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44 ZivildienstNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Zivildienstgesetz; §2 Abs1 gewährleistet verfassungsgesetzlich das Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung; Verletzung dieses Rechtes; kein Entzug des gesetzlichen RichtersSpruch
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Der bei der Stellung am 7. März 1969 für tauglich befundene Beschwerdeführer beantragte mit einer Eingabe vom 19. Jänner 1976 unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974 (im folgenden: ZDG), die Befreiung von der Wehrpflicht. Er führte in seinem Antrag im wesentlichen folgendes aus: Es sei seine innerste Überzeugung und ein wesentlicher, dauerhafter Bestandteil seiner Persönlichkeitsstruktur, daß er nicht Strategien der Gewalt wählen dürfe, um seinen Standpunkt zu dokumentieren. Leben sei für ihn unantastbar, höchstes Gut der Menschheit und über alle weltlichen Fragen erhaben. Wegen dieser persönlichen Einstellung wäre sein sensibles, kognitives und emotionales Empfinden unüberwindbaren Dissonanzen ausgesetzt, würde er einer Vereinigung oder Institution integriert, die unter Umständen für Waffengewalt eintrete.
2. Die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDK) führte sodann Erhebungen über die Person des Beschwerdeführers durch. Diese ergaben - sieht man von zwei von der auskunfterteilenden Behörde als geringfügig bezeichneten Übertretungen der StVO ab - seine Unbescholtenheit; auch sonst kam Nachteiliges nicht hervor.
In der mündlichen Senatsverhandlung brachte der Beschwerdeführer vor, daß er ein halbes Jahr in einer psychiatrischen Klinik in Irland Sozialdienst geleistet habe. Auf Befragen gab er an, daß er im Falle eines Angriffes auf Österreich nicht mit der Waffe, sondern geistig auf seiner Ebene Widerstand leisten würde. Konkret könne er keine Beispiele geben, außer daß er keine Informationen weitergeben würde. Er möchte einmal ein Kurhaus eröffnen und würde für einen Angreifer nicht arbeiten. Wie er sich verhielte, wenn sein Kind angegriffen würde, wisse er nicht. Er sei bei keiner Organisation, um seinen Ansichten zum Durchbruch zu verhelfen.
3. Die ZDK, Senat 4, wies mit ihrem Bescheid vom 10. Juni 1976, in dem die Senatsmitglieder namentlich genannt sind, den Antrag des Beschwerdeführers ab. Sie begründete ihre Entscheidung unter Bezugnahme auf §§2 Abs1 und 6 Abs1 ZDG im wesentlichen folgendermaßen: In der Verhandlung vor der ZDK sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen, glaubhaft darzutun, weshalb er den Antrag erst im Jänner 1976 eingebracht habe, obzwar er bereits im Juni 1974 gemustert worden sei. Auch sei vor der Kommission klargeworden, daß der Beschwerdeführer sich mit den Problemen der Landesverteidigung nie ernsthaft auseinandergesetzt habe. Er habe auch bisher keinen Organisationen angehört, um seinen Ansichten zum Durchbruch zu verhelfen, und sei auch sonst nicht im pazifistischen Sinn tätig gewesen.
4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, insb. des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung, behauptet und die Aufhebung des Bescheides beantragt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Den Vorwurf, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt zu sein, stützt der Beschwerdeführer zum Teil auf Behauptungen, die selbst zutreffendenfalls eine solche Rechtsverletzung nicht nachzuweisen vermöchten.
Der Beschwerdeführer spricht zunächst von der "Anonymität des gesetzlichen Richters", weil seiner Meinung nach in der Bescheidausfertigung "die rechtsprechenden Organwalter" namentlich genannt sein müßten, der angefochtene Bescheid jedoch nur den Senat 4, nicht aber dessen Mitglieder anführe.
Wie der VfGH jedoch schon ausgesprochen hat (VfSlg. 7293/1974), greift der Umstand, daß die personelle Zusammensetzung einer Kollegialbehörde im Zeitpunkt der Erlassung eines Bescheides aus diesem nicht erkennbar ist, in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht ein; nur dann, wenn die Kollegialbehörde in einer gesetzwidrigen Zusammensetzung entschieden hätte, wäre dieses Recht verletzt. Der vorliegende Beschwerdefall bietet keinen Anlaß, von dieser Auffassung abzugehen; es ist daher ohne Belang, daß die in Rede stehende Behauptung auch in tatsächlicher Hinsicht nicht zutrifft.
Weiters wirft der Beschwerdeführer der belangten Behörde vor, daß an der Senatsentscheidung das (mit ihm verfeindete und daher) befangene Mitglied Heribert Sch. mitgewirkt habe.
Hiezu genügt der Hinweis auf die (vom Beschwerdeführer nicht bezogene) ständige Rechtsprechung des VfGH, wonach das geltendgemachte verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht durch die Mitwirkung eines befangenen Organs nicht verletzt wird (s. zB VfSlg. 8519/1979).
Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter könnte gemäß der vorhin schon erwähnten ständigen Rechtsprechung des VfGH (s. zB VfSlg. 8268/1978) nach der Lage dieses Beschwerdefalles jedoch stattgefunden haben, wenn die zur getroffenen Sachentscheidung zweifellos berufene belangte Kollegialbehörde den bekämpften Bescheid in einer unrichtigen personellen Zusammensetzung erlassen hätte. Dies lastet ihr der Beschwerdeführer jedoch in einer derart insubstantiellen Weise an, daß der VfGH keinen Anhaltspunkt dafür findet, worin der angenommene Mangel konkret liegen soll. Der Beschwerdeführer bezieht sich auf die Bestimmung der Z3 in §47 Abs3 ZDG, derzufolge jedem Senat als ständige Mitglieder ua. anzugehören haben: "Zwei Mitglieder auf Vorschlag von solchen Jugendorganisationen oder deren Verbänden, die nach ihren Statuten für die wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen und kulturellen Angelegenheiten der Jugend wirken und nach Zusammensetzung und Mitgliederzahl eine repräsentative Interessenvertretung der österreichischen Jugend darstellen." Er meint nun, daß die dem erkennenden Senat angehörenden, gem. der wiedergegebenen Gesetzesvorschrift bestellten Mitglieder Sch. und D. Vereinigungen angehörten, die nicht als repräsentative Interessenvertretungen anzusehen seien; zudem seien sie von unzuständigen Organen unter Mißachtung satzungsgemäßer Beschlußerfordernisse vorgeschlagen worden.
Der Beschwerdeführer legt also weder dar, ob der Mangel, aus dem er das Fehlen einer Vorschlagsberechtigung ableitet, in Ansehung der Zusammensetzung oder der Mitgliederzahl einer bestimmten Jugendorganisation gegeben sein soll; er deutet auch nicht an, worin der Mangel in bezug auf die innere Willensbildung über die Vorschlagserstattung liegen soll. Im Hinblick auf die extreme Undeutlichkeit des Beschwerdevorwurfs vermag der VfGH auf ihn nicht weiter einzugehen. Es ist eine untaugliche Methode versuchter Rechtsdurchsetzung, beweislos Behauptungen völlig allgemeiner Art aufzustellen, deren sachliches Substrat sich in Wahrheit in der bloßen Negation gesetzlicher Voraussetzungen des Verwaltungshandelns erschöpft.
Zusammenfassend ist sohin festzuhalten, daß eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht stattgefunden hat.
2. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes, BGBl. 181/1955, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH hat in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet; es wird verletzt, wenn die Behörde die in der bezogenen Gesetzesstelle umschriebenen materiellrechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - im Hinblick darauf, daß die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Rechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (s. zB VfGH 17. 3. 1980 B17/76). Wie der VfGH hiezu schon ausgesprochen hat, liegt ein wesentlicher Verstoß dieser Art insb. vor, wenn der Behörde ein wesentlicher Fehler im Bereich der Beweiswürdigung - einschließlich der Würdigung der Parteiaussage des Antragstellers als Bescheinigungsmittel - unterläuft oder wenn das Ermittlungsverfahren infolge des Außerachtlassens bedeutsamer Bescheinigungsmittel - einschließlich der Parteiaussage des Antragstellers - völlig unzulänglich geblieben ist (s. VfSlg. 8268/1978 und 8391/1978).
In bezug auf die Würdigung der Parteiaussage des Beschwerdeführers sind der belangten Zivildienstkommission - wie die folgenden Ausführungen nachweisen - in der Tat solche Fehler anzulasten.
Entgegen der Ansicht der belangten Behörde konnte es für die Würdigung des Parteienvorbringens sowie der Parteienaussage nicht entscheidend sein, wann der Antragsteller von dem ihm zustehenden Recht, den Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht einzubringen, Gebrauch machte; es kommt auf die Glaubhaftmachung der Gewissensgründe und nicht - wie die Behörde zu vermeinen scheint - auf den Zeitpunkt der Antragstellung an.
Es war auch vollkommen verfehlt, aus der Nichtzugehörigkeit des Beschwerdeführers zu einer Organisation mit pazifistischer Zielsetzung sowie daraus, daß er nicht in einem pazifistischen Sinne tätig war, die Glaubwürdigkeit der Gewissensgründe zu verneinen. Offenkundig ist nämlich, daß eine den materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG entsprechende Einstellung auch bei Personen vorliegen kann, die keine Neigung besitzen, ihre Auffassungen im Rahmen einer gleichgesinnten Personengemeinschaft oder öffentlichkeitsbezogen zu bekunden.
Der Umstand, daß der Beschwerdeführer - wie die Bescheidbegründung in diesem Punkt sinngemäß wohl verstanden werden muß - keine über durchschnittliche Vorstellungen hinausreichende Kenntnisse von Methoden der (nichtmilitärischen) Landesverteidigung verfügt, allein konnte jedoch ohne weitergehende Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers (insb. seiner Behauptung, im Ausland Sozialdienst in einem psychiatrischen Krankenhaus geleistet zu haben) nicht zu jener vorbehaltlosen Überzeugung führen, die es erlaubt, vorgebrachte Gewissensgründe nicht bloß als nicht erwiesen, sondern sogar als nicht wahrscheinlich zu werten.
Zusammenfassend ergibt sich sohin, daß der Beschwerdeführer infolge der schwerwiegenden, im verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufenen Fehler im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt wurde, weshalb der bekämpfte Bescheid aufzuheben war.
Schlagworte
ZivildienstEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1980:B354.1976Dokumentnummer
JFT_10199374_76B00354_00