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L0 Verfassungs- und OrganisationsrechtNorm
B-VG Art26Leitsatz
Ktn. Landtagswahlordnung 1974; Streichung aus dem Wählerverzeichnis einer Gemeinde; Entzug des gesetzlichen Richters; Verletzung des Wahlrechtes durch wesentliche VerfahrensmängelSpruch
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1.a) Die Gemeindewahlbehörde B./Bezirk Spittal an der Drau/Ktn. hat mit Schreiben vom 17. September 1979 den Beschwerdeführer gem. §29 Abs2 der Ktn. Landtagswahlordnung 1974, LGBl. 191, idF der Nov. LGBl. 49/1979 (im folgenden kurz: LWO), verständigt, daß diese Behörde in ihrer Sitzung vom 14. September 1979 einstimmig beschlossen habe, einem Einspruch gegen seine (des Beschwerdeführers) Aufnahme in das Wählerverzeichnis der Gemeinde B. stattzugeben. Diese Entscheidung wurde lediglich damit begründet, daß der Beschwerdeführer "im Sinne des §17 Abs3 der Landtagswahlordnung 1974 den ordentlichen Wohnsitz nicht in der Gemeinde B. begründen könne".
b) Die Bezirkswahlbehörde Spittal an der Drau hat mit Bescheid vom 24. September 1979 der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gem. §31 Abs2 iVm §23 Abs1 und 2 LWO nicht stattgegeben und ausgesprochen, daß der Beschwerdeführer daher aus dem Wählerverzeichnis der Gemeinde B. für die Landtagswahl 1979 zu streichen sei.
Der Bescheid der Bezirkswahlbehörde wird wie folgt begründet:
"Gemäß §23 Abs1 und 2 der Landtagswahlordnung ist jeder Wahlberechtigte in das Wählerverzeichnis des Ortes bzw. der Gemeinde einzutragen, wo er am Stichtag seinen ordentlichen Wohnsitz hat. Sofern ein Wahlberechtigter am Wahlstichtag in mehreren Gemeinden einen Wohnsitz hat, ist er in das Wählerverzeichnis der Gemeinde einzutragen, in der er am Stichtag tatsächlich gewohnt hat. Der ordentliche Wohnsitz im Sinne des Wählerevidenzgesetzes ist an dem Orte begründet, an dem sich eine Person in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, ihn bis auf weiteres zum Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu wählen.
Der eingebrachten Berufungsschrift ist konkret nicht zu entnehmen, daß der ordentliche Wohnsitz in B. begründet sei, sondern es wurde in der Begründung lediglich darauf hingewiesen, daß Herr G. bereits anläßlich der Gemeinderatswahl und der Nationalratswahl 1979 im Wählerverzeichnis der Gemeinde B. aufgenommen war und seine Wohnverhältnisse sich inzwischen nicht geändert haben. Im Zuge der amtlichen Ermittlung wurde festgestellt, daß Herr und Frau G. in S., U-straße 5, wohnhaft und ebenda beruflich tätig sind. Seinen eigenen Angaben gegenüber der Ermittlungsbehörde zufolge lebt im eigenen Haushalt noch ein siebenjähriges Kind, das in S. die Volksschule besucht und tagsüber im Hinblick auf die Berufstätigkeit beider Elternteile von der ebenfalls in S. wohnenden Schwiegermutter des Berufungswerbers beaufsichtigt wird. Abendlich wird das Kind in die elterliche Wohnung wieder zurückgebracht.
Aus den vorangeführten Tatsachen mußte die Bezirkswahlbehörde als Berufungsbehörde zur Ansicht gelangen, daß der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen und somit der ordentliche Wohnsitz als in S. gelegen zu betrachten sei."
2. Gegen diesen Bescheid der Bezirkswahlbehörde Spittal an der Drau wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Wahlrechtes (zum Ktn. Landtag) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Der administrative Instanzenzug ist erschöpft (§31 Abs2 letzter Satz LWO).
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
2. a) Der Beschwerdeführer wäre im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter ua. dann verletzt worden, wenn die erstinstanzliche Wahlbehörde (eine Kollegialbehörde) in einer dem Gesetz nicht entsprechenden Zusammensetzung ihre Entscheidung gefällt und die belangte Behörde über die Berufung gegen diese Entscheidung, die sie wegen unrichtiger Zusammensetzung der Behörde hätte beheben müssen, meritorisch entschieden hätte (vgl. zB VfSlg. 6930/1972 und 8309/1978).
b) Ein derartiger Mangel liegt hier vor:
Die Sitzung der Gemeindewahlbehörde B., in der über den Einspruch gegen die Eintragung des Beschwerdeführers in das Wählerverzeichnis der Gemeinde B. beraten wurde, fand am 14. September 1979 um 19 Uhr statt. Die Einladungen zu dieser Sitzung wurden am 13. September 1979 zur Post gegeben. Bei der am 14. September 1979 stattgefundenen Sitzung waren außer dem Gemeindewahlleiter-Stellvertreter nur zwei Mitglieder und drei Ersatzmitglieder anwesend. Sechs Mitglieder waren nicht erschienen. Den im Verwaltungsakt erliegenden Rückscheinen (RSb) zufolge haben nur zwei der nicht anwesenden Mitglieder die Einladung persönlich, und zwar am 14. September 1979, übernommen; zwei Einladungen wurden an diesem Tag Angehörigen ausgefolgt; eine Einladung wurde erst am 17. September 1979 von der Gattin eines Mitgliedes übernommen; eine Einladung wurde erst am 17. September 1979 beim Postamt hinterlegt. Für die Ladung der Ersatzmitglieder fehlt im Verwaltungsakt jeder Beleg.
