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80 Land-und ForstwirtschaftNorm
B-VG Art2Leitsatz
Agrarbehördengesetz 1950, keine Berufungsmöglichkeit an den OAS in einem von der Agrarbehörde durchzuführenden Besitzstörungsverfahren; keine Zuständigkeit des OAS zur Entscheidung über einen Devolutionsantrag; Entzug des gesetzlichen RichtersSpruch
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1.a) Die Nö. Agrarbezirksbehörde hat mit der Verordnung vom 8. Feber 1972, Z 4280-72, das Verfahren zur Zusammenlegung der land- oder forstwirtschaftlichen Grundstücke in Dippersdorf eingeleitet. Von diesem Zusammenlegungsverfahren ist auch ein Grundstück der Beschwerdeführerin betroffen.
Am 9. Dezember 1975 hat die Beschwerdeführerin bei der Agrarbezirksbehörde eine Klage wegen Besitzstörung an einem in das Zusammenlegungsverfahren einbezogenen Grundstück eingebracht.
Anläßlich der über diese Klage durchgeführten mündlichen Verhandlung am 30. Jänner 1976 hat der Vertreter der Beschwerdeführerin eine Kostennote gelegt und den Zuspruch des Kostenersatzes begehrt.
Die Nö. Agrarbezirksbehörde hat mit dem Bescheid vom 20. Feber 1976, Z 4280/85-1976, gemäß §339 ABGB festgestellt, daß die beklagten Parteien durch Errichtung eines 30 cm bis 40 cm hohen und 80 m bis 100 m langen Dammes auf einem der Beschwerdeführerin zugewiesenen Grundstück den ruhigen Besitz gestört haben; es wurde weiters ausgesprochen, daß die Beklagten derartige Störungshandlungen bei sonstiger Exekution zu unterlassen hätten.
Hingegen wurde das Begehren der Beschwerdeführerin (Klägerin) auf Ersatz der ihr im Verfahren vor der Nö. Agrarbezirksbehörde erwachsenen Kosten gemäß §74 Abs1 AVG 1950 abgewiesen.
b) Gegen den abweisenden Teil des Bescheides der Nö. Agrarbezirksbehörde vom 20. Feber 1976 erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Diese hat der Oberste Agrarsenat (OAS) - nachdem der Landesagrarsenat beim Amt der Nö. Landesregierung (LAS) nicht innerhalb der Frist des §73 Abs1 AVG 1950 über die Berufung entschieden hatte und von der Beschwerdeführerin gemäß §73 Abs2 AVG 1950 ein Verlangen auf Entscheidung gestellt worden war - mit dem Erk. vom 6. Juli 1977, Z 710.136/06-OAS/77, gemäß §1 AgrVG 1950 und den §§66 Abs4 im Zusammenhalt mit 74 Abs1 AVG 1950 als unbegründet abgewiesen.
Ferner wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Ersatz der Kosten des Verfahrens vor dem Obersten Agrarsenat gemäß §1 AgrVG 1950 und §74 Abs1 AVG 1950 abgewiesen.
2. Gegen das Erk. des OAS vom 6. Juli 1977 richtet sich die unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin behauptet, durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein. Sie stellt den Antrag, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben, in eventu die Beschwerde dem VwGH abzutreten.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat der OAS eine Berufung der Beschwerdeführerin gegen einen Bescheid der Nö. Agrarbezirksbehörde abgewiesen, mit dem einem von der Beschwerdeführerin gestellten Begehren auf Ersatz der Kosten eines Verfahrens auf Grund des §74 Abs1 AVG 1950 nicht Rechnung getragen worden war. Der Kostenersatz war von der Beschwerdeführerin in einem über die von ihr erhobene Besitzstörungsklage durchgeführten Verfahren geltend gemacht worden.
Bei einer Kostenentscheidung richtet sich der Instanzenzug nach den für die Entscheidung in der Hauptsache (im Besitzstörungsverfahren) maßgeblichen Bestimmungen, weil bei der Entscheidung über ein Begehren auf Ersatz der Verfahrenskosten für den Instanzenzug die für die Entscheidung in der Hauptsache geltenden Bestimmungen maßgebend sind (vgl. Mannlicher - Quell, Das Verwaltungsverfahren, 8. Auflage Anm. 4 zu §74, S 425).
2. Bei der Entscheidung über den gestellten Devolutionsantrag hat der Oberste Agrarsenat nicht als Rechtsmittelinstanz, sondern als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde an Stelle des untätig gebliebenen LAS entschieden.
a) Gemäß §73 AVG (diese Bestimmung gilt nach §1 AgrVG 1950 auch für die in den Angelegenheiten der Bodenreform von den Agrarbehörden durchzuführenden Verfahren) geht im Falle der Nichterfüllung der Entscheidungspflicht auch seitens der Oberbehörde nötigenfalls die Devolution bis zur sachlich in Betracht kommenden höchsten Oberbehörde, um der Verwaltung die Möglichkeit zu geben, ihre Pflicht zu erfüllen. Dies gilt auch dann, wenn die höchste Oberbehörde zur Überprüfung des Bescheides der Unterbehörde im Rechtsmittelverfahren nicht zuständig wäre.
b) Für den Bereich der Bodenreform gilt jedoch folgendes:
Nach Art12 Abs2 B-VG steht in den Angelegenheiten der Bodenreform die Entscheidung in oberster Instanz und in der Landesinstanz Senaten zu; der in oberster Instanz zur Entscheidung berufene Senat ist beim zuständigen Bundesministerium eingesetzt. Die Einrichtung, die Aufgaben und das Verfahren der Senate sowie die Grundsätze für die Einrichtung der mit den Angelegenheiten der Bodenreform sonst noch befaßten Behörden werden der zitierten Verfassungsbestimmung zufolge durch Bundesgesetz geregelt. Darin ist zu bestimmen, daß die Bescheide der Senate nicht der Aufhebung und Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen.
