TE Vfgh Erkenntnis 1980/6/11 B359/77

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Veröffentlicht am 11.06.1980
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6650 Flurverfassung

Norm

B-VG Art7 Abs1
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
MRK Art6
StGG Art5
AVG §37
Nö FlVfLG 1975 §17, §17 Abs7

Leitsatz

Nö. Flurverfassungs-Landesgesetz; Erlassung des Zusammenlegungsplanes; kein Entzug des gesetzlichen Richters; keine Willkür; keine Eigentumsverletzung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründen:

I.1. Im Verfahren über die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Grundstücke in Niederleis hat der Landesagrarsenat beim Amt der Nö. Landesregierung (LAS), nachdem ein früheres Erk. vom 15. Jänner 1976 im Instanzenzug vom Obersten Agrarsenat (OAS) gem. §66 Abs2 AVG 1950 behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung zurückgewiesen worden war, mit Erk. vom 2. August 1977, Z VI/3-AO-665/29-1977, nochmals über die von den Beschwerdeführern gegen den Zusammenlegungsplan erhobene Berufung entschieden. Der Berufung wurde nunmehr keine Folge gegeben und der angefochtene Zusammenlegungsplan in Ansehung der Abfindung der Beschwerdeführer gem. §66 Abs4 AVG 1950 sowie §17 Flurverfassungs-Landesgesetz 1975 (FLG), LGBl. 6650-1, bestätigt.

Nach diesem Plan ist das Flächenausmaß der Abfindung der Beschwerdeführer um 6576 Quadratmeter kleiner als das Ausmaß der von ihnen eingebrachten Grundstücke. Diese Differenz erklärt sich aus einem Beitrag zu den gemeinsamen Anlagen gem. §13 Abs2 FLG und einem Flächenverlust zufolge einer Bonitätsverbesserung. Der Unterschied zwischen dem Wert des Altbesitzes nach Abzug des genannten Beitrages (21937,86 Punkte) und des Neubesitzes (21932,19 Punkte) beträgt 5,67 Punkte.

2. Gegen den Bescheid des LAS vom 2. August 1977 richtet sich die unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführer behaupten, durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein. "Zusätzlich" verweisen die Beschwerdeführer auf die Menschenrechtskonvention

(MRK).

Sie beantragen die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, für den Fall der Abweisung die Abtretung der Beschwerde an den VwGH.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Gegen den Bescheid des LAS vom 2. August 1977 ist, da er eine mit dem erstinstanzlichen Bescheid übereinstimmende Entscheidung enthält, gem. §7 Abs2 des Agrarbehördengesetzes 1950, BGBl. 1/1951, idF der Agrarbehördengesetznovelle 1974, BGBl. 476, eine weitere Berufung nicht zulässig. Der Instanzenzug ist erschöpft. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist die Beschwerde zulässig.

2. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH wird das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (s. zB VfSlg. 8053/1977). Ebenso liegt eine Verletzung dieses verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes dann vor, wenn der angefochtene Bescheid von einer Kollegialbehörde in einer unrichtigen personellen Zusammensetzung erlassen wurde (s. VfSlg. 7457/1977, 7293/1974 und 8268/1978).

Schließlich läge ein Verstoß gegen dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auch dann vor, wenn die belangte Behörde den unzuständigerweise erlassenen erstinstanzlichen Bescheid bestätigt hätte (VfSlg. 7122/1973).

b) Zur Begründung der behaupteten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verweisen die Beschwerdeführer auf §95 FLG in der für die Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides maßgebenden Fassung der Nov. LGBl. 221/1971; nach Abs5 dieser Bestimmung war das technische Operat vor der Erlassung ua. des Zusammenlegungsplanes von der Landesregierung hinsichtlich der Einhaltung der Vorschriften und stichprobenweise hinsichtlich der vermessungstechnischen und rechnerischen Richtigkeit zu überprüfen; das Ergebnis der Überprüfung war der Agrarbezirksbehörde mitzuteilen, die entsprechende Berichtigungen vorzunehmen hatte. "Dadurch, daß an der Entscheidung der ABB als I. Instanz der Bodenreform durch die Überprüfung des Amtes der Nö. Landesregierung eine in Sachen Bodenreform unzuständige Behörde mitgewirkt" habe, erachten "die BF die Entscheidung der ABB als eine von einer unrichtig zusammengesetzten Behörde ergangene Entscheidung, welche letztlich einer Verletzung des Rechtes auf den gesetzlichen Richter" gleichkomme.

