TE Vfgh Erkenntnis 1980/6/23 B298/77, B336/77

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Veröffentlicht am 23.06.1980
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Index

13 Staatsvertragsdurchführung, Kriegsfolgen
13/02 Vermögensrechtliche Kriegsfolgen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
AVG §62 Abs4
VerteilungsG Polen §29 Z1

Leitsatz

Verteilungsgesetz Polen; Wertermittlung für in Verlust geratene Lokomotiven; Außerachtlassung des Buntmetallanteiles; Gleichheitsverletzung

Spruch

1. Die gegen den Bescheid der Bundesverteilungskommission beim Bundesministerium für Finanzen vom 19. August 1977 gerichtete Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der angefochtene Bescheid der Bundesverteilungskommission beim Bundesministerium für Finanzen vom 6. Juli 1977, berichtigt mit Bescheid vom 19. August 1977, wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) Die Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. hat mit Schreiben vom 8. April 1976 den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) mitgeteilt, daß sie die nach dem Anmeldegesetz Polen, BGBl. 235/1971, idF der Nov. BGBl. 327/1974, fristgerecht angemeldeten, in Polen erlittenen Vermögensverluste überprüft und die Höhe der Verluste, die Gegenstand einer Entschädigung nach dem Verteilungsgesetz Polen, BGBl. 75/1974 (VGP), sein können, mit 5159040 S ermittelt habe. Dieser Betrag wurde für den Verlust von "sonstigem Vermögen" (§11 Abs1 Z4 VGP), nämlich von 27 ÖBB-Lokomotiven (Baujahre 1900 bis 1921), die im Jahre 1938 von der Deutschen Reichsbahn übernommen wurden, die sich im Jahre 1945 auf polnischem Staatsgebiet befanden und die in der Folge in Polen verblieben sind, ermittelt.

Mit demselben Schreiben wurde den ÖBB mitgeteilt, daß die gleichfalls zur Entschädigung angemeldeten "Eisenbahnprioritäten" bei der Ermittlung des Vermögensverlustes nicht berücksichtigt werden konnten, da sie "innere polnische Anleihen" seien, die gem. §5 Z1 VGP nicht zu entschädigen seien.

Die ÖBB haben sich mit Schreiben vom 24. Mai 1976 mit der von der Finanzlandesdirektion ermittelten Höhe der den Anspruch nach dem VGP begründenden Verluste einverstanden erklärt.

Gem. §35 Abs3 VGP wurde dieser einvernehmliche Antrag der Bundesverteilungskommission beim Bundesministerium für Finanzen vorgelegt.

b) Diese Behörde hat mit Bescheid vom 6. Juli 1977 festgestellt, daß der angemeldete Anspruch teilweise zu Recht besteht und der den Anspruch begründende Verlust für Wirtschaftsgüter gem. §29 Z1 VGP 88340 S beträgt.

Der Bescheid wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Anspruch in Ansehung von 27 Lokomotiven zu Recht bestehe, weil sie als "Deutsches Eigentum" von der polnischen Seite in Anspruch genommen wurden. Diese Gegenstände seien nach dem Schrottwert (2054,4 t bei einem mittleren Preis per 1. Feber 1946 von 43 S t) zu entschädigen, was den Gesamtentschädigungsbetrag von 88339,20 S ergebe.

Was die Eisenbahnprioritäten betreffe, handle es sich dabei um innere polnische Anleihen, die gem. §5 Z1 VGP nicht zu entschädigen seien.

c) Mit Bescheid vom 19. August 1977 hat die Bundesverteilungskommission den Bescheid vom 6. Juli 1977 unter Berufung auf §62 Abs1 (richtig offenbar: Abs4) AVG 1950 dahin berichtigt, daß er zu lauten hat:

"I. Der angemeldete Anspruch besteht teilweise zu Recht.

