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60 ArbeitsrechtNorm
StGG Art5Beachte
Anlaßfall zu G33/79 v. 7. Dezember 1979Leitsatz
Arbeitnehmerschutzgesetz; Strafbarkeit nach diesem Gesetz Allgemeine Dienstnehmerschutzverordnung; keine Bedenken gegen §22 Abs3; keine denkunmögliche Anwendung des §22 Abs3 (iVm §31 Abs2 litp ANSchG)Spruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. Juni 1978 wurde der Beschwerdeführer nach §31 Abs2 litp Arbeitnehmerschutzgesetz - ANSchG - a) iVm zwei durch Bescheid des magistratischen Bezirksamtes erteilten Auflagen und b) iZm §22 Abs3 der Allgemeinen Dienstnehmerschutzverordnung - DNSchV - bestraft, weil am 14. Juli 1975 a) entgegen den genannten Auflagen die Lasthebemaschine ohne positiven Abnahmebefund in Betrieb genommen wurde und die Prüfvormerkungen für die Lasthebemaschine und die Kipptore nicht zur Einsicht im Betrieb bereitgehalten worden waren und b) die Gänge im Kellerlagerraum, die Stiege im Kellereck sowie die Heizraum- und Kühlmaschinenraumtür durch Lagerung verstellt waren.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, insb. des Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums gerügt wird. Die gesetzlichen Bestimmungen seien denkunmöglich angewendet worden, §22 Abs3 DNSchV sei verfassungswidrig, und der Beschwerdeführer sei in verfassungswidriger Weise aufgrund ein und desselben Sachverhaltes dreimal bestraft worden.
II. Nach §31 Abs2 litp ANSchG werden Arbeitgeber oder deren Bevollmächtigte bestraft, die den Vorschriften der aufgrund des §24 dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen oder den aufgrund des §27 dieses Bundesgesetzes vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen oder den erteilten Aufträgen zuwiderhandeln. Nach der Übergangsbestimmung des §33 Abs1 ANSchG bleiben ua. bestimmte namentlich angeführte Verordnungen bis zur Neuregelung des betreffenden Gebietes durch eine aufgrund von Bestimmungen dieses Gesetzes erlassene Verordnung (darunter die DNSchV: lita Z10) im bisherigen Umfang als Bundesgesetz in Geltung. Hieran anknüpfend gebietet §33 Abs7 die sinngemäße Anwendung der Bestimmungen des §31 bei Zuwiderhandlung gegen die in Abs1 genannten Rechtsvorschriften. Nach §34 Abs3 ANSchG bleiben auch die zum Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit von Dienstnehmern vor dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen so lange wirksam, als sie nicht durch aufgrund dieses Bundesgesetzes oder von hiezu ergangenen Verordnungen vorgeschriebene Bedingungen, Auflagen oder Aufträge gegenstandslos werden; auch bei Zuwiderhandlungen gegen solche weiter wirksame Bedingungen oder Auflagen gelten die Bestimmungen des §31 sinngemäß.
Aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdeverfahrens hat der VfGH im Anschluß an mehrere Anträge des VwGH von Amts wegen die Verfassungsmäßigkeit des §31 Abs2 litp und des ersten Satzes des §33 Abs7 ANSchG geprüft, mit Erk. G106/78, 33/79 ua. vom 7. Dezember 1979 die geprüften Bestimmungen jedoch nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
III. Die Beschwerde ist nicht begründet.
1. Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, die Betriebsanlage unterliege der Gewerbeordnung und sei auch gewerberechtlich genehmigt worden, sodaß eine Bewilligung nach dem ANSchG nach dessen §27 Abs2 nicht erforderlich sei, daher könne überhaupt kein strafbarer Tatbestand vorliegen.
Dieses Vorbringen übersieht, daß der Beschwerdeführer nicht etwa deswegen bestraft wurde, weil er einen gefährlichen Betrieb ohne Bewilligung geführt hätte, sondern weil er bestimmten, bescheidmäßig vorgeschriebenen Auflagen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer nicht nachgekommen ist. Daß die erteilten Auflagen bei der durch §34 Abs3 gebotenen sinngemäßen Anwendung des §31 Abs2 litp ANSchG jedenfalls denkmöglich als solche iS des §27 ANSchG angesehen werden können, ergibt sich schon daraus, daß §27 ANSchG selbst in den nach anderen bundesgesetzlichen Vorschriften durchzuführenden Bewilligungsverfahren die Erteilung von Auflagen vorsieht.
