TE Vfgh Erkenntnis 1980/3/17 B102/76

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Veröffentlicht am 17.03.1980
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
MRK Art9
StGG Art14
ZivildienstG §2 Abs1

Leitsatz

Zivildienstgesetz; §2 Abs1 gewährleistet verfassungsgesetzlich das Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung; keine Verletzung dieses Rechtes; Menschenrechtskonvention; Art9 gewährleistet kein Recht auf Waffendienstverweigerung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Der Beschwerdeführer, der vom 1. Oktober 1973 bis 31. März 1974 Grundwehrdienst geleistet hatte, beantragte unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974 (im folgenden: ZDG), die Befreiung von der Wehrpflicht und brachte im wesentlichen folgendes vor:

Seit den Kriegsberichten vom Blutvergießen in Vietnam und Kambodscha sehe er sich veranlaßt, den Dienst mit der Waffe zu verweigern. Soldaten könnten nur vom Krieg begeistert sein, wenn sie sich im Zustand einer Massenpsychose befänden; nur Propaganda und Gewalt- bzw. Machtanwendung könnten die Masse der Menschen in einen Krieg treiben. Soldaten sterben, damit die Rüstungsbetriebe Aufträge erhielten und florierten; die am Krieg Verdienenden machten dabei gar keinen Unterschied zwischen Menschen und Material. Für einen Staatsbürger, dem das klargeworden sei, müsse zwangsläufig die absolute Verneinung einer Teilnahme schon an den Vorbereitungen für eine Rüstung die logische Konsequenz sein. Er sei nicht bereit, sich solchen Kriegsvorbereitungen anzuschließen und verweigere daher den Dienst mit der Waffe beim Bundesheer. Nur durch eine Verneinung des Militarismus könne man dem Wahnsinn einer Selbstvernichtung vorbeugen. Er lehne außerdem die Verantwortungslosigkeit hoher Militärs allgemein ab, die Verluste von Soldaten ähnlich in Kauf nähmen wie Materialverluste. Diese Tendenz zur Verantwortungslosigkeit habe sich in geringerem Ausmaß auch in Österreich beim Tod eines Jungmannes anläßlich einer Gefechtsübung gezeigt.

Er erkläre sich ausdrücklich bereit, für den Fall, daß seinem Antrag stattgegeben werde, unter voller Einrechnung sämtlicher vorangegangener Wehrdienstzeiten auf die gesamte Dienstzeit von acht Monaten, die ihm derzeit noch fehlenden zwei Monate Zivildienst zu leisten und die Zivildienstpflichten gewissenhaft zu erfüllen. Die Ableistung eines dritten Monats würde eine Verletzung des Übereinkommens über Zwangs- oder Pflichtarbeit und arbeitsrechtlicher Bestimmungen darstellen, da eine 14tägige Dienstfreistellung im ZDG nicht ausdrücklich genannt sei.

2. Die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDK) führte sodann Erhebungen über die Person des Beschwerdeführers durch. Sie ergaben seine Unbescholtenheit; Nachteiliges kam nicht hervor.

In der mündlichen Verhandlung vor der ZDK, Senat 4, bezog sich der Beschwerdeführer auf seine Ausführungen im schriftlichen Antrag und brachte weiters vor, daß er sich hinsichtlich des dritten Monates (der Zivildienstleistung) alle Rechtsmittel vorbehalte; es liege ein Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention und gegen die Konvention gegen die Zwangsarbeit vor. Er habe durch den Dienst beim Bundesheer den militärischen Apparat kennenlernen können und lehne trotz der Ableistung des Wehrdienstes die Anwendung von Waffengewalt ab. Er habe beim Heer die Erfahrung gemacht, daß es dort keine freie Entscheidung gebe, weder für die Anwendung einer bestimmten Waffe noch hinsichtlich der Befolgung von Befehlen. Er habe nach dem alten Wehrgesetz keinen Antrag auf Freistellung von der Wehrpflicht gestellt, weil er sich über seine Gewissensgründe damals noch nicht im klaren gewesen sei.

