TE Vfgh Erkenntnis 1980/6/18 B260/76

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Veröffentlicht am 18.06.1980
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Index

L1 Gemeinderecht
L1000 Gemeindeordnung

Norm

B-VG Art83 Abs2
StGG Art5
Krnt Allgemeine GemeindeO 1966 §53 Abs2
Krnt Allgemeine GemeindeO 1966 §57

Leitsatz

Allgemeine Gemeindeordnung Ktn.; keine Bedenken gegen §53 Abs2; kein Entzug des gesetzlichen Richters; Ktn. Bauordnung; keine Eigentumsverletzung durch Erteilung einer Baubewilligung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Mit Eingabe vom 13. März 1975 suchten die Beteiligten J. und G. W. um Bewilligung für die Errichtung eines Wohnhauses auf der ihnen gehörenden Parzelle 1000/7 KG O. an. Bei der über diesen Antrag am 25. Juni 1975 abgeführten Baurechtsverhandlung gab die Beschwerdeführerin als Anrainerin die Stellungnahme ab, daß sie mit der Ausführung des Bauvorhabens einverstanden sei, "sofern die Einfahrt vom Norden her zum Grundstück 1000/7 über das Grundstück 1000/6 her erfolgt" und ihr Eigengrund (Gp. 999 und 998 KG O.) nicht berührt werde.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde M. vom 9. September 1975 wurde den Beteiligten die Bewilligung zur Bauführung unter mehreren Auflagen erteilt. Die für das vorliegende Verfahren maßgebliche Auflage lautet wie folgt:

"14. Die Einbindung des Zufahrtsweges in den öffentlichen Weg, Parzelle 1154/1 KG O., ist so auszubilden, daß ein ungehindertes Ein- und Ausfahren ohne Beanspruchung von Fremdgrund ermöglicht wird."

2. Über die von der Beschwerdeführerin gegen diesen Bewilligungsbescheid erhobene Berufung hat der Gemeindevorstand der Marktgemeinde M. in seiner Sitzung vom 25. November 1975 Beschluß gefaßt. In der hierüber aufgenommenen Niederschrift heißt es:

"Entsprechend der Aktenlage und des Amtsvortrages der Bauabteilung" - in diesem wurde dargelegt, daß in einem von der Bundes- und Landesstraßenverwaltung eingeholten Gutachten ausgeführt wird, daß die Zufahrt zum Grundstück der Bauwerber von der öffentlichen Wegparzelle 1154/1 ohne Grundinanspruchnahme vom östlich und westlich gelegenen Grundeigentümer vorgenommen werden kann - "ist festzustellen, daß die in Frage gestellte Zufahrt zum Baugrundstück in einwandfreier Weise sichergestellt erscheint. Die Berufung von Frau A., vertreten durch Herrn Dr. R. G., L., ist daher unbegründet. Die Frage der Zufahrt ist überdies ausschließlich von der Behörde zu prüfen. Vorbringen dieser Art liegen außerhalb des Bereiches der subjektiven Rechte der Berufungswerberin, weshalb sie überhaupt als unzulässig anzusehen sind."

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, daß die Mitglieder des Gemeindevorstandes zur Sitzung mit der Anmerkung geladen wurden, im Falle ihrer Verhinderung den Bürgermeister unter Bekanntgabe des Grundes so rechtzeitig zu benachrichtigen, daß die Einberufung eines Ersatzmitgliedes noch möglich ist. Weiters ergibt sich, daß als Ersatzmitglied für den Bürgermeister, da dieser den mit Berufung bekämpften Bescheid erlassen hatte, ein seiner Gemeinderatspartei angehörendes Mitglied gem. §57 Abs1 AGO, LGBl. 1/1966, iVm §7 Abs1 Z5 AVG 1950 geladen wurde und daß alle Geladenen zur Sitzung erschienen waren mit Ausnahme des Gemeindevorstandsmitgliedes Josef O. Dieser hatte um 15.45 Uhr bekanntgegeben, daß er an der um 17 Uhr stattfindenden Sitzung des Gemeindevorstandes aus geschäftlichen Gründen nicht teilnehmen könne. Aus der Aktenlage geht weiters hervor, daß wegen der kurzfristigen Absage die Einladung eines Ersatzmitgliedes für ihn nicht mehr möglich gewesen war.

Der die Berufung der Beschwerdeführerin abweisende Beschluß ist mit einem vom ersten Vizebürgermeister "für den Gemeindevorstand" gefertigten Bescheid am 26. November 1975, Z 153-OM-123/1975, intimiert worden.

