TE Vfgh Erkenntnis 1980/3/18 B343/79

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Veröffentlicht am 18.03.1980
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art130 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Allg
MRK Art8 Abs2
FremdenpolizeiG §3 Abs1, §3 Abs2
FremdenpolizeiG §4
FremdenpolizeiG §8

Leitsatz

Fremdenpolizeigesetz; keine Bedenken gegen §3 Abs1 und Abs2 und §4

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien hat mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 23. Juli 1979 gem. §3 Abs1 und Abs2 lita des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954 (FrPolG), gegen den Beschwerdeführer - einen türkischen Staatsangehörigen - ein bis zum 30. Juni 1989 befristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet erlassen.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde. Der Beschwerdeführer macht geltend, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§3 Abs1 und Abs2 lita sowie §4 FrPolG) in seinen Rechten verletzt worden zu sein. Er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, allenfalls die Abtretung der Beschwerde an den VwGH.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Nach §3 Abs1 FrPolG kann gegen Fremde, deren Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen öffentlichen Interessen zuwiderläuft, ein Aufenthaltsverbot erlassen werden.

Dem §3 Abs2 lita leg. cit. zufolge kann insb. ein Aufenthaltsverbot gegen Fremde erlassen werden, die wegen Übertretung einer auf dem Gebiete der Fremdenpolizei, des Paß-, Ausweis-, Wanderungs- oder Meldewesens oder des Arbeits- oder Gewerberechtes erlassenen Vorschrift bestraft worden sind.

§4 FrPolG lautet:

"Das Aufenthaltsverbot erstreckt sich auf das ganze Bundesgebiet und kann auf bestimmte oder auf unbestimmte Zeit erlassen werden. Kann ein Fremder aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht außer Landes geschafft werden, oder treffen die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebenden Gründe nur für Teile des Bundesgebietes zu, kann das Aufenthaltsverbot auch auf Teile des Bundesgebietes beschränkt werden."

b) Die belangte Behörde hat das gegen den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot ausdrücklich auf §3 Abs1 und Abs2 lita FrPolG gegründet. Sie hat aber darüber hinaus auch §4 des Gesetzes angewendet, da diese Vorschrift bestimmt, welchen zeitlichen und örtlichen Anwendungsbereich ein ein Aufenthaltsverbot verfügender Bescheid festsetzen darf.

Auch der VfGH hat §3 Abs1 und Abs2 lita sowie §4 FrPolG bei seiner Entscheidung über die vorliegende Beschwerde anzuwenden.

c) Der Beschwerdeführer macht ausschließlich geltend, in seinen Rechten wegen Anwendung von verfassungswidrigen Gesetzesvorschriften verletzt worden zu sein:

§4 FrPolG widerspreche dem Art18 B-VG. Der Gesetzgeber überlasse es nämlich völlig der Vollziehung, ob das Aufenthaltsverbot auf bestimmte oder auf unbestimmte Zeit ausgesprochen wird; er überlasse es gleichfalls völlig der Vollziehung, in welchem Ausmaß ein "bestimmtes" Aufenthaltsverbot erlassen wird.

Diese fehlende Determinierung sei umsomehr von Bedeutung, weil es sich bei der gegenständlichen Ausweisung um eine "strafrechtliche Anklage" iS des Art6 Abs1 MRK handle; Österreich habe die MRK mit dem Vorbehalt ratifiziert, daß die in den Verwaltungsverfahrensgesetzen vorgesehenen Maßnahmen des Freiheitsentzuges unter der in der österreichischen Bundesverfassung vorgesehenen nachprüfenden Kontrolle durch den VwGH oder den VfGH unberührt bleiben. Den beiden Höchstgerichten sei aber jede Möglichkeit der "nachprüfenden Kontrolle", ob das Gesetz richtig angewendet wurde, genommen, wenn dieses keinerlei Anhaltspunkte enthalte, wann ein Aufenthaltsverbot auf bestimmte und wann auf unbestimmte Zeit zu erlassen ist.

§3 Abs1 und 2 FrPolG seien schon wegen ihres Zusammenhanges mit §4 FrPolG verfassungswidrig.

Gegen §3 Abs1 und 2 bestehe das weitere Bedenken, daß diese Bestimmungen auf das Familienleben, insb. auf die aufrechten familiären Kontakte zwischen Eltern und Kindern in keiner Weise Rücksicht nehmen. Der Gesetzgeber müßte, wenn es um die Ausweisung eines Kindes gehe, dessen Eltern in Österreich wohnen, zumindest in gewissem Umfang Ausnahmen von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen dieses Kind schaffen.

