TE Vfgh Erkenntnis 1980/6/27 V53/79

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Veröffentlicht am 27.06.1980
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
ASVG §31 Abs7
ASVG §44 Abs3
ASVG §436 Abs1
Verordnung des Vorstandes der Stmk Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte betreffend die Festsetzung von Pauschbeträgen gemäß §44 Abs3 ASVG für Trinkgelder
Satzung der Stmk Gebietskrankenkasse §7 Abs1
Satzung der Stmk Gebietskrankenkasse §8 Abs3 lita
Satzung der Stmk Gebietskrankenkasse §48 Abs2

Leitsatz

ASVG; Verordnung des Vorstandes der Stmk. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte betreffend die Festsetzung von Pauschbeträgen gemäß §44 Abs3; Anordnung der Rückwirkung ohne gesetzliche Ermächtigung; inhaltliche Gesetzwidrigkeit

Spruch

1. Die Verordnung des Vorstandes der Stmk. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte betreffend die Festsetzung von Pauschbeträgen gem. §44 Abs3 ASVG für Trinkgelder im Gast-, Schank- und Beherbergungsgewerbe, kundgemacht als Amtliche Verlautbarung Nr. 1/1979 in Nr. 1 der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit", Jahrgang 1979, ausgegeben am 15. Jänner 1979, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

2. Der Bundesminister für soziale Verwaltung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) Der Verwaltungsausschuß der Stmk. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte hat in seiner Sitzung vom 29. August 1978 folgenden Beschluß gefaßt:

"Mit Wirkung ab 1. September 1978 werden gemäß §44 Abs3 ASVG als Pauschalbeträge für Trinkgelder der im Gast-, Schank- und Beherbergungsgewerbe als Garantielöhner beschäftigten Dienstnehmer mindestens S 450,- monatlich zur Bemessung der allgemeinen Beiträge herangezogen."

Dieser Beschluß wurde - in sprachlich etwas veränderter Form - den Dienstgebern mit Schreiben der Stmk. Gebietskrankenkasse vom 7. September 1978 mitgeteilt. Auch im Mitteilungsblatt der Stmk. Gebietskrankenkasse "Die Krankenversicherung", Nr. 81, vom September 1978, 21, wurde auf diesen Beschluß hingewiesen.

In seiner Sitzung vom 28. November 1978 hat der Vorstand der Stmk. Gebietskrankenkasse dem Beschluß des Verwaltungsausschusses der Kasse zugestimmt.

b) Der Beschluß über die Festsetzung von Pauschbeträgen wurde sodann in der Zeitschrift "Soziale Sicherheit", Nr. 1/1979, ausgegeben am 15. Jänner 1979, als Amtliche Verlautbarung Nr. 1/1979 mit der Promulgationsklausel: "Die Steiermärkische Gebietskrankenkasse verlautbart gemäß §48 Abs2 ihrer Satzung:" kundgemacht. Nach der Wiedergabe des Beschlusses (gegenüber der beschlossenen Fassung wurde das Wort "Pauschalbetrag" durch das Wort "Pauschbetrag" ersetzt) heißt es in der Verlautbarung:

"Diese Festsetzung ist vom Verwaltungsausschuß der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte am 29. August 1978 beschlossen worden; der Vorstand der Kasse hat diesem Beschluß in seiner Sitzung am 28. November 1978 zugestimmt."

2. Die Stmk. Landesregierung qualifiziert diese Amtliche Verlautbarung als Verordnung einer Bundesbehörde. Sie sei gesetzwidrig, weil sie ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung mit rückwirkender Kraft ausgestattet sei, weil sie als Satzung zu erlassen gewesen wäre und nicht in der für Satzungen vorgeschriebenen Form erlassen wurde und weil sie inhaltlich in der Ermächtigung des §44 Abs3 ASVG keine Deckung finde. Die Landesregierung stellt aufgrund dieser Erwägungen den auf Art139 B-VG gestützten Antrag, der VfGH möge die Verordnung mit Wirkung ab 1. September 1978 als gesetzwidrig aufheben.

