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L3 FinanzrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Beachte
Anlaßfall zu VfSlg. 8726/1980Leitsatz
Wr. Abgabenordnung; Getränkesteuer für Wien; kein Entzug des gesetzlichen Richters; keine Willkür; keine denkunmögliche GesetzesanwendungSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Abgabenberufungskommission der Stadt Wien vom 1. Juni 1977 wurde den beschwerdeführenden Inhabern eines Weingutes in E./NÖ in Anwendung des §149 Abs3 der Wr. Abgabenordnung (WAO) für die Zeit vom 1. Jänner 1969 bis 30. November 1974 Getränkesteuer im Betrag von 60000 S vorgeschrieben. Die Behörde ging davon aus, daß die Beschwerdeführer an Letztverbraucher in W. Wein abgegeben hätten, diese Tatsache aber zunächst geleugnet und erst zugegeben hätten, als ihnen ein ermittelter Fall vorgehalten worden sei. Ihr Verhalten im gesamten weiteren Verfahren habe gezeigt, daß sie Lieferungen nur soweit zugäben, als ihnen solche anhand von Unterlagen der Letztverbraucher nachgewiesen würden. Aufzeichnungen hätten sie trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Daher sei die abgegebene Menge zu schätzen gewesen. Zu diesem Zweck habe die Behörde aus den für 1969 bis 1973 beim zuständigen Finanzamt zur Alkoholsonderabgabe einbekannten Losungen die Losung für den Bemessungszeitraum errechnet und der Steuerbemessung ein Drittel dieser Summe zugrunde gelegt, weil anzunehmen sei, daß Wein in dieser Menge entgeltlich an Letztverbraucher in W. abgegeben worden sei.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (die übrigen Bedenken haben sie im Hinblick auf das Erk. des VfGH VfSlg. 8099/1977 in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrecht erhalten).
II. Unter anderem aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens hat der VfGH von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §149 Abs2 und 3 WAO in der hier maßgeblichen Stammfassung eingeleitet. Mit Erk. vom 30. Jänner 1980, G107/78, 49/79, hat er festgestellt, daß die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz verfassungswidrig war, und ausgesprochen, daß sie nicht mehr anzuwenden ist.
III. Die Beschwerde ist gleichwohl nicht begründet.
1. Der VfGH hat die angefochtenen Bescheide grundsätzlich nach der im Zeitpunkt ihrer Erlassung bestehenden Rechtslage zu beurteilen. Die erst nach diesem Zeitpunkt in Kraft getretene Fassung der Nov. LGBl. 28/1978 hat daher außer Betracht zu bleiben. Daraus folgt, daß §149 WAO der Entscheidung ohne die infolge des Erk. G107/78, 49/79 unanwendbar gewordenen Abs2 und 3 zugrunde zu legen ist und an deren Stelle nicht die novellierte Fassung tritt.
§149 WAO spricht also nur aus, daß die Abgabe durch die Einreichung der Erklärung über die zugelassene Selbstbemessung festgesetzt gilt. Daneben ist jedoch auch §146 Abs1 WAO zu berücksichtigen. Nach dieser Bestimmung hat die Abgabenbehörde die Abgaben durch Abgabenbescheide festzusetzen, soweit die Abgabenvorschriften nichts anderes zulassen.
In ihrem Zusammenhalt ergeben diese Vorschriften, daß die Abgabenbehörde die Abgaben durch Bescheid festzusetzen hat, wenn der Abgabepflichtige die zugelassene Selbstbemessung nicht vornimmt und die Einreichung der hiefür erforderlichen Erklärung unterläßt. Daß die ua. auch dies ausdrücklich aussprechende (und die Möglichkeit der Bescheiderlassung zugleich unsachlich beschränkende) Bestimmung des §149 Abs3 WAO aufgehoben wurde, hat auf die Entscheidung des vorliegenden Beschwerdefalles bei sinnvoller Auslegung des verbliebenen Gesetzestextes keinen Einfluß. Man käme sonst zu dem unhaltbaren Ergebnis, daß die Abgabe endgültig in dem Betrag festgesetzt bliebe, mit der sie der Abgabepflichtige selbst bemessen hat.
Die Beschwerdeführer sind also ungeachtet der Verfassungswidrigkeit der angewendeten Vorschrift durch deren Anwendung nicht in ihren Rechten verletzt worden.
Es ist daher auf das Beschwerdevorbringen näher einzugehen und zu prüfen, ob ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht verletzt wurde.
2. Die Beschwerdeführer erachten sich im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter deshalb verletzt, weil ihnen auch bereits verjährte Abgabenbeträge vorgeschrieben worden seien.
