TE Vfgh Erkenntnis 1980/2/1 V24/79, V27/79, V31/79, V32/79, V33/79, V34/79, V36/79, V37/79, V38/79,

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Veröffentlicht am 01.02.1980
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Index

L4 Innere Verwaltung
L4005 Prostitution, Sittlichkeitspolizei

Norm

B-VG Art118 Abs3 Z8
B-VG Art118 Abs6
B-VG Art139 Abs6 zweiter Satz
ProstitutionsV der Gemeinde Fußach vom 08.07.75
ProstitutionsV der Marktgemeinde Hard vom 25.03.76
VfGG §27
VfGG §57 ff
Vlbg GdG 1965 §17 Abs1

Beachte

vgl. Kundmachung LGBl. 30 und 31/1980 am 20. November 1980

Leitsatz

ProstitutionsV Hard vom 25. März 1976 und Fußach vom 8. Juli 1975 regeln entgegen Art118 Abs6 B-VG zum Teil eine Angelegenheit, die der Gemeinde nicht zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich gewährleistet ist

Spruch

Die Verordnung der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Hard vom 25. März 1976, betreffend das Verbot der Prostitution in Hard, sowie die Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde Fußach vom 8. Juli 1975, betreffend das Verbot der Prostitution in Fußach (beide kundgemacht durch Anschlag an den Gemeindeamtstafeln), waren gesetzwidrig.

Die Verordnungen sind nicht mehr anzuwenden.

Die Vbg. Landesregierung ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im LGBl. kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) Beim VwGH sind zu den Zahlen 1693/78, 3018/78, 1701/78, 1703/78, 1724/79, 1939/78, 1486/78, 1715/78, 1717/78, 1467/78, 1695/78, 1699/78, 2031/78, 2029/78 und 1211/79 Verfahren über Beschwerden gegen im Instanzenzug ergangene Bescheide der Vbg. Landesregierung anhängig. Mit diesen Bescheiden wurden die Beschwerdeführerinnen schuldig erkannt, Übertretungen der Verordnung der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Hard vom 25. März 1976 betreffend das Verbot der Prostitution in Hard, dadurch begangen zu haben, daß sie Beziehungen mit dem Ziel der Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht angebahnt hätten. Die Tatzeiten liegen zwischen dem 17. Mai 1976 und dem 28. Feber 1977.

b) Der VwGH stellt aus Anlaß dieser Beschwerden gem. Art89 Abs3, Art135 Abs4 sowie Art139 Abs1 und Abs4 B-VG an den VfGH den Antrag auszusprechen, daß die Verordnung der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Hard vom 25. März 1976 gesetzwidrig war (hg. Z V24/79, V27/79, V31 - 34/79, V36 - 43/79, V51/79).

2. a) Beim VwGH ist zu Z 1713/78 das Verfahren über eine Beschwerde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Vbg. Landesregierung anhängig. Mit diesem Bescheid wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §2 iVm §1 der ortspolizeilichen Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde Fußach vom 8. Juli 1975 begangen zu haben, daß sie am 3. Juni 1976 im Gemeindegebiet Fußach Beziehungen mit dem Ziel der Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht angebahnt habe.

b) Der VwGH stellt aus Anlaß dieser Beschwerde nach den oben angeführten Artikeln des B-VG an den VfGH den Antrag auszusprechen, "daß die Verordnung der Gemeinde Fußach vom 9. Juli 1975, in Kraft getreten am 10. Juli 1975, über das Verbot der Prostitution in Fußach (Gemeindevertretungsbeschluß vom 8. Juli 1975) gesetzwidrig war" (hg. Z V44/79).

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Die von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Hard am 25. März 1976 beschlossene, vom VwGH angefochtene ortspolizeiliche Verordnung (im folgenden kurz: PrV Hard 1976) hat folgenden Wortlaut:

"Bis zur Erlassung bzw. Inkrafttreten einschlägiger gesetzlicher Bestimmungen wird zur Beseitigung von Mißständen, die das örtliche Gemeinschaftsleben in Hard durch die Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht stören, gemäß §17 des Gemeindegesetzes, LBGl. Nr. 45/1965, verordnet:

§1 Die Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht (Prostitution) sowie Handlungen mit dem Ziele zur Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht sind im gesamten Gemeindegebiet von Hard verboten.