3. Der Bundesminister für soziale Verwaltung verneinte in seiner Äußerung die Verordnungsqualität des in Rede stehenden Beschlusses und begehrte die Zurückweisung des Antrages der Stmk. Landesregierung. Der Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger legte Verwaltungsakten der Stmk. Gebietskrankenkasse vor und erstattete für diese Kasse eine Äußerung, in der er ebenfalls die Verordnungsqualität des Beschlusses bestritt und in eventu die inhaltliche Rechtmäßigkeit des Beschlusses verteidigte.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Gem. §44 Abs1 ASVG ist Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge (allgemeine Beitragsgrundlage) für Pflichtversicherte grundsätzlich der Arbeitsverdienst mit Ausnahme bestimmter Sonderzahlungen (wie zB 13. oder 14. Monatsbezug, Bilanzgeld und ähnliches). Als Arbeitsverdienst gilt für die pflichtversicherten Dienstnehmer das Entgelt iS des §49 Abs1, 3, 4 und 6 ASVG.

Gem. §49 Abs1 ASVG sind unter Entgelt die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus aufgrund des Dienstverhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält. Für bestimmte Vergütungen, Entschädigungen und Zulagen wird bestimmt, daß sie nicht als Entgelt iS des §49 Abs1 zu gelten haben.

§44 Abs3 ASVG lautet:

"Ständig wechselnde Bezüge oder Leistungen Dritter (Trinkgelder usw.) können nach Anhörung der beteiligten Dienstgeber oder deren

öffentlich-rechtlichen Interessenvertretungen und der

öffentlich-rechtlichen Interessenvertretungen der Dienstnehmer mit Pauschbeträgen der Bemessung zugrundegelegt werden."

Gem. §58 Abs2 ASVG schuldet der Dienstgeber die auf ihn und den Versicherten entfallenden Beiträge; er hat diese Beiträge zur Gänze einzuzahlen.

2. Der in Rede stehende Beschluß über die Pauschalierung von Trinkgeldern ist als generelle Anordnung einer Verwaltungsbehörde, die sich ihrem Inhalt nach an die Allgemeinheit richtet, und somit als Rechtsverordnung zu qualifizieren:

a) Es ist im Verfahren unbestritten geblieben, daß die Pauschalierungsregelung von einer Verwaltungsbehörde des Bundes ausgeht. Auch der VfGH hat keinen Anlaß, an dieser Qualifikation zu zweifeln. Der Verwaltungsausschuß und der Vorstand der Stmk. Gebietskrankenkasse sind Organe eines Selbstverwaltungskörpers im Bereich der Bundesvollziehung. Sie sind befugt, zur Durchführung der ihnen übertragenen Aufgaben als Verwaltungsbehörden Verordnungen zu erlassen (vgl. VfSlg. 2525/1953, 3219/1957, 3265/1957, 3709/1960, 5422/1966 ua.).

b) Die Stmk. Landesregierung weist darauf hin, daß die Pauschalierungsregelung unmittelbar Melde-, Auskunfts- und Beitragspflichten der Dienstgeber und der Dienstnehmer begründe und daher generell - verpflichtende Wirkung habe.

Dem hält der Bundesminister für soziale Verwaltung entgegen, daß der Beschluß keine Anordnung enthalte. Da die Bemessung der Beiträge von den Dienstgebern vorzunehmen sei, könne der Beschluß nur so verstanden werden, daß die Stmk. Gebietskrankenkasse bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beitragsentrichtung von dieser Auffassung ausgehen werde. Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beitragsentrichtung sei aber ein individueller Verwaltungsakt des Versicherungsträgers. Zu einem solchen müsse es kommen, wenn der Dienstgeber Beiträge von Trinkgeldern entrichte, die er auf eine andere Weise bemessen habe, als sie der Beschluß skizziere. Der Beschluß besitze daher selbst keine normative Kraft.

