TE Vfgh Erkenntnis 1980/10/13 B213/78

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Veröffentlicht am 13.10.1980
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
MRK Art4 Abs2
VStG §31 Abs2
Wr BauO 1930 §129 Abs2 idF LGBl 18/1976
Wr BauO 1930 §129 Abs10 idF LGBl 18/1976
Wr BauO 1930 §135 Abs1

Leitsatz

Wr. Bauordnung, keine Bedenken gegen §129 Abs2 und 10 und §135 Abs1; keine denkunmögliche Anwendung; kein Entzug des gesetzlichen Richters; kein Verstoß gegen Art4 MRK

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Bauoberbehörde der Stadt Wien vom 3. November 1972 wurde dem Beschwerdeführer gemäß §129 Abs4 und 10 der Bauordnung für Wien (BauO) ein Auftrag zur Behebung einer Reihe von Baugebrechen und Konsenswidrigkeiten in dessen Haus in W., W-gasse 4, erteilt. Der VwGH hat mit Erk. vom 3. Juli 1973, Z 78/73, die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid als unbegründet abgewiesen.

2. Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt f. d. 15. Bezirk, hat mit Straferk. vom 13. September 1976 gemäß §135 Abs1 der Bauordnung für Wien, LGBl. 11/1930, idF der Nov. LGBl. 18/1976, über den Beschwerdeführer Geldstrafen in der Höhe von insgesamt

S 23.000,-, im Nichteinbringungsfall insgesamt 17 Tage Arrest, verhängt, weil der Beschwerdeführer als Eigentümer des Hauses W., W-gasse 4, in der Zeit vom 3. September 1971 bis 30. Juli 1976 erstens entgegen der Bestimmung des §129 Abs2 BauO in fünf näher bezeichneten Fällen Baugebrechen nicht behoben und es dadurch unterlassen habe, das Haus in gutem, der Baubewilligung und den Vorschriften der BauO für Wien entsprechendem Zustand zu erhalten und weil der Beschwerdeführer zweitens entgegen §129 Abs10 BauO sechs näher bezeichnete Abweichungen von den Bauvorschriften nicht habe beseitigen lassen.

Der vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung hat die Wr. Landesregierung mit Bescheid vom 19. Dezember 1977 nicht Folge gegeben.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer behauptet, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz, auf Unversehrtheit des Eigentums und "des einen Bestandteil der Verfassung bildenden Verbotes der Zwangs- und Pflichtarbeit" gemäß Art4 MRK verletzt worden zu sein.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Gemäß §129 Abs2 BauO hat der Eigentümer dafür zu sorgen, daß die Gebäude und die baulichen Anlagen in gutem, der Baubewilligung und den Vorschriften dieser Bauordnung entsprechendem Zustand erhalten werden.

In §129 Abs10 BauO ist vorgesehen, daß Abweichungen von den Bauvorschriften zu beheben sind und der vorschriftswidrige Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden ist, zu beseitigen ist.

§135 Abs1 BauO enthält die Androhung einer Geldstrafe bis zu S 10.000,-, im Falle der Uneinbringlichkeit einer Freiheitsstrafe bis zu 3 Monaten, bei Übertretung der Vorschriften der BauO.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften sind weder vorgebracht worden noch im Verfahren beim VfGH entstanden (vgl. VfSlg. 7675/1975 und die dort angeführte Vorjudikatur).

2. Hingegen äußert der Beschwerdeführer verfassungsrechtliche Bedenken gegen §19 Abs2 Z4, §§4a und 4b sowie gegen §21a des MietenG idF der Nov. BGBl. 409/1974. Die Behörde hat diese Bestimmungen jedoch im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren bei Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht angewendet und hatte sie auch nicht anzuwenden. Daß diese Bestimmungen des MietenG unter Umständen in einem gerichtlichen Kündigungsprozeß vor einem allfälligen Abbruch des Hauses zur Anwendung zu kommen hätten, vermag ihre Präjudizialität im vorliegenden Verfahren nicht zu begründen. Auf die dagegen vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken ist daher nicht einzugehen.

3. Im Hinblick auf die Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums durch den in sein Eigentum eingreifenden Bescheid nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (siehe zB VfSlg. 8083/1977) nur dann verletzt sein, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte.

a) Der Beschwerdeführer wurde ua. deshalb bestraft, weil er es unterlassen hatte, die beiden Putzschächte in der Einfahrt vor der Windfangtür und an der Grundgrenze auf das konsensgemäße Ausmaß bringen zu lassen (Pkt. II.10. im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides).

