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40 VerwaltungsverfahrenNorm
StGG Art8Leitsatz
VStG 1950; Vollstreckungsmaßnahmen bei einer Arreststrafe nach Ablaufder dreijährigen Frist des §31 Abs3; Verletzung der persönlichenFreiheitSpruch
Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß er von Organen der Bundespolizeidirektion Graz
a) am 31. Juli 1979 um etwa 14 Uhr festgenommen und anschließend bis 2. August 1979, 19.30 Uhr, im Polizeigefangenenhaus Graz angehalten wurde und
b) am 3. August 1979 um etwa 11.45 Uhr festgenommen und anschließend bis 3. September 1979, 7.30 Uhr, im Polizeigefangenenhaus Graz angehalten wurde
im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Graz vom 29. September 1976 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §64 Abs1 des Kraftfahrgesetzes 1967 (KFG) begangen zu haben, daß er am 27. Juli 1976 in Graz einen PKW gelenkt habe, ohne im Besitze der hiefür erforderlichen Lenkerberechtigung zu sein. Über den Beschuldigten wurde gem. §134 KFG eine Arreststrafe von 35 Tagen verhängt.
Am 4. Oktober 1976 wurde der Beschwerdeführer schriftlich gem. §53 Abs1 VStG 1950 zum Antritt der Arreststrafe aufgefordert. Diese Aufforderung wurde ihm am 11. Oktober 1976 zugestellt.
Die gegenständliche Arreststrafe konnte deshalb nicht kurze Zeit danach vollstreckt werden, weil der Beschwerdeführer krank war und sich wegen anderer Strafen in Haft befand. Erst im Jahre 1979 hat der Beschwerdeführer die gegenständliche Strafe während folgender Zeiten verbüßt:
Vom 6. März 1979, 7.30 Uhr, bis 6. März 1979, 20 Uhr, vom 9. Juli 1979, 9 Uhr, bis 10. Juli 1979, 19 Uhr, vom 31. Juli 1979, 14 Uhr, bis 2. August 1979, 19.30 Uhr, und vom 3. August 1979, 11.45 Uhr, bis 3. September 1979, 7.30 Uhr.
Der Beschwerdeführer wurde am 31. Juli und am 3. August 1979 jeweils von Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Graz festgenommen und sodann dem Polizeigefangenenhaus dieser Behörde eingeliefert.
Der Beschwerdeführer wurde - ausgenommen am 3. September 1979 - jeweils noch vor vollständiger Verbüßung der Arreststrafe wegen Krankheit aus der Haft entlassen.
2. Gegen die am 31. Juli und am 3. August 1979 erfolgten Festnahmen und folgenden Anhaltungen wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit behauptet und beantragt wird, diese Rechtsverletzung kostenpflichtig festzustellen, allenfalls die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Die zwangsweise Vorführung zum Antritt einer Arreststrafe und die folgende Verbüßung dieser Strafe sind eine Verhaftung iS des auf Verfassungsstufe stehenden Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit.
Wären die Vorführungen des Beschwerdeführers und die folgenden Anhaltungen gesetzwidrig erfolgt, so wäre er im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden (vgl. zB VfSlg. 8297/1978).
2. a) Nach §31 Abs3 VStG 1950 darfeine verhängte Strafe nicht mehr vollstreckt werden, wenn seit dem Zeitpunkt, in dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat, drei Jahre verstrichen sind. Der Eintritt der sogenannten Vollstreckungsverjährung ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. zB VwGH 27. 4. 1976 Z 337, 338/76).
b) Es steht fest, daß nach Ablauf von drei Jahren seit der dem Straferkenntnis vom 29. September 1976 zugrunde liegenden strafbaren Tätigkeit - sohin nach dem 27. Juli 1979 - noch Teile der Freiheitsstrafe vollstreckt worden sind, nämlich vom 31. Juli bis 2. August 1979 und vom 3. August bis zum 3. September 1979; es handelt sich um die beiden mit der vorliegenden Beschwerde bekämpften Verhaftungen.
Die belangte Behörde rechtfertigt ihr Vorgehen unter Hinweis auf die Judikatur des VwGH (insb. VwSlg. 1809 A/1950 und 8573 A/1974) damit, daß sie mit dem Vollzug der 35tägigen primären Arreststrafe noch vor Ablauf der absoluten Verjährungsfrist begonnen habe. Wenn die Behörde in Anwendung des §54 VStG 1950 dem Beschwerdeführer Haftunterbrechungen gewährt habe, da eine ärztliche Versorgung des Beschwerdeführers und eine gezielte Behandlung im Polizeigefangenenhaus nicht möglich gewesen sei, so könne dies eine Verwirkung des staatlichen Strafvollziehungsanspruches in keiner Weise rechtfertigen, wenn feststehe, daß die Behörde rechtzeitig mit dem Vollzug begonnen und von sich aus dafür Sorge getragen habe, daß die Strafe vollzogen wird, etwa durch neuerliche Vorführungen des Beschwerdeführers.
