Index
L0 Verfassungs- und OrganisationsrechtNorm
B-VG Art26Leitsatz
Tir. Landtagswahlordnung 1975; keine Bedenken gegen §§1, 62 und 65 (Wahlkreiseinteilung; erstes und zweites Ermittlungsverfahren)Spruch
Der Anfechtung der Wahl des Landtages von Tirol vom 30. September 1979 wird nicht stattgegeben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Die Tir. Landesordnung - TLO 1953 (Anlage zur Kundmachung der Landesregierung, LGuVBl. für Tirol 24/1953, über die Wiederverlautbarung der Landesordnung vom 8. November 1921, LGBl. 145) bestimmt in §8 idF LGBl. 5/1975, daß der Landtag aus 35 Mitgliedern besteht und daß die Zahl der Abgeordneten auf die Wahlberechtigten eines Wahlkreises (Wahlkörpers) im Verhältnis der Bürgerzahl der Wahlkreise zu verteilen ist.
Die Landtagswahlordnung 1975 (Anlage zur Kundmachung der Landesregierung, LGBl. für Tirol 21/1975, über die Wiederverlautbarung der Landtagswahlordnung 1965) - im folgenden LWO 1975 - bestimmt in §1 Abs1, daß für die Wahl in den Landtag das Land Tirol in fünf Wahlkreise eingeleitet wird, und zwar
Nr. 1 Wahlkreis Innsbruck Stadt, bestehend aus dem Gebiet der Landeshauptstadt Innsbruck;
Nr. 2 Wahlkreis Mitte, bestehend aus den Gebieten der politischen Bezirke Innsbruck-Land und Schwaz;
Nr. 3 Wahlkreis West, bestehend aus den Gebieten der politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte;
Nr. 4 Wahlkreis Nord, bestehend aus den Gebieten der politischen Bezirke Kufstein und Kitzbühel;
Nr. 5 Wahlkreis Ost, bestehend aus dem Gebiet des politischen Bezirkes Lienz.
Die Zahl der in jedem Wahlkreis zu wählenden Abgeordneten wird auf die in §1 Abs2 LWO 1975 näher geregelte Weise bestimmt.
Die im Wahlkreis zu vergebenden Mandate werden gem. §62 LWO 1975 in einem ersten Ermittlungsverfahren durch die Kreiswahlbehörde nach dem Hagenbach-Bischoff'schen System (und nicht nach dem Hare'schen System wie gem. §96 der Nationalrats-Wahlordnung 1971, BGBl. 391/1970) auf die Wählergruppen verteilt. Die dabei innerhalb eines Wahlkreises nicht vergebenen Restmandate werden gem. §65 LWO 1975 in einem zweiten Ermittlungsverfahren durch die Landeswahlbehörde nach dem d'Hondt'schen System (wie gem. §102 der Nationalrats-Wahlordnung 1971) vergeben. Dabei haben Anspruch auf Restmandate nur Wählergruppen, die einen gültigen Landeswahlvorschlag eingebracht und entweder im ersten Ermittlungsverfahren ein Grundmandat oder - sofern ihnen ein solches nicht zugefallen ist - in allen Wahlkreisen zusammen mindestens 5 vH der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen erlangt haben (§65 Abs3 LWO 1975).
Bei der Landtagswahl am 30. September 1979 entfielen von den 36 zu vergebenden Mandaten auf die fünf Wahlkreise (in der vorgenannten Reihenfolge) im Verhältnis der Bürgerzahl von jeweils 108526, 158383, 97052, 113093 und 45117 (insgesamt 522171 Bürger) jeweils 7, 11, 7, 8 und 3 Mandate. In den fünf Wahlkreisen waren jeweils 78506, 115113, 66339, 81455 und 29972 (insgesamt 371375) Personen wahlberechtigt.
An der Wahl haben nachstehende Wählergruppen teilgenommen:
Österreichische Volkspartei, Sozialistische Partei Österreichs, Freiheitliche Partei Österreichs (diese drei Wählergruppen in allen Wahlkreisen), Tiroler Mittelstand (in vier Wahlkreisen) und Kommunistische Partei Österreichs (in drei Wahlkreisen). Auf diese Wählergruppen (in der vorgenannten Reihenfolge) entfielen von den insgesamt 332021 abgegebenen gültigen Stimmen jeweils 209586, 97303, 21766, 2004 und 1362 Stimmen.
Die 36 zu vergebenden Mandate wurden auf die Wählergruppen wie folgt verteilt:
im ersten im zweiten
Ermittlungsverfahren Ermittlungsverfahren insgesamt
ÖVP ...... 24 1 25
SPÖ ...... 8 2 10
FPÖ ...... 1 0 1
-----------------------------------------
33 3 36
Die drei im ersten Ermittlungsverfahren nicht vergebenen Mandate (Restmandate) sind in den Wahlkreisen Innsbruck-Stadt, West und Mitte verblieben. Die Summe der in den Wahlkreisen für die Zuteilung eines oder eines weiteren Mandates nicht ausreichenden und für das zweite Ermittlungsverfahren in Betracht kommenden Stimmen (Reststimmen) betrugen bei den Wählergruppen ÖVP 16624, SPÖ 30531 und FPÖ 13697. Die Wahlzahl im zweiten Ermittlungsverfahren betrug 15265 1/2.
