TE Vfgh Erkenntnis 1980/10/9 B289/78

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Veröffentlicht am 09.10.1980
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art83 Abs2
MRK Vorbehalt zu Art5
StGG Art5
BVG Ämter d LReg §3 Abs2
StVO 1960 §20 Abs2
VStG §31

Leitsatz

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte BGBl. 591/1978, Vorbehalt zu Art9 und Art14 bewirkt keine Veränderung des Vorbehaltes zu Art5 MRK bezüglich AVG 1950 und VStG 1950; StVO 1960, denkmögliche Anwendung des §20 Abs2; kein Ablauf der Verjährungsfrist; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Oö. Landesregierung vom 31. März 1978, Z VerkR 9790/1-1978-II/Ha, (zugestellt am 17. April 1978) wurde über den Beschwerdeführer wegen einer Verwaltungsübertretung nach §20 Abs2 StVO 1960 gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960 eine Geldstrafe von S 800,- (Ersatzarreststrafe von 2 Tagen) verhängt. Es wurde ihm zur Last gelegt, am 29. Oktober 1976 um

15.15 Uhr als Lenker eines Personenkraftwagens (irrtümlich angeführt W statt N ...) auf der Westautobahn in T. laut Feststellung einer Radarkontrolle die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h um über 20 km/h überschritten zu haben.

Der Bescheid ist wie folgt begründet:

"§20 Abs2 StVO normiert, daß der Lenker eines Fahrzeuges auf Autobahnen nicht schneller als 130 km/h fahren darf.

Auf Grund einer Radarkontrolle steht fest, daß der Beschuldigte gegen die genannte Bestimmung der Straßenverkehrsordnung verstoßen hat. Der Berufungswerber vermag auch in seiner Berufung keine geeigneten Beweise vorzubringen, die ihn von der Schuld freisprechen würden.

Bei Prüfung der Höhe der verhängten Strafe ist die Berufungsbehörde zur Überzeugung gelangt, daß das Strafausmaß auch mit Rücksicht auf die Einkommens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten im Sinne des §19 VStG 1950 idFd BGBl. Nr. 117/1978 angemessen ist.

Vom Milderungsrecht wurde mangels rücksichtswürdiger Umstände und der beim Rechtsmittelwerber erforderlichen Spezialprävention kein Gebrauch gemacht."

Der Bescheid ist nach der Klausel: "Für die Oö. Landesregierung: im Auftrage" von einem Beamten des Amtes der Oö. Landesregierung, und zwar nicht vom Leiter der für die Angelegenheiten des Verkehrsrechtes zuständigen Abteilung, sondern von einem dieser Abteilung zugeteilten Sachbearbeiter, unterfertigt.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die unter Berufung auf Art144 B-VG "wegen Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unverletzlichkeit des Eigentums, des Verfahrens vor dem gesetzlichen Richter und des öffentlichen Gehörs vor einem auf Gesetz beruhenden Gericht innerhalb angemessener Frist" erhobene Beschwerde. Es wird die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, für den Fall der Abweisung die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Der Beschwerdeführer hat gegen die Verfassungsmäßigkeit der bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Bestimmungen des AVG 1950 und des VStG 1950 sowie der materiell-rechtlichen Strafvorschriften des §99 Abs1 lita StVO die Bedenken vorgebracht, die auch Gegenstand des Vorbringens in dem unter B105/75 protokollierten Beschwerdeverfahren waren. Der VfGH hat sich in dem in diesem Verfahren ergangenen Erk. VfSlg. 8234/1978 mit diesen Bedenken auseinandergesetzt und keine Veranlassung gefunden, ein vom Beschwerdeführer angeregtes Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschriften einzuleiten.

Unter Hinweis auf dieses Erk. hat der Beschwerdeführer in einer als "Stellungnahme" bezeichneten Eingabe vom 29. Jänner 1979 dem VfGH mitgeteilt, daß er seine "verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Verwaltungsverfahrensgesetze" (somit nicht mehr gegen §99 Abs3 lita StVO 1960 aufrecht halte. Er führt hiezu aus, Österreich habe zwischenzeitlich den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert; dieser Staatsvertrag (im folgenden kurz als Pakt bezeichnet) sei am 10. Dezember 1978 für Österreich in Kraft getreten (BGBl. 591/1978). Der Beschwerdeführer vertritt "die Rechtsansicht, daß nunmehr nach Geltung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte die bisherige und im VfGH Erk. B105/75 (jetzt VfSlg. 8234/1978) zusammengefaßte Rechtsansicht nicht länger aufrecht erhalten werden" könne.

