TE Vfgh Erkenntnis 1980/5/9 B189/79

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Veröffentlicht am 09.05.1980
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Index

20 Privatrecht allgemein
20/05 Wohn- und Mietrecht

Norm

MietenG §1 Abs4 idF BGBl 281/1967
VfGG §87 Abs2

Beachte

ebenso Erk. B92/80 v. 18. Juni 1980

Leitsatz

Mietengesetz; keine Bedenken gegen §1 Abs4; Unterstellung eines gleichheitswidrigen Inhaltes; Gleichheitsverletzung

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) Die österreichischen Bundesbahnen (künftig: ÖBB) sind Eigentümer des Grundstückes Nr. 1502/42, KG L., erliegend in der Eisenbahnbucheinlage für die Kaiser Ferdinand-Nordbahn, Verzeichnis I. Mit Bestandvertrag vom 4. und 9. Juni 1971 wurden dem Beschwerdeführer von den ÖBB drei Räume des auf diesem Grundstück bestehenden sogenannten Waaghauses Nr. 5 auf unbestimmte Zeit vermietet.

Auf dem Teil des Geländes, auf dem sich auch das Bestandobjekt befindet, den sogenannten Kohlenhöfen, liegen Stichschienen, die vom eigentlichen Bahnhofgelände abzweigen, um den dort ansässigen Betrieben einen Umschlag schwerer Güter zu ermöglichen. In dem Bestandobjekt wird vom Beschwerdeführer ein Gasthaus zur Versorgung der auf dem Gelände befindlichen Betriebe und der sonstigen Umgebung geführt.

Mit Schreiben vom 9. Mai 1978 teilten die ÖBB dem Beschwerdeführer mit, daß eine Kündigung seines Bestandvertrages erforderlich sei, da das Grundstück, auf welchem sich das Bestandobjekt befinde, für U-Bahn-Bauarbeiten benötigt werde. Mit einem nachfolgenden Schreiben vom 30. Mai 1978 wurde dieses dahin berichtigt, daß das Grundstück wohl nicht für U-Bahn-Bauarbeiten, jedoch für städtebauliche Maßnahmen der Gemeinde Wien benötigt werde.

b) In der Folge wurde der Bestandvertrag des Beschwerdeführers von den ÖBB unter Berufung auf §1 Abs4 Mietengesetz (MG) gerichtlich aufgekündigt. Der Beschwerdeführer erhob dagegen Einwendungen, bestritt das Vorliegen der Voraussetzungen des §1 Abs4 MG und brachte vor, daß die Kündigung lediglich einer kommerziellen Verwertung der Liegenschaft diene und damit ein etwa früher gegebener Zusammenhang mit dem Bahnbetrieb gelöst worden sei.

c) Aufgrund dieser Einwendungen stellten die ÖBB gem. §1 Abs4 MG beim Bundesministerium für Verkehr den Antrag festzustellen, daß das vermietete Grundstück seiner Zweckbestimmung nach mit dem Betrieb der Eisenbahn im Zusammenhang stehe.

In diesem Verwaltungsverfahren bestritt der Beschwerdeführer neuerlich, daß das von ihm gemietete Bestandobjekt seiner Zweckbestimmung nach mit dem Betrieb der Eisenbahn im Zusammenhang stehe. Wie sowohl aus dem Schreiben der ÖBB vom 30. Mai 1978 als auch aus einem Zeitungsbericht vom Juni 1978 hervorgehe, solle das Areal entlang der L-straße, darunter die sogenannten Kohlenhöfe, nicht für Bahnzwecke, sondern nur deshalb freigemacht werden, damit die ÖBB diese Liegenschaften privatwirtschaftlich besser verwerten könnten. Wie sich aus dem Zeitungsbericht ergebe, beabsichtigten die ÖBB, das Grundstück an eine neue Gesellschaft, an der zwei Baufirmen und die W. E. Realitätengesellschaft mbH oder E. Bau-Immobilienmakler- und Werbeges. mbH beteiligt seien, zu verkaufen.

Vom Beschwerdeführer wurde zum Nachweis dafür beantragt, Beweis durch Beischaffung der Vorverträge der projektierten Veräußerungsgeschäfte und der Akten des Bundesministeriums für Verkehr über die Auflassung der Schienenanlagen betreffend die Kohlenhöfe zu erheben.

d) Mit Bescheid vom 19. März 1979, Z EB 26376-3-II/2-1979, stellte der Bundesminister für Verkehr fest, daß das von den ÖBB an den Beschwerdeführer vermietete Bestandobjekt seiner Zweckbestimmung nach mit dem Eisenbahnbetrieb im Zusammenhang stehe.

