TE Vfgh Beschluss 1980/10/22 B339/80

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.10.1980
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §34
ZPO §530 Abs1 idF BGBl 140/1979

Leitsatz

VerfGG 1953 §35 (in Zusammenhang mit §530 Abs1 ZPO), Wiederaufnahme des Verfahrens

Spruch

Die Wiederaufnahme des mit Beschluß vom 3. Oktober 1977, B240/75-17, geschlossenen Verfahrens wird nicht bewilligt.

Begründung

Begründung:

I.1. Dem Wiederaufnahmewerber wurde nach einem am 24. Mai 1975 erfolgten Verkehrsunfall, bei dem er erheblich verletzt wurde, am 25. Mai 1975 um 2 Uhr durch den Amtsarzt der Bundespolizeidirektion Wien Dr. H. K. für eine Blutalkoholuntersuchung Blut abgenommen.

2. a) Dagegen erhob der Wiederaufnahmewerber Beschwerde gemäß Art144 B-VG beim VfGH (B240/75). Er behauptete, daß die "normativ angeordnete" Blutalkoholuntersuchung ohne seine Zustimmung vorgenommen worden sei, obwohl die Voraussetzungen des §5 Abs6 StVO 1960 nicht gegeben gewesen seien und überdies wegen der bereits verstrichenen Zeit sowie wegen der in der Zwischenzeit getroffenen therapeutischen Maßnahmen, die zu einer Verfälschung der Blutalkoholwerte hätten führen müssen, nicht hätte zielführend sein können; er sei durch diese Blutabnahme in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, und in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, seinem gesetzlichen Richter nicht entzogen zu werden, verletzt worden.

b) In der von der Finanzprokuratur namens der Bundespolizeidirektion Wien erstatteten Gegenschrift wurde ua. ausgeführt, daß nicht §5 Abs6 StVO 1960, sondern §5 Abs7 leg. cit. angewendet worden sei, weil der Beschwerdeführer selbst der Blutabnahme durch den Polizeiarzt zugestimmt habe und diese Zustimmung frei, ernstlich und bestimmt erklärt worden sei. Daraufhin legte der Wiederaufnahmewerber ein Gutachten des ständig gerichtlich beeideten Sachverständigen, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Dr. D. S., vom 2. Oktober 1975 vor, in dem ua. zusammenfassend festgehalten war, daß er im posttraumatischen Stadium durch 24 Stunden nicht in der Lage war, "an ihn gerichtete Fragen voll zu begreifen, so daß verminderte Entscheidungsfähigkeit resultiert". Die Finanzprokuratur legte dagegen namens der belangten Behörde nach Aufforderung durch den VfGH eine Stellungnahme des Polizeiarztes Dr. H. K. vor, in der ua. festgestellt wurde, "daß die psychische Leistungsfähigkeit, Auffassung, assoziatives Leistungsvermögen und Urteilskraft des Herrn

N. 4 Stunden nach dem Unfall nicht oder keineswegs so eingeengt waren, daß er nicht in der Lage gewesen wäre, alle an ihn gerichteten Fragen zu begreifen und diesbezüglich Entscheidungen zu treffen".

3. Der VfGH hat auf Grund der Darlegungen des Amtsarztes, dessen Feststellungen von der Ärztin, die den Beschwerdeführer unmittelbar nach dem Unfall behandelt hat, bestätigt wurden, als erwiesen angenommen, daß der Beschwerdeführer die an ihn gerichtete Frage des Amtsarztes, ob er mit einer Blutabnahme einverstanden sei, begreifen und eine entsprechende Entscheidung treffen konnte; demgegenüber hat er die im Gutachten des gerichtlich beeideten Sachverständigen und Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. S. vertretene Auffassung, wonach der Beschwerdeführer im posttraumatischen Zustand nicht in der Lage gewesen sei, die an ihn gerichteten Fragen voll zu begreifen, woraus eine verminderte Entscheidungsfähigkeit resultiert habe, als nicht beweiskräftig angesehen, da das letztgenannte Gutachten erst Monate nach dem Unfall und daher nicht auf Grund unmittelbarer Eindrücke erstellt worden sei; da somit die Blutabnahme mit Einverständnis des Beschwerdeführers durchgeführt worden sei, stellte sie sich nicht als Ausübung behördlicher Zwangsgewalt dar, weshalb die Beschwerde wegen der Nichtzuständigkeit des VfGH zurückzuweisen war (Beschluß B240/75-17 vom 3. Oktober 1977).

