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82 GesundheitsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Geschlechtskrankheitenverordnung, BGBl. 314/1974; keine Bedenken gegen diese Verordnung, keine denkunmögliche Anwendung des §5; keine WillkürSpruch
Die Beschwerden werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1.a) Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Vbg. vom 4. April 1979 wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, in 26 Fällen in der Zeit zwischen 31. Mai 1977 und 8. November 1978 "den Ausweis über das Freisein von Geschlechtskrankheiten auf Verlangen eines Organes des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht vorgewiesen zu haben, obwohl sie sich zum Zwecke der Anbahnung von Beziehungen zur Ausübung der Gewerbsunzucht" an bestimmten Stellen in Hard, Bregenz und Fußach aufgehalten habe; die Beschwerdeführerin habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach §5 der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 9. Mai 1974, BGBl. 314, über die gesundheitliche Überwachung von Personen, die mit ihrem Körper gewerbsmäßig Unzucht treiben (im folgenden kurz: GeschlechtskrankheitenV), begangen.
Die Beschwerdeführerin wurde in einem Fall gem. §21 Abs1 VStG 1950 ermahnt. In den weiteren Fällen wurden über die Beschwerdeführerin gem. §12 Abs2 des Geschlechtskrankheitengesetzes, BGBl. 152/1945, Geldstrafen in der Höhe zwischen 300 S und 1000 S (für den Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzarreststrafen in der Dauer zwischen 3 und 14 Tagen) verhängt.
b) Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die zu B242/79 erhobene, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung (nämlich der GeschlechtskrankheitenV) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, allenfalls die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.
c) Die belangte Behörde hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde und den Zuspruch von Kosten begehrt.
2. a) Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Vbg. vom 25. April 1979 wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, in drei Fällen in der Zeit zwischen 12. April und 9. Juni 1977 das gleiche wie oben unter I.1.a) geschilderte Verhalten in Hard gesetzt und dadurch Verwaltungsübertretungen nach §5 GeschlechtskrankheitenV begangen zu haben. Über die Beschwerdeführerin wurden in allen Fällen je eine Geldstrafe von 1000 S (für den Fall der Uneinbringlichkeit je eine Ersatzarreststrafe von 14 Tagen) verhängt.
b) Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die zu B250/79 erhobene, auf Art144 B-VG gegründete Beschwerde, in der das gleiche wie zu B242/79 behauptet und begehrt wird.
c) Die belangte Behörde hat auch in diesem Fall eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. a) Die Beschwerdeführerin bringt zunächst Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der GeschlechtskrankheitenV vor. Sie begründet dies im wesentlichen damit, daß diese Verordnung aus dem Jahre 1974 stamme und sich seither die Verhältnisse insofern geändert hätten, als die Prostitution nun nicht mehr strafrechtlich verfolgt werde. Außerdem sei es nicht vertretbar, daß eine Behörde einen Ausweis für eine gesetzlich verbotene Handlung ausstelle.
b) Der VfGH hat bereits wiederholt dargetan, daß er gegen die Gesetzmäßigkeit der GeschlechtskrankheitenV keine Bedenken hat (zB VfSlg. 7945/1976, 7994/1977, 7997/1977 und 8080/1977). Auch die Ausführungen der Beschwerdeführerin haben beim VfGH keine Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit dieser Verordnung hervorgerufen: Die GeschlechtskrankheitenV fand zum Zeitpunkt ihrer Erlassung und findet auch heute noch ihre Deckung im §11 Abs2 Geschlechtskrankheitengesetz. Weder verbietet noch erlaubt sie die Ausübung der Prostitution. Die Verordnung schreibt lediglich zwecks Verhütung der Übertragung von Geschlechtskrankheiten vor, daß sich Personen, die gewerbsmäßig Unzucht treiben, einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen und darüber einen Ausweis bei sich führen und bestimmten Behördenorganen vorzuweisen haben.
c) Der VfGH hat auch gegen die anderen, die angefochtenen Bescheide tragenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die Beschwerdeführerin ist sohin nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
2. a) Mit den angefochtenen Bescheiden wurden über die Beschwerdeführerin Geldstrafen verhängt; sie greifen daher in ihr Eigentumsrecht ein.