2. a) Was die gegen §3 Abs1 und 2 FrPolG vorgebrachten Bedenken anlangt, ist zunächst auf die Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8607/1979 und die dort zitierte Vorjudikatur) hinzuweisen, wonach (unter dem Gesichtspunkt der damaligen Beschwerdefälle) gegen §3 Abs1 FrPolG verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestünden.

Die Beschwerdeausführungen sind nicht geeignet, beim VfGH Bedenken gegen §3 FrPolG hervorzurufen. Der Beschwerdeführer meint offenbar, daß der auf Verfassungsstufe stehende Art8 MRK (der das Recht auf Achtung des Familienlebens einräumt) den Gesetzgeber verpflichte, vorzusehen, daß ein Aufenthaltsverbot dann zu unterbleiben habe, wenn diese Maßnahme eine Trennung der Familie bewirken würde. Der VfGH folgt dieser Meinung nicht. Der im Abs2 der zitierten Bestimmung der MRK enthaltene Vorbehalt erlaubt dem nationalen Gesetzgeber, einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens ua. dann vorzusehen, wenn dies für die nationale Sicherheit oder für die öffentliche Ruhe und Ordnung notwendig ist. Ein Aufenthaltsverbot dient dem §3 Abs1 FrPolG zufolge derartigen Zielen.

Im übrigen ist bei Anwendung des §3 Abs1 und 2 FrPolG auch auf die familiären Verhältnisse des Fremden Bedacht zu nehmen; diese sind den öffentlichen Interessen daran, daß der Fremde sich nicht im Bundesgebiet aufhält, gegenüberzustellen.

Bei diesem Ergebnis kann unerörtert bleiben, in welcher Gesetzesstelle die behauptete Verfassungswidrigkeit ihren Sitz hätte.

b) §4 FrPolG ermächtigt die Behörden zur Ermessensübung.

Wie sich aus Art18 iVm Art130 Abs2 B-VG ergibt, muß dem Gesetz der Sinn, in dem das Ermessen zu handhaben ist, entnehmbar sein. Wenn der Gesetzgeber auch von verfassungswegen nicht dazu verhalten ist, das behördliche Handeln bis ins letzte zu regeln, muß er doch der Behörde Verhaltensrichtlinien an die Hand geben. Das Gesetz muß das verwaltungsbehördliche Handeln in einem solchen Maß determinieren, daß der VwGH und der VfGH in der Lage sind, die Übereinstimmung der verwaltungsbehördlichen Rechtsakte mit dem Gesetz zu überprüfen (vgl. zB VfSlg. 8209/1977).

Diesen rechtsstaatlichen Anforderungen genügt der erste Satz des §4 FrPolG. IZm §3 (der die Voraussetzungen umschreibt, unter denen ein Aufenthaltsverbot verhängt werden darf) und §8 (wonach das Aufenthaltsverbot von der Behörde, die es erlassen hat, aufzuheben ist, wenn die Gründe für seine Erlassung weggefallen sind) wird das Verhalten der Fremdenpolizeibehörde in ausreichendem Maß vorausbestimmt. Daraus ergibt sich, daß ein Aufenthaltsverbot für jenen Zeitraum zu verhängen ist, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und daß ein Aufenthaltsverbot auf unbestimmte Zeit zu erlassen ist, wenn ein Wegfall dieses Grundes nicht vorausgesehen werden kann.

§4 FrPolG determiniert das Verhalten der Verwaltungsorgane auch dann in ausreichendem Maß, wenn - was ungeprüft bleiben kann - Art6 Abs1 MRK im gegebenen Zusammenhang überhaupt eine Rolle spielen könnte.

c) Der VfGH hat somit unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles gegen die bei Erlassung des bekämpften Bescheides angewendeten Vorschriften des FrPolG keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

3. Zusammenfassend ist festzustellen, daß die (ausschließliche) Behauptung des Beschwerdeführers, wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden zu sein, nicht zutrifft.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Legalitätsprinzip, Ermessen, Determinierungsgebot, VfGH / Sachentscheidung Allg, Fremdenpolizei, Aufenthaltsverbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B343.1979

Dokumentnummer

JFT_10199682_79B00343_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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