Der VfGH hält diese Argumentation des Bundesministers für soziale Verwaltung nicht für stichhältig. Schon die Tatsache, daß in der Promulgationsklausel der Kundmachung als Amtliche Verlautbarung in der Zeitschrift "Soziale Sicherheit" auf §48 Abs2 der Satzung der Stmk. Gebietskrankenkasse verwiesen wurde, macht deutlich, daß die Pauschalierungsregelung die Aufgabe hat, die Dienstgeber direkt zu binden; denn diese Bestimmung ordnet an, daß "Beschlüsse der Hauptversammlung oder des Vorstandes der Kasse, die den bei ihr versicherten Personen oder deren Dienstgeber Verpflichtungen auferlegen", in der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit" zu verlautbaren sind.

c) Es kann auch kein Zweifel daran bestehen, daß die Anordnung rechtsgestaltenden Inhalt hat. Denn während die unter Punkt I.1. wiedergegebene Regelung des ASVG grundsätzlich vorsieht, daß die Beiträge von jenem Entgelt bemessen werden, das der Dienstnehmer tatsächlich erhält, ordnet die in Rede stehende Pauschalierungsregelung - gestützt auf die Ermächtigung des §44 Abs3 ASVG - an, daß im Bereich des Gast-, Schank- und Beherbergungsgewerbes für Garantielöhner jener Teil der Beitragsgrundlage, der auf Trinkgeldbezüge zurückgeht, mit mindestens 450 S monatlich bemessen wird.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH liegt aber dann, wenn durch eine generelle Vorschrift die Rechtslage der Betroffenen gestaltet wird, eine Rechtsverordnung vor (vgl. VfGH 13. 10. 1979 V28/79, 15. 10. 1979 V23/78, V17/79, 16. 10. 1979 V8/79, alle mit Hinweisen auf frühere Judikatur).

d) Der Bundesminister für soziale Verwaltung und die Stmk. Gebietskrankenkasse (vertreten durch den Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger) bestreiten die Qualität der in Rede stehenden Beschlüsse als Verordnung auch mit dem Hinweis, daß §44 Abs3 ASVG für eine derartige Verordnung keine Ermächtigung biete. Selbst wenn diese Auffassung zuträfe, könnte damit aber nicht die Verordnungsqualität, sondern nur die Rechtmäßigkeit der zur Beurteilung stehenden Akte verneint werden. Es trifft aber die Ansicht des Bundesministers und der Gebietskrankenkasse nicht zu. Es ist nämlich kein Grund ersichtlich, daß die Bestimmung des §44 Abs3 einer näheren Konkretisierung durch Verordnung nicht zugänglich wäre; im Hinblick auf die Verordnungsermächtigung des Art18 Abs2 B-VG bedarf es auch keiner speziellen gesetzlichen Ermächtigung zur Ausführung einer bestimmten gesetzlichen Bestimmung im Verordnungsweg. Daß aber die Sozialversicherungsträger im Rahmen ihres Wirkungsbereiches zuständig sind, derartige Verordnungen zu erlassen, wurde bereits dargetan (vgl. oben Punkt II.2.a).

Im übrigen ist auch auf das Erk. VfSlg. 4207/1962 zu verweisen, in dem der VfGH für den vergleichbaren Fall des §49 Abs4 ASVG, demzufolge der Hauptverband ermächtigt ist, festzustellen, ob und in welchem Ausmaß kollektivvertragliche Bezüge nicht als beitragspflichtiges Entgelt zu werten sind, ausgesprochen hat, daß derartige Feststellungen des Hauptverbandes Verordnungen iS des Art139 B-VG sind.

e) Die in Rede stehende Pauschalierungsregelung ist daher eine Verordnung einer Bundesbehörde (so auch Krejci - Novak, Probleme der Trinkgeldpauschalierung (§44 Abs3 ASVG) im Gast-, Schank- und Beherbergungsgewerbe, Versicherungsrundschau 1979, S 181 ff.).

