TE Vfgh Erkenntnis 2006/3/15 B205/05

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Veröffentlicht am 15.03.2006
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Index

63 Allgemeines Dienst- und Besoldungsrecht
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
BDG 1979 §43, §94

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Aufhebung eines Beschlusses der Berufungskommission betreffend die Nichteinleitung eines Disziplinarverfahrens; keine denkunmögliche Verneinung des Eintritts der Verjährung, keine Willkür

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer steht als Oberrat in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Seine Dienststelle ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit.

Am 23. August 2004 erstattete das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit bei der bei diesem Bundesministerium eingerichteten Disziplinarkommission gegen den Beschwerdeführer Disziplinaranzeige wegen des Verdachts von Verstößen gegen allgemeine Dienstpflichten im Sinne des §43 Abs1 und 2 und des §44 Abs1 BDG.

2. Mit Bescheid vom 1. Oktober 2004 entschied die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, dass ein Disziplinarverfahren wegen Verfolgungsverjährung nicht eingeleitet werde.

Gegen diesen Bescheid erhob die Disziplinaranwältin Berufung, der mit Bescheid der Berufungskommission beim Bundeskanzleramt vom 30. Dezember 2004 Folge gegeben wurde; der Bescheid der Diziplinarkommission, dem zu Folge hinsichtlich des Beschwerdeführers ein Disziplinarverfahren nicht eingeleitet wird, wurde aufgehoben. Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass die Dienstbehörde erst zu einem späteren Zeitpunkt als von der erstinstanzlichen Behörde angenommen, zu einem auf sicherer Grundlage beruhenden Wissen über Tatsachen gelangt sei, die zur Annahme des nunmehr angezeigten disziplinären Verhaltens berechtigten, sodass Verjährung im Sinne des §94 Abs1 Z1 BDG nicht eingetreten sei.

3. Gegen diesen (Berufungs-)Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird. Im Wesentlichen bringt der Beschwerdeführer dazu vor, dass die belangte Behörde vom Akteninhalt abgegangen sei und sein Vorbringen ignoriert hätte. Überdies sei unzulässiger Weise - obwohl es Disziplinaranzeigen gegen vier Bedienstete gegeben hätte, hinsichtlich derer die erstinstanzliche Behörde einen "Nichteinleitungsbeschluss" gefasst habe, - nur im Verfahren betreffend den Beschwerdeführer eine Berufung durch die Disziplinaranwältin erhoben worden. Weiters sei dem bekämpften Bescheid anzulasten, dass an seiner Erlassung ein befangenes Mitglied mitgewirkt habe; das brüske Verhalten dieses Mitgliedes dem Beschwerdeführer gegenüber mache deutlich, dass es voreingenommen gewesen sei.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde den angewendeten Rechtsvorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellte oder wenn sie bei der Erlassung des Bescheides Willkür übte.

Da der Verfassungsgerichtshof aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken hegt und die Bescheidbegründung keinen Anhaltspunkt für die Annahme liefert, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Darüber, welche Umstände gegeben sein müssen, damit einer Behörde Willkür anzulasten ist, lässt sich keine allgemeine Aussage treffen. Ob Willkür vorliegt, kann nur dem Gesamtbild des Verhaltens der Behörde im einzelnen Fall entnommen werden (zB VfSlg. 5491/1967, 6404/1971, 6471/1971, 8808/1980, 14.573/1996 uva.).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001 16.640/2002). Auch eine denkunmögliche Gesetzesanwendung kann Willkür indizieren (VfSlg. 9561/1982, 14.573/1996).

Keiner dieser Mängel liegt jedoch hier vor. Der Verfassungsgerichtshof vermag nicht zu erkennen, dass das Ermittlungsverfahren mit einem wesentlichen, in die Verfassungssphäre reichenden Mangel behaftet wäre; auch kann weder von einem gehäuften Verkennen der Rechtslage, noch von denkunmöglicher Gesetzesanwendung die Rede sein. Der Verfassungsgerichtshof erachtet insbesondere die Ansicht der belangten Behörde, dass Verjährung noch nicht eingetreten ist (wobei sie im Wesentlichen auf das Einlangen des "Rechnungshofrohberichts" abstellt), nicht als geradezu denkunmöglich. Inwieweit das Vorbringen, "die Disziplinaranwältin [hätte] ... nur in allen vier Fällen gemeinsam ein Berufung einbringen können oder in allen Fällen darauf verzichten müsse", die Gleichheitswidrigkeit des hier angefochtenen Bescheides begründen soll, ist unerfindlich.

2. Art83 Abs2 B-VG gewährleistet nicht die Gesetzmäßigkeit des Inhaltes des angefochtenen Verwaltungsaktes; vielmehr wird die Zuständigkeit der Behörde und damit das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch eine unrichtige behördliche Entscheidung oder durch die Verletzung einfachgesetzlicher Verfahrensvorschriften nicht berührt. Durch die bloße Mitwirkung eines befangenen Mitgliedes wird das zuletzt erwähnte Grundrecht nicht verletzt (s. VfSlg. 10.379/1985 mwH).

3. Ob der Entscheidung auch darüber hinaus eine in jeder Hinsicht richtige Gesetzesanwendung zu Grunde liegt, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch nicht in dem - hier vorliegenden - Fall, dass eine Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nicht in Betracht kommt (vgl. VfSlg. 14.807/1977 uva.).

4. Der Beschwerdeführer wurde sohin aus den in der Beschwerde vorgetragenen Erwägungen weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass dies aus anderen, in der Beschwerde nicht dargelegten Gründen der Fall gewesen wäre.

5. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Dienstrecht, Disziplinarrecht, Verjährung, Dienstpflichten, Disziplinarbehörden, Kollegialbehörde, Befangenheit, Behördenzusammensetzung, Einleitungsbeschluss

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B205.2005

Dokumentnummer

JFT_09939685_05B00205_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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