TE Vfgh Erkenntnis 1980/2/29 B26/76

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Veröffentlicht am 29.02.1980
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
ZivildienstG §2 Abs1

Leitsatz

Zivildienstgesetz; §2 Abs1 gewährleistet verfassungsgesetzlich ein Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung; keine Verletzung dieses Rechtes

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Der Beschwerdeführer beantragte unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974 (im folgenden: ZDG), die Befreiung von der Wehrpflicht. Er brachte in seinem schriftlichen Antrag im wesentlichen folgendes vor: Aufgrund seiner politischen, sozialen und ethischen Werthaltung lehne er jeden Krieg prinzipiell ab und würde in schwere Gewissensnot geraten, wenn er gegen andere Menschen Waffengewalt anzuwenden hätte. Er glaube weder an einen "gerechten" noch "ungerechten" Krieg und lehne auch einen Verteidigungskrieg ab, da auch diese Form gewaltsamen Widerstands Vernichtung von Menschen und eine Eskalation der blutigen Auseinandersetzungen bringen würde. Krieg sei unmenschlich und sei eine Form der Auseinandersetzung, die immer nur Zerstörung, größte Not und schwerstes Elend gebracht habe. Er möchte niemals eine Waffe zur Hand nehmen und an kriegerischen Handlungen, in die Österreich eventuell verwickelt sein könnte, teilnehmen. Jeder Mensch habe die gleichen Rechte auf Leben, freie und volle Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf Arbeit, Schutz der Gesundheit und des Wohlbefindens sowie Schutz seiner Familie. Die blutige und destruktive Realität des Krieges sei aber mit diesen Überlegungen und den Begriffen der Menschlichkeit, der Gleichheit aller Menschen und ihres Rechtes auf eine friedliche und ungestörte Entwicklung nicht vereinbar.

2. Die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDK) führte sodann Erhebungen über die Person des Beschwerdeführers durch. Diese ergaben seine Unbescholtenheit; abgesehen von der sogleich zu erwähnenden Mitteilung des Bundesministeriums für Landesverteidigung kam Nachteiliges nicht hervor. Das genannte Bundesministerium teilte der ZDK mit, es sei aus einem umfangreichen Akt nachweisbar, daß der wehrpflichtige Beschwerdeführer seit Jahren ziemlich jede Möglichkeit ausnütze, um sich unter Vorspiegelung eines externistischen Studiums für die Reifeprüfung der Erfüllung der Wehrdienstpflicht zu entziehen. Er wechsle laufend die Wohnungsanschrift und begebe sich jeweils auf längere Zeit ins Ausland. Auch im November 1974 sei es ihm gelungen, die Zurücknahme eines Einberufungsbefehls zu erreichen.

In der mündlichen Verhandlung vor der ZDK, Senat 1, gab der Beschwerdeführer insb. an, er glaube, daß ein Verteidigungskrieg mit der Vernichtung von Menschen einhergehe und daher nicht erlaubt sei. Das menschliche Leben sei für ihn das Allerhöchste, dagegen stünden Begriffe wie Freiheit und Grundrechte zurück. Auch bei einem waffenlosen Dienst im Bundesheer sei man in die Militärmaschinerie eingebaut.

3. Mit Bescheid vom 18. November 1975 wies die ZDK, Senat 1, den Antrag des Beschwerdeführers ab. Sie begründete ihre Entscheidung unter Bezugnahme auf §§2 Abs1 und 6 Abs1 ZDG im wesentlichen folgendermaßen: Aufgrund des persönlichen Eindrucks des Beschwerdeführers, der nach der Mitteilung des Bundesministeriums für Landesverteidigung seit Jahren so ziemlich jede Möglichkeit ausgenützt habe, um sich unter Vorspiegelung eines externistischen Studiums für die Reifeprüfung der Erfüllung seiner Wehrpflicht zu entziehen, und der - obwohl er als 24jähriger erst vor der Ablegung der Matura stehe - im Falle der Anerkennung als Zivildienstpflichtiger seinen Zivildienst erst im Jahre 1980 ableisten möchte, habe das Vorbringen nicht als ausreichend glaubhaft angesehen werden können. Der Beschwerdeführer scheine viel eher versuchen zu wollen, sich sowohl der Wehrdienstpflicht als auch der Zivildienstpflicht zu entziehen und scheine damit zum Ausdruck zu bringen, daß er von den staatsbürgerlichen Pflichten nichts halte.

4. Gegen diesen Bescheid der ZDK richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, namentlich des Gleichheitsrechtes, behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes, BGBl. 181/1955, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH hat in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet. Da sich der Beschwerdeführer der Sache nach auf die wiedergegebene Verfassungsbestimmung beruft, sieht sich der VfGH vorerst zur Prüfung veranlaßt, ob der Beschwerdeführer etwa in diesem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde. Eine solche Rechtsverletzung läge vor, wenn die Behörde die in der bezogenen Gesetzesstelle umschriebenen materiellrechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hätte, und weiters - im Hinblick darauf, daß die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Rechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen wären oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hätte, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.

Der Beschwerdeführer hat in seinem schriftlichen Antrag sowie in der mündlichen Verhandlung vor der ZDK nur vorgebracht, daß er aus näher dargelegten Erwägungen die militärische Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen ablehnt; er hat aber für seine Person nicht dargelegt, weshalb er im Falle der Anwendung von Waffengewalt tatsächlich in eine schwere Gewissensnot geraten würde. Wie der VfGH in gleichgelagerten Fällen schon ausgesprochen hat (VfSlg. 8033/1977 und 8390/1978), ist bei einer solchen Sachlage die ZDK schon auf dem Boden der Behauptungen des Beschwerdeführers gehalten, die von ihm begehrte Befreiung von der Wehrpflicht mangels Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG zu verweigern. Ist die Befreiung von der Wehrpflicht aber schon in Ansehung des eigenen Standpunktes des Antragstellers wegen des Fehlens der materiellen Voraussetzungen abzulehnen, so ist es - wie der VfGH ebenfalls in den angeführten Erkenntnissen dargelegt hat - auch unerheblich, ob die belangte ZDK ihren Bescheid etwa unrichtig begründet hat oder ob ihr irgendwelche Verfahrensfehler unterlaufen sind.

Es ist sohin festzuhalten, daß eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes nicht stattgefunden hat.

2. Unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsrechtes wendet sich der Beschwerdeführer dagegen, daß die belangte ZDK die von ihm für die Wehrpflichtbefreiung ins Treffen geführten Gründe nicht als bescheinigt erachtet hat. Auf diese - dem Nachweis von Verfahrensfehlern gewidmeten - Beschwerdebehauptungen braucht der VfGH im einzelnen jedoch nicht einzugehen, weil sie selbst zutreffendenfalls nach dem Vorgesagten nicht ins Gewicht fallen könnten.

Im übrigen bietet das Verwaltungsgeschehen keinen Anhaltspunkt für eine Verletzung des in Rede stehenden verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes, die gem. der ständigen Rechtsprechung des VfGH (s. etwa VfSlg. 8275/1978) nur vorläge, wenn der angefochtene Bescheid auf einer gleichheitswidrigen Rechtsgrundlage beruhte (was in Ansehung der Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG von vornherein nicht in Betracht kommen kann) oder wenn die belangte Behörde Willkür geübt hätte.

3. Da das Beschwerdeverfahren schließlich weder die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes noch eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm ergeben hat, war die Beschwerde abzuweisen.

Schlagworte

Zivildienst, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B26.1976

Dokumentnummer

JFT_10199771_76B00026_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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