2. Gegen die Ermittlung des Wahlergebnisses erhob die FPÖ zunächst Einspruch an die Landeswahlbehörde gem. §66 LWO 1975 mit der Begründung, daß das Wahlergebnis infolge verfassungswidriger - nämlich dem Prinzip des Verhältniswahlrechtes widersprechender - Bestimmungen der LWO 1975, insb. der §§1, 62 und 65, zustande gekommen sei.
Der Einspruch wurde mit Bescheid der Landeswahlbehörde vom 16. Oktober 1979 zurückgewiesen. Begründet ist diese Entscheidung damit, daß das in §66 LWO 1975 vorgesehene Einspruchsverfahren auf die Ermittlung des Wahlergebnisses beschränkt sei, worunter lediglich die ziffernmäßige Ermittlung zu verstehen sei (Hinweis auf die Erk. VfSlg. 4507/1963, 5805/1968, 5861/1968). Bekämpfe also eine Wählergruppe nicht die ziffernmäßige Ermittlung des Wahlergebnisses, sondern behaupte sie andere Rechtswidrigkeiten, so handle es sich um keine Fragen, die die Landeswahlbehörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit nach §66 LWO 1975 prüfen dürfe.
3. Die FPÖ, vertreten durch ihren Zustellungsbevollmächtigten, hat die Tir. Landtagswahl vom 30. September 1979 gem. Art141 B-VG und §§67 ff. VerfGG 1953 wegen Rechtswidrigkeit angefochten und beantragt, der VfGH wolle das Wahlverfahren nichtig erklären sowie die Tir. Landtagswahlordnung 1975 als rechts- und verfassungswidrig aufheben.
Die Wahlanfechtung ist wie folgt begründet:
Zwischen den Prozentsätzen der von den Parteien erreichten Wählerstimmen und der Anzahl der den Parteien zugewiesenen Mandate bestehe ein erhebliches Mißverhältnis:
ÖVP 63,1% der Stimmen, 69,4% der Mandate,
SPÖ 29,3% der Stimmen, 27,8% der Mandate,
FPÖ 6,6% der Stimmen, 2,8% der Mandate.
Ein solches Mißverhältnis widerspreche dem in der Verfassung normierten Grundsatz des Verhältniswahlrechtes (Art26 und 95 B-VG).
Das Wesen des Verhältniswahlrechtes bestehe darin, daß allen politischen Parteien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung eine Vertretung im Parlament (Landtag) nach Maßgabe ihrer Stärke gesichert wird. Gem. §65 Abs3 Landtagswahlordnung 1975 komme einer politischen Partei zahlenmäßig erhebliche Bedeutung zu, wenn sie entweder im ersten Ermittlungsverfahren ein Grundmandat oder - sofern ihr ein solches nicht zugefallen ist - in allen Wahlkreisen zusammen zumindest 5% der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen erlangt hat. Die wahlanfechtende Wählergruppe erfülle beide Voraussetzungen des §65 Abs3 Landtagswahlordnung 1975. Sie sei daher von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung, weshalb ihr ein Anspruch auf Vertretung im Landtag nach Maßgabe ihrer Stärke zustehe. Trotzdem sei die anfechtende Wählergruppe im Tir. Landtag nach dem kundgemachten Wahlergebnis nicht dem Verhältnis ihrer Stärke entsprechend - mit mindestens zwei Mandaten - vertreten. Dieses Ergebnis sei auf eine Reihe von Bestimmungen der Landtagswahlordnung 1975 zurückzuführen.
Ursache sei in erster Linie die völlig willkürlich getroffene Einteilung des Landes Tirol in fünf Wahlkreise von erheblich verschiedener Größe gem. §1 Landtagswahlordnung 1975. Diese Einteilung (zB Wahlkreis Mitte mit 115113 Wahlberechtigten - Wahlkreis Ost mit 29972 Wahlberechtigten) habe ein deutliches Ungleichgewicht zur Folge, wobei es auffalle, daß gerade die Mehrheitspartei in den kleinen Wahlkreisen Ost und West über ein starkes Übergewicht an politischer Bedeutung verfüge, welcher Umstand zur Folge habe, daß die Mehrheitspartei gerade in diesen Wahlkreisen die geringsten Stimmenanzahlen für jeweils ein Grundmandat benötige (6661 bzw. 7559 Stimmen). Durch die willkürlich vorgenommene Wahlkreiseinteilung in §1 Landtagswahlordnung 1975 werde der Grundsatz der Verhältniswahl zum Nachteil der kleineren Wählergruppen, insb. der wahlanfechtenden Wählergruppe, verletzt.
Dem Grundsatz der Verhältniswahl widerspreche auch die Bestimmung des §62 Landtagswahlordnung 1975 über das erste Ermittlungsverfahren. Durch die Anwendung des Verfahrens nach Hagenbach-Bischoff im Gegensatz zur Bestimmung des §96 Abs3 Nationalrats-Wahlordnung 1971 (Hare'schen Verfahren) werde ebenfalls ein erheblich ins Gewicht fallender Verstärkereffekt zugunsten der Mehrheitspartei erreicht, da auf diese Weise im ersten Ermittlungsverfahren mehr Mandate vergeben werden als bei Anwendung des Hare'schen Verfahrens und auf diese Weise kleineren Wählergruppen das Erringen von Mandaten in verfassungswidriger Weise erschwert werde.