Warum die Übertretung der nach §24 ANSchG erlassenen Verordnungen nur mit gewerberechtlichen Strafen bedroht sein soll, ist unerfindlich.
§31 Abs2 litp ANSchG verweist insoweit unmittelbar (und nicht erst über §27) auf §24. Daß auch die Gewerbebehörde §24 ANSchG beachten muß, hat mit der Strafbarkeit eines Verstoßes gegen solche Verordnungen nichts zu tun.
2. Dem Vorwurf der Mißachtung der die Lasthebemaschine betreffenden Auflagen begegnet der Beschwerdeführer weiter mit der Behauptung, der diese Auflagen enthaltende Bescheid vom 4. Mai 1972 gehöre seit der Bewilligung der Änderung der Betriebsanlagen vom 7. Juli 1975 nicht mehr dem Rechtsbestand an; die Rechtskraft der Änderungsbewilligung sei nicht ausschlaggebend.
Nach der Aktenlage ist der Bescheid vom 7. Juli 1975 dem Beschwerdeführer am 15. Juli zugestellt worden. Es ist daher die Annahme nicht denkunmöglich, der Beschwerdeführer sei zur Tatzeit (14. Juli) noch wegen Nichtbeachtung der im Bescheid aus 1972 enthaltenen Auflagen strafbar geworden.
3. Soweit die Beschwerde eine Verfassungswidrigkeit des §22 Abs3 DNSchV in der Anordnung von Maßnahmen erblickte, die über die einschlägigen Bestimmungen des ANSchG (§§4 und 17) hinausgehen, und der Meinung war, insoweit stütze sich die DNSchV bloß auf die unzureichende (formale) Ermächtigung des §24 Abs1 ANSchG, hat der Beschwerdeführer den Vorwurf in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich nicht aufrechterhalten. Er wäre auch verfehlt, weil er auf die Behauptung der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung hinausliefe, die DNSchV aber auf der Stufe eines Bundesgesetzes steht (§33 Abs1 ANSchG).
Der VfGH teilt aber auch die in der mündlichen Verhandlung neu vorgebrachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §22 Abs3 DNSchV nicht, die der Beschwerdeführer aus dem Nebeneinander von Vorschriften gleichen Ranges ableiten will. Wie im bereits genannten Erk. G106/78, 33/79 ua. vom 7. Dezember 1979 dargetan, beläßt die Überleitungsbestimmung des §33 Abs1 ANSchG bis zur Erlassung von Verordnungen zur Ausführung des ANSchG die bisherigen Vorschriften in vollem Umfang in Geltung, ohne daß es auf ihre Übereinstimmung mit den (neuen) Bestimmungen des ANSchG ankäme. Legt die DNSchV dem Arbeitgeber also Pflichten auf, die über die im ANSchG enthaltenen hinausgehen, so bleiben sie infolge ihres Ranges als Bundesgesetz gleichwohl weiter aufrecht. Eine solche Regelung ist zwar der Übersichtlichkeit der Rechtsordnung nicht förderlich (sie erweckt insb. den das ursprüngliche Beschwerdevorbringen erklärenden Eindruck, die Bestrafung erfolge wegen Übertretung einer Verordnung, während sie wegen Übertretung eines Gesetzes erfolgt), ist aber nicht verfassungswidrig.
Die Beschwerde lastet der belangten Behörde allerdings auch eine denkunmögliche Anwendung des §22 Abs3 DNSchV an, weil dort lediglich von der Lagerung auf Stiegen, Endausgängen und zu diesen führenden Gängen, nicht aber von anderen Verkehrswegen die Rede sei; daher könne ein Verstellen der Heizraum- und Kühlmaschinenraumtür diesen Tatbestand nicht verwirklichen. Lagerung könne ferner nur ein längerfristiges Abstellen, nicht eine kurzfristige Manipulation sein. Ob die Gänge im Kellerlagerraum Gänge zu Endausgängen seien, habe die Behörde gar nicht festgestellt.