II. Der den Anspruch begründende Verlust wird festgestellt: Für sonstige Verluste 530035,20 S."

Dieser "Berichtigungsbescheid" wurde - nach einer kurzen Widergabe des Inhaltes des Bescheides vom 6. Juli 1977 - wie folgt begründet:

"Gemäß §26 Abs2 VGP ist die Höhe der zu entschädigenden Verluste der von der Maßnahme betroffenen Wirtschaftsgüter des Betriebes mit dem gemeinen Wert nach den Preisverhältnissen in Österreich zum 8. 5. 1945 zu bestimmen, wobei die Preise nicht überschritten werden dürfen, die den zu diesem Zeitpunkt bestandenen Preisregelungsvorschriften entsprechen. Bewertungsgrundlagen, die auf RM lauten, sind gem. §28 VGP im Verhältnis eine 1 RM = S 6 umzurechnen. Wie einer vorliegenden auszugsweisen Ablichtung der Anordnung der Reichsstelle für Eisen und Metalle und der Reichsvereinigung Eisen vom 21. 12. 1942 entnommen werden kann, waren auch damals die Schrottpreise in gleicher Höhe festgesetzt, wie sie vom Feststellungssenat angenommen wurden. Es ist dann aber davon auszugehen, daß der Verlustermittlung ein Betrag von RM 88339,20 zugrunde zu legen ist, was einem Verlust von S 530035,20 entspricht.

Der Feststellungssenat hat in seinem Bescheid vom 6. 7. 1977 offenbar übersehen, daß die Bewertung auf den Stichtag 8. 5. 1945 abzustellen ist. Gemäß §62 Abs1 AVG 1950 können auf ein Versehen beruhende Unrichtigkeiten in Bescheiden jederzeit von Amts wegen berichtigt werden; eine solche offenbare Unrichtigkeit liegt hier vor."

2. a) Gegen den Bescheid vom 6. Juli 1977 wendet sich die zu B298/77 erhobene, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit und auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

b) Die zu B336/77 erhobene Beschwerde wendet sich gegen den Bescheid vom 19. August 1977. Sie nimmt nicht auf die zu B298/77 eingebrachte Beschwerde Bezug. Sie wird gleichfalls auf Art144 B-VG gestützt. Auch in ihr wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsrechtes und des Eigentumsrechtes behauptet und die Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt.

II. Der VfGH hat zur Frage der Zulässigkeit der Beschwerden erwogen:

1. Die Entscheidungen der Bundesverteilungskommission unterliegen weder der Aufhebung noch der Abänderung im Verwaltungsweg (§34 VGP iVm §18 Abs5 des Verteilungsgesetzes Bulgarien, BGBl. 129/1964).

Der administrative Instanzenzug ist erschöpft.

2. Der zu B298/77 angefochtene Bescheid vom 6. Juli 1977 wurde mit Bescheid vom 19. August 1977 unter Bezugnahme auf §62 Abs4 AVG berichtigt. Der Beschwerdeführer hat sich in der zu B336/77 erhobenen, gegen den Bescheid vom 19. August 1977 gerichteten Beschwerde nicht dagegen gewendet, daß eine - im übrigen zu seinen Gunsten lautende - Berichtigung vorgenommen wurde; vielmehr werden in dieser zweiten Beschwerde im wesentlichen die in der ersten Beschwerde vorgetragenen Rügen soweit wiederholt, als ihnen nicht mit dem Berichtigungsbescheid bereits Rechnung getragen wurde.

Jedenfalls unter diesen Umständen hat der VfGH den Bescheid vom 6. Juli 1977 in der berichtigten Fassung seiner Überprüfung zugrunde zu legen. Der Berichtigungsbescheid bildet mit dem von ihm berichtigten Bescheid eine Einheit (VfSlg. 7689/1975 und die dort zitierte Judikatur des VwGH); ob die Änderung des ersten Bescheides zu Recht auf §62 Abs4 AVG gestützt wurde, ist dabei hier belanglos (VfSlg. 8194/1977).

Gegenstand der zu B298/77 erhobenen Beschwerde ist sohin der Bescheid vom 6. Juli 1977 in seiner berichtigten Fassung. Diese Beschwerde ist, da alle Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.

Die zu B336/77 eingebrachte Beschwerde wendet sich gegen einen Berichtigungsbescheid. In der Beschwerde wird nicht behauptet, die Berichtigung sei in Widerspruch zu §62 Abs4 AVG vorgenommen worden. Jedenfalls unter den geschilderten Voraussetzungen gilt - wie dargetan - der Berichtigungsbescheid bereits als mit dem durch ihn berichtigten Bescheid bekämpft. Die zu B336/77 erhobene gesonderte Beschwerde gegen den Berichtigungsbescheid war daher als unzulässig zurückzuweisen.