In welch krasser Weise der Grundsatz des Verhältniswahlrechtes durch die Bestimmungen der Tir. Landtagswahlordnung verletzt werde, könne schon daraus ersehen werden, daß die Mehrheitspartei ÖVP mit nicht einmal zehnmal so vielen Wählerstimmen als die FPÖ 25 mal so viele Mandate erhalten habe, als der wahlanfechtenden Wählergruppe zugewiesen worden seien. Auf der anderen Seite habe die ÖVP im Wahlkreis Ost für 20082 Stimmen (das sind weniger Stimmen, als auf die wahlanfechtende Wählergruppe insgesamt entfallen seien) drei Mandate zugewiesen, wogegen der FPÖ für 21966 Stimmen nur ein Mandat zuerkannt worden sei.
Gem. §27 Abs5 der Tir. Landesordnung seien die Mitglieder der Landesregierung vom Landtag nach dem Verhältniswahlrecht zu wählen, dh. der Grundsatz des Verhältniswahlrechtes sei auch in der Tir. Landesverfassung verankert. Dies bedeute, daß ein Wahlsystem, das den Grundsatz der Verhältniswahl verzerre, der Verfassung widerspreche. Der in der Tir. Landtagswahlordnung enthaltene Verstärkereffekt für die Mehrheitspartei sei daher in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig. Gem. Art95 Abs2 B-VG dürften die Landtagswahlordnungen die Bedingungen des aktiven und passiven Wahlrechtes nicht enger ziehen als die Wahlordnung zum Nationalrat. Dadurch, daß die Landtagswahlordnung 1975 gem. §62 für das erste Ermittlungsverfahren das Hagenbach-Bischoff'sche System vorsieht, das zur Folge hat, daß kleineren Wählergruppen das Erringen von Mandaten relativ erschwert wird, werde der Grundsatz des Art95 Abs2 B-VG im Hinblick auf die Bestimmung des §96 Abs3 Nationalrats-Wahlordnung 1971 zum Nachteil der wahlanfechtenden Wählergruppe verletzt.
Dadurch, daß die Bestimmungen der Landtagswahlordnung 1975 dem in der Bundesverfassung verankerten Grundsatz der Verhältniswahl widersprechen, sei das Wahlverfahren zum Nachteil der anfechtenden Wählergruppe beeinflußt worden. Dies werde insb. deutlich, wenn man das Ergebnis der Wahl auf andere Weise berechnen würde, so zB, wenn man das erste Ermittlungsverfahren nach der Bestimmung des §96 Abs3 Nationalrats-Wahlordnung 1971 durchführen würde oder wenn man der Mandatsermittlung eine andere Wahlkreiseinteilung zugrunde legte.
Zusammenfassend könne daher gesagt werden, daß durch das ungerechte den Verfassungsgrundsatz der Verhältniswahl verletzende Wahlrecht der Landtagswahlordnung 1975 das Wahlverfahren der Tir. Landtagswahl 1979 zum Nachteil der anfechtenden Wählergruppe beeinflußt worden sei.
4. Die Landtagswahlbehörde hat eine Äußerung erstattet, in der sie den Antrag stellt, der Wahlanfechtung nicht stattzugeben.
Die ÖVP hat eine Äußerung erstattet, in der sie den in der Äußerung der Landeswahlbehörde vorgetragenen Argumenten beitritt.
Auch die SPÖ schließt sich den in der Äußerung der Landeswahlbehörde festgehaltenen Ausführungen an.
II. Der VfGH hat erwogen:
Zu den Prozeßvoraussetzungen:
Zur Anfechtung von Wahlen zu einem Landtag nach Art141 Abs1 lita B-VG sind gem. §67 Abs2 VerfGG 1953 (idF BGBl. 18/1958) Wählergruppen (Parteien) berechtigt, die bei einer durch die Wahlordnung vorgeschriebenen Wahlbehörde Wahlvorschläge für die angefochtene Wahl rechtzeitig vorgelegt haben, und zwar durch ihren zustellungsbevollmächtigten Vertreter. Die Wahlanfechtung muß gem. §68 Abs1 VerfGG 1953, wenn nicht in dem betreffenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens eingebracht sein.
Gem. §66 LWO 1975 kann jede Wählergruppe durch ihren Zustellungsbevollmächtigten binnen einer Woche nach Kundmachung des Wahlergebnisses gegen die Ermittlung des Wahlergebnisses bei der Landeswahlbehörde Einspruch erheben (Abs1); ergibt die Überprüfung die Unrichtigkeit der Ermittlung, so hat die Landeswahlbehörde das Wahlergebnis unverzüglich richtigzustellen und das richtige Ergebnis kundzumachen, andernfalls ist der Einspruch abzuweisen (Abs2).
