Index
L1 GemeinderechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Tir. Gemeindeordnung 1966, keine Bedenken gegen §113 Abs1; keine Verletzung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter; keine denkunmögliche und keine willkürliche AnwendungSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Die Landwirtin Th.H. hat mit Schenkungsvertrag vom 4. April 1978 ihrem Schwiegersohn R.St. (dem Erstbeschwerdeführer) und ihrer Tochter I.St. (der Zweitbeschwerdeführerin) das Grundstück Gp. 1298/2, KG H., im Ausmaß von 487 Quadratmeter geschenkt. Die Beschwerdeführer beabsichtigen die Errichtung eines Einfamilienhauses auf diesem Grundstück. Die Grundverkehrsbehörde H. hat dieser Schenkung mit Bescheid vom 8. Juni 1978 ihre Zustimmung erteilt. Auf Grund einer vom Landesgrundverkehrsreferenten gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung hat die Landesgrundverkehrsbehörde beim Amt der Tir. Landesregierung mit Bescheid vom 3. November 1978 gemäß §§4 Abs1, 6 Abs1 litc und Abs2 des Tir. Grundverkehrsgesetzes 1970 (GVG), LGBl. 4/1971, der Eigentumsübertragung die Zustimmung versagt.
In der Zwischenzeit hatte der Bürgermeister der Gemeinde H. mit Bescheid vom 22. Juni 1978 den beiden Beschwerdeführern die Bewilligung zum Bau eines Einfamilienhauses auf der Gp. 1298/2 erteilt. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Nachdem die Landesgrundverkehrsbehörde in ihrem Bescheid vom 3. November 1978 darauf hingewiesen hatte, daß der Baubewilligungsbescheid vom 22. Juni 1978 mit Nichtigkeit behaftet sei, hat die Bezirkshauptmannschaft Schwaz mit Bescheid vom 13. Dezember 1978 im Aufsichtswege den Baubewilligungsbescheid wegen Nichtvorliegens einer rechtskräftigen grundverkehrsbehördlichen Zustimmung zur Eigentumsübertragung an der für die Bebauung vorgesehenen Gp. 1298/2 aufgehoben. Die von den beiden Beschwerdeführern gegen diesen Bescheid erhobenen Berufungen hat die Tir. Landesregierung mit Bescheid vom 18. Jänner 1979 abgewiesen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich die Beschwerdeführer in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt erachten.
Die beiden Beschwerdeführer sowie Th.H. haben im übrigen auch gegen den Bescheid der Landesgrundverkehrsbehörde vom 3. November 1978 Beschwerde an den VfGH erhoben; dieses Verfahren ist zu B656/78 protokolliert.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. a) Gemäß §17 Abs1 GVG darf eine in anderen landesrechtlichen Vorschriften vorgesehene Genehmigung (Bewilligung), die das Verfügungsrecht über ein Grundstück zur Voraussetzung hat, erst erteilt werden, wenn dem das Verfügungsrecht begründenden Rechtsgeschäft die allenfalls erforderliche Zustimmung nach §3 Abs1 dieses Gesetzes rechtskräftig erteilt worden ist.
Nach Abs2 dieses Paragraphen leiden Bescheide, mit denen eine im Abs1 bezeichnete Genehmigung (Bewilligung) vor Erteilung der nach diesem Gesetz erforderlichen Zustimmung verfügt wurde, an einem mit Nichtigkeit bedrohten Fehler (§68 Abs4 litd AVG).
In §113 Abs1 der Tir. Gemeindeordnung ist vorgesehen, daß ein rechtskräftiger Bescheid eines Gemeindeorganes in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches aus dem Bereich der Landesvollziehung von der Aufsichtsbehörde - ausgenommen im Fall einer Vorstellung nach §112 dieses Gesetzes - nur aus den Gründen des §68 Abs3 und 4 AVG aufgehoben werden kann.
b) Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (siehe zB VfSlg. 8053/1977) wird das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt.
Die Beschwerdeführer erachten sich in diesem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht deshalb verletzt, weil nach ihrer Auffassung die Aufsichtsbehörde im vorliegenden Fall nicht befugt - und somit auch nicht zuständig - gewesen wäre, den rechtskräftigen Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde H. aufzuheben. Die Aufsichtsbehörde habe nämlich ihr Aufsichtsrecht gemäß Art119a B-VG weit überschritten und unzulässigerweise in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde H. eingegriffen. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH sei ein Verwaltungsakt der Gemeinde im Rahmen der Aufsichtsbefugnis nur dann aufzuheben, wenn die Rechtswidrigkeit relevant ist. Wenn die Rechtswidrigkeit aber unerheblich ist, also im Einzelfall keine wesentlichen Folgen nach sich zieht, könne die Behörde davon absehen, den rechtswidrigen Akt aufzuheben. Im vorliegenden Fall verstoße die erteilte Baubewilligung überhaupt nicht gegen das öffentliche Interesse, weil die Beschwerdeführer aus mehreren Gründen "ein elementares Interesse" hätten, auf dem Grundstück Gp. 1298/2 ein Eigenheim zu errichten und dort zu wohnen.
