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44 ZivildienstNorm
B-VG Art144 Abs2Leitsatz
Zivildienstgesetz; §2 Abs1 gewährleistet verfassungsgesetzlich ein Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung; keine Verletzung dieses Rechtes; Zivildienstkommission ist Kollegialbehörde iS des Art133 Z4 B-VG; keine Zuständigkeit des VwGHSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Der Beschwerdeführer beantragte unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974 (im folgenden: ZDG), die Befreiung von der Wehrpflicht. Er brachte in seinem schriftlichen Antrag im wesentlichen folgendes vor: Er sei zutiefst davon überzeugt, daß Gewaltanwendung kein legitimes Mittel sei, Konflikte zwischen Menschen und Völkern zu bereinigen. Ebenso sei er ganz sicher, daß, wer immer Gewalt gegen Menschen einsetze - bis hin zur beabsichtigten Ausschaltung durch den Tod - oder wer Gewaltanwendung auch nur billige, ein großes Unrecht begehe und damit schwere moralische Schuld auf sich lade, von der ihn niemand freisprechen könne. Er bekenne sich zum obersten Grundsatz der christlich-abendländischen Kultur, zum "Liebe Deinen Nächsten" und zum zweiten, untrennbar damit verbundenen "Du sollst nicht töten". Wie viele Schuld und Leid wäre allein Europa seit der Jahrhundertwende erspart geblieben, hätte man von der barbarischen Vorgangsweise Krieg Abstand genommen. Aus seiner bisherigen Lebenserfahrung, seiner christlich-humanistischen Erziehung, aus Gesprächen mit Kriegsteilnehmern, seinem Studium der Politikwissenschaft und insbesondere aus der Auseinandersetzung mit der Friedensforschung sei er zu der Überzeugung gelangt, daß er es vor seinem Gewissen nicht verantworten könne, Waffendienst zu leisten und sich ausbilden zu lassen, wie man Leben vernichte. Ebenso könne er auch nicht vom Schreibtisch aus an einer Organisation mitarbeiten, deren Ziele er verwerflich finde und ablehne.
2. Die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDK) führte sodann Erhebungen über die Person des Beschwerdeführers durch. Diese ergaben seine Unbescholtenheit; Nachteiliges kam nicht hervor. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in welcher der Beschwerdeführer sein Antragsvorbringen ergänzte und erläuterte, wies die ZDK, Senat 4, mit Bescheid vom 4. November 1975 den Antrag des Beschwerdeführers ab. Sie begründete ihre Entscheidung unter Bezugnahme auf §§2 Abs1 und 6 Abs1 ZDG im wesentlichen folgendermaßen: Der Beschwerdeführer habe in seiner persönlichen Befragung (anläßlich der Kommissionsverhandlung) erklärt, Mitglied des ÖKV (Kartellverband katholischer nicht farbentragender akademischer Vereinigungen Österreichs) zu sein. Auf den Vorhalt, daß doch zwischen dem Vaterlandsprinzip des ÖKV, aufgrund dessen die Mitglieder auch ihr Leben für das Vaterland Österreich einsetzen, und seiner Haltung gegenüber dem Wehrdienst ein gewisser Widerspruch bestehe, habe der Beschwerdeführer wörtlich erklärt: "Ich war bei einer Verbindung, die es mit den herkömmlichen studentischen Verbindungstraditionen nicht so genau nahm. Vor allem war keine militärische Gesinnung vorhanden. In meiner Verbindung war man auch nicht so stur katholisch wie in anderen. Wir hatten auch Mitglieder ohne religiöses Bekenntnis. Ich habe zwar bei meiner Verbindung den Eid auf das Vaterland abgelegt, doch sehe ich keinen Widerspruch darin, daß ich nun Zivildienst leisten will." Aufgrund dieser Erklärung und des Auftretens des Beschwerdeführers vor dem Senat habe dieser den Eindruck gewonnen, daß der Beschwerdeführer es mit den Grundsätzen, die er zu vertreten vorgebe, nicht sehr genau nehme. Es gehe nicht an, einem Verband wie dem ÖKV anzugehören, aber dann auf Vorhalt zu behaupten, weil man offenbar glaube, daß dies für eine allfällige positive Entscheidung günstig sei, bei einer Verbindung gewesen zu sein, die es mit den herkömmlichen Verbindungstraditionen nicht sehr genau nehme, und man sei nicht so "stur" katholisch gewesen. Wenn man einem bestimmten Verband angehöre, habe man sich auch zu dessen Grundsätzen stets zu bekennen. Wer sich jeweils seine Grundsätze so richte, wie sie ihm zum Vorteil gereichten, sei unglaubwürdig. Der erkennende Senat glaube daher dem Beschwerdeführer nicht, daß er aus schwerwiegenden Gewissensgründen die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen grundsätzlich ablehne und bei der Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würde. Da es bei der Würdigung dieser Gewissensgründe vor allem darauf ankomme, welchen Eindruck der Antragsteller vor dem erkennenden Senat mache, sei auch die vorgelegte Bestätigung des Domkapitulars G. nicht geeignet gewesen, den erkennenden Senat zu einer anderen Entscheidung zu bewegen.