3. a) Die antragstellende Stmk. Landesregierung vertritt die Auffassung, daß die Pauschalierungsverordnung von Gesetzes wegen in der Form einer Satzung, für die gem. §455 ASVG besondere Erzeugungsbedingungen (wie insb. die Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde) vorgesehen sind, zu erlassen gewesen wäre. Sie bringt dazu vor, daß im ASVG die Satzungsform nicht nur für Regelungen von Organisationsfragen vorgesehen sei; auch Regelungen, die direkt für das Versicherungs- und Leistungsverhältnis von Bedeutung sind, hätten vielfach in Satzungsform zu ergehen. Die Landesregierung verweist sodann auf andere Gesetzesbestimmungen, die ausdrücklich die Konkretisierung durch Satzung vorsehen; sie nennt verschiedene Regelungen, insb. aus dem Bereich des Beitragsrechtes, in denen das ASVG die nähere Regelung einer Satzung vorbehält, so die §§33, 37, 44 Abs2, 46, 58 Abs1, 59 Abs3, 73 Abs7, 74 Abs2, 77 und 78. Hingegen seien, soweit das ASVG in anderen Zusammenhängen von Verordnungen spreche, vorwiegend Verordnungen des Bundesministers für soziale Verwaltung gemeint.

Da das ASVG daher typischerweise für Regelungen im Verordnungsrang, die das Versicherungsverhältnis betreffen, das Erzeugungsverfahren einer Satzung vorsehe, könne angenommen werden, daß es in allen Angelegenheiten, die das Versicherungsverhältnis betreffen, die Erlassung von Verordnungen ohne Satzungsform, also ohne Mitwirkung des Bundesministers für soziale Verwaltung, ausschließen wollte. Es müsse daher angenommen werden, daß auch die Festsetzung von Pauschbeträgen gem. §44 Abs3 ASVG in der Form der Satzung erfolgen müsse.

b) Der Bundesminister für soziale Verwaltung und die Stmk. Gebietskrankenkasse treten dieser Auffassung insb. mit folgenden Argumenten entgegen:

Der Bundesminister legt dar, daß sich aus den gesetzlichen Regelungen keinerlei Handhabe für die Auffassung der Antragstellerin ableiten lasse. Für eine Beschlußfassung über die Satzung und deren Änderungen sei gem. §435 Abs1 Z4 ASVG die Hauptversammlung zuständig. Die der Hauptversammlung vorbehaltenen Aufgaben sähen aber eine Beschlußfassung über die in Frage stehende Materie der Pauschalierung nach §44 Abs3 ASVG nicht vor. Auch aus den zur Stützung der Meinung der Beschwerdeführerin zitieren ASVG-Bestimmungen, die darstellen sollen, daß verordnungsmäßige Regelungen des Versicherungsverhältnisses typischerweise in Satzungsform zu ergehen hätten und daher auch §44 Abs3 ASVG eine Materie regle, für die die Satzungsform vorgesehen sei, lasse sich diesbezüglich nichts ableiten. Denn alle genannten Ermächtigungen sähen jeweils ausdrücklich eine satzungsmäßige Konkretisierung vor. Aus einer Analogie dieser Vorschriften mit der Regelung des §44 Abs3 ASVG lasse sich für die Frage, ob die Regelung dieser Materie der Satzung vorbehalten sei, nichts gewinnen.

In diese Richtung geht auch die Äußerung der Gebietskrankenkasse. Sie meint, daß sich gerade aus den von der Antragstellerin zitierten Bestimmungen die gegenteilige Schlußfolgerung ableiten ließe: Gerade deswegen, weil das Gesetz in allen von der Stmk. Landesregierung zitierten Stellen die Möglichkeit einer Regelung durch die Satzung ausdrücklich vorsehe, erscheine es einleuchtend, daß dies hinsichtlich der Pauschalierung von Trinkgeldern eben nicht zu gelten habe. Besonders augenfällig sei, daß der Abs2 des §44 die Möglichkeit einer Bestimmung des Beitragszeitraumes durch die Satzung des Krankenversicherungsträgers ausdrücklich vorsehe. Es sei kaum anzunehmen, daß der Gesetzgeber in Abs3 eine solche (von ihm angeblich gewollte) Anordnung etwa versehentlich unterlassen habe.