Mit diesen Ausführungen wird jedoch kein in die Verfassungssphäre reichender Mangel dargetan:
Die ersten 3 Sätze des §22 Abs3 DNSchV lauten:
"Stiegen und Endausgänge sowie zu diesen führende Gänge sind von allen Verkehrshindernissen freizuhalten. Auf Stiegen und Gängen dürfen auch vorübergehend keine Lagerungen vorgenommen werden. Alle sonstigen Verkehrswege sind ebenfalls von Hindernissen freizuhalten, jedoch können auf diesen durch die Betriebsweise vorübergehend notwendige Materiallagerungen bis auf die nach Abs4 freizulassende nutzbare Mindestbreite vorgenommen werden ..."
Nach dem zweiten Satz des Abs4 müssen Durchgänge zwischen Lagerungen, Maschinen oder sonstigen Einrichtungen eine Mindestbreite von 0,60 m aufweisen.
In der Anzeige des Arbeitsinspektorates wird auf eine Betriebsprüfung vom 7. Juli 1972 Bezug genommen. Darin war ua. festgestellt worden, die Überprüfung eines Bescheidpunktes habe nicht erfolgen können, "da beide Türen Heizraum und Kühlmaschinenraum (bis zur Decke) total verstellt waren", und es seien "die Gänge im Kellerlagerraum sowie die Stiege im Kellereck ... total verstellt" gewesen. Diese Mängel wurden laut Anzeige auch bei der Besichtigung vom 14. Juli 1975 wieder wahrgenommen. Der von der Behörde erster Instanz vernommene Filialleiter gab nur an, die angezeigten Lagerungen und Verstellungen seien durch eine kurz vorher erfolgte Anlieferung verursacht worden, und erklärte auch bei einer neuerlichen Einvernahme im Zuge des Berufungsverfahrens noch, die Lagerungen seien im Zeitpunkt der Einschau wohl vorhanden, jedoch durch Lieferung von Wein und Bereitstellung leerer Kartons bedingt gewesen; sie seien am selben Tag wieder entfernt worden, weil der Platz aus betrieblichen Gründen gebraucht worden sei.
Bei diesen Verfahrensergebnissen ist es jedenfalls nicht denkunmöglich, einen Verstoß gegen §22 Abs3 DNSchV anzunehmen. Denn es ist nicht schlechthin ausgeschlossen, Gänge im Kellerlagerraum, eine Stiege und Türen zum Heiz- und zum Kühlmaschinenraum als Verkehrswege iS dieser Bestimmung und ihr "totales Verstellen" als eine die Mindestbreite nach §22 Abs4 DNSchV nicht freilassende (wenngleich vielleicht vorübergehende) Materiallagerung anzusehen. Ob der Sachverhalt gesetzmäßig erhoben und das Gesetz richtig angewendet wurde, hat nicht der VfGH zu prüfen.
4. Verfassungswidrigerweise mehrfach bestraft fühlt sich der Beschwerdeführer, weil ihm "für angebliche Lagerungen" drei Verwaltungsübertretungen zur Last gelegt worden seien, es könne sich dort nur um einen einzigen Verstoß handeln.
Dieses Beschwerdevorbringen geht indessen von einer falschen Prämisse aus, da dem Beschwerdeführer zur Last liegt, mehrere Verkehrswege zu Unrecht nicht freigehalten zu haben und dies jedenfalls als eine Mehrzahl von Übertretungen gewertet werden kann. Auf die Frage der verfassungsrechtlichen Verankerung des Grundsatzes "ne bis in idem", deren Bejahung das Beschwerdevorbringen unausgesprochen voraussetzt, ist daher gar nicht einzugehen.
Nachdem weder Bedenken gegen die angewendeten Rechtsvorschriften bestehen noch die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes hervorgekommen ist, muß die Beschwerde abgewiesen und antragsgemäß dem VwGH abgetreten werden.
Schlagworte
Arbeitnehmerschutz, Verwaltungsstrafrecht, Bescheid Rechtskraft, Bindung (der Verwaltungsbehörden an Bescheide), VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1980:B450.1978Dokumentnummer
JFT_10199375_78B00450_00