Der VfGH hat zu einer vergleichbaren Bestimmung der Tir. Gemeindewahlordnung, LGBl. 14/1949, ausgeführt (VfSlg. 1968/1950), daß sich die Befugnisse der Bezirkswahlbehörde bei Überprüfung der Ermittlung des Wahlergebnisses nur auf die ziffernmäßige Ermittlung beziehen können. Bei dieser Rechtsauffassung ist der VfGH auch bezüglich der Tir. GWO 1962 (VfSlg. 4316/1962, 4505/1963, 4506/1963, 4507/1963), bezüglich der Tir. GWO 1967 (VfSlg. 5805/1968, 5861/1968) und bezüglich der Tir. GWO 1973 (VfSlg. 7391/1974) geblieben.
Diese Überlegungen gelten auch für §66 LWO 1975.
Da somit für die Entscheidung der von der anfechtenden Wählergruppe geltend gemachten Rechtswidrigkeiten in der LWO 1975 ein Instanzenzug nicht vorgesehen ist und auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist die Wahlanfechtung zulässig.
Zur Sache:
A. 1. Die anfechtende Wählergruppe sieht die von ihr behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens allein darin gelegen, "daß durch das ungerechte, den Verfassungsgrundsatz der Verhältniswahl verletzende Wahlrecht der LWO 1975 das Wahlverfahren der Tiroler Landtagswahl 1979 zum Nachteil der anfechtenden Wählergruppe beeinflußt" worden sei.
2. Gem. Art95 B-VG werden die Mitglieder der Landtage aufgrund des Verhältniswahlrechts gewählt, wobei - wie der VfGH in seinem Erk. VfSlg. 8321/1978, S 371 ausgeführt hat - für die Wahlen zu den Landtagen die Teilung des Landesgebietes in Wahlkreise angeordnet ist. Das Verhältniswahlrecht für die Wahlen zu den Landtagen ist also (ebenso wie für die Wahlen zum Nationalrat) vom Grundsatz der wahlkreisweisen Repräsentation geprägt (VfGH 8. 12. 1979 WI-1/79, G15/79).
Dieses verfassungsgesetzliche Gebot ist bei jeder Gestaltung des Verhältniswahlrechtes, bei der der Gesetzgeber im übrigen an kein bestimmtes System gebunden ist (VfSlg. 1381/1931, 1382/1931, 1932/1950, 6563/1971), zu beachten.
Grundgedanke des Verhältniswahlrechtes ist nach Kelsen (Die Verfassungsgesetze der Republik Deutschösterreich, II. Teil, 1919, S 48), allen politischen Gruppen des Staates eine verhältnismäßige, dh. ihrer ziffernmäßigen Stärke entsprechende Vertretung zu sichern.
Wie der VfGH in den grundlegenden Erk. VfSlg. 1381/1931, S 222 f., und 1382/1931, S 231 f., ausgeführt hat, besteht zwar das Verhältniswahlrecht darin, daß allen politischen Parteien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung eine Vertretung im Parlament nach Maßgabe ihrer Stärke gesichert sei, daß aber die Voraussetzungen für die Annahme einer solchen Bedeutung nach den Bestimmungen der Wahlordnung, insb. nach den Bestimmungen über die Wahlzahl (für die es wieder von Bedeutung ist, ob die verhältnismäßige Aufteilung der Mandate nach der Verfassung und der Wahlordnung im ganzen Staatsgebiet oder aber in einzelnen Wahlkreisen stattfindet), zu beurteilen sei. Für das Wesen des Verhältniswahlsystems sei somit auch charakteristisch, daß jene kleinen Gruppen, welche die Mindestzahl von Stimmen, die Wahlzahl, nicht erreichen, von der verhältnismäßigen Vertretung ausgeschlossen seien. Diese Mindestzahl, die Wahlzahl, sei mit dem Verhältniswahlsystem wesensnotwendig verknüpft. Nur jene Parteien, die die Wahlzahl erreichen, seien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung. Welche Parteien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung seien, habe der Gesetzgeber zu entscheiden; der VfGH habe nur zu prüfen, ob das vom Gesetzgeber aufgestellte Merkmal der zahlenmäßig erheblichen Bedeutung einer Partei mit den Grundsätzen der Verhältniswahl vereinbar sei (S 226, S 234). Ergänzend dazu hat der VfGH bezüglich der Wahlen zum Nationalrat im Erk. VfSlg. 3653/1959, S 470 f., ausgeführt, die Bestimmung, daß das Bundesgebiet in Wahlkreise einzuteilen sei, bewirke, daß die Parteien im Nationalrat nach ihrer Bedeutung in den einzelnen Wahlkreisen und nicht nach ihrer Bedeutung im ganzen Bundesgebiet vertreten seien, und ferner, daß der Erfolgswert der Stimmen parteienweise aber auch wahlkreisweise verschieden sei.
Dieser Rechtsprechung lag jeweils eine Wahlordnung zugrunde, welche die Einteilung in Wahlkreise, die Zahl der in einem Wahlkreis zu vergebenden Mandate und auch das Verfahren der Zuweisung der Mandate auf die Parteien in einer Weise geregelt hat, daß die Aussage gerechtfertigt war, nur eine Partei, die die Wahlzahl in einem Wahlkreis erreicht, sei von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung und habe somit Anspruch auf verhältnismäßige Vertretung im Parlament.
