TE Vfgh Erkenntnis 1980/10/4 B302/77, B303/77, V31/77

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Veröffentlicht am 04.10.1980
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Index

L3 Finanzrecht
L3715 Anliegerbeitrag, Kanalabgabe

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Grazer Statut 1967 §61
KanalabgabenO der Landeshauptstadt Graz
Stmk KanalabgabenG 1955 §8

Leitsatz

Stmk. Kanalabgabengesetz 1955, Vorschreibung von Kanalisationsbeiträgen; Entzug des gesetzlichen Richters; Art139 B-VG, Individualantrag auf Aufhebung des §3 der Verordnung des Gemeinderates vom 13. Mai 1971, mit der die Kanalabgabenordnung der Landeshauptstadt Graz erlassen wird

Spruch

1. Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

2. Der Antrag auf Aufhebung des §3 der Verordnung des Gemeinderates vom 13. Mai 1971, mit der die Kanalabgabenordnung der Landeshauptstadt Graz erlassen wird, GZ A 8-400/29-1971 (verlautbart im Amtsblatt der Landeshauptstadt Graz Nr. 11/1971), wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Der beschwerdeführenden Gesellschaft (einer OHG) wurden mit Bescheiden des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz (ausgefertigt mit Bescheiden des Magistrates Graz vom 16. Juni 1976) gemäß §§2 und 4 des Kanalabgabengesetzes 1955, LGBl. 71/1955 idF der Kanalabgabengesetznovelle 1971, LGBl. 40/1971, in Verbindung mit §§2 und 3 der Verordnung des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 13. Mai 1971, GZ A 8-400/29-1971, "für den Anschluß der Liegenschaft Graz XIII, W. Straße J. Straße Gdst. Nr. 198/3 ff. an den öffentlichen Straßenkanal" ein Kanalisationsbeitrag von S 516.991,-

und "für den Anschluß der Liegenschaft Graz XIII, W. Straße J. Straße Gdst. Nr. 242/1 ff. an den öffentlichen Straßenkanal" ein Kanalisationsbeitrag von S 486.956,- vorgeschrieben.

Nachdem den gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen mit Berufungsvorentscheidungen des Stadtsenates keine Folge gegeben worden war, hat der von der beschwerdeführenden Gesellschaft angerufene Gemeinderat der Landeshauptstadt Graz als Abgabenbehörde II. Instanz mit Beschlüssen vom 7. Juli 1977 (ausgefertigt mit Bescheiden des Magistrates Graz vom selben Tage, A 8197/7-1977 und A 8-197/8-1977) die Berufungen abgewiesen und die erstinstanzlichen Bescheide vollinhaltlich bestätigt.

2. Gegen diese Bescheide richtet sich die Beschwerde an den VfGH, in der die Beschwerdeführerin die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unverletzlichkeit des Eigentums geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt sowie für den Fall, daß diesem Antrag nicht Folge gegeben wird, die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.

In der Beschwerde wird weiters der Antrag gestellt, der VfGH wolle den §3 der Kanalabgabenordnung der Landeshauptstadt Graz vom 13. Mai 1971, GZ A 8-400/29-1971, als gesetzwidrig aufheben.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums vornehmlich deshalb verletzt, weil sich die angefochtenen Bescheide auf eine Verordnung stützen, welche iS des Art18 B-VG als gesetzwidrig anzusehen sei bzw. infolge nicht gehöriger Kundmachung nicht dem bestehenden Normenbereich zuzuordnen sei.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, der VfGH wolle erkennen, daß die Beschwerdeführerin durch die angefochtenen Bescheide in keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden sei, die Kanalabgabenordnung der Landeshauptstadt Graz vom 13. Mai 1971 den Gesetzen entspreche und daß die Beschwerde kostenpflichtig abgewiesen werde.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Gemäß §8 des Kanalabgabengesetzes 1955 - im folgenden mit KAG bezeichnet - (in der Stammfassung) ist der Kanalisationsbeitrag im Einzelfall vom Bürgermeister in einem Abgabenbescheid festzusetzen. Diese Bestimmung ist durch die späteren ausdrücklichen Änderungen des Gesetzes nicht berührt worden: weder durch §244 lith der Stmk. Landesabgabenordnung - LAO, LGBl. 158/1963 idF 63/1965, noch durch die Kanalabgabengesetznov. 1971, LGBl. 40/1971, auf der die Anwendbarkeit des KAG in der Landeshauptstadt Graz beruht. Auch eine inhaltliche Derogation der Zuständigkeitsbestimmung des §8 KAG ist durch spätere Rechtsvorschriften nicht eingetreten.