Die Beschwerdeführer regen auch an, den im vorliegenden Fall maßgebenden Teil des §113 der Tir. Gemeindeordnung, nämlich die Worte "und 4" deshalb als verfassungswidrig aufzuheben, weil es nicht im Wesen der Aufsichtsbefugnis der Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung liege, rechtskräftige Bescheide von Gemeindeorganen aufzuheben.
c) Der VfGH hat im Erk. VfSlg. 7978/1977 (diesem Erk. lag die Aufhebung eines von einer Gemeinde nach der Ktn. Bauordnung ergangenen Baubewilligungsbescheides durch die Bezirkshauptmannschaft wegen Nichtigkeit zugrunde) ausgesprochen, daß unter dem Gesichtspunkt des - damaligen - Beschwerdefalles gegen die Bestimmungen, die der staatlichen Gemeindeaufsichtsbehörde das Recht einräumen, von Amts wegen rechtskräftige gemeindliche Baubewilligungsbescheide aufzuheben, keine Bedenken bestünden. Der VfGH hat hiezu weiter ausgeführt:
"Durch Art118 Abs3 Z9 B-VG wird der Gemeinde u.a. gewährleistet, die behördlichen Aufgaben auf dem Gebiete der örtlichen Baupolizei im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen, und zwar dem Art118 Abs4 B-VG zufolge frei von Weisungen und - vorbehaltlich der Bestimmungen des Art119a Abs5 - unter Ausschluß eines Rechtsmittels an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde. Art119a Abs5 B-VG räumt demjenigen, der durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches in seinen subjektiven Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des gemeindlichen Instanzenzuges die Vorstellung bei der staatlichen Aufsichtsbehörde ein. Diese Behörde hat den Gemeindebescheid gegebenenfalls aufzuheben.
Nach Art119a Abs1 B-VG haben der Bund und das Land das Aufsichtsrecht über die Gemeinde auszuüben. Die Aufsichtsmittel sind im B-VG nicht taxativ aufgezählt. Schon aus dem Wesen des Aufsichtsrechtes ergibt sich die Befugnis der staatlichen Aufsichtsbehörde, in Wahrnehmung des Aufsichtsrechtes von Amts wegen zur Wahrung des objektiven Rechtes rechtskräftige Gemeindebescheide aufzuheben (vgl. Slg. 4986/1965, 5850/1968 und 5858/1968). Diese Befugnis der Aufsichtsbehörde wird nicht durch Art119a Abs3 B-VG ausgeschlossen."
Diese Erwägungen haben auch aus dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles Gültigkeit. Der VfGH sieht keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Die gegen §113 Abs1 der Gemeindeordnung geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken treffen somit nicht zu.
Im Hinblick darauf kann daher keine Rede davon sein, daß die belangte Behörde bzw. die Bezirkshauptmannschaft Schwaz (§108 Gemeindeordnung), nicht zuständig waren, im vorliegenden Fall als Aufsichtsbehörde tätig zu werden.
d) Das Vorbringen der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang, die Aufsichtsbehörde hätte nur dann mit einer Aufhebung vorgehen dürfen, wenn die Rechtswidrigkeit relevant sei, kann nicht unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geprüft werden, sondern wäre allenfalls als Vorwurf der Willkür (in einem solchen Fall läge nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH - siehe zB VfSlg. 7996/1977 - ein Verstoß gegen das Gleichheitsrecht vor) zu werten.
Hiezu ist jedoch festzustellen, daß die Aufsichtsbehörde auf Grund des bereits oben unter Pkt. I.1. dargestellten zeitlichen Ablaufs der Geschehnisse mit Grund zur Auffassung gelangen konnte, daß die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach §113 Gemeindeordnung gegeben sind. Es trifft zwar zu, daß die Aufsichtsbehörde dann, wenn die Rechtswidrigkeit unerheblich ist - also im Einzelfall keine wesentlichen Folgen nach sich zieht -, davon absehen kann, den rechtswidrigen Akt zu kassieren (vgl. VfSlg. 4986/1965, 5850/1968). Es kann der Behörde aber nicht Willkür vorgeworfen werden, wenn sie davon ausgegangen ist, daß die vom Bürgermeister erteilte Baubewilligung deshalb wesentliche Folgen nach sich ziehen würde, weil dann auf einem bisher landwirtschaftlich genützten Grundstück ein Einfamilienhaus errichtet würde.
2. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Behörde das Gesetz auch denkmöglich angewendet hat. Schon aus diesem Grund liegt kein Verstoß gegen das durch Art5 StGG verfassungsgesetzlich geschützte Eigentumsrecht vor.
3. Im Verfahren ist auch nicht hervorgekommen, daß die Beschwerdeführer in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden wären.
Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.
Schlagworte
Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, Aufsichtsrecht (Gemeinde), Abänderung und Behebung von amtswegen, Baupolizei örtlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1980:B99.1979Dokumentnummer
JFT_10198978_79B00099_00