Da mit den Bescheiden auch Ersatzfreiheitsstrafen ausgesprochen worden sind, greifen sie auch in das Recht auf persönliche Freiheit ein (vgl. zB VfSlg. 8244/1978).
Diese durch einen Verwaltungsstrafbescheid verfügten Eingriffe wären nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB Erk. vom 20. 12. 1979 B237/79, B238 - 240/79, B300/79) bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen der angefochtenen Bescheide (s. die vorstehende Z1) nur dann verfassungswidrig, wenn die Behörde das Gesetz oder die Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hätte.
b) In dieser Hinsicht bringt die Beschwerdeführerin vor, die Behörde habe zu Unrecht angenommen, daß die Beschwerdeführerin mit ihrem Körper gewerbsmäßig Unzucht treibe; da diese Voraussetzung nicht vorgelegen sei, sei sie auch nicht verpflichtet gewesen, den Ausweis iS des §2 GeschlechtskrankheitenV vorzuweisen.
Die Behörde hat aufgrund der in den jeweiligen Anzeigen von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (in denen geschildert wird, daß die Beschwerdeführerin für die Anbahnung der Prostitution typische Verhaltensweisen gezeigt habe) zumindest denkmöglich angenommen, daß sie mit ihrem Körper gewerbsmäßig Unzucht treibe.
Die Beschwerdeführerin macht weiters geltend, ihr Verhalten wäre als fortgesetztes Delikt zu qualifizieren gewesen; es hätte daher nicht für jede Einzelhandlung eine Strafe verhängt werden dürfen.
Auch mit diesem Vorbringen weist die Beschwerdeführerin keine unvertretbare Gesetzesanwendung nach. Es ist nämlich denkmöglich, jedes einzelne Nichtvorweisen des Ausweises als selbständig strafbare Einzelhandlung zu werten (vgl. zB das oben zitierte hg. Erk. vom 20. Dezember 1979, S 12, und die dort zitierte Judikatur des VwGH).
Wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, hat die Beschwerdeführerin den Ausweis nach §2 GeschlechtskrankheitenV deshalb nicht vorgewiesen, weil sie einen solchen nicht besaß; sie hatte einen solchen nicht beantragt und sich nicht der amtsärztlichen Untersuchung unterzogen. Der VwGH hat im Jahre 1979 in mehreren Erkenntnissen (zB VwGH 26. 6. 1979 Z 3481/78) folgendes ausgesprochen:
"Beginnt ... eine Prostituierte ihre Tätigkeit, ohne sich vorher der amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, sodaß ihr auch kein Ausweis über die Freiheit von Geschlechtskrankheiten ausgestellt werden könnte, so verstößt sie nicht gegen §5 der Verordnung, sondern gegen deren §1."
Die belangte Behörde hat mit den angefochtenen Bescheiden die Beschwerdeführerin nicht der Übertretungen nach §1, sondern nach §5 der Verordnung schuldig erkannt (s. o. I.1. und 2.a). Diese Subsumtion ist nicht denkunmöglich: Es ist immerhin die Auslegung vertretbar, daß §5 der Verordnung dann verletzt wird, wenn die Prostituierte den Ausweis nicht bei sich führt und daher auch nicht in der Lage ist, ihn den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes auszuhändigen, dies auch dann, wenn dieses Nicht-mit-sich-Führen darauf zurückzuführen ist, daß der Prostituierten ein Ausweis überhaupt nicht ausgestellt worden ist.
c) Die Beschwerdeführerin ist sohin weder im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums noch in jenem auf persönliche Freiheit verletzt worden.
