TE Vfgh Erkenntnis 1980/6/26 B550/77

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Veröffentlicht am 26.06.1980
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Index

13 Staatsvertragsdurchführung, Kriegsfolgen
13/02 Vermögensrechtliche Kriegsfolgen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
Vermögensvertrag Polen Art1
VerteilungsG Polen §2
VerteilungsG Polen §3

Leitsatz

Verteilungsgesetz Polen; mangelhaftes Ermittlungsverfahren; Gleichheitsverletzung

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Beschwerdeführerin hat die österreichische Staatsbürgerschaft durch Verehelichung im Jahre 1927 erworben.

Sie hat nach dem Anmeldegesetz Polen, BGBl. 235/1971, fristgerecht den Verlust einer Liegenschaft in C. (früher T.)/Polen, S-gasse 11a, zur Entschädigung nach dem Verteilungsgesetz Polen, BGBl. 75/1974 (im folgenden kurz: VGP), angemeldet.

Der Feststellungssenat der Bundesverteilungskommission beim Bundesministerium für Finanzen hat mit Bescheid vom 18. Oktober 1977 ausgesprochen, daß der angemeldete Anspruch nicht zu Recht bestehe. In der Begründung dieser Entscheidung wird ausgeführt, daß die Antragstellerin zwar die Stichtagsvoraussetzungen nach §7 VGP erfülle, der angemeldete Anspruch aber aus folgenden Gründen dennoch nicht zu Recht bestehe:

"Die obgenannte Liegenschaft ist im Rahmen der Erbteilung nach ihrem am 14. 10. 1940 verstorbenen Vater Rudolf B. durch Abschreibung von einer erblasserischen Liegenschaft gebildet und vom Amtsgericht T. der Antragstellerin eingeantwortet worden (EU vom 20. 7. 1944 Gz 2 V 49/41, Bl. Zl. 44 der Akten). Das Finanzministerium der Volksrep. Polen hat auf die österr. Anfrage hin mitgeteilt, daß die Liegenschaft nicht als österr. Eigentum übernommen wurde, daß sie aber mit der Verpflichtung aus dem Titel Renovierung belastet ist.

Gem. §2 VGP ist eine Entschädigung nach diesem Gesetz für Vermögensverluste unter anderem österr. Staatsbürgern zu leisten, die durch tatsächliche Inanspruchnahme von Vermögenschaften, Rechten und Interessen zufolge Maßnahmen der Volksrep. Polen entstanden sind. Die Maßnahmen sind im §3 VGP aufgezählt. Im vorliegenden Fall ist jedoch eine solche Maßnahme nicht erfolgt. Auch die Tatsache, daß die Liegenschaft mit Verpflichtungen aus dem Titel Renovierung belastet ist - also offensichtlich einer Ersatzforderung der öffentlichen Hand für die Vornahme von Renovierungen -, stellt keine der im §3 VGP angeführten Maßnahmen dar, da die Liegenschaft als solche nicht vom poln. Staat tatsächlich übernommen wurde."

2. Gegen diesen Bescheid der Bundesverteilungskommission richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Nach der ständigen Judikatur des VfGH kann das Gleichheitsrecht ua. dann verletzt werden, wenn die Behörde Willkür geübt hat. Ein willkürliches Verhalten der Behörde ist nicht nur bei absichtlichem Zufügen von Unrecht, sondern auch dann gegeben, wenn die Behörde ihre Entscheidung leichtfertig gefällt hat, was insb. dann der Fall ist, wenn sie es unterlassen hat, ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren überhaupt durchzuführen. Das Verfahren ist in solchen Fällen derart qualifiziert mangelhaft, daß nicht bloß die Verletzung einfachgesetzlicher Verfahrensvorschriften, sondern ein Eingriff in die Verfassungssphäre vorliegt (vgl. zB VfSlg. 8124/1977, 8222/1977, 8252/1978; VfGH 12. 3. 1979 B463/76).

2. Ein solcher Vorwurf ist der Behörde hier zu machen:

a) Die Beschwerdeführerin hat in der Anmeldung ihres Vermögensverlustes ausgeführt, daß sie eine bebaute Liegenschaft in C./Polen im Jahre 1944 von ihrem Vater geerbt habe. Nach der Schilderung der Größe und des Zustandes des Hauses wird in der Anmeldung ausgeführt: "Derzeit ist das Haus von zwei Familien bewohnt, welche den Mietzins an die Stadtgemeinde C. abführen."

Die belangte Behörde hat sich damit begnügt, vom polnischen Finanzministerium eine Auskunft einzuholen. In Punkt 6 des Formulars teilt diese polnische Behörde mit: "Die Liegenschaft wurde nicht als österr. Eigentum übernommen, aber sie ist belastet mit Verpflichtungen aus dem Titel: Renovierung."

b) Nach §2 VGP ist Entschädigung für Vermögensverluste österreichischer physischer oder juristischer Personen zu leisten, die durch die tatsächliche Inanspruchnahme von Vermögenschaften, Rechten und Interessen zufolge Maßnahmen der Volksrepublik Polen entstanden sind, sofern diese Verluste nach dem Anmeldegesetz Polen fristgerecht angemeldet wurden.

Dem §3 VGP zufolge sind Maßnahmen iS des §2 bestimmte polnische Rechtsvorschriften (Z1 bis 3) sowie "Entscheidungen oder Beschlüsse polnischer Organe, welche die Entziehung von Eigentumsrechten sowie anderen österreichischen Rechten und Interessen zur Folge hatten" (Z4).

Nach dem klaren Wortlaut dieser Gesetzesbestimmungen (die dem Art1 des Vermögensvertrages Polen, BGBl. 74/1974, entsprechen) sind entschädigungsfähig nicht bloß Vermögensverluste zufolge polnischer genereller Normen, sondern auch solche, die aufgrund individueller Maßnahmen polnischer Organe eingetreten sind; eine Entschädigung gebührt - zumindest im letztgenannten Fall - nicht bloß für die Entziehung von Eigentumsrechten, sondern auch für die Entziehung aller anderen österreichischen Rechte und Interessen (sofern nicht die Ausnahmebestimmungen der §§5 und 6 VGP Platz greifen, die aber im vorliegenden Fall offenkundig nicht anzuwenden sind).

Die belangte Behörde hätte sich nicht mit der Auskunft des polnischen Finanzministeriums begnügen dürfen; sie wäre vielmehr gehalten gewesen, zumindest den Versuch zu unternehmen, festzustellen, ob und welche vermögenswerte Eigentumsbeschränkung durch ein polnisches Organ verfügt wurde. Es war dem Akteninhalt zufolge nämlich keineswegs von vornherein ausgeschlossen, daß die Eigentumsbeschränkung auf eine staatliche polnische Maßnahme zurückführbar war, also nicht zivilrechtliche Gründe hatte. Unter diesen Umständen ist auch die Unterlassung des Parteiengehöres ein in die Verfassungssphäre greifender Verfahrensmangel.

c) Der angefochtene Bescheid hat sohin das Gleichheitsrecht verletzt; er war als verfassungswidrig aufzuheben.

Schlagworte

Entschädigung Polen, VfGH / Prüfungsmaßstab, Verwaltungsverfahren, Ermittlungsverfahren, Anhörungsrecht (einer Partei)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B550.1977

Dokumentnummer

JFT_10199374_77B00550_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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