Art12 Abs2 B-VG läßt deutlich erkennen, daß es einerseits Angelegenheiten geben muß, in denen die Entscheidung der Landesagrarsenate der Aufhebung und Abänderung durch den OAS unterliegen, daß es aber andererseits auch Angelegenheiten geben muß, in denen eine Aufhebung und Abänderung der Entscheidung der Landesagrarsenate durch den OAS nicht möglich ist. Dieses aus Art12 Abs2 B-VG ableitbare Gebot schließt die Annahme aus, daß auch in den Angelegenheiten der Bodenreform die Devolution stets bis zum OAS geht, weil dann in allen Fällen die Entscheidungen der Landesagrarsenate der Aufhebung und Abänderung im Verwaltungswege unterlägen.
§7 Abs2 Agrarbehördengesetz umschreibt erschöpfend jene Angelegenheiten, in denen der OAS als Rechtsmittelinstanz zuständig ist. Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, daß der OAS in diesen - und nur in diesen - Angelegenheiten auch sonst (nämlich in seiner Funktion als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde) kompetent ist, Bescheide von Landesagrarsenaten aufzuheben oder zu ändern.
Dieses Ergebnis wird durch folgende Überlegungen unterstützt: Die Angelegenheiten der Bodenreform sind nach Art12 Abs1 Z3 B-VG der Vollziehung nach Landessache. Dennoch entscheidet in oberster Instanz in den vom Bundesgesetzgeber besonders bezeichneten Fällen der OAS, der organisatorisch eine Bundesbehörde ist. Die durch Art2 B-VG gebotene Auslegung im föderalistischen Sinn legt nahe, die dem OAS übertragenen Aufgaben einschränkend auszulegen (vgl. VwGH 6. 7. 1978 Z 2615/77, 290/78).
Zusammenfassend ergibt sich, daß dem OAS bei einem im Hinblick auf die Säumigkeit des LAS gestellten Devolutionsantrag nur dann die Funktion der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde zukommt, wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, in der nach §7 Agrarbehördengesetz die Berufung an den OAS zulässig ist.
3. Aus den Ausführungen in Z2 ergibt sich, daß dem OAS als sachlich in Betracht kommender Oberbehörde auf Grund des im Hinblick auf die Säumigkeit des LAS gestellten Devolutionsantrages eine Zuständigkeit zur Entscheidung über die Berufung gegen den Kostenbescheid der Nö. Agrarbezirksbehörde vom 29. Feber 1976 nur dann zukäme, wenn er auch in oberster Instanz über eine Berufung zu entscheiden hätte, die gegen eine in dieser Angelegenheit ergangene Entscheidung des LAS erhoben worden ist.
Die Angelegenheiten, in denen eine Berufung gegen abändernde Erk. des LAS an den OAS zulässig ist, sind im §7 Abs2 Agrarbehördengesetz 1950 angeführt. Unter diese Angelegenheiten fällt nicht eine Entscheidung in einem von der Agrarbehörde durchzuführenden Besitzstörungsverfahren. Demnach ist der OAS zu einer Entscheidung über eine Berufung gegen ein Erk. des LAS, mit dem über eine Berufung gegen einen im Rahmen eines Besitzstörungsverfahrens erlassenen agrarbehördlichen erstinstanzlichen Bescheid entschieden worden ist, nicht zuständig. Dies gilt in gleicher Weise für ein Verfahren, in dem über den Ersatz der Verfahrenskosten abzusprechen ist, wenn der Gegenstand des Verfahrens in der Hauptsache die Absprache über eine Besitzstörung gebildet hat.
Da in der Angelegenheit, in der der Bescheid der Nö. Agrarbezirksbehörde vom 20. Feber 1976 ergangen ist und in der der LAS bei der Entscheidung über die gegen diesen erstinstanzlichen Bescheid von der Beschwerdeführerin erhobene Berufung säumig war, eine Berufung gegen ein Erk. des LAS an den OAS ausgeschlossen und dieser damit zur Entscheidung in oberster Instanz nicht zuständig wäre, ist ihm eine Zuständigkeit zur Entscheidung über die von ihr erhobene Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid nicht zugekommen. IS der ständigen Rechtsprechung des VfGH ist dadurch die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid war aus diesem Grunde aufzuheben. Auf die in der Beschwerde aufgeworfene Frage der Gesetzmäßigkeit der Einleitungsverordnung der Nö. Agrarbezirksbehörde vom 8. Feber 1972 war nicht einzugehen, da die Entscheidung der Nö. Agrarbezirksbehörde vom 20. Feber 1976 über die Besitzstörung rechtskräftig geworden ist und das Verfahren bloß in der Nebenfrage der Kosten aufgerollt werden kann, weshalb die Verordnung im Verfahren vor dem VfGH nicht anzuwenden war.
Schlagworte
Verwaltungsverfahren, Zuständigkeit Verwaltungsverfahren, Behördenzuständigkeit, Instanzenzug, Kostenersatz, Devolution, Auslegung Verfassungs-, Agrarbehördern, Agrarverfahren, Oberster Agrarsenat, Bundesstaat, VfGH / InstanzenzugserschöpfungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1980:B411.1977Dokumentnummer
JFT_10198994_77B00411_00