Er begründet dies damit, daß der Vorbehalt zu Art9 und 14 des Paktes formulierungsmäßig über den Vorbehalt zu Art5 MRK hinausgehe und im Gegensatz zu diesem auch das Verfahren, wie es in den Verwaltungsverfahrensgesetzen geregelt ist, vom Geltungsbereich des Paktes ausnehme. Da aber im Vorbehalt zur MRK der wesentliche Hinweis auf das Verfahren fehle, ergebe sich, daß das Verfahren nach AVG und VStG nicht konventionskonform sei und durch die entsprechenden Vorbehalte Österreichs zur MRK nicht gedeckt sei.

b) Mit dieser Auffassung ist der Beschwerdeführer nicht im Recht. Er übersieht, daß die Formulierung der Vorbehalte, die Österreich bei der Ratifikation des Paktes erklärt hat, als spätere Formulierung eines Vorbehalts zu einem unter Erfüllungsvorbehalt stehenden einfachgesetzlichen Staatsvertrag den Sinngehalt einer früheren verfassungsgesetzlichen Normierung nicht zu verändern vermag. Der VfGH sieht daher keinen Anlaß, von der im Erk. VfSlg. 8234/1978 geäußerten Rechtsansicht abzugehen.

Die vom Beschwerdeführer behauptete Verfassungswidrigkeit der bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Bestimmungen des AVG 1950 und des VStG 1950 liegt nicht vor.

2. a) Der Beschwerdeführer behauptet, durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden zu sein. Die Bestimmung des §4 der Geschäftsordnung des Amtes der Oö. Landesregierung, wonach "die Abteilungsleiter bestimmen, in welchen Angelegenheiten die Vertretungsbefugnis allgemein an ihrer Stelle durch sonstige zugeteilte Beamte erfolgen kann" sei wegen eines Verstoßes gegen §3 Abs3 des Bundesverfassungsgesetzes vom 30. Juli 1925, BGBl. 289, betreffend Grundsätze für die Einrichtung und Geschäftsführung der Ämter der Landesregierungen außer Wien, gesetzwidrig.

Abgesehen von einer im genannten Bundesverfassungsgesetz nicht vorgesehenen stufenweisen Untervertretung der Landesregierung durch einzelne Mitglieder der Landesregierung und erst in der Folge durch Bedienstete des Amtes der Landesregierung ermächtige die Verordnung den Abteilungsleiter generell, zu bestimmen, in welchen Angelegenheiten die Vertretungsbefugnis allgemein an seiner Stelle durch sonstige zugeteilte Beamte erfolgen könne, während das bereits erwähnte Bundesverfassungsgesetz in §3 Abs3 nur eine ausnahmsweise Vertretung durch einzelne den Abteilungen zugeteilte Beamte vorsehe.

Es wird angeregt, ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der angeführten Verordnungsstelle einzuleiten.

b) Der VfGH hat wiederholt ausgesprochen, daß es sich bei den auf Grund des §3 Abs2 des zitierten Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 289/1925 erlassenen Geschäftsordnungen der Ämter der Landesregierungen um Angelegenheiten der inneren Organisation handelt, die die Zuständigkeit und damit auch das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht berühren. Solche Vorschriften enthalten keine allgemeinen Anordnungen (VfSlg. 1283/1929); sie sind keine Rechtsverordnungen (VfSlg. 7941/1976). So ist auch der §4 GO nur eine innerdienstliche Regelung über die Vertretung des zur Erlassung eines Bescheides zuständigen Kollegiums oder eines einzelnen Mitgliedes der Landesregierung (VfSlg. 7642/1975). Die Zurechnung des angefochtenen Bescheides an die Oö. Landesregierung ergibt sich nicht aus diesen, sondern aus anderen Normen. Es kann daher aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit dieser Bestimmung nicht eingeleitet werden.