§2 Zuwiderhandlungen gegen diese Bestimmung sind Verwaltungsübertretungen und werden von der Bezirksverwaltungsbehörde bestraft.

Diese Verordnung tritt am 26. März 1976 in Kraft."

Diese Verordnung wurde durch Anschlag an der Gemeindeamtstafel in der Zeit vom 26. März bis 19. Mai 1976 kundgemacht.

Am 18. März 1977 beschloß die Gemeindevertretung der Marktgemeinde Hard eine neue Prostitutionsverordnung, deren §3 lautet:

"Diese Verordnung tritt am 4. April 1977 in Kraft. Gleichzeitig tritt die Verordnung der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Hard vom 25. März 1976 außer Kraft."

Die angefochtene PrV Hard 1976 ist daher am 4. April 1977 außer Kraft getreten.

Die den Beschwerdeführerinnen vorgeworfenen strafbaren Verhaltensweisen wurden in der Zeit zwischen dem 17. Mai 1976 und dem 28. Feber 1977 gesetzt.

Wenn der VwGH meint, er habe unter diesen Voraussetzungen die PrV Hard 1976 anzuwenden, so kann dem nicht entgegengetreten werden.

b) Die von der Gemeindevertretung der Gemeinde Fußach am 8. Juli 1975 beschlossene, vom VwGH zur hg. Z V44/79 angefochtene ortspolizeiliche Verordnung (im folgenden kurz: PrV Fußach 1975) hat folgenden Wortlaut:

"Bis zur Erlassung einschlägiger gesetzlicher Bestimmungen wird zur Beseitigung von Mißständen, die das örtliche Gemeinschaftsleben in Fußach durch die Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht stören, gemäß §17 Gemeindegesetz, LGBl. Nr. 45/1965, verordnet:

§1 Die Anbahnung und die Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht (Prostitution) sind im Gemeindegebiet Fußach verboten.

§2 Zuwiderhandlungen gegen diese Bestimmung sind Verwaltungsübertretungen und werden von der Bezirksverwaltungsbehörde bestraft.

§3 Diese Verordnung tritt am 10. Juli 1975 in Kraft."

Diese Verordnung wurde mit der das Datum 9. Juli 1975 tragenden Kundmachung in der Zeit vom 10. Juli bis 24. Juli 1975 durch Anschlag an der Gemeindeamtstafel publiziert.

Am 1. Feber 1977 beschloß die Gemeindevertretung der Gemeinde Fußach eine neue Prostitutionsverordnung, deren §3 lautet:

"Diese Verordnung tritt am 15. Feber 1977 in Kraft. Gleichzeitig tritt die Verordnung der Gemeindevertretung Fußach vom 8. Juli 1975, betreffend das Verbot der Prostitution in Fußach, außer Kraft."

Die PrV Fußach 1975 hat sohin in der Zeit vom 10. Juli 1975 bis 15. Feber 1977 gegolten. Das der Beschwerdeführerin vorgeworfene Verhalten wurde während der Geltungsdauer der Verordnung gesetzt, nämlich am 3. Juni 1976.

Auch in diesem Fall kann dem VwGH nicht entgegengetreten werden, wenn er der Ansicht ist, er habe unter diesen Voraussetzungen die angefochtene Verordnung in dem bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahren anzuwenden.

Der VfGH sieht auch in diesem Fall keinen Grund, an der Präjudizialität der angefochtenen Verordnung zu zweifeln.

c) Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Anträge des VwGH zulässig.