Dem VfGH obliegt es (vgl. VfGH 8. 12. 1979 WI-1/79, G15/79), die vom einfachen Gesetzgeber vorgenommene Gestaltung des Wahlrechtes dahin zu prüfen, ob es in seiner Gesamtheit - in seinen einzelnen Komponenten und dem Zusammenspiel dieser Komponenten (Wahlkreiseinteilung, Zuweisung der Mandate an die Wahlkreise, Zuteilung der Mandate an die Parteien) - in einer Weise geregelt ist, daß dem Grundsatz der Verhältniswahl entsprochen ist, Parteien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung eine Vertretung im Parlament zu sichern.
B. Die anfechtende Wählergruppe führt das von ihr - als dem Grundsatz des Verhältniswahlrechtes widersprechend - geltend gemachte Mißverhältnis zwischen der Anzahl der erreichten Wählerstimmen und der zugewiesenen Mandate in erster Linie auf die völlig willkürlich getroffene Einteilung des Landes in fünf Wahlkreise verschiedener Größe zurück.
1. Die in §1 LWO 1975 getroffene Wahlkreiseinteilung knüpft an die bestehenden politischen Bezirke an und umfaßt eines (in den Wahlkreisen 1 und 5), zwei (in den Wahlkreisen 2 und 4) oder drei (im Wahlkreis 3) dieser Gebiete. Sie wurde erstmals in der Landtagswahlordnung LGuVBl. 27/1949 (wiederverlautbart als Landtagswahlordnung 1953, LGuVBl. 35/1953, und Landtagswahlordnung 1957, LGuVBl. 26/1957) getroffen und ist in der Landtagswahlordnung 1965, LGBl. 20/1965 (wiederverlautbart als LWO 1975), beibehalten worden.
Die vor der Einteilung in fünf Wahlkreise geltende Regelung geht auf die in der republikanischen Rechtsordnung zuerst im Gesetz vom 14. April 1919, LGuVBl. 26/1919, wirksam für das Land Tirol, mit Ausnahme des geschlossenen italienischen Siedlungsgebietes, womit die Wahlordnung für den verfassungsgebenden Landtag festgesetzt wird, getroffene Einteilung zurück. Danach (§1) war ein Wahlkreis Nordtirol mit dem Hauptwahlorte Innsbruck und ein Wahlkreis Südtirol mit dem Hauptwahlorte Bozen (bestehend aus der Stadt Bozen sowie namentlich angeführten Gerichtsbezirken, darunter Lienz, Sillian und Windisch-Matrei) vorgesehen. Auch die Landtagswahlordnung LGuVBl. 43/1921 sah einen Wahlkreis Nordtirol mit dem Hauptwahlorte Innsbruck und einen Wahlkreis Südtirol vor, diesen mit dem Hauptwahlorte Lienz und bestehend aus den Gerichtsbezirken Lienz, Sillian und Windisch-Matrei. Die gleiche Einteilung enthielt die Landtagswahlordnung LGuVBl. 30/1930, wobei allerdings der Wahlkreis Südtirol in Wahlkreis Osttirol umbenannt worden ist. Auch die Landtagswahlordnung LGuVBl. 9/1933 ist bei dieser Einteilung geblieben.
Die für die Verteilung der Mandate auf die Wahlkreise maßgeblichen Bürgerzahlen (Art95 Abs3 B-VG, §1 Abs2 LWO 1975) stellen sich nach dem Ergebnis der Volkszählung vom 12. Mai 1971 (Hauptergebnisse für Tirol, bearbeitet vom Österreichischen Statistischen Zentralamt, 1973) wie folgt dar:
Wahlkreis 1
Gebiet der Landeshauptstadt Innsbruck 108526
Wahlkreis 2
Gebiete der politischen Bezirke
Innsbruck-Land 102522
Schwaz 55861 158383
------
Wahlkreis 3
Gebiete der politischen Bezirke
Imst 37675
Landeck 35045
Reute 24332 97052
-----
Wahlkreis 4
Gebiete der politischen Bezirke
Kufstein 67990
Kitzbühel 45103 113093
-----
Wahlkreis 5
Gebiet des politischen Bezirkes Lienz 45117
------
522171
Der VfGH hat (zunächst in Zusammenhang mit der Wahlkreiseinteilung für die Wahlen zum Nationalrat) ausdrücklich die Meinung abgelehnt, daß in das B-VG in der vorangegangenen Verfassungsperiode präformierte Wahlkreisbegriffe eingegangen sein könnten (VfSlg. 6563/1971, S 777, 783, 784, 785, 791, 793 und 798). Er hat sodann auch bezüglich der Wahlkreiseinteilung für die Wahlen zu den Landtagen festgestellt, daß keine verfassungsrechtlich vorgebildete Gestaltung der Wahlkreise besteht (VfGH 8. 12. 1979 WI-1/79, G15/79).
Im Erk. VfSlg. 6563/1971 hat der VfGH (bezüglich der Wahlen zum Nationalrat) ausgeführt, daß sich aus dem in Art26 Abs2 zweiter Satz B-VG normierten Zusammenhang zwischen Wahlkreis und Bürgerzahl kein Schluß auf eine verfassungsgesetzlich gebotene Größe eines Wahlkreises ziehen lasse; bei dieser Regelung handle es sich um ein Wahlrechtsprinzip, das die Konstituierung eines Bundeslandes als Wahlkreis nicht ausschließe (S 797), weshalb auch die Schaffung von Wahlkreisen im Umfang von je einem Bundesland (also von Wahlkreisen sehr verschiedener Größe) der Verfassungsrechtslage entspreche (S 804).