c) Die Antragsgegner sind mit ihrer Auffassung im Recht. Denn im ASVG ist jeweils expressis verbis bestimmt, was Gegenstand einer sozialversicherungsrechtlichen Satzung zu sein hat bzw. sein kann. In all diesen Fällen hat der Gesetzgeber die Autonomie der Sozialversicherungsträger insofern eingeschränkt, als er ihre Rechtsetzungsbefugnis an die Satzungsform und damit an bestimmte Erzeugungsbedingungen, vor allem an das Erfordernis einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung, gebunden hat.

Es kann nicht angenommen werden, daß dann, wenn mangels ausdrücklicher Normierung der Satzungsform ein derartiger Genehmigungsvorbehalt nicht vorgesehen ist, ein solcher in das Gesetz hineinzulesen ist. Für eine solche Annahme fehlt jeder Anhaltspunkt. Insb. spricht auch die Tatsache, daß in der der hier maßgeblichen Bestimmung des §44 Abs3 ASVG unmittelbar vorangehenden Bestimmung des Abs2 eine ausdrückliche Ermächtigung zur Regelung durch Satzung enthalten ist, dagegen, eine solche Anordnung auch in §44 Abs3 hineinzuinterpretieren. Auch stellt sich die Bestimmung des §44 Abs3 weder als Unterfall einer anderen Bestimmung im ASVG dar, für deren verordnungsmäßige Konkretisierung durch die Sozialversicherungsträger die Satzungsform vorgeschrieben wäre, noch hängt die Bestimmung so eng mit einer anderen Bestimmung, die zu einer satzungsmäßigen Konkretisierung ermächtigt, zusammen, daß eine Wirkung dieser Bestimmung auf §44 Abs3 angenommen werden müßte.

4. a) Nach dem Wortlaut der Kundmachung der Pauschalierungsverordnung wurde diese vom Verwaltungsausschuß der Gebietskrankenkasse beschlossen; der Vorstand hat diesem Beschluß zugestimmt.

b) In Übereinstimmung mit §436 Abs1 ASVG überträgt §7 Abs1 der Satzung der Stmk. Gebietskrankenkasse dem Vorstand eine Generalkompetenz: "Dem Vorstand obliegt die Geschäftsführung, soweit diese nicht durch Gesetz oder Satzung anderen Verwaltungskörpern oder Organen zugewiesen ist."

Weder im ASVG noch in der Satzung findet sich eine Bestimmung, der zufolge die Beschlußfassung über die in Rede stehende Angelegenheit einem anderen Organ zugewiesen wäre. Es ist daher der Vorstand zur Erlassung der Pauschalierungsverordnung zuständig. Dabei ist freilich noch die Frage zu klären, ob in concreto der Vorstand als solcher (als Plenum) oder der aus seiner Mitte gebildete Verwaltungsausschuß zuständig ist.

c) Der Bundesminister für soziale Verwaltung ist der Ansicht, daß die in Frage stehende Beschlußfassung Sache des Verwaltungsausschusses sei. Die Satzung der Stmk. Gebietskrankenkasse weise gem. §8 Abs3 dem Verwaltungsausschuß die Beschlußfassung in allen laufenden Angelegenheiten der Geschäftsführung zu, soweit diese nicht dem Vorstand vorbehalten seien. Die in Rede stehende Beschlußfassung gehöre nicht zu den dem Vorstand ausdrücklich vorbehaltenen Angelegenheiten, sondern stelle sich als laufende Angelegenheit der Geschäftsführung iS des §8 Abs3 lita der Satzung dar, deren Behandlung dem Verwaltungsausschuß als satzungsgemäß zuständigem Verhaltungskörper obliege.

