TE Vfgh Erkenntnis 1980/10/13 B375/78

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Veröffentlicht am 13.10.1980
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

StGG Art5
ASVG §42 Abs1
NotariatsO §37
RAO §9

Leitsatz

ASVG, Verweigerung der Einsichtnahme in das Kassajournal eines Notares; denkmögliche Anwendung des §42 Abs1

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Der Beschwerdeführer war bis zum 31. Dezember 1976 öffentlicher Notar.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 10. April 1978 wurde der Beschwerdeführer gemäß §111 ASVG zu einer Geldstrafe von S 2.000,-, im Nichteinbringungsfalle zu vier Tagen Arrest verurteilt. Die Strafe wurde deshalb verhängt, weil der Beschwerdeführer anläßlich einer am 4. September 1975 in seiner Kanzlei durchgeführten Beitragsprüfung durch die Wr. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte unter Berufung auf seine berufliche Verschwiegenheitspflicht die Gewährung der Einsichtnahme in sein Kassajournal und die Buchhaltung für die Jahre 1971 bis 1973 abgelehnt hatte.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt erachtet.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Dem wegen einer Verwaltungsübertretung nach §111 ASVG gegen den Beschwerdeführer eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren liegt die Bestimmung des §42 Abs1 ASVG zugrunde. Diese Bestimmung lautet:

"Die Dienstgeber, die sonstigen meldepflichtigen Personen und Stellen (§36), im Falle einer Bevollmächtigung nach §35 Abs3 oder §36 Abs2 die Bevollmächtigten, haben den Versicherungsträgern über alle für das Versicherungsverhältnis maßgebenden Umstände auf Anfrage längstens binnen 14 Tagen wahrheitsgemäß Auskunft zu erteilen und den gehörig ausgewiesenen Bediensteten dieser Stellen während der Betriebszeit Einsicht in alle Geschäftsbücher und Belege sowie sonstigen Aufzeichnungen zu gewähren, die für das Versicherungsverhältnis von Bedeutung sind."

2. Der VfGH hat in dem einen analogen Fall - Verweigerung der Einsichtnahme in das Kassajournal eines Rechtsanwaltes - betreffenden Erk. VfSlg. 8322/1978 unter anderem ausgeführt:

"Die im vorliegenden Fall anzuwendenden Verfahrensvorschriften kennen - im Gegensatz zur BAO - kein Recht auf Verweigerung der Vorlage von Geschäftsbüchern insoweit, als ein Zeugnisverweigerungsrecht gegeben ist. Gemäß §357 ASVG gilt für das Verfahren vor den Versicherungsträgern in Leistungssachen und in Verwaltungssachen eine Reihe von Bestimmungen des AVG, nicht jedoch §49 AVG, in welchem unter anderem das Zeugnisverweigerungsrecht von Rechtsanwälten geregelt ist, woraus allenfalls auch das Recht zur Verweigerung der Vorlage von Geschäftsbüchern abgeleitet werden könnte.

Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, daß sie zwar den §42 Abs1 ASVG, nicht aber §9 RAO, RGBl. Nr. 96/1868, anzuwenden habe. Auf Grund dieser Überlegungen hat die belangte Behörde nicht denkunmöglich gehandelt, wenn sie zwar §42 Abs1 ASVG, nicht aber §9 RAO zur Anwendung brachte. Es ist keineswegs denkunmöglich anzunehmen, daß die im §9 RAO vorgesehenen Ausnahmen von der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht durch §42 Abs1 ASVG erweitert wurden. Es war daher auch nicht denkunmöglich, davon auszugehen, daß die §§9 RAO und 42 Abs1 ASVG für den Rechtsanwalt nicht zwei miteinander kollidierende Pflichten mit sich bringen, sondern daß die Verschwiegenheitspflicht gemäß §9 RAO durch §42 Abs1 ASVG insoweit eingeschränkt wurde."

3. Diese das Verhältnis der §§9 RAO und 42 Abs1 ASVG betreffenden Erwägungen - von denen abzugehen der VfGH im vorliegenden Fall keinen Anlaß sieht - gelten auch im Hinblick auf die §§37 NO (der die Verschwiegenheitspflicht des Notars regelt) und 42 Abs1 ASVG. Im übrigen wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des oben angeführten Erk. des VfGH verwiesen.

Zur Behauptung des Beschwerdeführers, daß sich weder Kassajournal noch Kassabuch in irgendeiner Form auf das Versicherungsverhältnis beziehen und von §42 Abs1 ASVG daher auch nicht erfaßt sein könnten, hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid darauf hingewiesen, daß es ohne Einsichtnahme in das Kassabuch nicht möglich sei festzustellen, ob sich die Summe aller Entgeltzahlungen mit den auf den Lohnkonten aufscheinenden Beträgen deckt und daß sich ohne Einsichtnahme in das Kassabuch aber auch nicht feststellen lasse, ob Zahlungen geleistet worden seien, die vom Dienstgeber - etwa irrtümlich - zu Unrecht von der Beitragsleistung zur Sozialversicherung ausgenommen wurden oder ob an nicht gemeldete Personen (zB Aushilfen) Zahlungen geleistet worden seien. Es ist durchaus denkmöglich, wenn die Behörde dem Gesetz diesen Inhalt unterstellt.

4. Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid weder in dem von ihm geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums noch in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden.

Der Beschwerdeführer ist auch nicht infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Sozialversicherung, Beitragspflicht (Sozialversicherung), Rechtsanwälte, Notare

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B375.1978

Dokumentnummer

JFT_10198987_78B00375_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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