In den Angelegenheiten des Kanalisationsbeitrages - der eine nicht bundesrechtlich geregelte öffentliche Abgabe der Gemeinden iS des §1 lita LAO darstellt - gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes. Danach wird die Zuständigkeit der Abgabenbehörden (§46 LAO) zur Verwaltung der Gemeindeabgaben durch Verweisung auf andere Rechtsvorschriften geregelt, und zwar durch §47 LAO (wonach sich die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Abgabenbehörden nach den Vorschriften über ihren Wirkungsbereich und nach den Abgabenvorschriften richtet) und durch §48 LAO idF LGBl. 112/1967 (wonach die Verwaltung der Gemeindeabgaben den Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich obliegt und sich Instanzenzug und Aufsichtsrecht nach den gemeinderechtlichen Vorschriften bestimmen). Auch der das Rechtsmittel der Berufung betreffende §189 LAO räumt diese nur ein, soweit nicht in Abgabenvorschriften ein Rechtsmittel für unzulässig erklärt wird; das KAG enthielt nun in der Stammfassung eine ausdrückliche Einräumung eines Rechtsmittels und enthält in der Fassung der Kanalabgabengesetznov. 1971 keinen Ausschluß eines Rechtsmittels.

Für die Stadt Graz ist die Frage nach der Zuständigkeit der Abgabenbehörden somit unter Heranziehung des Statutes der Landeshauptstadt Graz, LGBl. 130/1967, zu beantworten. Gemäß §61 Abs2 dieses Gesetzes obliegt dem Stadtsenat außer den ihm durch Gesetz ausdrücklich übertragenen Angelegenheiten die Besorgung "aller übrigen Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches, die durch Gesetz keinem anderen Organ der Stadt ausdrücklich vorbehalten sind". Einen solchen ausdrücklichen Vorbehalt enthält aber bezüglich der Festsetzung des Kanalisationsbeitrages im Einzelfall der vorstehend genannte §8 KAG. Gemäß §100 Abs1 des Statutes obliegt in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches dem Gemeinderat die Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der nachgeordneten Organe der Stadt.

Demnach hat in der Stadt Graz die bescheidmäßige Festsetzung des Kanalisationsbeitrages in erster Instanz vom Bürgermeister, in zweiter und letzter Instanz vom Gemeinderat zu erfolgen; eine Vorstellung an die Aufsichtsbehörde findet gemäß §100 Abs2 des Statutes idF LGBl. 9/1973 nicht statt.

Im vorliegenden Beschwerdefall sind die erstinstanzlichen Festsetzungen der Kanalisationsbeiträge - wie übrigens auch die Berufungsvorentscheidungen - mit Bescheiden des Stadtsenates, die Berufungsentscheidungen mit Bescheiden des Gemeinderates erfolgt.

Nach der Rechtsprechung des VfGH ist der administrative Instanzenzug als Einheit aufzufassen; wird die sachliche Zuständigkeit auch nur in unterer Instanz gesetzwidrig in Anspruch genommen, so ist das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, und zwar auch dann, wenn in oberer Instanz die zuständigen Behörden eingeschritten sind (vgl. VfSlg. 5700/1968 und die dort angeführte Vorjudikatur; aus jüngerer Zeit VfSlg. 7605/1975 und 8188/1977). Maßgeblich für diese Rechtsprechung war der Gedanke, daß durch die Übergehung der zuständigen Behörde erster Instanz der gesetzlich vorgesehene Instanzenzug unvollständig geblieben ist und durch eine solche unzulässige Verkürzung des Instanzenzuges die Rechtsverfolgungsmöglichkeit behindert wird (s. VfSlg. 7508/1975 und 8188/1977).

Die angefochtenen Bescheide waren somit wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die von der Beschwerdeführerin behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums einzugehen.

2. Der Antrag auf Aufhebung des §3 der Verordnung des Gemeinderates vom 13. Mai 1971, mit der die Kanalabgabenordnung der Landeshauptstadt Graz erlassen wird, ist unzulässig.

Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung - im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit - in seinen Rechten verletzt zu sein, dann aber auch, daß die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam geworden ist (vgl. VfSlg. 8064/1977).

Das KAG bestimmt in seinem §8, daß der Kanalisationsbeitrag im Einzelfall auf Grund dieses Gesetzes und der Kanalabgabenordnung der Gemeinde vom Bürgermeister in einem Abgabenbescheid festzusetzen ist. Daraus ergibt sich, daß die Kanalisationsbeiträge einer Konkretisierung durch Bescheid bedürfen; derartige Bescheide sind der Antragstellerin gegenüber auch tatsächlich ergangen.

Der Eingriff in die Rechtssphäre der Antragstellerin ist sohin nicht unmittelbar durch die bekämpfte Verordnungsstelle erfolgt.

Der Antrag war daher mangels Legitimation der Antragstellerin zurückzuweisen.

Schlagworte

Abgaben Kanalisation, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B302.1977

Dokumentnummer

JFT_10198996_77B00302_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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