2. a) Der VwGH beruft sich in seinen Verordnungsprüfungsanträgen auf das hg. Erk. Slg. 7960/1976. Aus diesem Erkenntnis gehe hervor, daß es nicht in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehöre, ein Verbot der Anbahnung und Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht (Prostitution) schlechthin zu verfügen, also ein Verbot, das auch solche Formen der Prostitution erfaßt, die der Öffentlichkeit gegenüber nicht in Erscheinung treten. Dies treffe - ebenso wie auf die mit Erk. VfSlg. 7960/1976 als gesetzwidrig aufgehobene Verordnung der Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz vom 1. Juli 1975, betreffend das Verbot der Prostitution in Bregenz - auf die von den Anträgen des Verwaltungsgerichtshofes erfaßten PrV Hard 1976 und PrV Fußach 1975 zu, da durch diese Verordnungen auch solche Formen der Prostitution, die der Öffentlichkeit gegenüber nicht in Erscheinung treten, verboten würden.

b) Die Gemeindevertretung der Marktgemeinde Hard rechtfertigt die angefochtene PrV Hard 1976 damit, daß das ausgesprochene allgemeine Verbot der Prostitution zur Beseitigung von aufgetretenen Mißständen erforderlich gewesen sei, auch wenn die Prostitution nicht auf der Straße, sondern in Privathäusern ausgeübt werde.

c) Zur Verteidigung der Rechtmäßigkeit der PrV Fußach 1975 verweist die Gemeindevertretung der Gemeinde Fußach auf das hg. Erk. vom 9. März 1978 G63/77 (= VfSlg. 8272/1978), in dem ausgeführt worden sei, daß das Merkmal der Öffentlichkeit bei der gewerbsmäßigen Unzucht (Prostitution) als Wesenselement mitenthalten sei, weil es für diese Tätigkeit wesentlich sei, Kunden zu werben. Die in Prüfung gezogene PrV Fußach 1975 vom 8. Juli 1975 enthalte ein Verbot der Anbahnung und Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht (Prostitution) im Gemeindegebiet von Fußach. Das Verbot umfasse also nur Handlungen, die der Öffentlichkeit gegenüber auf eine Art in Erscheinung treten, die es ausschließe, dieses Verhalten der Privatsphäre des Individuums zuzurechnen. Die Ansicht des VwGH, daß die in Prüfung gezogene Verordnung auch Verhaltensweisen verbiete, die der Öffentlichkeit gegenüber nicht in Erscheinung treten, könne bei richtiger Würdigung des Erk. VfSlg. 8272/1978 nicht geteilt werden.

Die Vbg. Landesregierung vertritt in ihren in Ansehung beider angefochtenen Verordnungen erstatteten Äußerungen die gleiche Meinung wie die Gemeindevertretung der Gemeinde Fußach.

3. Die Bedenken des VwGH treffen zu:

a) Der VfGH hat mit Erk. VfSlg. 7960/1976 die Verordnung der Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz vom 1. Juli 1975, betreffend das Verbot der Prostitution in Bregenz (PrV Bregenz 1975), als gesetzwidrig aufgehoben.

Diese Verordnung hatte folgenden Wortlaut:

"§1 Die Anbahnung und Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht (Prostitution) sind in der Landeshauptstadt Bregenz verboten.

§2 Zuwiderhandlungen gegen diese Verbote sind Verwaltungsübertretungen und werden von der Bezirksverwaltungsbehörde bestraft.

§3 ........"