Dazu bringt der Beschwerdeführer vor, diese Feststellung sei mit den Tatsachen deswegen nicht in Einklang zu bringen, weil die Behauptung, die beiden Putzschächte seien nicht auf das konsensmäßige Ausmaß gebracht worden, erstmals im Berufungsverfahren aufgestellt worden sei. Da der Beschwerdeführer von dem konsenswidrigen Zustand bis dahin keine Kenntnis gehabt habe, sei "die angegebene Feststellung im Tatbestand gesetzlich nicht gedeckt und daher verfassungswidrig".

Die belangte Behörde führt dazu aus, der Beschwerdeführer hätte spätestens auf Grund der im erstinstanzlichen Verfahren am 3. September 1971 abgehaltenen Ortsverhandlung und der dabei getroffenen Feststellungen die Konsensmäßigkeit der Kanalanlage überprüfen und unverzüglich die nötigen Veranlassungen treffen müssen. Im übrigen bedürfe es für die Verpflichtung zur Beseitigung von Baugebrechen oder konsenslosen Bauteilen nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH keines gesonderten baupolizeilichen Auftrages; die Verpflichtung erfließe vielmehr aus dem Gesetz. Der Beschwerdeführer behaupte auch nicht, einen Entlastungsbeweis iS des §5 Abs1 VStG 1950 in diesem Punkte angetreten oder gar erbracht zu haben.

Der Beschwerdeführer behauptet in Wahrheit nur, daß ihm bei richtiger Rechtsauslegung die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften ohne sein Verschulden unmöglich gewesen sei; er erhebt damit lediglich den Vorwurf, daß die belangte Behörde das Gesetz unrichtig angewendet habe. Ob das zutrifft, hat aber der VfGH nicht zu prüfen. Auf das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers ist daher nicht weiter einzugehen, weil damit kein in die Verfassungssphäre reichender Verstoß der Behörde dargetan ist.

b) Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, er habe bereits vor Beginn der ihm angelasteten Tatzeit (3. September 1971) beantragt, ihm im Hinblick auf die Unwirtschaftlichkeit der Durchführung von Instandsetzungsarbeiten einen Abbruchauftrag zu erteilen. Da somit ein zweckentsprechender Antrag gestellt worden sei, könne "schon begrifflich" von einer Säumnis oder einem Ungehorsam nicht gesprochen werden. Darüber hinaus liege "in diesem Antrag aber selbst für den Fall, als dieser Antrag als nicht hinreichend angesehen werden sollte, ein außerstrafrechtlicher Rechtsirrtum vor".

Es ist keineswegs denkunmöglich, wenn die Behörde davon ausgegangen ist, daß die Stellung eines Antrages auf Erteilung eines Abbruchauftrages die Verpflichtung zur Behebung von Baugebrechen nicht ausschließt.

Ob diese Auffassung der Behörde richtig ist, hat der VfGH nicht zu prüfen.

c) Der Beschwerdeführer ist auch deshalb bestraft worden, weil er es in der Zeit vom 3. September 1971 bis 30. Juli 1976 unterlassen hat, den schadhaften Verputz der Gassen- und Hofschauseiten instandsetzen zu lassen (Pkt. I.2. im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides). Der Beschwerdeführer hält seine Bestrafung für den Zeitraum ab 4. März 1974 für gesetzwidrig "und daher" auch für verfassungswidrig, weil er am 4. März 1974 einen Antrag auf Instandsetzung der Fassade eingebracht habe. Nach ständiger Rechtsprechung beider Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts werde ein Ungehorsamsdelikt wie das dem Beschwerdeführer angelastete "dadurch unterbrochen", daß der Hauseigentümer entsprechende Schritte zur Abwendung des beanstandeten Zustandes unternehme.

Den Verwaltungsakten ist zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer am 4. März 1974 einen Antrag auf Genehmigung der "Fassadenvereinfachung" gemäß "den noch vorzulegenden Plänen" gestellt hat. Über diesen Antrag erging der Bescheid des Magistrates der Stadt Wien MA37/15 vom 10. Feber 1976, mit welchem gemäß §70 BauO - neben einer anderen, hier bedeutungslosen Bewilligung - die Bewilligung erteilt wurde, gemäß dem vorgelegten Plan die Gassenschauseite über einen Bereich von acht Fensterachsen in vereinfachter Form neu zu gestalten.