Diese aus Art26 Abs2 B-VG abgeleiteten Überlegungen gelten ebenso für den (die gleichen Begriffe verwendenden; VfSlg. 8321/1978, S 368 f.) die Wahlen zu den Landtagen regelnden Art95 Abs3 B-VG.
Es obliegt somit dem einfachen Gesetzgeber, die Gliederung des Gebietes, für das der zu wählende Vertretungskörper bestimmt ist, in Wahlkreise vorzunehmen. Er hat dabei zu berücksichtigen,daß Größe und Struktur der Wahlkreise, vor allem aber auch der Umstand, ob das Gebiet, für das der aus einer bestimmten Anzahl von Abgeordneten bestehende Vertretungskörper zu wählen ist, in viele oder wenige Wahlkreise gegliedert ist, Auswirkungen auf die Beurteilung eines als Verhältniswahl deklarierten Wahlsystems haben können. Wie Sternberger - Vogel (Die Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane, Bd. I Europa, 1969, Erster Halbband, S 37 und 40) ausführen, kann in großen Wahlkreisen ein etwa proportionales Verhältnis von Stimmen und Mandaten herbeigeführt werden, können sich aber, je kleiner man die Wahlkreise wählt, in desto geringerem Maße Stimmen- und Mandatsanteile der Parteien entsprechen, sodaß schließlich bei fortlaufender Reduzierung der Zahl der in einem Wahlkreis zu wählenden Abgeordneten eine Grenze erreicht wird, von der ab die Disproportion zwischen Stimmen und Mandaten so groß ist, daß aufgrund dieser veränderten Auswirkung einer anderen Repräsentationsvorstellung entsprochen wird; eine Verkleinerung der Wahlkreise kann also auf einen Wahlsystemwechsel zur Mehrheitswahl hinauslaufen.
Entgegen der Behauptung der anfechtenden Wählergruppe findet sich kein Grund für die Annahme, daß die in der LWO 1975 in Anlehnung an die Einteilung des Landes in politische Bezirke vorgesehene Wahlkreiseinteilung willkürlich geschaffen worden wäre. Der Umstand, daß der Wahlkreis 5 im Vergleich zu den übrigen Wahlkreisen verhältnismäßig klein ist, findet seine Erklärung und Rechtfertigung schon in der besonderen geographischen und historischen Lage Osttirols und kann zu keinen verfassungsrechtlichen Bedenken Anlaß geben.
Die in der LWO 1975 getroffene Regelung führt dazu, daß bei der angefochtenen Wahl auf den kleinsten Wahlkreis (Nr. 5 Osttirol) entsprechend seiner Bürgerzahl drei Monate entfielen (s. dazu vorstehenden Punkt I.1.). Eine solche Regelung liegt im Rahmen des Systems der Verhältniswahl und ist - zunächst für sich betrachtet - unbedenklich.
C. Die anfechtende Wählergruppe sieht einen Widerspruch zu dem Grundsatz der Verhältniswahl auch in der Regelung des §62 LWO 1975 über das erste Ermittlungsverfahren, wonach (Abs1) für die Wahlzahl, mittels der die im Wahlkreis zu vergebenden Mandate auf die Wählergruppen verteilt werden, folgende Regelung gilt: "Die Wahlzahl wird gefunden, indem die Gesamtsumme der im Wahlkreis abgegebenen gültigen Stimmen durch die um eins vermehrte Zahl der Mandate geteilt wird. Die so gewonnene und in jedem Fall auf die nächstfolgende ganze Zahl zu erhöhende Zahl ist die Wahlzahl."
Diese Regelung ist erstmals durch das Gesetz LGuVBl. 27/1953 über die Änderung der Landtagswahlordnung für Tirol (wiederverlautbarte Textfassungen in der Landtagswahlordnung 1953, LGuVBl. 35/1953, und in der Landtagswahlordnung 1957, LGuVBl. 26/1957, jeweils §62 Abs1) getroffen worden und ist in die Landtagswahlordnung 1965, LGBl. 20/1965 (wiederverlautbarte Textfassung in der Landtagswahlordnung 1975, jeweils §62 Abs1) übernommen worden.
Nach Auffassung der anfechtenden Wählergruppe wird durch die darin angeordnete Anwendung des Verfahrens nach Hagenbach-Bischoff im Gegensatz zur Bestimmung des §96 Abs3 der Nationalrats-Wahlordnung 1971, die das Hare'sche Verfahren vorsieht, ein erheblich ins Gewicht fallender Verstärkereffekt zugunsten der Mehrheitspartei erreicht, da auf diese Weise im ersten Ermittlungverfahren mehr Mandate vergeben werden als bei Anwendung des Hare'schen Verfahrens.
Die zum Vergleich herangezogene Regelung des §96 Abs3 der Nationalrats-Wahlordnung 1971, BGBl. 391/1970, lautet: "Die Wahlzahl wird gefunden, indem die Gesamtsumme der im Wahlkreis für die Parteilisten abgegebenen gültigen Stimmen durch die Anzahl der Mandate geteilt wird. Die so gewonnene und in jedem Fall auf die nächstfolgende ganze Zahl zu erhöhende Zahl ist die Wahlzahl."