4. In dem auf §530 Abs1 Z7 ZPO gestützten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird behauptet, daß nunmehr neue Tatsachen hervorgekommen seien, welche "Dr. H. K. als psychopathologische Persönlichkeit" auswiesen, "der schon in einfachen Konfliktsituationen sozial unangepaßt und normwidrig reagiert"; zum Beweis dafür wird auf einen Artikel in der Tageszeitung "Kurier" vom 22. Juni 1980 verwiesen. Der Wiederaufnahmewerber meint, daß die auffälligen Tendenzen des Verhaltens des Amtsarztes Dr. H. K. schon im Zeitpunkt der gegen ihn gerichteten Amtshandlung gegeben gewesen seien und er diese Tatsache - wäre sie ihm bekannt gewesen - erfolgreich hätte verwerten können.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Wie der VfGH in seinem Erk. VfSlg. 7080/1973 ausgeführt hat, kann bei der sinngemäßen Anwendung des §530 Abs1 ZPO (idF vor Inkrafttreten des Konsumentenschutzgesetzes - KSchG, BGBl. 140/1979) auf das verfassungsgerichtliche Beschwerdeverfahren nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß nur ein im Beschwerdeverfahren gefälltes Erk. einem zivilgerichtlichen Urteil gleichzuhalten sei; der VfGH hat vielmehr die Auffassung vertreten, daß die in vergleichbaren Fällen in der ZPO vorgesehene Form der Entscheidung für die Beurteilung der Zulässigkeit der Wiederaufnahme maßgebend sei.

Seit der Neufassung des §530 Abs1 ZPO durch §36 Z10 KSchG kann jedoch jedes Verfahren, "das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen ist", wiederaufgenommen werden. Wie sich aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage dieser Novelle (744 BlgNR XIV. GP) ergibt, soll damit erreicht werden, daß auch solche Verfahren, in denen die Endentscheidung nicht in Urteils-, sondern in Beschlußform ergangen ist, wiederaufgenommen werden können.

Diese Fassung des §530 Abs1 ZPO ist anzuwenden, wenn die Entscheidung über eine Wiederaufnahme nach dem 30. September 1979 gefällt wird (§40 Abs2 Z2 KSchG). Der Umstand, daß das Verfahren, dessen Wiederaufnahme beantragt wird, mit einem Zurückweisungsbeschluß und nicht mit einer einem zivilgerichtlichen Urteil vergleichbaren Entscheidung abgeschlossen worden war, steht daher der Behandlung des gestellten Wiederaufnahmeantrages nicht entgegen.

2. Dem vom Wiederaufnahmewerber angeführten Zeitungsartikel ist im wesentlichen zu entnehmen, daß Dr. H. K. Mitte des Jahres 1980 im Zusammenhang mit einer Steuerhinterziehung angezeigt worden sei; weiters sei er aus gesundheitlichen Gründen (und nicht, wie der Wiederaufnahmswerber behauptet, "wegen mehrfacher Verstöße in einem Dienstrechtsverfahren") in den Ruhestand versetzt worden; am 28. Jänner 1980 hätten sich Schüsse aus einer von Dr. H. K. mitgeführten Waffe gelöst; am 3. März 1980 hätte es einen Streit zwischen ihm und einem Taxilenker gegeben; darüber hinaus hätte er einige Dienstaufsichtsbeschwerden im Polizeipräsidium gemacht.

Der VfGH kann es dahingestellt sein lassen, ob dieses auf einen Zeitungsartikel gestützte Vorbringen des Beschwerdeführers auch den Tatsachen entspricht. Auch im wiederaufzunehmenden Verfahren wäre nämlich dieses Vorbringen nicht geeignet gewesen, den VfGH zu einer anderen Beweiswürdigung zu bringen. Die Beweiswürdigung des VfGH hat sich nämlich vor allem auf die Unmittelbarkeit der Eindrücke gestützt, aus denen Dr. H.K. (wie auch die den Beschwerdeführer behandelnde Ärztin) auf die volle Entscheidungsfähigkeit des Beschwerdeführers geschlossen hatte; dem gegenüber sah der VfGH das Monate später erstellte Gutachten des Facharztes Dr. D. S. als nicht beweiskräftig an. Die im Zeitungsartikel geschilderten Vorfälle stehen - falls sie überhaupt zutreffen - mit der Tätigkeit des Dr. H. K. als Polizei- und Amtsarzt in keinem unmittelbaren Zusammenhang, weshalb ihr Vorbringen die dargestellte Beweiswürdigung nicht hätte beeinflussen können.

3. Der vom Wiederaufnahmewerber geltend gemachte Umstand ist auch keinem anderen gesetzlichen Wiederaufnahmegrund zu subsumieren.

4. Die beantragte Wiederaufnahme des mit Beschluß vom 3. Oktober 1977, B240/75-17, abgeschlossenen Verfahrens konnte aus diesen Gründen nicht bewilligt werden.

Schlagworte

VfGH / Wiederaufnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B339.1980

Dokumentnummer

JFT_10198978_80B00339_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten