TE Vfgh Erkenntnis 1980/10/11 B145/78

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Veröffentlicht am 11.10.1980
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Index

43 Wehrrecht
43/01 Wehrrecht allgemein

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
AVG §69
HeeresdisziplinarG §35 Abs1 Z2 litb
HeeresdisziplinarG §44 Abs1, §44 Abs2
StPO §72

Leitsatz

Heeresdisziplinargesetz, Ablehnung von Mitgliedern der Disziplinarkommission nach §44 Abs1 dieses Gesetzes in Verbindung mit §72 StPO; Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Der Beschwerdeführer ist Bundesbeamter (Berufsoffizier) des Ruhestandes. Er wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Erkenntnis der Disziplinaroberkommission für Berufsoffiziere beim Bundesministerium für Landesverteidigung vom 14. April 1961 mehrerer Dienstvergehen für schuldig erkannt. Über den Beschwerdeführer wurde die Disziplinarstrafe der Versetzung in den dauernden Ruhestand mit Minderung des Ruhegenusses um 5% verhängt.

Am 1. Dezember 1975 beantragte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des Verfahrens. Dieser Antrag wurde mit Beschluß der Disziplinarkommission für Berufsoffiziere beim Korpskommando II vom 23. Juni 1977 abgelehnt. Mit Beschluß der Disziplinaroberkommission für Berufsoffiziere beim Bundesministerium für Landesverteidigung vom 22. Dezember 1977 wurde der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Beschwerde keine Folge gegeben und der angefochtene Beschluß bestätigt.

2. Gegen diesen zweitinstanzlichen Beschluß wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer behauptet, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden zu sein. Er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die Disziplinaroberkommission für Berufsoffiziere beim Bundesministerium für Landesverteidigung (im folgenden kurz: DOK) ist eine Verwaltungsbehörde. Ihre Entscheidung, einen Wiederaufnahmsantrag abzulehnen, ist ein (verfahrensrechtlicher) Bescheid, der nach Art144 Abs1 B-VG beim VfGH bekämpfbar ist (vgl. zB VfSlg. 7710/1975 und 7907/1976).

Der administrative Instanzenzug ist erschöpft (siehe §61 Abs4 iVm §35 Abs1 Z2 litb des Heeresdisziplinargesetzes, BGBl. 151/1956, idF der Novelle BGBl. 369/1975 - im folgenden kurz: HDG).

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist die Beschwerde zulässig.

2. a) §44 HDG lautet auszugsweise:

"(1) Auf die Ausschließung und Ablehnung von Mitgliedern einer Disziplinarkommission ... sind die Bestimmungen der §§67 bis 74 ... der Strafprozeßordnung 1960, BGBl. 98, sinngemäß anzuwenden.

(2) Überdies hat jeder Beschuldigte das Recht, binnen einer Woche nach Zustellung des Verweisungsbeschlusses ein Mitglied des Senats, besteht der Senat aber aus dem Vorsitzenden und vier weiteren Mitgliedern, zwei Mitglieder des Senats ohne Angabe von Gründen abzulehnen."

Dem im §44 Abs1 HDG verwiesenen §72 StPO zufolge kann ua. der Beschuldigte Mitglieder des Gerichtes unter bestimmten Voraussetzungen ablehnen. §74 StPO regelt, wer über die Zulässigkeit der Ablehnung einer Gerichtsperson entscheidet.

b) Der Beschwerdeführer behauptet, deshalb im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, weil dem erstinstanzlichen Beschluß vom 23. Juni 1977 die Zusammensetzung der Disziplinarkommission für Berufsoffiziere beim Korpskommando II nicht zu entnehmen gewesen sei.

c) Dieses Vorbringen weist keine Verletzung des erwähnten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes nach. Wenn die Zusammensetzung einer Kollegialbehörde von der Partei aus dem Bescheid nicht entnommen werden kann, wird nämlich dadurch das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt (vgl. VfSlg. 7293/1974).

d) Nach der Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 3406/1958, 7037/1973 und 7360/1974) wird aber dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht ua. dann verletzt, wenn einer zur Ablehnung von Mitgliedern einer Kollegialbehörde berechtigten Partei die Ausübung dieses Rechtes dadurch unmöglich gemacht wird, daß ihr die zur Entscheidung berufenen Mitglieder der Behörde nicht bekanntgegeben werden.

Im vorliegenden Fall wurden dem Beschwerdeführer weder die Mitglieder der Disziplinarkommission erster Instanz noch jene der in zweiter Instanz entscheidenden Disziplinaroberkommission vor Beschlußfassung durch diese Behörden mitgeteilt.

Im Sinne vorstehender Rechtsprechung des VfGH ist sohin zu klären, ob dem Beschwerdeführer ein Ablehnungsrecht zugestanden ist.

Die belangte Behörde vertritt zu dieser Frage in ihrer Gegenschrift die Meinung, daß das Ablehnungsrecht nach §44 HDG "nur einem Beschuldigten im Rahmen eines eingeleiteten Disziplinarverfahrens zustehe, der Beschwerdeführer aber des Status eines Beschuldigten entbehrt habe."

§44 Abs2 HDG erwähnt den Verweisungsbeschluß (§51 HDG). Mit einem solchen Beschluß wird die Disziplinarsache zur mündlichen Verhandlung verwiesen. In einem Wiederaufnahmsverfahren kommt ein derartiger Beschluß nicht in Betracht. Daher ist die Ansicht der belangten Behörde in Ansehung des §44 Abs2 HDG vertretbar. Es kann dahingestellt bleiben, ob ihre Ansicht auch richtig ist. Keinesfalls nämlich erlauben der Wortlaut oder der Sinn des §44 Abs1 iVm den §§72 ff. StPO die Auslegung der belangten Behörde; vielmehr gilt das hier verankerte Ablehnungsrecht für jedes Verfahren, das von den nach dem HDG errichteten Disziplinarkommissionen geführt wird, also auch für ein über einen Wiederaufnahmsantrag stattfindendes Verfahren. Jedenfalls also hatte der Beschwerdeführer das Recht, Mitglieder der in erster und zweiter Instanz über seinen Antrag entscheidenden Disziplinarkommissionen bei Vorliegen der Voraussetzungen nach §44 Abs1 HDG iVm dem §72 StPO abzulehnen.

Da ihm die Ausübung dieses Rechtes durch Nichtbekanntgabe der Mitglieder dieser Kollegialbehörden unmöglich gemacht wurde, ist er im verfassungsgesetzlich geschützten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid war daher als verfassungswidrig aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

Schlagworte

Militärrecht, Heeresdisziplinarrecht, Disziplinarrecht Heer, Bescheid verfahrensrechtlicher, Wiederaufnahme, Kollegialbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B145.1978

Dokumentnummer

JFT_10198989_78B00145_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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