Diese Regelung der Wahlzahl nach dem Hare'schen System löste die Regelung in §89 Abs2 der Nationalrats-Wahlordnung 1962 (Anlage zur Kundmachung der Bundesregierung BGBl. 246/1962 über die Wiederverlautbarung der Nationalrats-Wahlordnung) ab, welche lautete:
"Die Wahlzahl wird gefunden, indem die Gesamtsumme der in Wahlkreise für die Parteilisten abgegebenen gültigen Stimmen durch die um eins vermehrte Anzahl der Mandate geteilt wird. Die so gewonnene und in jedem Falle auf die nächstfolgende ganze Zahl zu erhöhende Zahl ist die Wahlzahl." Die von der anfechtenden Wählergruppe für bedenklich erachtete Regelung in §62 Abs1 LWO 1975 stimmt mit dieser Regelung der Nationalrats-Wahlordnung 1962 überein, die ihrerseits unverändert seit der Nationalrats-Wahlordnung BGBl. 129/1949 (§89 Abs2; wiederverlautbarte Textfassungen in Nationalrats-Wahlordnung 1957, BGBl. 67/1957, und in Nationalrats-Wahlordnung 1959, BGBl. 71/1959) in Geltung gestanden ist.
Im Erk. VfSlg. 2654/1954, S 78, hat der VfGH keine Bedenken gegen die Regelung des ersten Ermittlungsverfahrens nach dem Hagenbach-Bischoff'schen Verfahren (wie es in den §§62 und 65 der Landtags-Wahlordnung 1953 geregelt war) geäußert. Der Gerichtshof hat im Erk. VfSlg. 3653/1959, S 472, ausdrücklich festgestellt, daß er keine Bedenken gegen die das erste Ermittlungsverfahren betreffende Regelung der Nationalrats-Wahlordnung 1959 (darunter also den das Hagenbach-Bischoff'sche Verfahren anordnenden §89 Abs2) hat.
Der VfGH hat aber auch im Erk. VfSlg. 6563/1971, S 803, ausgeführt daß die Regelung der Wahlzahl, wie sie durch den §96 Abs3 der Nationalrats-Wahlordnung 1971 (also nach dem Hare'schen Verfahren) geschehen ist, gegen keine Verfassungsvorschrift verstößt.
Diese Rechtsprechung ist darauf zurückzuführen, daß der Gesetzgeber bei Regelung des Wahlrechtes zwar an die Grundsätze des Verhältniswahlrechtes, in dessen Rahmen aber an kein bestimmtes System gebunden ist. Insb. bildet die für die Wahlen zum Nationalrat getroffene Regelung keinen Maßstab für die Ausgestaltung des Systems des Verhältniswahlrechtes durch den Landesgesetzgeber (vgl. VfGH 8. 12. 1979 WI-1/79, G15/79). Das Verfassungsgebot des Art95 Abs2 B-VG, wonach die Landtagswahlordnungen die Bedingungen des aktiven und passiven Wahlrechtes nicht enger ziehen dürfen als die Wahlordnung zum Nationalrat, hindert den Landesgesetzgeber nicht, abweichend von §96 Abs3 der Nationalrats-Wahlordnung 1971 für das erste Ermittlungsverfahren nicht das Hare'sche System, sondern das Hagenbach-Bischoff'sche System vorzusehen. Unter den Bedingungen des aktiven und passiven Wahlrechtes sind nämlich die Regelungen über die Verteilung der in einem Wahlkreis zu vergebenden Mandate auf die Wählergruppen nicht zu verstehen.
Der Umstand, daß ein - insb. ein vom Grundsatz der wahlkreisweisen Repräsentation geprägtes (allenfalls durch eine Grundmandats- oder Prozentklausel modifiziertes) - System des Verhältniswahlrechtes zu Abweichungen von der strikten mathematischen Proportionalität führt und je nach seiner Ausgestaltung auch verschiedene Verstärkungseffekte (zugunsten von Groß-, Mittel- oder Kleinparteien) zur Folge hat, kann also weder eine Verfassungswidrigkeit dieser Regelungen für sich noch in ihrem Nebeneinanderbestehen dartun.
D. Das von der anfechtenden Wählergruppe - als dem Grundsatz der Verhältniswahl widersprechend - geltend gemachte Mißverhältnis zwischen den von den Parteien erreichten Wählerstimmen und der Anzahl der den Parteien zugewiesenen Mandate liegt auch darin begründet, daß der anfechtenden Wählergruppe in dem nach §65 LWO 1975 durchgeführten zweiten Ermittlungsverfahren kein Mandat zugefallen ist.
Das zweite Ermittlungsverfahren dient gem. §62 Abs3 und §65 LWO 1975 der Vergebung der Mandate, die im ersten Ermittlungsverfahren innerhalb der Wahlkreise nicht vergeben wurden (Restmandate) und wird von der Landeswahlbehörde durchgeführt. Anspruch auf Restmandate haben gem. §65 Abs3 LWO 1975 nur Wählergruppen, die - neben anderen Voraussetzungen - einen gültigen Landeswahlvorschlag eingebracht haben.