3. Mit Bescheid vom 16. Jänner 1976 wies die ZDK, Senat 4, den Antrag des Beschwerdeführers ab. Sie begründete diese Entscheidung unter Bezugnahme auf die §§2 Abs1 und 6 Abs1 ZDG folgendermaßen:

Gem. §6 Abs2 ZDG habe der Antragsteller die vorgebrachten Gewissensgründe glaubhaft zu machen, welche der erkennende Senat zu würdigen habe. Der erkennende Senat erachte dabei das persönliche Gespräch mit dem Antragsteller als das beste und bedeutendste Mittel der Glaubhaftmachung, aufgrund dessen man einem Antragsteller glauben könne, ob die von ihm beteuerte Gewissensentscheidung vorliege. Nach dem persönlichen Gespräch mit dem Beschwerdeführer und nach der Würdigung der von ihm vorgebrachten Gewissensgründe sei jedoch der erkennende Senat der Auffassung, daß die behauptete Gewissensentscheidung nicht vorliege. Für diese Würdigung der vorgebrachten Gewissensgründe sei vor allem das Verhalten des Beschwerdeführers vor dem erkennenden Senat und seine dort neuerlich vertretene Ansicht zur Bestimmung des §74 Abs2 ZDG maßgebend, daß die Ableistung des "dritten Monats" Pflicht- und Zwangsarbeit sei, und er sich weigere, dies zu tun. Der erkennende Senat sei daher der Auffassung, daß es aufgrund dieser Einstellung wenig glaubhaft erscheine, wenn der Beschwerdeführer behaupte, aus schwerwiegenden Gewissensgründen die Anwendung von Waffengewalt gegen andere Menschen abzulehnen und bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot zu geraten. Wenn es dem Beschwerdeführer mit der Respektierung seiner Gewissensgründe wirklich ernst gewesen wäre, hätte er dies wie viele andere Antragsteller in Kauf genommen.

4. Gegen diesen Bescheid der ZDK richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in welcher sich der Beschwerdeführer auf die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG beruft sowie eine Verletzung des Gleichheitsrechtes, des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und der durch Art14 StGG und Art9 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte behauptet; er begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes, BGBl. 181/1955, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH hat in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet. Da sich der Beschwerdeführer ausdrücklich auf die wiedergegebene Verfassungsbestimmung beruft, sieht sich der VfGH vorerst zur Prüfung veranlaßt, ob der Beschwerdeführer etwa in diesem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde. Eine solche Rechtsverletzung läge vor, wenn die Behörde die in der bezogenen Gesetzesstelle umschriebenen materiellrechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hätte, und weiters - im Hinblick darauf, daß die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Rechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen wären oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hätte, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem schriftlichen Antrag wie auch in der mündlichen Kommissionsverhandlung beinhaltet nur Darlegungen darüber, daß er aufgrund bestimmter Erwägungen die militärische Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen ablehnt; er hat aber für seine Person nicht dargetan, weshalb er im Falle der Anwendung von Waffengewalt tatsächlich in eine schwere Gewissensnot geraten würde. Wie der VfGH in gleichgelagerten Fällen schon ausgesprochen hat (VfSlg. 8033/1977, 8390/1978 und B17/76 vom 17. 3. 1980), ist bei einer solchen Sachlage die ZDK schon auf dem Boden der Behauptungen des Beschwerdeführers gehalten, die von ihm begehrte Befreiung von der Wehrpflicht mangels Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG zu verweigern. Ist die Befreiung von der Wehrpflicht aber bereits in Ansehung des eigenen Standpunktes des Antragstellers wegen des Fehlens der materiellen Voraussetzungen abzulehnen, so ist es - wie der VfGH ebenfalls in den angeführten Erkenntnissen dargelegt hat - auch unerheblich, ob die belangte ZDK ihren Bescheid etwa unrichtig begründet hat oder ob ihr irgendwelche Verfahrensfehler unterlaufen sind.