Zur Begründung wird ausgeführt, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, daß die gegenständliche Bestandfläche im Bahnhofs- und Gleisanlagenbereich des Bahnhofes W. Nord liege, wie aus dem Auszug aus dem Eisenbahnbuch und Lageplan eindeutig zu entnehmen sei. Bei dieser Sachlage habe kein Zweifel darüber bestanden, daß der Mietgegenstand ursprünglich dem Eisenbahnbetrieb zu dienen bestimmt gewesen sei. Die Auffassung des Antragsgegners (des nunmehrigen Beschwerdeführers), daß ein Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb schon deshalb nicht gegeben sei, weil die ÖBB beabsichtigen, das Grundstück an eine neue Gesellschaft zu verkaufen und bereits teilweise Schienen abgetragen hatten, gehe ins Leere, da es nach ständiger Judikatur des VwGH für eine Entscheidung gem. §1 Abs4 MG einzig und allein auf die ursprüngliche Zweckbestimmung des Grundstückes ankomme. Ebensowenig sei der "Wiederbedarf für eigentliche Bahnzwecke" eine für die Entscheidung erforderliche Voraussetzung. Aus diesen Gründen seien auch sämtliche Beweisanträge nicht zu berücksichtigen gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Aufhebung des §1 Abs4 MG wegen Verfassungswidrigkeit beantragt wird. Für den Fall der Abweisung wird die Abtretung der Beschwerde an den VwGH begehrt.

Die belangte Behörde und die ÖBB als Beteiligte haben Gegenschriften erstattet und die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. §1 Abs4 MG begünstige Eisenbahnbetriebe als Vermieter unter der Voraussetzung, daß sich die Bestandobjekte auf Eisenbahngrundstücken befänden und nach ihrer Zweckbestimmung mit dem Betrieb der Eisenbahn im Zusammenhang stünden. Der angefochtene Bescheid gehe auf die strittige Frage, ob die dem Beschwerdeführer vermieteten Räume nach ihrer Zweckbestimmung mit dem Betrieb der Eisenbahn im Zusammenhang stünden, überhaupt nicht ein. Die belangte Behörde meine unter Hinweis auf die Rechtsprechung des VwGH, daß einzig und allein die ursprüngliche Zweckbestimmung des Bestandobjektes wesentlich sei, ohne weitere Überlegungen darüber anzustellen, was zu geschehen habe, wenn diese ursprüngliche Zweckbestimmung bereits weggefallen sei. Die belangte Behörde gehe allerdings offenbar selbst davon aus, daß im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides dieser Zusammenhang nicht mehr bestanden habe. Weder der VwGH noch der VfGH habe sich jedoch bisher mit einem derartigen Fall beschäftigt.

Die ÖBB seien ein privates Rechtssubjekt; wenn man ihnen zubilligen würde, daß die in ihrem Eigentum stehenden Liegenschaften von den Bestimmungen des Mietengesetzes auch dann ausgenommen seien, wenn diese in keinem wie immer gearteten Zusammenhang mit dem Eisenbahnverkehr stünden, würde dies ein sachlich nicht gerechtfertigtes Privileg darstellen. Eine solche Gesetzesbestimmung würde gegen den Gleichheitssatz verstoßen. Die Gesetzesstelle wäre in diesem Falle verfassungswidrig.

b) Die belangte Behörde beruft sich auf die ständige Rechtsprechung des VwGH (VwGH 22. 1. 1954 Z 1556/52, 20. 9. 1960 Z 1669/59, 11. 1. 1968 Z 1152/67, 23. 6. 1971 Z 1634/63), wonach es für die Frage, ob bei Bestandobjekten, die sich auf Eisenbahngrundstücken befinden, nach ihrer Zweckbestimmung ein Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb bestehe, ausschließlich auf die ursprüngliche Planung und Zweckbestimmung des Bestandobjektes ankomme. Nach dem Sinn und Wesen der in Frage stehenden Bestimmung sei es auch nicht entscheidend, ob das Bestandobjekt während der Dauer des Bestandverhältnisses dem Bahnbetrieb dient. Gegenstand des verwaltungsbehördlichen Verfahrens könne auch nicht die Frage der Entbehrlichkeit des Objektes, dh. die Wiederbedarfsfrage sein (VwGH 20. 9. 1960 Z 1669/59).

Ausgehend von dieser Rechtsprechung des VwGH ist die belangte Behörde der Ansicht, daß die Ausführungen des Beschwerdeführers, wonach ein Zusammenhang des Bestandobjektes mit dem Eisenbahnbetrieb nicht mehr gegeben sei, ins Leere gehen.

2. a) Eine Verletzung des Gleichheitssatzes kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (VfSlg. 6981/1973) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der dem Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschrift einen Inhalt unterstellt, der - hätte ihn die Vorschrift - ihre Gleichheitssatzwidrigkeit bewirken würde, oder wenn die belangte Behörde Willkür geübt hätte.

b) §1 Abs4 MG lautet:

"Auf Räume der in Abs1 bezeichneten Art, die sich auf Eisenbahngrundstücken oder Flugplätzen befinden und die nach ihrer Zweckbestimmung mit dem Betrieb der Eisenbahn und des Flugplatzes im Zusammenhang stehen, finden die Bestimmungen der §§2 bis 18a keine, die Kündigungsbeschränkungen (§§19 bis 23) nur insofern Anwendung, als der Mieter den Mietgegenstand mindestens seit dem 1. August 1914 innehat. Ob der Zusammenhang mit dem Betrieb der Eisenbahn oder des Flugplatzes besteht, entscheidet im Zweifel das Bundesministerium für Verkehr und verstaatlichte Unternehmungen."

Da im Beschwerdefall das Bestandobjekt im Jahre 1971 gemietet wurde, ist die Rechtslage maßgeblich, die für Bestandobjekte gilt, die nach dem 1. August 1914 gemietet wurden.

Zu der für solche Bestandverhältnisse maßgeblichen Regelung hat der VfGH schon mit Erk. VfSlg. 4144/1962 und neuerlich mit Erk. VfSlg. 5499/1967 aus der Sicht der damaligen Beschwerdefälle ausgesprochen, daß gegen §1 Abs3 (seit dem Bundesgesetz BGBl. 281/1967: Abs4) MG verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestehen. Diese Bestimmung beruhe nämlich offenkundig auf der Erwägung, das öffentliche Interesse an einem geregelten Bahnbetrieb erfordere die möglichst ungeschmälerte Verfügungsfreiheit der Bahnverwaltung über Mietgegenstände auf Eisenbahngrundstücken. Hinsichtlich des geforderten Zusammenhanges mit dem Eisenbahnbetrieb spreche allein schon der Umstand, daß die Gesetzesbestimmung von vermieteten Eisenbahngrundstücken handle - wobei es sich um Mieten von sehr langer Dauer handeln könne -, dafür, daß im Moment der Auflösung des Mietvertrages ein aktueller Zusammenhang mit dem Bahnbetrieb nicht zu bestehen braucht und es genügt, wenn ein solcher erst hergestellt werden soll. Auch der VwGH habe schon mit Erk. vom 22. Jänner 1954 Z 1556/52 ausgesprochen, daß es nach Sinn und Wesen der gesetzlichen Bestimmung nicht darauf ankommen könne, ob der Mietgegenstand während der Dauer des Bestandverhältnisses dem Eisenbahnbetrieb diente, es müsse vielmehr auf die ursprüngliche Planung und Zweckbestimmung des Grundstückes ankommen.

Auch unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles sind Bedenken gegen die Norm nicht entstanden.

Der Zusammenhang der Ausführungen des Erk. VfSlg. 5499/1967 zeigt, daß der VfGH die Rechtsprechung des VwGH schon damals nicht dahin verstanden hat, daß der Hinweis auf die Maßgeblichkeit der ursprünglichen Planung und Zweckbestimmung nicht die absolute Unmaßgeblichkeit des Verwendungszweckes während der Bestanddauer zum Ausdruck bringen soll. Der VfGH hat der Ansicht des VwGH nur mit der Maßgabe beigepflichtet, daß ein Zusammenhang "erst hergestellt werden soll". Der VfGH hat hiemit gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, daß es weder auf die vorübergehende Verwendung des Bestandobjektes noch auf einen eventuell aktuellen Wiederbedarf ankommt, daß aber der Zusammenhang eines Bestandobjektes mit dem Eisenbahnbetrieb nach §1 Abs4 MG die Möglichkeit der zweckgebundenen Wiederverwendung voraussetzt.

Die von der belangten Behörde gewählte Auslegung würde §1 Abs4 MG einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellen:

Nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes geht es allein um die Freiheit der Bahnverwaltung, über den Mietgegenstand für Zwecke der Bahnbetriebe zu verfügen. Der erforderliche Zusammenhang mit dem Bahnbetrieb mag daher ein zwar noch so loser sein (die Regierungsvorlage 723 BlgNR, I. GP, nennt ausdrücklich Bahnhofsrestaurationen und Magazine, Lagerplätze und Kohlenrutschen), muß aber jedenfalls zwischen dem Bahnbetrieb und dem Mietobjekt selbst herstellbar bestehen, also den unmittelbaren Bestimmungszweck der Sache bilden. Rein wirtschaftliche Zusammenhänge genügen hiefür nicht.

Geht es aber um die unmittelbare Verwendung für den Bahnbetrieb (im weitesten Sinn), dann kann es nicht ausschließlich auf den Zeitpunkt der seinerzeitigen Widmung ankommen. Da die Regelung die Wiederverwendung für solche Zwecke gewährleisten soll, wäre eine Auslegung, nach der es auf die Möglichkeit der Wiederverwendung gar nicht ankäme, unsachlich und daher gleichheitswidrig.

Da die belangte Behörde §1 Abs4 MG einen solchen - gleichheitswidrigen - Inhalt unterstellt hat und diesem folgend die Behauptungen des Beschwerdeführers, daß ein Zusammenhang des in Frage stehenden Bestandobjektes mit dem Eisenbahnbetrieb nicht mehr besteht, ohne Prüfung der Richtigkeit übergangen hat, wurde der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

3. Bei diesem Ergebnis war es nicht erforderlich, auf das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen.

4. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben. Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren von der verfassungskonformen Auslegung des §1 Abs4 MG auszugehen haben.

Schlagworte

Mietenrecht, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Sachentscheidung Wirkung, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B189.1979

Dokumentnummer

JFT_10199491_79B00189_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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