Die erste zur Geltendmachung des Abgabenanspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung sei ein Schreiben des Magistrates vom 8. Jänner 1975 gewesen; vorangegangene Zuschriften hätten nur die Besteuerung einzelner Geschäftsfälle betroffen. Die dreijährige Frist für die Festsetzungsverjährung sei daher für Getränkeabgaben der Jahre 1969, 1970 und 1971 bereits abgelaufen gewesen. §7 GetrStG, wonach für angemeldete Getränkeabgaben die Steuer zu entrichten sei, sage nichts über die Fälligkeit der Steuer für Getränkeabgaben, die nicht angemeldet worden seien. Diese träte erst nach Ablauf eines Monates nach Bekanntgabe des Abgabenbescheides ein. Mangels Fälligkeit sei daher nicht eine (fünfjährige) Einhebungs-, sondern nur die (dreijährige) Bemessungsverjährung gelaufen.
In der Tat geht der VfGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wird, wenn die Behörde eine Strafbefugnis in Anspruch nimmt, die ihr wegen eingetretener Verfolgungsverjährung nicht mehr zukommt (VfSlg. 3093/1956, 6749/1972, 7118/1973, 7192/1973, 7205/1973, 8092/1977 und 8273/1978). Diese Rechtsprechung kann jedoch nicht auf die Verjährung von Abgabenschuldigkeiten übertragen werden.
Aus §31 Abs1 VStG, wonach die Verfolgung einer Person unzulässig ist, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung vorgenommen worden ist, hat der Verfassungsgerichtshof abgeleitet, daß der Behörde die Zuständigkeit zur Durchführung eines Verwaltungsstrafverfahrens nach Ablauf der Verjährungsfrist schlechthin entzogen ist und die Inanspruchnahme der Strafbefugnis daher ihre Zuständigkeit überschreitet. Dieser Vorschrift können die Bestimmungen über die Verjährung im Abgabenrecht aber nicht gleichgestellt werden. Nur der einer Strafverfolgung Ausgesetzte hat jenes Unwerturteil über sein Verhalten zu befürchten, das mit jeder Strafe begrifflich verbunden ist und schon von Verfassungs wegen nur unter eingeschränkten Voraussetzungen gefällt werden darf. Dagegen ist nichts ersichtlich, was Anlaß gäbe, in den Verjährungsbestimmungen des Abgabenrechtes etwas anderes als eine (negative) materielle Voraussetzung für die Bemessung oder Einhebung von Abgaben zu sehen. Eine unrichtige Beurteilung der Verjährungsfrage im Abgabenrecht stellt daher keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dar.
Das Vorbringen der Beschwerde ist mithin nur Anlaß, das Vorgehen der Behörde unter dem Blickwinkel des Eigentums- und des Gleichheitsrechtes auf seine Denkmöglichkeit und das Fehlen von Willkür zu prüfen.
3. Dabei ist davon auszugehen, daß die Abgabenbehörde bereits am 28. Dezember 1973 ein Schreiben an die Beschwerdeführer gerichtet hat, worin ihnen vorgehalten wird, sie gäben Wein an Letztverbraucher in W. entgeltlich ab, sodaß eine Getränkesteuerpflicht in W. entstanden sei, und sie um Mitteilung ersucht werden, ob und wo die Steuer entrichtet werde. In dieser Amtshandlung einen zur Unterbrechung der Verjährung führenden Akt zu sehen, ist offenkundig weder denkunmöglich noch Willkür.
Auch die Auffassung, im vorliegenden Fall einer Selbstbemessungsabgabe sei die fünfjährige Einhebungsverjährung nach §184 WAO maßgeblich, ist nicht einer Gesetzlosigkeit gleichzuhalten. Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, aus Wortlaut und Sinn des §184 ("... Recht, eine fällige Abgabe einzuheben ...") im Zusammenhalt mit §157 WAO ("nach Bekanntgabe des Abgabenbescheides fällig") abzuleiten, daß jene Abgaben, deren Fälligkeit ohne Bemessung eintritt, nur der Einhebungsverjährung unterliegen (vgl. die Rechtsprechung des VwGH in Zollsachen, Erk. Z 1737/61 Slg. 2972/F ÖStZB 1964, 64; Z 629/63 ÖStZB 1964, 138; Z 1216/63 ÖStZB 1964, 213 und Z 898/72 Slg. 4584/F ÖStZB 1974, 46) und die Bemessung solcher Abgaben nur mehr eine Durchsetzungsmaßnahme ist (vgl. Reeger - Stoll, Kommentar zur Bundesabgabenordnung, S 685). Dabei wird offenbar unterstellt, daß eine besondere Bemessungsverjährung nur dann eintreten soll, wenn erst die Bemessung die Fälligkeit der Abgabe herbeiführt und damit die Frist der Einhebungsverjährung in Lauf setzt. Ob diese Auffassung richtig ist oder Bemessungs- und Einhebungsverjährung auch nebeneinander laufen können (wie Stoll, Das Steuerschuldverhältnis, S 145 ff., meint), sodaß nach eingetretener (kürzerer) Bemessungsverjährung auch eine bereits fällig gewesene Abgabenschuld nicht mehr eingehoben werden kann, wenn der Schuldner die gebotene Selbstbemessung unterlassen hat, während der (längeren) Einhebungsverjährung unterworfen bleibt, wer die Selbstbemessung vorgenommen hat, ist keine in die Verfassungssphäre reichende Frage.