3. Die Ktn. Landesregierung hat die von der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid erhobene Vorstellung mit Bescheid vom 17. Mai 1976, 8 BauRl-1/3/1976, als unbegründet abgewiesen.

4. Gegen den Bescheid der Ktn. Landesregierung richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht und die Aufhebung des bekämpften Bescheides, allenfalls die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erachtet sich die Beschwerdeführerin zunächst deshalb verletzt, weil der Bürgermeister der Gemeinde M., obwohl er als Baubehörde I. Instanz entschieden hatte, auch an der Entscheidung des Gemeindevorstandes mitgewirkt habe, was sich aus dem Inhalt der Niederschrift vom 25. November 1975 fraglos ergebe. Außerdem habe ein Ersatzmitglied für das entschuldigte Gemeindevorstandmitglied J. O. an der Sitzung nicht teilgenommen. Der Gemeindevorstand sei bei der Berufungsentscheidung demnach nicht gehörig besetzt gewesen.

Darüber hinaus macht die Beschwerdeführerin geltend, daß §53 Abs2 der Allgemeinen Gemeindeordnung - AGO, LGBl. für Kärnten 1/1966, verfassungswidrig sei, da inhaltlich dieser Bestimmung der Gemeindevorstand schon bei Anwesenheit von mehr als der Hälfte seiner Mitglieder beschlußfähig sei; als Berufungsbehörde könne der Gemeindevorstand jedoch nur bei Anwesenheit der Gesamtheit seiner Mitglieder verfassungskonforme Entscheidungen treffen.

b) Gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH kommt nach Lage des Beschwerdefalles eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nur in Betracht, wenn die belangte Behörde ihre Sachentscheidung in einer unrichtigen Zusammensetzung gefällt hätte. Dies trifft aber nicht zu.

Entgegen den Beschwerdeausführungen ergibt sich aus dem in I.2. dargestellten Sachverhalt, insb. aus der Niederschrift über die Sitzung des Gemeindevorstandes vom 25. November 1975, daß an der Entscheidung über die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 9. September 1975 der Bürgermeister der Marktgemeinde M. nicht mitgewirkt hat. Im Hinblick darauf, daß der mit Berufung angefochtene Bescheid vom Bürgermeister erlassen wurde, wurde von diesem gem. §57 Abs1 AGO iVm §7 Abs1 Z5 AVG 1950, das seiner Gemeinderatspartei angehörende Mitglied F. K. als Ersatz bestimmt, welcher an der in Frage stehenden Sitzung auch mitgewirkt hat. Ebenso ergibt sich aus der zitierten Niederschrift, daß der Vorsitz vom Vizebürgermeister und nicht, wie die Beschwerdeführerin annimmt, vom Bürgermeister geführt wurde.

Richtig ist, daß der als Mitglied des Gemeindevorstandes zur Sitzung ordnungsgemäß geladene J. O. nicht anwesend war und auch kein Ersatzmitglied für ihn an der Sitzung mitwirkte, obwohl gem. §57 Abs2 AGO im Falle der Verhinderung eines "sonstigen" Mitgliedes des Gemeindevorstandes vom Bürgermeister ein Ersatzmitglied einzuberufen ist. Im vorliegenden Fall ergibt sich jedoch aus den Verwaltungsakten, daß J. O., obwohl seine Ladung zur Gemeindevorstandssitzung die Anmerkung des Bürgermeisters enthält, ihn im Falle der Verhinderung unter Bekanntgabe des Grundes gleichzeitig so zu benachrichtigen, daß die Einberufung eines Ersatzmitgliedes noch möglich ist, erst um 15.45 Uhr des 25. November 1975 bekanntgab, daß er aus geschäftlichen Gründen nicht in der Lage sei, an der um 17 Uhr stattfindenden Sitzung teilzunehmen. Unter diesen Umständen kann der Vorwurf nicht erhoben werden, daß der Bürgermeister gesetzwidrig vorgegangen und der Gemeindevorstand mangels Ladung eines Ersatzmitgliedes nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzt gewesen wäre. Gegenteiliges ergibt sich insb. auch nicht aus dem Erk. VfSlg. 7324/1974, da in diesem Falle der Bürgermeister, der den Bescheid I. Instanz erlassen hatte, sich - trotz dieses bekannten Umstandes - erst am Beginn der Sitzung, in welcher über eine Berufung zu entscheiden war, für befangen erklärte und entgegen §57 Abs1 AGO für sich keinen Ersatz bestimmte, obwohl dies gem. §53 Abs3 iVm §36 Abs2 AGO geboten war und (rechtzeitig) möglich gewesen wäre.