Der Sache nach wird also zum Zwecke des zweiten Ermittlungsverfahrens das ganze Landesgebiet als Wahlkreisverband vorgesehen, ohne daß dieser Begriff im Gesetz verwendet wird.
Der VfGH hat gegen eine solche Regelung keine Bedenken.
Im Erk. VfSlg. 8321/1978, S 371, hat der VfGH ausgeführt, daß Art95 Abs3 B-VG für die Wahlen zu den Landtagen die Teilung des Landesgebietes in mehrere - also mindestens zwei - Wahlkreise anordnet und daß damit die Zusammenfassung der Wahlberechtigten eines Bundeslandes zu einem einzigen Wahlkörper unzulässig ist.
Aus diesem Erk. ist jedoch nicht abzuleiten, daß im Falle der Einrichtung von Wahlkreisverbänden auch mindestens zwei solche Verbände vorgesehen werden müssen. Mit dieser Frage hat sich der VfGH in dem Erk. nicht befaßt.
Auch aus der vom VfGH wiederholt gemachten Aussage, daß das Wort "Wahlkreise" im ersten Satz des Art26 Abs2 B-VG sowohl die Wahlkreise als auch die mehrere Länder umfassenden Wahlkreisverbände deckt (vgl. zB VfSlg. 1381/1931, S 221, 3653/1959, S 471, 6087/1969, S 854, 6563/1971, S 790, 794, 8321/1978, S 370), ist für die Beantwortung der Frage, ob verfassungsgesetzlich die Einrichtung mehrerer Wahlkreisverbände vorgeschrieben ist, nichts zu gewinnen, denn damit ist nicht gesagt, daß für Wahlkreise und Wahlkreisverbände die gleiche Rechtslage gilt. Eine solche Aussage verbietet sich schon im Hinblick auf Art26 Abs2 zweiter Satz B-VG, wonach die Zahl der Abgeordneten auf die Wahlberechtigten eines Wahlkreises (Wahlkörper) im Verhältnis der Bürgerzahl der Wahlkreise zu verteilen ist. Denn abgesehen davon, daß mit dieser Bestimmung (iZm dem letzten Satz dieses Absatzes) die Errichtung von anderen als territorial umschriebenen Wahlkörpern ausgeschlossen werden soll (vgl. VfSlg. 1381/1931, S 221), kann in einem Wahlkreisverband (in seinem wesensnotwendigen Zusammenhang mit einem zweiten Ermittlungsverfahren) die Verteilung der im ersten Ermittlungsverfahren nicht verteilten (Rest-)Mandate nicht im Verhältnis zur Bürgerzahl vorgenommen werden.
Die alleinige Bedeutung der Wahlkreisverbände im Zusammenhang mit einem zweiten Ermittlungsverfahren, "das doch nur eine Ergänzung des ersten Verfahrens ist" (VfSlg. 1381/1931, S 225, 1382/1931, S 233) macht deutlich, daß das Verfassungsgebot der Teilung des Bundesgebietes in Wahlkreise (Art26 Abs2 B-VG) und der Landesgebiete in Wahlkreise (Art95 Abs3 B-VG) für den Fall eines zweiten Ermittlungsverfahrens nicht auch zwingend die Einrichtung mehrerer Wahlkreisverbände erfordert.
Der VfGH hat übrigens schon im Erk. VfSlg. 3654/1959, S 475, die Regelung der Nö. Landtagswahlordnung 1959, daß für das zweite Ermittlungsverfahren alle Wahlkreise in einem einzigen Wahlkörper zusammengefaßt sind, für unbedenklich erachtet.
E. Aus diesen Darlegungen ergibt sich, daß die in der LWO 1975 getroffenen Regelungen über die Einteilung des Landes Tirol in fünf Wahlkreise, über das erste Ermittlungsverfahren und die Durchführung des zweiten Ermittlungsverfahrens in einem das ganze Landesgebiet umfassenden Wahlkreisverband unbedenklich sind. Auch die sich aus dem Zusammenspiel dieser Komponenten der Wahlrechtsregelung ergebenden Abweichungen von der strikten mathematischen Proportionalität liegen im Rahmen der im B-VG geregelten Grundsätze der Verhältniswahl.
F. Aus Art141 Abs1 zweiter und dritter Satz B-VG sowie aus den §§67 Abs1, 69 Abs2 und 70 Abs1 VerfGG 1953 (die erstgenannte Bestimmung idF BGBl. 18/1958) ergibt sich, daß der VfGH das Wahlverfahren nur in den Grenzen der behaupteten Rechtwidrigkeit zu überprüfen hat, daß er aber darüber hinaus die Gesetzmäßigkeit des Wahlverfahrens von Amts wegen einer weiteren Überprüfung nicht unterziehen darf (vgl. VfSlg. 1904/1950, 2937/1955, 6339/1970, 7070/1973, 8321/1978, WI-1/79, G15/79 vom 8. 12. 1979).
Schlagworte
Wahlen, Verhältniswahl, Ermittlungsverfahren (Wahlen), Wahlkreise, Wahlrecht aktivesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1980:WI8.1979Dokumentnummer
JFT_10199380_79WI0008_00