3. a) Zur Begründung der behaupteten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter bringt der Beschwerdeführer auch vor, die ihm angelastete Verwaltungsübertretung habe "ihre Konkretisierung innerhalb der Verjährungsfrist dahingehend" erhalten, daß er nach der von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck am 29. Oktober 1976 erlassenen und vom Beschwerdeführer persönlich übernommenen Strafverfügung "diese Übertretung in I. getätigt haben soll". Nach Ablauf der "damals noch geltenden 3-Monatsfrist" habe die Behörde im erstinstanzlichen Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 24. Jänner 1978 "einen anderen Tatort, nämlich T., angenommen". Diese Orte seien ca. 16 km voneinander entfernt. Es könne "daher nicht mehr von der Identität der innerhalb der Verjährungsfrist angelasteten Tat mit der tatsächlich erfolgten Tat gesprochen werden", sodaß ihm "Verjährung zuzubilligen" sei.

b) Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (VfSlg. 8273/1978) nimmt die zur Verhängung einer Verwaltungsstrafe zuständige Behörde, wenn sie nach Ablauf der Verjährungsfrist über einen Beschuldigten eine Verwaltungsstrafe verhängt, eine ihr nach dem Gesetz nicht mehr zustehende Zuständigkeit in Anspruch und verletzt damit das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Nach den vorgelegten Verwaltungsakten hat die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck am Tag der Tat (29. Oktober 1976) eine Strafverfügung erlassen, in der als Tatort unrichtig "I." angegeben ist. Erst im Straferkenntnis vom 24. Jänner 1978 ist der richtige Tatort "T."

angeführt. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat aber am 29. November 1976, somit vor Ablauf der mit 29. Oktober 1976 begonnenen Verjährungsfrist (§31 VStG 1950), an die Bezirkshauptmannschaft Horn die Verwaltungsakten übermittelt und ersucht, den Beschwerdeführer, dem zur Last gelegt wurde, die angeführte Verwaltungsübertretung "auf der Westautobahn in T./I."

begangen zu haben, "Akteneinsicht zu gewähren und ihn aufzufordern, sich abschließend zu äußern". In den Akten befand sich das Radarmeßblatt und das Radarphoto, auf dem über dem Fahrzeug des Beschwerdeführers als Ort der Messung "A1 - km 251 T." angegeben ist. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Tat schon durch die Strafverfügung ausreichend konkretisiert wurde, da durch dieses Rechtshilfeersuchen die Verfolgungsverjährung jedenfalls ausgeschlossen wurde.

Mit dem angefochtenen Bescheid ist demnach über den Beschwerdeführer nicht erst nach Ablauf der Verjährungsfrist eine Verwaltungsstrafe verhängt worden. Die Behauptung des Beschwerdeführers, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, trifft nicht zu.

4. a) Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides könnte der Beschwerdeführer im Eigentumsrecht nur durch eine denkunmögliche Gesetzesanwendung verletzt worden sein. Eine solche wäre der belangten Behörde dann vorzuwerfen, wenn ihr bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides ein Fehlverhalten anzulasten wäre, das mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

Der Beschwerdeführer bringt zur Begründung seiner Behauptung, es habe eine denkunmögliche Gesetzesanwendung stattgefunden, vor, er habe nie einen Personenkraftwagen mit einem Wiener Kennzeichen gelenkt; ein solches sei jedoch im erstinstanzlichen Bescheid angeführt. Das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers läuft darauf hinaus, die Höhe der verhängten Strafe als unrichtig darzutun.

b) Selbst wenn diese Vorwürfe des Beschwerdeführers zuträfen, würden sie nicht bedeuten, daß über den Beschwerdeführer eine Strafe mit einer Fehlerhaftigkeit verhängt worden wäre, die einer Gesetzlosigkeit gleichkommt. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, die Höchstgeschwindigkeit überschritten und damit jedenfalls den Tatbestand der Verwaltungsübertretung nach §20 Abs2 StVO 1960 erfüllt zu haben; er stellt auch nicht in Abrede, daß die gesetzlich geforderten Voraussetzungen für die Verhängung einer Strafe wegen dieser Verwaltungsübertretung gegeben waren. Im wesentlichen wird dem Inhalte nach mit dem Vorbringen nur behauptet, daß insbesondere die Höhe der Strafe mit einem unzureichenden Ermittlungsverfahren über das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung und in unrichtiger Anwendung von Vorschriften des VStG 1950 und der StVO 1960 ermittelt worden sei. Dies hat aber nicht der VfGH, sondern der VwGH zu prüfen.

Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrecht nicht verletzt.

5. Die Verletzung eines sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes ist vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden und im Verfahren vor dem VfGH nicht hervorgekommen.

Der Beschwerdeführer ist auch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm nicht in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Verwaltungsstrafrecht, Verjährung, Verordnungbegriff, Straßenpolizei, Geschwindigkeitsüberschreitung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B289.1978

Dokumentnummer

JFT_10198991_78B00289_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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