Mit dieser Ansicht ist der Bundesminister für soziale Verwaltung jedoch nicht im Recht. Die verordnungsmäßige Pauschalierung gem. §44 Abs3 ASVG kann nämlich als nach außen wirkende Erlassung verbindlicher genereller Anordnungen nicht als "laufende Angelegenheit der Geschäftsführung" iS dieser Bestimmung verstanden werden, wie sich insb. auch aus der demonstrativen Aufzählung einzelner Zuständigkeiten, die zu diesen laufenden Angelegenheiten der Geschäftsführung zählen, ergibt.

Es ist somit für die in Rede stehende Beschlußfassung einer Verordnung nach §44 Abs3 ASVG der Vorstand als Gesamtorgan zuständig.

d) Von diesem Verständnis ist offensichtlich auch der Vorstand der Stmk. Gebietskrankenkasse ausgegangen; aus dem Protokoll der Sitzung des Vorstandes vom 28. November 1978 geht nämlich hervor, daß eine Reihe von Beschlüssen des Verwaltungsausschusses zur Kenntnis genommen worden sind. Sodann heißt es im bezeichneten Protokoll:

"Soweit die bei den bezeichneten Sitzungen des Verwaltungsausschusses behandelten Sachverhalte Angelegenheiten des Vorstands betroffen haben, werden sie unter Beachtung der vorstehend angeführten Gegenstimme genehmigt." Die angeführte Gegenstimme bezieht sich jedoch ausschließlich auf die Beschlußfassung des Verwaltungsausschusses im Falle der Pauschalierungsregelung. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß selbst der Vorstand der Gebietskrankenkasse diese Regelung als eine Angelegenheit des Vorstandes qualifiziert hat, die ihm zur Besorgung zugewiesen ist.

e) Gem. §8 Abs3 lita der Satzung ist dem Verwaltungsausschuß ua. "die antragsmäßige Vorbereitung aller dem Vorstand im Rahmen der Geschäftsführung gemäß §436 ASVG bzw. gemäß §7 Abs1 lita bis h dieser Satzung vorbehaltenen Geschäftsfälle" zugewiesen.

f) Auf Basis dieser Rechtslage ist das Zustandekommen der Pauschalierungsverordnung daher folgendermaßen zu deuten: Die "Beschlußfassung" über die Verordnung durch den Verwaltungsausschuß ist als "antragsmäßige Vorbereitung" iS des §8 Abs3 lita der Satzung und die Zustimmung durch den Vorstand als Gesamtorgan ist als Beschlußfassung über die Verordnung anzusehen.

Von diesem Verständnis geht in Wahrheit auch die Kundmachung als Amtliche Verlautbarung in der "Sozialen Sicherheit" aus: Wie dargelegt stützt sich diese Kundmachung auf §48 Abs2 der Satzung, der für Beschlüsse der Hauptversammlung und des Vorstandes eine Kundmachungspflicht in diesem Verlautbarungsorgan statuiert.

Die Pauschalierungsverordnung ist daher dem Vorstand der Stmk. Gebietskrankenkasse zuzurechnen und von ihm (als Gesamtorgan) beschlossen worden. Sie ist damit von dem nach Gesetz und Satzung zuständigen Organ beschlossen worden.

5. a) Die Kundmachung des Verordnungsbeschlusses des Vorstandes der Stmk. Gebietskrankenkasse vom 28. November 1978 wurde, wie bereits dargetan, als Amtliche Verlautbarung Nr. 1/1979 in der am 15. Jänner 1979 ausgegebenen ersten Nummer des Jahrganges 1979 der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit" publiziert; diese Form der Kundmachung entspricht §48 Abs2 der Satzung.