Hiezu ist - wie der VfGH bereits im Erk. vom 1. Feber 1980 B84/77 ausgeführt hat - zu bemerken, daß die nicht mehr in Kraft stehende zitierte Bestimmung des §95 Abs5 FLG keine Anordnung enthielt, durch die eine Bindung der Agrarbezirksbehörde an das Ergebnis der Überprüfung der Landesregierung zum Ausdruck käme. Aus einem Vergleich mit der Fassung der bezughabenden Bestimmung vor dem Inkrafttreten der Nov. LGBl. 221/1971 (§95 Abs3 zweiter Satz Flurverfassungs-Landesgesetz, LGBl. 208/1934, wonach die Landeshauptmannschaft das Ergebnis der Überprüfung der Agrarbezirksbehörde mit gleichzeitigen Weisungen bekanntzugeben hatte) ergibt sich ebenfalls, daß §95 Abs5 idF der Nov. LGBl. 221/1971 keine Bindung der Agrarbezirksbehörde an das Ergebnis der Überprüfung vorsieht. Es erübrigt sich daher darauf einzugehen, ob und welche verfassungsrechtlichen Konsequenzen eine derartige Bindung allenfalls mit sich brächte.

Insoweit der Vorwurf der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auf §95 Abs5 FLG idF der Nov. LGBl. 221/1971 gestützt wird, trifft er nicht zu.

c) Nach dem weiteren Vorbringen in der Beschwerde liege eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die "bescheidmäßige Planauflage v. 25. 3. 74 insofern" vor, "als diesem Bescheid kein Parteiengehör vorangegangen" sei.

Als Parteiengehör könne "nur jene Maßnahme einer Behörde gewertet werden, wenn die Behörde der Partei die Möglichkeit" gäbe, "von dem Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und Stellung zu nehmen". Als Ausnahme von dieser Bestimmung könne nur die Vorschrift des §57 AVG 1950 herangezogen werden. Diese Bestimmung sei aber bei der Auflage des Zusammenlegungsplanes nicht herangezogen worden.

Abgesehen davon, daß nach den vorgelegten Verwaltungsakten die Beschwerdeführer - wie die übrigen Parteien des Verfahrens - vor der Erlassung des Zusammenlegungsplanes gehört wurden, hätte eine Mißachtung des Parteiengehörs nur die Verletzung einfachgesetzlicher Verfahrensvorschriften (§37 AVG 1950), nicht aber eine Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes, insb. nicht die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter zur Folge (vgl. VfSlg. 6808/1972).

d) Schließlich bringen die Beschwerdeführer vor, "daß die Zusammensetzung der Kollegialbehörde, des LAS, nicht den Intentionen des Bundesverfassungsgesetzgebers" entspreche. Aus den nicht klaren weiteren Ausführungen in der Beschwerde geht hervor, daß den Beschwerdeführern die Zusammensetzung der Landesagrarsenate, die über zivilrechtliche Ansprüche iS des Art6 Abs1 MRK und demnach als Tribunal zu entscheiden hätten, wegen der Mitwirkung verschiedener Sachverständiger (des landwirtschaftlichen, des agrartechnischen und des forsttechnischen Sachverständigen) "verfassungsrechtlich bedenklich" erscheine, weil diese "für ihr eigenes Gutachten bzw. gegen das Gutachten eines anderen Sachverständigen stimmen" müßten.

Hiezu ist darauf zu verweisen, daß Art12 Abs2 B-VG die Mitwirkung von Sachverständigen als Mitglieder der Agrarsenate ausdrücklich vorsieht (vgl. B84/77). Soweit von den Beschwerdeführern im Hinblick auf die Kompetenz der Landesagrarsenate, über zivile Rechte zu entscheiden, auf Art6 Abs1 MRK verwiesen wird, genügt die Feststellung, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 7574/1975) dem Erfordernis des Art6 MRK durch die Möglichkeit, die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes anzurufen, Genüge getan wird.

e) Zusammenfassend ergibt sich, daß die behauptete Verletzung der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht vorliegt.

3. a) Der VfGH hat schon im bereits zitierten Erk. B84/77 dargetan, daß verfassungsrechtliche Bedenken gegen die auch bei der Erlassung des hier angefochtenen Bescheides angewendeten Vorschriften nicht bestehen. Im Hinblick auf diese Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides könnte eine Verletzung des Gleichheitsrechtes nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH nur dann vorliegen, wenn die Behörde den angewendeten Rechtsvorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie Willkür geübt hätte.

b) Zur Begründung der behaupteten Gleichheitsverletzung bringen die Beschwerdeführer vor, daß der LAS in seinem Erk. vom 15. Jänner 1976 ein Abfindungsgrundstück einer anderen Partei zugewiesen, dieses aber im angefochtenen Erkenntnis "mit derselben Begründung wieder den nunmehrigen BF zugewiesen" habe.