Der VfGH hat die Aufhebung dieser Verordnung im wesentlichen wie folgt begründet: Eine ortspolizeiliche Verordnung (Art118 Abs6 B-VG) dürfe nur in einer Angelegenheit erlassen werden, deren Besorgung im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde nach Art118 Abs2 und 3 B-VG gewährleistet sei. Zu den den Gemeinden gewährleisteten Selbstverwaltungsaufgaben gehöre nach Art118 Abs3 Z8 B-VG die "Sittlichkeitspolizei". Die Ordnung und Überwachung der Prostitution zähle zur Sittlichkeitspolizei, sofern es darum gehe, Gefahren abzuwehren, die der Sittlichkeit durch die Ausübung der Prostitution drohen. Der Sittlichkeit drohende Gefahren könnten zumindest von einigen Erscheinungsformen der Prostitution, zB vom sogenannten "Gassenstrich", ausgehen. Insoweit gehöre die Regelung der Prostitution zum Tatbestand "Sittlichkeitspolizei". Die damit im Zusammenhang stehenden behördlichen Aufgaben seien gem. Art118 Abs3 Z8 B-VG der Gemeinde zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich gewährleistet. Die Prostitutionsverordnung der Stadt Bregenz verbiete aber die Anbahnung und die Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht (Prostitution) für den Bereich der Landeshauptstadt Bregenz schlechthin. Diese Verordnung untersage daher auch solche Formen der Prostitution, die der Öffentlichkeit gegenüber nicht in Erscheinung treten, die die Sittlichkeit also nicht bedrohen. Die Verordnung regle also zum Teil eine Angelegenheit, die weder eine solche der Sittlichkeitspolizei sei noch sonst durch Art118 Abs2 und 3 B-VG der Gemeinde zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich gewährleistet sei.

Der VfGH bleibt bei dieser Rechtsprechung. Die angefochtenen PrV Hard 1976 und PrV Fußach 1975 haben nahezu den gleichen Wortlaut wie die vom VfGH aufgehobene PrV Bregenz 1975. Auch die nunmehr angefochtenen ortspolizeilichen Verordnungen regeln - entgegen dem Art118 Abs6 B-VG und dem gleichlautenden §17 Abs1 des Vbg. Gemeindegesetzes - zum Teil eine Angelegenheit, die der Gemeinde nicht zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich gewährleistet ist.

b) Diesem Ergebnis steht weder das hg. Erk. Slg. 8272/1978 noch das hg. Erk. vom 1. Dezember 1978 B512 - 516/78 entgegen. Es ging nämlich in diesen beiden Entscheidungen um andere Fragen als im Erk. Slg. 7960/1976, sodaß aus ihnen für die hier zu lösende Frage nichts zu gewinnen ist:

Im Erk. Slg. 7960/1976 war und im vorliegenden Fall ist vor allem zu untersuchen, ob und in welchem Umfang die Bekämpfung der Prostitution in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fällt (Art118 Abs2 und 3 B-VG) und daher in diesem Zusammenhang ortspolizeiliche Verordnungen nach Art118 Abs6 B-VG zulässig sind.

Im Erk. VfSlg. 8272/1978 hingegen hat sich der VfGH damit auseinandergesetzt, ob einige, die Prostitution regelnde Bestimmungen des Tir. Landes-Polizeigesetzes gegen das durch Art8 MRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht des Individuums auf Privatebene verstoßen.

Im Erk. B512 - 516/78 schließlich hat der VfGH erörtert, ob der Vbg. Landesgesetzgeber oder der Bundesgesetzgeber zuständig war, eine bestimmte, die Prostitution betreffende Vorschrift zu erlassen.

4. Die beiden angefochtenen ortspolizeilichen Verordnungen sind bereits außer Kraft getreten. Der VfGH hatte daher gem. Art139 Abs4 B-VG festzustellen, daß die Verordnungen gesetzwidrig waren.

5. Ein Kostenzuspruch ist im Verfahren nach den §§57 bis 61 VerfGG nicht vorgesehen. Dem von Beteiligten in diesem Verordnungsprüfungsverfahren (Beschwerdeführerinnen in Anlaßbeschwerdeverfahren vor dem VwGH) gestellten Antrag auf Zuspruch von Kosten war daher keine Folge zu geben. Es wird Aufgabe des antragstellenden Gerichtes sein, über einen allfälligen Kostenanspruch zu erkennen (vgl. VfGH 16. 6. 1979 G80/77).

6. Die weiteren Aussprüche gründen sich auf Art139 Abs5 und 6 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975.

Schlagworte

Prostitution, Wirkungsbereich eigener, Sittlichkeitspolizei, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:V24.1979

Dokumentnummer

JFT_10199799_79V00024_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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