Demgegenüber ergibt sich im vorliegenden Beschwerdefall aus den Verwaltungsakten unmittelbar, daß wegen der kurzfristigen Absage die Einladung eines Ersatzmitgliedes nicht mehr möglich war. In einem solchen Fall ist die Absage, an der Sitzung des Gemeindevorstandes teilzunehmen, einer Nichtanwesenheit ohne vorausgehende Ankündigung gleichzuhalten, da ansonsten jedes Mitglied eines Gemeindevorstandes in der Lage wäre, durch kurzfristige Absage seiner Teilnahme die Abhaltung einer Sitzung zu verhindern, wenn nicht durch Zufall ein Ersatzmitglied sofort greifbar wäre oder Ersatzmitglieder vorsorglich für jede Sitzung zugezogen werden. Der VfGH geht davon aus, daß der Gesetzgeber auch auf die Unmöglichkeit der Ladung eines Ersatzmitgliedes in §53 Abs2 AGO Bedacht genommen hat, indem er bestimmte, daß der Gemeindevorstand beschlußfähig ist, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder anwesend sind. Das Gebot des §57 AGO kann vernünftigerweise nur in diesem Sinne verstanden werden.

Der VfGH bemerkt, daß Bedenken gegen §53 Abs2 AGO aus Anlaß des Beschwerdefalles nicht entstanden sind, da es keine Verfassungsbestimmung gibt, wonach für die Beschlußfassung durch ein Kollegialorgan die Anwesenheit aller Mitglieder gefordert, bzw. Beschlußfassung durch ein beschränktes Quorum ausgeschlossen wäre.

Da an der Sitzung am 25. November 1975 mehr als die Hälfte der Mitglieder des Gemeindevorstandes anwesend waren, hat der Gemeindevorstand iS des §53 Abs2 AGO in einer dem Gesetz entsprechenden Zusammensetzung Beschluß gefaßt.

Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter hat somit nicht stattgefunden.

2. a) Die Beschwerdeführerin behauptet weiters, der angefochtene Bescheid verletze sie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums. Durch die Bauführung werde sie "auf kalte Weise enteignet". Das Bauverfahren leide mangels einer entsprechenden Zufahrt an Nichtigkeit, zu deren Geltendmachung sie berechtigt sei. Nach Inhalt der Ktn. Bauordnung und des Straßengesetzes müsse ein Ortsaugenschein durchgeführt werden und das Projekt mit entsprechenden Plänen und Baubescheiden versehen sein, was für die Gestaltung der Einbindung (gemeint ist: der Zufahrt) nicht zutreffe. Die Beschwerdeführerin sei in diesem Falle als Partei übergangen worden.

Für die notwendige Zufahrt genüge nach dem Straßengesetz die Grundabtretungserklärung eines Anrainers nicht (das Beschwerdevorbringen nimmt hiemit auf die Bereitschaft eines Nachbarn der Bauwerber Bezug, zusätzlichen Grund für die Zufahrt zur Verfügung zu stellen), es sei eine ausdrückliche Widmung an die Gemeinde erforderlich.

Der angefochtene Bescheid sei somit nach den Bestimmungen der Ktn. Bauordnung gesetzwidrig und verstoße gegen Art5 StGG.

b) Die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums wird nur durch einen Eingriff in private Vermögensrechte verletzt, nicht aber durch Eingriffe in Ansprüche öffentlich-rechtlicher Natur (VfSlg. 5563/1967).

Die durch den angefochtenen Bescheid nicht beseitigte Baubewilligung hält ausdrücklich fest, daß der von der Bauwerberin zu schaffende Zufahrtsweg so auszubilden ist, daß eine Beanspruchung von Fremdgrund nicht erfolgt. Aus einem solchen Bescheidinhalt kann ein Eingriff in das Eigentum der Beschwerdeführerin nicht abgeleitet werden. Soweit der Beschwerdeführerin durch die Erteilung der Baubewilligung, und deshalb mittelbar auch aus den dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Normen, überhaupt subjektive Rechte eingeräumt werden, handelt es sich ausschließlich um öffentliche Rechte, die nicht den Schutz des Art5 StGG genießen (VfSlg. 5334/1966, 7347/1974).

Die Beschwerdeführerin ist somit im Eigentumsrecht offenkundig nicht verletzt worden.

3. Die behaupteten Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte haben somit nicht stattgefunden.

Die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes hat das Verfahren ebensowenig ergeben, wie die Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Kollegialbehörde, Baurecht, Baubewilligung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B260.1976

Dokumentnummer

JFT_10199382_76B00260_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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