Wenn für den LAS im Erk. vom 15. Jänner 1976 fachliche Gesichtspunkte für die Zuweisung einer Grundabfindung an eine andere Partei ausschlaggebend gewesen seien, diese Grundabfindung aber im angefochtenen Erkenntnis aufgrund derselben fachlichen Erwägungen wieder den Beschwerdeführern zugewiesen werde, so müsse "hier eine willkürliche Auslegung der Bestimmungen über die Bewertung der Grundstücke zugrunde liegen".

Mit dem weiteren (unklaren) Vorbringen wird behauptet, daß der Grundbesitz der Beschwerdeführer deshalb eine Verschlechterung erfahren hätte, weil ein Abfindungsgrundstück eine größere Längs- und Querneigung als ein früher zugewiesenes Grundstück aufweise und weil "mit der Wertarithmetik", die mit dem Gesetzesbegriff "tunlichst gleiche Beschaffenheit der Grundstücke" nichts zu tun habe, nicht "der endgültige Kommassierungserfolg, der ja dem Gesetz vorschwebt" erreicht werden könne.

c) Bei der Erlassung des angefochtenen Zusammenlegungsplanes waren die Bestimmungen über die Bewertung der Grundstücke überhaupt nicht mehr anzuwenden. Nach dem rechtskräftigen und von den Beschwerdeführern auch nicht bestrittenen Ergebnis des Bewertungsplanes steht ihnen ein Anspruch auf Abfindung nach Abzug des Beitrages zu den gemeinsamen Anlagen mit 21937,86 Wertpunkten zu. Im Zusammenlegungsplan wurden ihnen Grundstücke im Wert von 21 21932,19 Wertpunkten zugewiesen, sodaß die Differenz 5,67 beträgt und damit weit unter dem nach §17 Abs7 FLG zulässigen Ausmaß (bis zu 5 vH des Abfindungsanspruches) liegt (I.1.). Ein Anhaltspunkt, daß die belangte Behörde den bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat - was von den Beschwerdeführern auch gar nicht behauptet wird - ist im Verfahren vor dem VfGH nicht hervorgekommen.

Im übrigen kann es dahingestellt bleiben, ob die Behauptungen der Beschwerdeführer über den Wert und die Eigenschaften ihrer Abfindungsgrundstücke zutreffen. Im Hinblick auf das angeführte Ergebnis des Zusammenlegungsplanes vermag der VfGH in der Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides durch den LAS keinen Umstand zu erblicken, mit dem ein willkürliches Vorgehen der belangten Behörde begründet werden könnte. Ob dem Beschwerdeführer die Abfindung in richtiger Anwendung des Gesetzes zugewiesen wurde, hat der VfGH jedoch nicht zu prüfen.

Die Beschwerdeführer sind im Gleichheitsrecht offenkundig nicht verletzt worden.

4. Im Eigentumsrecht könnten die Beschwerdeführer bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides nur verletzt worden sein, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte, was nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfSlg. 7409/1974).

Die Beschwerdeführer bringen vor, daß im angefochtenen Bescheid auf den Umstand nicht Bedacht genommen worden sei, daß aufgrund eines Übergabsvertrages mit der im Eigentum der Beschwerdeführer stehenden Liegenschaft die Verpflichtung zur Erhaltung der "Cholera-Capelle" verbunden sei.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Behauptungen der Beschwerdeführer zutreffen. Der VfGH ist der Auffassung, daß allein schon bei der von der belangten Behörde vorgenommenen Berechnung der Abfindung der Beschwerdeführer (I.1.) eine denkunmögliche Anwendung des Gesetzes durch die belangte Behörde ausgeschlossen werden kann. Die Ermittlung dieser Abfindung ist jedenfalls keineswegs so fehlerhaft, daß sie einer Gesetzlosigkeit gleichzuhalten wäre.

Die Beschwerdeführer sind im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums offenkundig nicht verletzt worden.

5. Die Verletzung eines sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes ist von den Beschwerdeführern nicht behauptet worden und im Verfahren vor dem VfGH nicht hervorgekommen.

Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides sind die Beschwerdeführer auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Parteiengehör, VfGH / Prüfungsmaßstab, Agrarbehörden, Bodenreform, Flurverfassung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B359.1977

Dokumentnummer

JFT_10199389_77B00359_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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