Hiezu ist zu bemerken, daß die Behörde das Gesetz schon deshalb nicht denkunmöglich angewendet hat, weil der Beschwerdeführer seinen Baubewilligungsantrag erst Jahre nach der Erteilung des Auftrages zur Behebung von Baugebrechen gestellt hat, die Instandsetzung der Fassade auch nach Erteilung der Baubewilligung zumindest bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Strafbescheides nicht durchgeführt wurde und weil vom Baubewilligungsantrag nur ein Teil der Baugebrechen, und zwar jene auf der Gassenschauseite, nicht aber jene auf der Hofschauseite, umfaßt waren. Die Behörde konnte daher hinsichtlich des gesamten Zeitraumes vom 3. September 1971 bis 30. Juli 1976 denkmöglich davon ausgehen, daß der Beschwerdeführer nicht bewiesen habe, alles in seinen Kräften Stehende unternommen zu haben, um die festgestellten Baugebrechen zu beseitigen.

d) Der Beschwerdeführer bemängelt auch, daß die Behörde bei ihrer Entscheidung wirtschaftliche Aspekte außer acht gelassen habe. Die Frage, welche Instandsetzungsarbeiten vorzuziehen und welche zurückzustellen seien, sei nämlich rein wirtschaftlicher Art. Es sei entgegen der Ansicht der belangten Behörde davon auszugehen, daß die beantragte Fassadenvereinfachung dem Zweck diente, die übrigen Arbeiten im Rahmen der zulässigen Mietzinserhöhung durchführbar zu machen.

Nach der Rechtsprechung des VwGH (siehe die mit VwSlg. 7789 A/1970 beginnende Judikatur), steht die allfällige wirtschaftliche Unzumutbarkeit der Instandsetzung der Erteilung eines baupolizeilichen Instandsetzungsauftrages gemäß §129 Abs2 und 4 BauO nicht entgegen. Dieses Vorbringen des Beschwerdeführers ist aber schon deshalb nicht geeignet, der Behörde eine denkunmögliche Gesetzesanwendung nachzuweisen, weil es sich in Wahrheit gegen den Bescheid vom 3. November 1972 (s. o. unter I.1) richtet.

e) Schließlich bringt der Beschwerdeführer vor, §135 BauO erfordere zur Tatbestandsmäßigkeit die ausdrückliche Feststellung, daß die durchgeführten Arbeiten unbedingt notwendig gewesen seien, nicht zuletzt im Hinblick auf §7 Abs5 MietenG idF der Nov. BGBl. 409/1974. Die Behörde habe aber keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen.

Hiezu ist zu bemerken, daß diesbezügliche Feststellungen in einem Strafverfahren nach §135 Abs1 BauO nicht zu treffen sind, sie waren gegebenenfalls vielmehr Gegenstand des mit dem rechtskräftigen Bescheid vom 3. November 1972 abgeschlossenen Verfahrens betreffend Behebung von Baugebrechen und Konsenswidrigkeiten.

4. Der Beschwerdeführer wurde somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nicht verletzt. Es liegt auch kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot vor; der Beschwerdeführer hat auch nichts in dieser Richtung vorgebracht.

5. Wenn die Behauptung des Beschwerdeführers zuträfe, daß "die Voraussetzungen der Verjährung" vorliegen, wäre der Beschwerdeführer nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden (vgl. zB VfSlg. 8092/1977). Da die Behörde jedoch im Hinblick auf die Qualifikation der Straftat als Dauerdelikt mit Recht von einem Tatzeitraum 3. September 1971 bis 30. Juli 1976 ausgehen konnte, ist nicht erkennbar, daß die - damals noch geltende - dreimonatige Verjährungsfrist des §31 Abs2 VStG überschritten worden wäre.

6. Der Beschwerdeführer behauptet schließlich, das Außerachtlassen wirtschaftlicher Erwägungen stelle auch eine Verletzung des Art4 MRK dar, weil "die Übertragbarkeit der Aufwendungen die Grundlage jeglichen wirtschaftlichen Denkens darstellt".

Der Beschwerdeführer meint offenbar, durch den angefochtenen Bescheid als Hauseigentümer zu einer Zwangs- oder Pflichtarbeit gezwungen zu sein (Art4 Abs2 MRK). Dies trifft schon deshalb nicht zu, weil der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nicht zu einer Arbeitsleistung verhalten wurde.

7. Die behaupteten Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte haben somit nicht stattgefunden. Im Verfahren ist auch nicht hervorgekommen, daß der Beschwerdeführer in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden wäre.

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

Schlagworte

Baurecht, Baupolizei, Instandhaltungspflicht, VfGH / Prüfungsmaßstab, Verwaltungsstrafrecht, Dauerdelikt, Verjährung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B213.1978

Dokumentnummer

JFT_10198987_78B00213_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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