3. a) Die Beschwerdeführerin bringt vor, bei Erlassung der Bescheide seien Verfahrensmängel insoweit unterlaufen, als für mehrere Übertretungen "Sammelbescheide" erlassen worden seien und die Behörde ausreichende Ermittlungsverfahren unterlassen habe.
Selbst wenn Verfahrensmängel unterlaufen sein sollten, wären sie nicht derart schwerwiegend, daß sie als Indiz für einen gleichheitswidrigen Gesetzesvollzug anzusehen wären. Die Strafbehörde erster Instanz hat für jede Einzelhandlung ein eigenes Straferkenntnis erlassen. Die belangte Behörde zweiter Instanz hat zwar über die Berufungen lediglich mit zwei Bescheiden abgesprochen; sie hat sich aber mit jeder einzelnen Tathandlung ausführlich auseinandergesetzt und auch die Gründe für ihre Beweiswürdigung dargelegt (vgl. hiezu das an dieselbe Beschwerdeführerin ergangene hg. Erk. vom 20. 12. 1979 B237/79, B238 - 40/79, B300/79. S 11 f.).
Anhaltspunkte für ein willkürliches Vorgehen der Behörde sind nicht hervorgekommen. Die Beschwerdeführerin ist nicht im Gleichheitsrecht verletzt worden.
b) Die Beschwerdeführerin macht weiters geltend, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Aufenthaltsfreiheit verletzt worden zu sein.
Dieses im Art6 StGG verankerte Recht gewährleistet lediglich, in jedem Ort innerhalb des Staatsgebietes dauernd oder vorübergehend zu wohnen. Es ist offenkundig, daß die angefochtenen Bescheide in das erwähnte Recht nicht eingreifen (vgl. hiezu das zuletzt zitierte hg. Erk.).
c) Auch zur Behauptung, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsfreiheit verletzt worden zu sein, genügt es, auf das wiederholt zitierte hg. Erk. vom 20. Dezember 1979 (S 9) zu verweisen.
d) Die Beschwerdeführerin "beantragt auch, von Amts wegen zu prüfen, ob die bestraften Tathandlungen nicht verjährt sind, da die untergeordnete Behörde die Bestrafung erst nach Jahren vorgenommen hat".
Darin liegt der Vorwurf, die Behörde habe das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dadurch verletzt, daß sie trotz eingetretener Verjährung (und der dadurch bewirkten Unzuständigkeit zur Bestrafung) tätig geworden sei.
Auch dieser Vorwurf trifft nicht zu: Die angefochtenen Berufungsbescheide sind etwa ein bis zwei Jahre nach den Tathandlungen erlassen worden, also jedenfalls noch vor der dreijährigen Vollstreckungsverjährung (§31 Abs3 VStG 1950). Auch Verfolgungsverjährung ist nicht eingetreten. Die Strafbehörden erster Instanz haben nämlich jeweils vor Ablauf der sechsmonatigen Frist für den Eintritt der Verfolgungsverjährung (§31 Abs2 VStG 1950 idF der Nov. BGBl. 101/1977) eine Verfolgungshandlung iS des §32 VStG 1950 gegen die Beschwerdeführerin gesetzt, indem sie sie schriftlich nach §40 Abs2 VStG 1950 zur Rechtfertigung aufgefordert haben.
Die Beschwerdeführerin ist also nicht im zuletzt erwähnten Recht verletzt worden (vgl. auch hiezu das hg. Erk. vom 20. 12. 1979).
4. Da auch nicht die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes hervorgekommen und die Beschwerdeführerin auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden ist (s. o. II.1.), waren die Beschwerden abzuweisen.
Schlagworte
Prostitution, Gesundheitswesen, Geschlechtskrankheiten, Verwaltungsstrafrecht, Zusammentreffen strafbarer HandlungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1980:B242.1979Dokumentnummer
JFT_10199699_79B00242_00