b) Der dieser Kundmachung und auch der Beschlußfassung durch den Vorstand vorausgehenden Information der betroffenen Dienstgeber durch das Rundschreiben vom 7. September 1978 und dem Hinweis im Mitteilungsblatt der Stmk. Gebietskrankenkasse kommt keine rechtserhebliche Bedeutung zu. Weder im Gesetz noch in der Satzung ist eine derartige Publikation von allgemein verbindlichen Anordnungen vorgesehen. Im Hinblick darauf sowie angesichts der Tatsache, daß der Beschluß des Verwaltungsausschusses in der Folge zum Beschluß des Gesamtvorstandes erhoben und ordnungsgemäß als Amtliche Verlautbarung in der "Sozialen Sicherheit" publiziert wurde, sieht der VfGH keinen Anlaß, die während des Verfahrens der Verordnungserlassung erfolgte Mitteilung als konstitutiven Akt anzusehen. Er geht vielmehr davon aus, daß es Aufgabe dieser Informationen war, die betroffenen Dienstgeber im Hinblick auf den vorgesehenen Wirkungsbereich zeitgerecht auf den Pauschalierungsbeschluß aufmerksam zu machen; rechtliche Verbindlichkeit erlangte die Verordnung jedoch erst mit ihrer Publikation in der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit" am 15. Jänner 1979 (vgl. auch Krejci - Novak a. a. O., S 188 f.).

c) Nach ihren Eingangsworten beansprucht die Verordnung jedoch bereits "Wirkung ab 1. September 1978". Es handelt sich daher um eine rückwirkende Regelung.

Der VfGH vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß Verordnungen, sofern im Gesetz nicht eine diesbezügliche ausdrückliche Ermächtigung enthalten ist, nicht mit rückwirkender Kraft ausgestattet werden dürfen (vgl. schon VfSlg. 167/1922 und 312/1924; aus der jüngeren Judikatur: VfSlg. 7139/1973, 7787/1976).

Weder im §44 Abs3 ASVG noch im §31 Abs7 ASVG, der bestimmt, daß die rechtsverbindliche Kraft der Verlautbarungen in der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit", wenn in ihnen oder gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach Ablauf des Tages der Kundmachung beginnt, ist die vom VfGH für die Gesetzmäßigkeit einer Rückwirkung verlangte ausdrückliche Ermächtigung enthalten (vgl. zu ähnlich dem Wortlaut des §31 Abs7 ASVG formulierten Regelungen VfSlg. 312/1924, 7787/1976).

d) Wegen der Anordnung der Rückwirkung ohne ausdrückliche Ermächtigung im Gesetz ist daher die Pauschalierungsverordnung der Stmk. Gebietskrankenkasse zur Gänze gesetzwidrig (vgl. auch Krejci - Novak a.a.O., S 189).

6. Die Verordnung ist aber auch ihrem Inhalt nach gesetzwidrig.

a) §44 Abs3 ASVG ermächtigt dazu, ständig wiederkehrende Bezüge oder Leistungen Dritter (Trinkgelder usw.) mit Pauschbeträgen der Bemessung der Beitragsgrundlage zugrunde zu legen. Derartige Pauschalierungen sind, wenn sie an einem Durchschnittswert orientiert sind, mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmen und den Erfahrungen des täglichen Lebens entsprechen, wie der VfGH in zahlreichen Erkenntnissen festgestellt hat, verfassungsrechtlich zulässig (VfSlg. 3595/1959, 4930/1965, 5022/1965, 6268/1970, 7082/1973).

b) Der Verordnungsgeber hat unter Berufung auf §44 Abs3 ASVG die Trinkgelder der im Gast-, Schank- und Beherbergungsgewerbe beschäftigten Garantielöhner in der Weise "pauschaliert", daß als Pauschbeträge "mindestens 450 S monatlich zur Bemessung der allgemeinen Beiträge herangezogen" werden.