3. Gegen diesen Bescheid der ZDK richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung des Gleichheitsrechtes sowie des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Glaubens- und Gewissensfreiheit - insb. des Art9 MRK - geltend macht, sich überdies auf §2 Abs1 ZDG beruft und beantragt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, allenfalls die Beschwerde an den VwGH abzutreten.
II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:
1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes, BGBl. 181/1955, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH hat in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet. Da sich der Beschwerdeführer ausdrücklich auf die wiedergegebene Verfassungsbestimmung beruft, sieht sich der VfGH vorerst zur Prüfung veranlaßt, ob der Beschwerdeführer etwa in diesem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde. Eine solche Rechtsverletzung läge vor, wenn die Behörde die in der bezogenen Gesetzesstelle umschriebenen materiellrechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hätte, und weiters - im Hinblick darauf, daß die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Rechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen wären oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hätte, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem schriftlichen Antrag wie auch in der mündlichen Kommissionsverhandlung - das man im Zusammenhang verstehen muß - beinhaltet nur Darlegungen darüber, daß er aus näher dargestellten Erwägungen die militärische Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen ablehnt; er hat aber für seine Person nicht dargetan, weshalb er im Falle der Anwendung von Waffengewalt tatsächlich in eine schwere Gewissensnot geraten würde. Wie der VfGH in gleichgelagerten Fällen schon ausgesprochen hat (VfSlg. 8033/1977 und 8390/1978), ist bei einer solchen Sachlage die ZDK schon auf dem Boden der Behauptungen des Beschwerdeführers gehalten, die von ihm begehrte Befreiung von der Wehrpflicht mangels Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG zu verweigern. Ist die Befreiung von der Wehrpflicht aber schon in Ansehung des eigenen Standpunktes des Antragstellers wegen des Fehlens der materiellen Voraussetzungen abzulehnen, so ist es - wie der VfGH ebenfalls in den angeführten Erk. dargelegt hat - auch unerheblich, ob die belangte ZDK ihren Bescheid etwa unrichtig begründet hat oder ob ihr irgendwelche Verfahrensfehler unterlaufen sind.
Es ist sohin festzuhalten, daß eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes nicht stattgefunden hat.
2. Unter dem Gesichtspunkt des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Glaubens- und Gewissensfreiheit - anscheinend auch unter dem des Gleichheitsrechtes - wendet sich der Beschwerdeführer dagegen, daß die belangte ZDK die von ihm für die Wehrpflichtbefreiung ins Treffen geführten Gründe nicht als bescheinigt erachtet hat. Auf diese - dem Nachweis von Verfahrensfehlern gewidmeten - Beschwerdebehauptungen braucht der VfGH im einzelnen jedoch nicht einzugehen, weil sie selbst zutreffendenfalls nach dem Vorgesagten nicht ins Gewicht fallen könnten.
Im übrigen bietet das Verwaltungsgeschehen keinen Anhaltspunkt für die Verletzung der in Rede stehenden verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte, insb. nicht des Gleichheitsrechtes, die gem. der ständigen Rechtsprechung des VfGH (s. etwa VfSlg. 8275/1978) nur vorläge, wenn der angefochtene Bescheid auf einer gleichheitswidrigen Rechtsgrundlage beruhte (was in Ansehung der Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG von vornherein nicht in Betracht kommen kann) oder wenn die belangte Behörde Willkür geübt hätte.
3. Was die vom Beschwerdeführer weiters geltend gemachte Verletzung des Art9 MRK anlangt, verweist der VfGH auf VfSlg. 8033/1977, in welcher bereits dargelegt wurde, daß aus der Nichtbefreiung von der Verpflichtung zur Wehrdienstleistung keine Verletzung des Art9 MRK abgeleitet werden kann.
4. Da das Beschwerdeverfahren schließlich weder die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes noch eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm ergeben hat, war die Beschwerde abzuweisen.
5. Der Eventualantrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH gem. Art144 Abs2 B-VG war abzuweisen; wie sich aus dem Zusammenhalt der §§45 bis 47 und 53 Abs2 ZDG ergibt, handelt es sich nämlich im Hinblick auf die Einrichtung der ZDK und ihrer Senate als Kollegialbehörde iS des Art133 Z4 B-VG um einen Fall, der von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossen ist (s. VfGH 24. 2. 1978 B363/77 und 9. 10. 1978 B297/75).
Schlagworte
Zivildienst, Zivildienstkommission, KollegialbehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1980:B17.1976Dokumentnummer
JFT_10199683_76B00017_00