TE Vfgh Erkenntnis 1980/10/22 B244/79

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Veröffentlicht am 22.10.1980
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/02 Kraftfahrgesetz 1967

Norm

MRK Vorbehalt zu Art5
MRK Art6
StGG Art5
StGG Art8
KFG 1967 §102 Abs5 lita

Leitsatz

KFG 1967, keine Bedenken gegen §102 Abs5 lita; keine denkunmögliche Anwendung; kein Verstoß gegen Art6 MRK

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) Der Beschwerdeführer wurde als Lenker eines Taxifahrzeuges am 28. März 1978 um 02.50 Uhr von Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wien während eines Streifendienstes an der Kreuzung Philharmonikerstraße - Kärntnerstraße angehalten und aufgefordert, die Fahrzeugpapiere vorzuweisen. Er holte daraufhin aus dem Kofferraum des Fahrzeuges eine Tasche und entnahm daraus einen für eine andere Person ausgestellten Führerschein. Im Hinblick auf den Widerspruch zwischen dem Aussehen des Beschwerdeführers und dem im vorgelegten Führerschein enthaltenen Lichtbild und im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer jegliche Auskunft über diesen Widerspruch, über das Vorhandensein eines erforderlichen Taxilenkerausweises und über den als seinen Dienstgeber in Betracht kommenden Inhaber der Taxikonzession verweigerte, kam es zu seiner Festnahme (§175 Abs1 Z1 StPO) wegen Verdachtes des Betruges.

b) Auf Grund der über den Vorfall erstatteten Anzeige wurde mit dem Beschwerdeführer am 29. März 1978 eine Niederschrift im Verwaltungsstrafverfahren aufgenommen, in der als Gegenstand der Verhandlung und als Bezeichnung der ihm als Beschuldigten zur Last gelegten Tat "§102/5a KFG" (Kraftfahrgesetz 1967, BGBl. 267 - KFG 1967) angegeben ist. Gemäß dieser Niederschrift erklärte der Beschwerdeführer, daß er außer seinem Nationale derzeit nichts angebe und daß er darauf aufmerksam gemacht worden sei, es wäre für ihn günstiger, auszusagen.

c) Im Laufe der folgenden Erhebungen wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer entgegen der Annahme der Sicherheitswachebeamten bei der Festnahme (auch) seinen Führerschein mit sich geführt hatte; es wurde deshalb (AV vom 3. April 1978) das Strafverfahren in Ansehung der Verwaltungsübertretung nach "§102/5a KFG (Nichtmitsichführen des Führerscheines)" gemäß §45 Abs1 lita VStG 1950 eingestellt.

Hingegen wurde der gegen den Beschwerdeführer erhobene Vorwurf, er habe zu dem in der Anzeige angeführten Zeitpunkt und an dem dort angeführten Ort trotz Aufforderung durch ein Straßenaufsichtsorgan diesem seinen Führerschein nicht ausgehändigt und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §102 Abs5 lita KFG 1967 begangen, aufrechterhalten und in diesem Strafverfahren über ihn mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 17. April 1979 gemäß §134 KFG 1967 eine Geldstrafe von S 500,-

(Ersatzarreststrafe in der Dauer von 60 Stunden) verhängt.

In der Begründung des Bescheides wird unter Hinweis auf die in der Anzeige angeführten Angaben des auf Grund seines Diensteides einer besonderen Wahrheitspflicht unterliegenden Meldungslegers ausgeführt, der Beschwerdeführer sei nicht nur - wie in der Berufung ausgeführt - zum Vorweisen der Fahrzeugpapiere verhalten worden, es sei von ihm auch verlangt worden, er möge seinen Führerschein aushändigen. Aus der Tatsache, daß er wegen des Verdachtes, sich mit einer falschen Lenkerberechtigung ausgewiesen zu haben, festgenommen wurde, hätte der Beschwerdeführer eindeutig schließen müssen, daß das Vorweisen seines eigenen Führerscheines verlangt worden sei.

Auch mit dem Einwand, daß er durch die Festnahme gehindert worden wäre, seinen Führerschein vorzuweisen, vermöge sich der Beschwerdeführer nicht zu rechtfertigen; behaupte er doch nicht einmal selbst, rechtzeitig, das heißt zum Zeitpunkt der Überprüfung seiner Personalien und Fahrzeugpapiere, darauf aufmerksam gemacht zu haben, daß er noch einen eigenen Führerschein mit sich führe.

Die Begehung der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Verwaltungsübertretung wäre leicht zu vermeiden gewesen und es seien auch keinerlei Umstände hervorgekommen, die ihm die Einhaltung der Verwaltungsvorschrift erschwert hätten.

2. Gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 17. April 1979 richtet sich die unter Berufung auf Art144 B-VG wegen Verletzung der gemäß Art10 Staatsgrundgesetz von 1867 und Art6 und 8 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleisteten Rechte erhobene Beschwerde. Es wird die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, für den Fall der Abweisung die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Nach §102 Abs5 lita KFG 1967 ist der Lenker eines Fahrzeuges verpflichtet, auf Fahrten den Führerschein mitzuführen und auf Verlangen den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur Überprüfung auszuhändigen. Eine Zuwiderhandlung gegen diese Vorschrift ist nach §134 Abs2 KFG 1967 als Verwaltungsübertretung zu bestrafen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer deshalb bestraft, weil er einem Verlangen von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes auf Aushändigung seines Führerscheines nicht nachgekommen ist. Nach dem ausdrücklichen Vorbringen des Beschwerdeführers richtet sich die Beschwerde ausschließlich gegen den oben genannten Bescheid des Landeshauptmannes von Wien; auch in den Anträgen wird nur die Aufhebung dieses Bescheides begehrt. Unter diesen Umständen konnte die Beschwerde allein als gegen den Bescheid gerichtet angesehen werden. Sämtliche Ausführungen des Beschwerdeführers über die Vorgänge anläßlich seiner Festnahme und über die dabei seiner Meinung nach bewirkte Verletzung des Briefgeheimnisses nach Art10 StGG und des Anspruches auf Achtung seines Briefverkehrs nach Art8 MRK sind daher unerheblich, es ist auf sie nicht weiter einzugehen.

Durch den angefochtenen Bescheid aber sind diese Rechte des Beschwerdeführers offenkundig nicht verletzt worden.

2. a) Der Beschwerdeführer behauptet, durch den angefochtenen Bescheid in den durch Art6 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein. Diese Verletzung liege darin, daß die belangte Behörde den Beschwerdeführer allein auf Grund der Angaben in der Anzeige einer Verwaltungsübertretung nach §102 Abs5 lita KFG 1967 für schuldig befunden habe. Es sei kein hinreichendes Ermittlungsverfahren, insbesondere im Hinblick auf die Bestimmungen des Art6 Abs3 lita (nach dem der Angeklagte in möglichst kurzer Frist von den gegen ihn erhobenen Beschuldigungen in Kenntnis zu setzen ist) und litd (Ermöglichung der Fragestellung an Belastungszeugen, Vernehmung von Entlastungszeugen und sonstige Ermittlungen) durchgeführt und es sei hiedurch auch der Grundsatz "in dubio pro reo" nach Art6 Abs2 MRK verletzt worden.

b) Der VfGH hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach der von Österreich zu Art5 MRK ausgesprochene Vorbehalt es auch ausschließt, daß Verwaltungsverfahren, die nach dem VStG 1950 durchgeführt werden, dem Art6 der Konvention widersprechen (VfSlg. 8234/1978 und die dort angeführte Vorjudikatur). Mit seinem Vorbringen vermag der Beschwerdeführer eine Verletzung des durch Art6. MRK gewährleisteten Rechtes daher nicht darzutun.

c) Das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er gar keine Gelegenheit gehabt habe, seinen noch im Taxi befindlichen Führerschein vorzuweisen, stimmt mit der Aktenlage des Verwaltungsverfahrens nicht überein. Aus ihr ergibt sich, daß der Beschwerdeführer auf den Vorhalt, daß der von ihm vorgewiesene Führerschein offenbar für eine andere Person ausgestellt worden sei, jede weitere Angabe verweigert hat. Schon im Hinblick darauf konnte die belangte Behörde vertretbarerweise annehmen, daß die erst später im Verwaltungsverfahren vorgebrachte Behauptung des Beschwerdeführers, wonach er keine Gelegenheit zum Vorweisen seines Führerscheines gehabt hätte, nicht zutrifft.

Die belangte Behörde hat die verfassungsrechtlich unbedenklichen Normen des VStG 1950 und des §102 Abs5 lita KFG 1967 demzufolge keineswegs denkunmöglich angewendet. Daraus folgt, daß der Beschwerdeführer durch die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Verhängung einer Geldstrafe in seinem Eigentumsrecht und durch die Verhängung der Ersatzarreststrafe in seinem Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt worden ist (vgl. VfGH 20. 12. 1979 B237 - 240 und 300/79).

3. Die Verletzung sonstiger verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte ist vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden und im Verfahren vor dem VfGH nicht hervorgekommen.

Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides ist der Beschwerdeführer auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Kraftfahrrecht, Kraftfahrzeuglenker (Pflichten)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B244.1979

Dokumentnummer

JFT_10198978_79B00244_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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