III. In der Sache selbst hat der VfGH erwogen:

1. Nach der ständigen Judikatur des VfGH (VfSlg. 8309/1978) kann das Gleichheitsrecht durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde nicht nur dann verletzt werden, wenn die Behörde dem Beschwerdeführer absichtlich Unrecht zugefügt hat; vielmehr greifen auch das Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder das Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt ebenso wie ein leichtfertiges Abgehen von dem Inhalt der Akten oder das völlige Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes in die Verfassungssphäre ein.

Ein solcher Fall liegt hier vor:

Wie sich aus dem bezughabenden Akt der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. ergibt, hat diese Behörde den Wert der 27

Lokomotiven mit 5159040 S wie folgt ermittelt:

"Gesamtgewicht 27 Lok + Tender: 2054,4  t

Buntmetallanteil              :   61,45 t = 2,99%

23 Lok nicht fahrbereit

Gewicht: 1750 t

Schrottpreis: RM 300/t        = RM 525000

4 Lok fahrbereit

Gewicht: 304,4 t

Schrottpreis: RM 1100/t       = RM 334840   RM 859840

                                          x Faktor 6 = S 5159040."

Von diesem Wert geht der an die belangte Behörde gerichtete einvernehmliche Antrag aus (s. o. I.1.a).

Der belangten Behörde mußte der Umstand, daß bei der Wertermittlung der Buntmetallanteil von wesentlicher Bedeutung sei, schon aufgrund des ihr vorliegenden Aktes der Finanzlandesdirektion bekannt sein. Im übrigen hat die belangte Behörde in ihrer am 7. Feber 1977 an den Schrottverband der Österreichischen Stahl- und Eisenwerke Gesellschaft m.b.H. gerichteten Anfrage folgendes ausgeführt:

"... Bei der Wertermittlung handelt es sich um insgesamt 27 Lokomotiven mit Tender der ÖBB, Baujahr 1914 bis 1921; Gesamtgewicht:

2054,4 t, Buntmetallanteil: 61,45 t - 2,99% ..."

Der Schrottverband hat diese Anfrage damit beantwortet, daß nach der ältesten verfügbaren Schrottpreisliste vom 1. Dezember 1946 der Preis der Schrottsorte 0 49 S/t, der Preis der Schrottsorte 1b 37 S/t betragen habe. Dieses Schreiben schließt mit folgendem Hinweis:

"Bei diesen Preisen handelt es sich lediglich um Stahlschrottpreise, wobei über den Wert des Buntmetalls keine Aussage gemacht werden kann."

Dennoch ist die belangte Behörde ausschließlich vom Wert des Stahlschrottes in der Höhe von 43 S/t ausgegangen. Sie hat den Buntmetallanteil völlig unberücksichtigt gelassen, obgleich ihr - wie oben dargelegt - bekannt sein mußte, daß die Lokomotiven einen Buntmetallanteil hatten (insb. bestanden die Siederohre aus Kupfer). Der Behörde mußte weiters bekannt sein, daß der Altkupferpreis ganz wesentlich höher war (nämlich nach den unbestrittenen Beschwerdebehauptungen im Jahre 1946 25300 S/t) als der Preis des Stahlschrottes (der im angefochtenen Bescheid mit 43 S/t angenommen wurde). Die belangte Behörde hat nicht begründet, weshalb sie auf den Wert des Buntmetalls nicht Bedacht genommen hat. Es ist keineswegs offenkundig, daß ihr eine derartige Bedachtnahme unmöglich gewesen wäre.

Die belangte Behörde hat auch unbegründet gelassen, weshalb sie der Behauptung des Antragstellers, von den 27 Lokomotiven seien vier noch betriebsbereit gewesen, nicht gefolgt ist; sie ist auf diesen Umstand überhaupt nicht eingegangen.

2. Der Beschwerdeführer ist sohin durch den angefochtenen Bescheid im Gleichheitsrecht verletzt worden. Der Bescheid war aus diesem Grunde als verfassungswidrig aufzuheben.

Schlagworte

Bescheidberichtigung, Entschädigung Polen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B298.1977

Dokumentnummer

JFT_10199377_77B00298_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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