c) Die Stmk. Landesregierung weist darauf hin, daß mit dieser Festlegung die Ermächtigung des §44 Abs3 ASVG überschritten werde. Die Pauschalierungsverordnung lege nämlich keineswegs Durchschnitts- oder Mittelwerte fest. Die tatsächlich vereinnahmten Trinkgelder seien nach der Regelung nämlich nur dann unmaßgeblich, wenn sie unter der Grenze von 450 S monatlich liegen; liegen sie darüber, so sind sie im vollen Betrag der Bemessung zugrunde zu legen. Die Verordnung lege daher in Wahrheit nicht einen Pauschbetrag, sondern einen Mindestbetrag fest. Zudem genüge die Festlegung nicht den Anforderungen des Gleichheitsgrundsatzes, weil sie die vielfältigen Differenzierungen, die es im Gast- und Schankgewerbe sowie im Beherbergungsgewerbe gibt, nicht berücksichtige; es sei auch in keiner Weise ersichtlich, auf welcher sachlichen Basis der Mindestbetrag von 450 S monatlich ermittelt worden sei.

d) Die Stmk. Gebietskrankenkasse führte dazu aus, daß die Landesregierung die der Pauschalierung zugrundeliegenden Beweggründe verkenne. Bei den Verhandlungen, die im Zuge des Anhörungsverfahrens vor Erlassung der Regelung durchgeführt wurden, habe sich die Gebietskrankenkasse ausschließlich von dem Bestreben leiten lassen, einen als Pauschale geeigneten Mittelwert unter Berücksichtigung der nach den Erfahrungen anzunehmenden tatsächlichen Höhe der Trinkgeldeinnahmen im Gast-, Schank- und Beherbergungsgewerbe ausfindig zu machen. "Der Umstand, daß gegebenenfalls auch Trinkgeldeinnahmen, die den Betrag von 450 S monatlich übersteigen, gemeldet und sodann zur Beitragsbemessung herangezogen werden können, steht nur scheinbar im Widerspruch zum Wesen einer echten Pauschalierung. Mit dieser Regelung soll lediglich solchen Dienstnehmern, die außergewöhnlich hohe Trinkgeldeinnahmen aufzuweisen haben - es wird sich hier nur um verhältnismäßig seltene Ausnahmefälle handeln - die Möglichkeit eröffnet werden, diese höheren Einnahmen in die Beitragsgrundlage einzubeziehen, damit diese Einnahmen gegebenenfalls auch in die Bemessungsgrundlage für den späteren Pensionsanspruch mit berücksichtigt werden können."

e) Mit dieser Formulierung gesteht die Gebietskrankenkasse nach Ansicht des VfGH zu, daß es sich bei der in Rede stehenden Verordnung eben um keine Pauschalierung iS des §44 Abs3 ASVG, sondern um die Festlegung eines Mindestbetrages handelt. Der Sinn der Regelung ist folgender: Für Dienstnehmer, die monatlich 450 S oder weniger als Trinkgelder einnehmen, wird der durch die Trinkgelder zustande kommende Teil ihres Arbeitsverdienstes mit dem Betrag von 450 S der Beitragsbemessung zugrunde gelegt. Für Dienstnehmer, deren Trinkgeldeinnahmen über den Betrag von 450 S liegen, ist eine Bemessung hingegen nach den tatsächlich erfolgten Trinkgeldeinnahmen vorzunehmen.

Daraus wird deutlich, daß sich der Betrag von 450 S nicht als pauschalierter Mittelwert, sondern als Mindestbetrag darstellt. Zu einer derartigen Festlegung von Mindestbeträgen aber gibt §44 Abs3 ASVG keine Ermächtigung. Schon aus diesem Grund ist die Verordnung daher auch inhaltlich gesetzwidrig.

7. Die Verordnung der Stmk. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte betreffend die Festsetzung von Pauschbeträgen gem. §44 Abs3 ASVG für Trinkgelder im Gast-, Schank- und Beherbergungsgewerbe, kundgemacht als Amtliche Verlautbarung Nr. 1/1979 in Nr. 1 der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit", Jahrgang 1979, ausgegeben am 15. Jänner 1979, war somit als gesetzwidrig aufzuheben.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsgegenstand, RechtsV, Sozialversicherung, Auslegung, Selbstverwaltungsrecht, Satzung, Verordnungserlassung, Rückwirkung, Verordnung Kundmachung, Beitragsgrundlagen (Sozialversicherung)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:V53.1979

Dokumentnummer

JFT_10199373_79V00053_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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