, Selbstbemessung (Finanzverfahren), VfGH / Präjudizialität, Nachsicht (von Abgabenschuldigkeiten), VfGH / Klaglosstellung, VfGH / Feststellung WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1980:G107.1978Dokumentnummer
JFT_10199870_78G00107_00