Zur Sitzung einer Kollegialbehörde müssen alle Mitglieder auf eine Art eingeladen werden, daß es ihnen bei gewöhnlichem Lauf der Dinge möglich ist, zum festgesetzten Termin zu erscheinen.
Wenn eine Einladung - wie hier - erst am Tag vor der Sitzung zur Post gegeben wird, ist nicht zu erwarten, daß alle Mitglieder von der Sitzung fristgerecht Kenntnis erlangen.
An der erwähnten Verpflichtung ändert nichts, daß der Behörde für ihre Entscheidung nur eine sehr kurze Frist eingeräumt war (§29 Abs1 LWO). Der Wahlleiter wäre auch in einem solchen Fall verpflichtet gewesen, auf geeignete Weise (etwa durch Einsatz eines Gemeindebediensteten) dafür zu sorgen, daß voraussichtlich alle Mitglieder zeitgerecht von der beabsichtigten Sitzung benachrichtigt werden.
c) Zur Sitzung der Gemeindewahlbehörde waren also nicht alle Mitglieder ordnungsgemäß eingeladen worden; es haben an der Sitzung zu Unrecht Ersatzmitglieder teilgenommen. Diesen Mangel hätte die belangte Behörde aufgreifen und die Entscheidung der Gemeindewahlbehörde wegen unrichtiger Zusammensetzung beheben müssen. Da sie dies unterlassen hat, hat sie den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
3. a) Das Wahlrecht zu den Landtagen ist durch Art95 iVm Art26 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleistet. Die rechtswidrige Nichteintragung in das Wählerverzeichnis stellt eine - vom VfGH wahrzunehmende - Verletzung dieses Rechtes dar. Das Wahlrecht wird auch dann verletzt, wenn wesentliche Verfahrensmängel vorliegen (vgl. hiezu die ständige Judikatur des VfGH zur rechtswidrigen Nichteintragung in das Wählerverzeichnis anläßlich von Gemeinderatswahlen, zB VfSlg. 5148/1965, 6303/1970, 7017/1973 und 7766/1976).
b) Ein solcher Verfahrensmangel liegt hier vor.
aa) Nach §23 Abs1 LWO ist jeder Wahlberechtigte in das Wählerverzeichnis des Ortes (der Gemeinde, des Wahlsprengels) einzutragen, wo er am Stichtag seinen ordentlichen Wohnsitz hat.
Dem §23 Abs2 erster Satz dieses Gesetzes zufolge ist ein Wahlberechtigter, der am Stichtag in mehreren Gemeinden des Landes Ktn. einen Wohnsitz hat, in das Wählerverzeichnis der Gemeinde einzutragen, in der er am Stichtag tatsächlich gewohnt hat.
Abs4 ordnet an, daß jeder Wahlberechtigte in den Wählerverzeichnissen nur einmal eingetragen sein darf.
Gem. §17 Abs1 LWO sind zum Ktn. Landtag alle Männer und Frauen wahlberechtigt, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, spätestens am Stichtag das 19. Lebensjahr vollendet haben, vom Wahlrecht nicht ausgeschlossen sind und im Land Kärnten ihren ordentlichen Wohnsitz haben. Der Begriff "ordentlicher Wohnsitz" ist im folgenden Abs3 definiert.
bb) Die belangte Behörde hat ihre Feststellung, daß der Beschwerdeführer in B. keinen ordentlichen Wohnsitz habe, ausschließlich damit begründet, er wohne in S. Nun schließt aber die Tatsache, daß ein Wahlberechtigter in einer Gemeinde seinen Wohnsitz begründet hat, nicht aus, daß er auch in einer anderen Gemeinde einen (weiteren) Wohnsitz hat (vgl. hiezu zB VfSlg. 7766/1976; s. auch §23 Abs2 LWO).
Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, sich mit der Behauptung des Beschwerdeführers, er wohne (auch) in B., auf andere Weise auseinanderzusetzen. Wenn sie zum Ergebnis gekommen wäre, der Beschwerdeführer habe am Stichtag zwei Wohnsitze gehabt, hätte sie iS des §23 Abs, 2 LWO untersuchen müssen, wo er am Stichtag tatsächlich gewohnt hat.
Die aufgezeigten Verfahrensmängel haben bewirkt, daß der Beschwerdeführer für die Landtagswahl 1979 überhaupt in keinem Wählerverzeichnis eingetragen war und daher nicht wählen durfte. Jedem Wahlberechtigten die Teilnahme an der Wahl zu sichern, ist aber ein ganz wesentliches Anliegen der LWO (vgl. insb. §§17 Abs1 und 23 Abs4).
Es ist einzuräumen, daß bei den kurzen den Wahlbehörden zur Verfügung stehenden Fristen an das Ermittlungsverfahren nicht allzu strenge Anforderungen gestellt werden dürfen und daß aus diesem Grund eine Mitwirkungspflicht des Wahlberechtigten bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes besteht. Es wäre aber den Wahlbehörden zumutbar gewesen, die unterbliebenen Feststellungen zu treffen.
c) Der dargestellte Verfahrensmangel ist eine Rechtswidrigkeit, die eine Verletzung des durch Art95 iVm Art26 B-VG gewährleisteten Wahlrechtes begründet.
Der Beschwerdeführer ist also auch in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Wahlrecht verletzt worden.
4. Der Bescheid war sohin als verfassungswidrig aufzuheben.
Schlagworte
Verwaltungsverfahren, Ladung, Wahlen, Wählerevidenz, Wahlrecht aktives, VfGH / PrüfungsmaßstabEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1980:B459.1979Dokumentnummer
JFT_10199382_79B00459_00