Es ist sohin festzuhalten, daß eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes nicht stattgefunden hat.

2. Die vom Beschwerdeführer behauptete Verletzung des Gleichheitsrechtes könnte gem. der ständigen Rechtsprechung des VfGH nur vorliegen, wenn der Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die belangte Behörde Willkür geübt hätte. Es trifft jedoch beides nicht zu.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Gesetzesvorschriften wegen eines Verstoßes gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot haben sich aus der Sicht dieses Beschwerdefalles nicht ergeben; die Vorschrift des §2 Abs1 ZDG scheidet, da es sich um eine Verfassungsbestimmung handelt, bei dieser Betrachtung von vornherein aus.

Als willkürlich wertet der Beschwerdeführer die Vorgangsweise der belangten Behörde, die Glaubhaftigkeit der von ihm für die Wehrpflichtbefreiung ins Treffen geführten Gründe aus dem Gesichtspunkt seiner erwähnten Ausführungen zum dritten Monat der Zivildienstleistung abzulehnen. Auf diese - dem Nachweis von Verfahrensfehlern gewidmeten - Beschwerdebehauptungen braucht der VfGH im einzelnen jedoch nicht einzugehen, weil sie selbst zutreffendenfalls nach dem Vorgesagten nicht ins Gewicht fallen könnten.

3. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter will der Beschwerdeführer daraus ableiten, daß anstelle des Senatsmitgliedes Dr. T. das Mitglied Dr. H. im Senat mitgewirkt habe.

Dem hält die belangte Behörde in der Gegenschrift entgegen, daß Dr. H. gem. der Geschäftsordnung der ZDK Mitglied des Senates 4 sei und Dr. T. infolge dessen Verhinderung vertreten habe.

Im Hinblick auf diesen - vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen - Vorgang sind die sachverhaltsmäßigen Voraussetzungen des Beschwerdevorwurfs nicht gegeben, sodaß sich der VfGH mit ihm nicht weiter auseinanderzusetzen braucht.

4. Es liegen aber auch weder der vom Beschwerdeführer behauptete Verstoß gegen Art14 StGG noch die von ihm geltend gemachte Verletzung des Art9 MRK vor. Der Beschwerdeführer bringt nämlich unter Bezugnahme auf Art14 StGG keine religiösen Gründe vor, und es ist seine Berufung auf Art9 MRK von vornherein verfehlt, weil diese Konventionsbestimmung - wie der VfGH schon ausgesprochen hat (VfSlg. 8033/1977) - ein Recht auf Waffendienstverweigerung nicht gewährleistet.

5. §6 Abs2 ZDG besagt, daß der Antragsteller die vorgebrachten Gewissensgründe glaubhaft zu machen hat; die ZDK hat bei der Würdigung dieser Gründe insb. auch auf das bisherige Verhalten des Antragstellers Bedacht zu nehmen.

Der Beschwerdeführer hält diese Vorschrift wegen eines mit näherer Begründung behaupteten Widerspruchs zur Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG iZm Art9 MRK für verfassungswidrig und regt die amtswegige Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens an.

Hiezu besteht aber kein Anlaß, weil - wie schon dargelegt wurde - die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Gründe eine Wehrdienstbefreiung nicht rechtfertigen können, sodaß die Frage ihrer Glaubhaftmachung überhaupt nicht auftritt. Es kann unter diesem Blickpunkt nicht gesagt werden, daß der VfGH die bezogene Gesetzesvorschrift bei der hier zu fällenden Entscheidung anzuwenden hätte.

6. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Beschwerdeführer weder in den von ihm geltend gemachten noch in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde und daß auch keine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm stattgefunden hat.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B102.1976

Dokumentnummer

JFT_10199683_76B00102_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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