Die belangte Behörde habe in diesem Fall §53 Abs1 VStG 1950 in Anspruch genommen, wobei sie die Auffassung vertreten habe, daß die Voraussetzungen für eine Vollstreckungsverjährung gem. §31 Abs3 VStG 1950 im vorliegenden Fall nicht vorgelegen seien.
c) Mit dieser Auffassung ist die belangte Behörde nicht im Recht:
Wohl hat der VwGH mehrfach (zB VwSlg. 1809 A/1950; VwGH 22. Juni 1954 Z 473/52; 5. Mai 1958 Z 622/57; 4. Dezember 1958 Z 1264/57; VwSlg. 8573 A/1974) ausgesprochen, daß die Frist des §31 Abs3 VStG 1950 gewahrt sei, wenn die Behörde den Antrag auf gerichtliche Exekution zur Hereinbringung einer Geldstrafe innerhalb der dreijährigen absoluten Verjährungsfrist beim zuständigen Gericht eingebracht hat, es sei denn, daß sie selbst durch eigene Verfügung iS des §53 Abs2 VStG 1950 in den Lauf des gerichtlichen Exekutionsverfahrens eingreift.
Der VwGH hat dies im Erk. Slg. 1809 A/1950 im wesentlichen wie folgt begründet:
"... Sobald aber der tatsächliche Vollzug einer Strafe (gleichgültig,
ob Geld- oder Arreststrafe) noch innerhalb der Verjährungsfrist eingesetzt hat, kann eine Vollstreckungsverjährung - ausgenommen in den Fällen des §53 Abs2 VStG - nicht mehr eintreten. In solchem Falle ist die Behörde in der im §31 Abs3 VStG bezeichneten Weise bereits vor Ablauf der Fallfrist tätig geworden. Bei der weiteren Durchführung handelt es sich dann nur mehr um den mechanischen Ablauf des zeitgerecht begonnenen Strafvollzuges zB durch Versilberung der gepfändeten Fahrnisse, durch Zeitablauf beim Absitzen der Arreststrafe, was für die Frage der Vollstreckungsverjährung nicht in Betracht kommen kann.
Jede andere Auslegung des §31 Abs3 VStG müßte letztlich zu unmöglichen Konsequenzen führen. Denn die Behörde ist einerseits nach dem Willen des Gesetzgebers gehalten, sich der gerichtlichen Exekution zu bedienen, hat aber trotzdem auf die rechtzeitige Einhaltung der Verjährungsfrist keinen Einfluß mehr ..."
Der VwGH vertritt also die Meinung, daß dann, wenn die Behörde nach §53 Abs2 VStG 1950 einen Strafaufschub bewilligt hat, die Vollstreckungsverjährung drei Jahre nach dem im §31 Abs2 leg. cit. bezeichneten Zeitpunkt jedenfalls eintritt. Der VfGH folgt dieser Rechtsansicht.
Die Behörde hat hier dem Beschwerdeführer vor Eintritt der dreijährigen Verjährungsfrist - wenngleich nicht bescheidmäßig - einen Strafaufschub gewährt, indem sie ihn noch vor gänzlicher Verbüßung der verhängten Arreststrafe aus der Haft entlassen hat.
Jedenfalls unter diesen Umständen widerspricht es dem §31 Abs3 VStG 1950, nach Ablauf der hier erwähnten dreijährigen Frist Vollstreckungsmaßnahmen zu setzen. Daran ändert nichts, daß die Verbüßung der Arreststrafe in Teilen auf die Krankheit des Beschwerdeführers zurückzuführen war und die Behörde offenbar keine Schuld daran trifft, daß die ganze Arreststrafe nicht vor Ablauf der erwähnten Frist vollstreckt werden konnte. §31 Abs3 VStG 1950 nimmt seinem klaren Wortlaut nach keine Rücksicht darauf, aus welchem Grunde die fristgerechte Strafvollstreckung nicht erfolgt ist.
Die bekämpften Festnahmen und Anhaltungen des Beschwerdeführers sind sohin im Gesetz nicht gedeckt. Er ist daher durch diese Amtshandlungen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Schlagworte
Verwaltungsstrafrecht, Strafvollzug, Vollstreckung,Verjährung, Vollstreckungsverjährung, FestnehmungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1980:B351.1979Zuletzt aktualisiert am
13.08.2010