Steuerpflichtig ist nach §5 Abs1 GetrStG, wer steuerpflichtige Getränke entgeltlich abgibt. Die Steuerschuld entsteht nach §6 mit dem Zeitpunkt der Abgabe des Getränkes. Nach §7 hat der Steuerpflichtige bis zum zehnten Tag eines jeden Monats die Getränke, für die im Vormonat eine Steuerschuld entstanden ist, beim Magistrat nach Art, Menge und Kleinhandelspreisen anzumelden und die Steuer dafür zu entrichten.
Es ist nicht denkunmöglich, wenn die Behörde annimmt, daß mit diesem Zeitpunkt die Steuer fällig ist. Daß die in §7 umschriebene Pflicht nur Unternehmen mit dem Sitz in W. treffen könnte, ergibt sich weder aus dem genannten Erk. des VfGH (VfSlg. 8099/1977) noch aus der von den Beschwerdeführern angezogenen Rechtsprechung des VwGH. Der VfGH hat vielmehr ausdrücklich festgestellt, daß (beispielsweise) die in der Durchführungsverordnung zum Getränkesteuergesetz vorgesehene Pflicht zur Ausstellung von Rechnungen oder Verwendung von Stempelmarken für den Fall der Abgabe des Getränkes in W. auch auswärtigen Unternehmen vorgeschrieben werden könne. Er hat lediglich offengelassen, ob und welche Aufzeichnungs- und Buchführungspflichten einen außerhalb der Gemeinde ansässigen Unternehmer treffen. In dem von den Beschwerdeführern für ihre Ansicht ins Treffen geführten Erk. vom 9. Oktober 1978, Z 2731/77, 963/78, pflichtet der VwGH zwar der Meinung bei, es widerspräche der Kompetenz einer Gebietskörperschaft, über ihre territoriale Zuständigkeit hinaus ein Unternehmen zur Verpflichtung zu verhalten oder im Wege der besonderen Steueraufsicht über ihre Zuständigkeit hinaus tätig zu werden, weist aber zugleich darauf hin, daß eine solche Vorgangsweise gar nicht behauptet worden sei. Für die Pflicht zur Anmeldung, Bemessung und Entrichtung der auf Getränkeabgaben im Gebiete der Gemeinde W. gelegten Steuer ergibt sich aus diesen Ausführungen nichts. Denn diese Pflicht knüpft an ein Verhalten im Gebiet der Gemeinde W. und daher an einen Sachverhalt an, der in die territoriale Zuständigkeit des Landesgesetzgebers fällt. Der Anwendung dieser Vorschriften auf Unternehmen mit auswärtigem Sitz steht daher nichts entgegen.
Auch unter diesem Gesichtspunkt sind also die Beschwerdeführer in keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden. Die Berechtigung der Behörde, die Höhe der Abgabe im Schätzungswege zu ermitteln, wird in der Beschwerde ebensowenig bezweifelt wie die gewählte Schätzungsmethode. Auch der VfGH hat bei der gegebenen Sachlage gegen die Vorgangsweise der Behörde keine Bedenken. Ihre Richtigkeit zu prüfen ist Aufgabe des VwGH.
Eine vom VfGH wahrzunehmende Rechtswidrigkeit liegt mithin nicht vor.
Die Beschwerde ist folglich abzuweisen.
Schlagworte
VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / Feststellung Wirkung, Finanzverfahren, Selbstbemessung (Finanzverfahren), Verjährung, Getränkesteuer Wien, Fälligkeit einer Abgabe, VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1980:B267.1977Dokumentnummer
JFT_10199678_77B00267_00