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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BDG 1979 §126 Abs1 idF 1998/I/123;Rechtssatz
Das Disziplinarrecht dient nicht dazu, die sachliche, in gebotener Form vorgetragene Kritik an tatsächlichen oder - aus der Sicht des Kritisierten - nur vermeintlichen Missständen zu verhindern, weil das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nicht nur für "Nachrichten" oder "Ideen" gilt, die ein positives Echo haben oder die als unschädlich oder gleichgültig angesehen werden, sondern auch für solche, die provozieren, schockieren oder stören. Dies ergibt sich aus den Erfordernissen des Pluralismus, der Toleranz und der Großzügigkeit, ohne die eine "demokratische Gesellschaft" nicht bestehen kann. Die Freiheit der Meinungsäußerung, die in Art. 10 MRK verankert ist, unterliegt einer Reihe von Ausnahmen, die jedoch eng ausgelegt werden müssen, wobei überzeugend nachgewiesen werden muss, warum die Einschränkungen erforderlich sind (vgl. E VwGH vom 28.7.2000, Zl. 97/09/0106, die Urteile des EGMR vom 26.9.1995, Zl. 7/1994/454/535, im Fall Vogt gegen Deutschland, und vom 25.11.1997, Zl. 121/1996/740/939, im Fall Grigoriades gegen Griechenland; sowie auch VfSlg 13694/1994 und VfSlg 14316/1995). Im Einzelfall kann es durchaus notwendig und geboten sein, zur Erreichung der in Art. 10 Abs. 2 MRK angeführten Ziele einem Beamten gegenüber das Verbot auszusprechen, zu bestimmten Fragen öffentlich Stellung zu nehmen. Eine solche Verpflichtung des Beamten ergibt sich im Übrigen schon aus der in Art. 20 Abs. 3 B-VG und § 46 BDG 1979 normierten Pflicht zur Wahrung der Amtsverschwiegenheit, deren Umschreibung in den angeführten Bestimmungen das Gebot zur Geheimhaltung im Interesse "der auswärtigen Beziehungen" ausdrücklich nennt. (Vgl. zum Verhältnis zwischen Pflicht zur Wahrung der Amtsverschwiegenheit und Meinungsäußerungsfreiheit VfSlg 6288/1970 und 9657/1983.)
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001090035.X12Im RIS seit
22.12.2004Zuletzt aktualisiert am
23.06.2016