TE Vfgh Erkenntnis 2006/3/17 B1045/04 ua

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Veröffentlicht am 17.03.2006
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen in ihren Rechten verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Das Land Niederösterreich ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters je die mit € 2.340,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Zu B1045/04:

Die Bezirkshauptmannschaft Gmünd bewilligte im Spruchpunkt I des Bescheides vom 16. April 2003 die Aufforstung von näher bezeichneten landwirtschaftlichen Kulturflächen in der KG Wultschau und versagte im Spruchpunkt II desselben Bescheides die Aufforstung hinsichtlich der Grundstücke Nrn. 253, 254, 255 (Teil des Komplexes 1), 373 (Komplex 2), Grundstücke Nrn. 1119, 1120, 1122, 1123 (Komplex 5), KG Wultschau. Die Niederösterreichische Landesregierung gab der gegen den Spruchpunkt II des genannten Bescheides erhobenen Berufung insoweit Folge, als die Aufforstung des bisher landwirtschaftlich genutzten Grundstücks Nr. 373 (Komplex 2), KG Wultschau, unter Auflagen bewilligt wurde. Im Übrigen wurde die Berufung abgewiesen.

Die belangte Behörde holte im Berufungsverfahren zur Frage der nachteiligen Auswirkung der beabsichtigten Aufforstung auf die Agrarstruktur ein agrartechnisches Gutachten ein, welches am 3. November 2003 erstellt wurde. Gemäß §1 Abs2 Flurverfassungs-Landesgesetz 1975 kommen als Mängel der Agrarstruktur beispielhaft folgende Kriterien in Frage: Zersplitterter Grundbesitz, ganz oder teilweise eingeschlossene Grundstücke, ungünstige Grundstücksformen, unwirtschaftliche Betriebsgrößen, beengte Orts- und Hoflage, unzulängliche Verkehrserschließung, ungünstige Geländeform, ungünstige Wasserverhältnisse. Durch die Aufforstung der Grundstücke Nrn. 253, 254, 255 (Komplex 1) und 373 (Komplex 2) werde keiner der oben genannten Mängel der Agrarstruktur verursacht bzw. kein schon bestehender Mangel verstärkt. Bei den Grundstücken Nrn. 1119, 1120, 1122, 1123 (Komplex 5) handle es sich um orts- und hofnahe Flächen, weshalb nachteilige Auswirkungen der Aufforstung auf die Agrarstruktur zu erwarten seien.

Die belangte Behörde führte aus, dass gemäß dem agrartechnischen Gutachten auch die Grundstücke Nrn. 253, 254 und 255 sowie das Grundstück Nr. 373, KG Wultschau, aufgeforstet werden könnten. Da die Grundstücke Nrn. 253, 254 und 255 sowie 1119, 1120, 1122, 1123, alle KG Wultschau, jedoch in dem seit 6. April 2004 geltenden Flächenwidmungsplan der Gemeinde Moorbad Harbach als Grünland - landwirtschaftliche Vorrangflächen ausgewiesen seien, sei die beantragte Aufforstung dieser Grundstücke gemäß §2 Abs3 NÖ Kulturflächenschutzgesetz 1994 zu versagen gewesen.

1.2. Zu B1046/04:

Die Bezirkshauptmannschaft Gmünd bewilligte im Spruchpunkt I des Bescheides vom 16. April 2003 die Aufforstung von näher bezeichneten landwirtschaftlichen Kulturflächen in der KG Wultschau und versagte im Spruchpunkt II desselben Bescheides die Aufforstung hinsichtlich der Grundstücke Nrn. 1287, 1289 - 1292 (Komplex 1), Nrn. 1127, 1130 (Komplex 2), Grundstücke Nrn. 250 - 252 (Komplex 3), Nr. 376 (Komplex 4), Nr. 501 (Teilfläche, Komplex 6), Nrn. 1510 - 1514 (Komplex 8), Nrn. 1554 - 1556 (Komplex 9), Nr. 1746/1 (Komplex 10), KG Wultschau. Die Niederösterreichische Landesregierung gab der gegen den Spruchpunkt II des genannten Bescheides erhobenen Berufung insoweit Folge, als die Aufforstung der Grundstücke Nr. 376 (Komplex 4) und Nr. 1746/1 (Komplex 10), KG Wultschau, unter Auflagen bewilligt wurde. Im Übrigen wurde die Berufung abgewiesen.

Aus dem am 23. Oktober 2003 erstellten agrartechnischen Gutachten ergibt sich, dass die Grundstücke Nrn. 1127, 1130 (Komplex 2) und das Grundstück Nr. 501 (Teilfläche, Komplex 6) die Kriterien der "beengten Orts- oder Hoflage" und "ganz oder teilweise eingeschlossener Grundstücke" erfüllten und daher Mängel der Agrarstruktur verursacht würden. Hingegen würde durch die Aufforstung der Grundstücke Nrn. 1287, 1289 - 1292 (Komplex 1), Grundstücke Nrn. 250 - 252 (Komplex 3), Nr. 376 (Komplex 4), Nrn. 1510 - 1514 (Komplex 8), Nrn. 1554 - 1556 (Komplex 9), Nr. 1746/1 (Komplex 10), KG Wultschau, keiner der oben genannten Mängel der Agrarstruktur verursacht bzw. kein schon bestehender Mangel verstärkt. Da die Grundstücke Nrn. 1287, 1289 - 1292, Nrn. 1127 und 1130, Nrn. 250 - 252, Nrn. 1510 - 1514 sowie Nrn. 1554 - 1556, KG Wultschau, im seit 6. April 2004 geltenden Flächenwidmungsplan der Gemeinde Moorbad Harbach als Grünland - landwirtschaftliche Vorrangfläche ausgewiesen seien, sei die beantragte Aufforstung dieser Grundstücke gemäß §2 Abs3 NÖ Kulturflächenschutzgesetz 1994 zu versagen gewesen.

2. Die auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden gegen die Bescheide, soweit die Berufungen abgewiesen werden, behaupten die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines gesetzwidrigen Flächenwidmungsplans. Die belangte Behörde habe ohne Rücksicht auf die Beschaffenheit der Grundstücke die Aufforstung versagt, obwohl nach den im Zuge der Berufungsverfahren eingeholten agrartechnischen Gutachten eine Aufforstung stattfinden könne, ohne dass Mängel der Agrarstruktur bewirkt würden. Die Kriterien des §19 Abs8 NÖ Raumordnungsgesetz 1976 seien nicht erfüllt.

3. Die Niederösterreichische Landesregierung erstattete je eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt. Die Ausführungen in den eingeholten Gutachten seien nicht zu beachten, da die Abweisung der beantragten Bewilligungen schon aufgrund der Ausweisungen im Flächenwidmungsplan zu erfolgen hatte.

4. Die Gemeinde Moorbad Harbach erstattete eine Äußerung.

II. 1. Aus Anlass der vorliegenden Beschwerden hat der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen gemäß Art139 Abs1 und Art140 Abs1 B-VG mit Beschluss vom 10. Oktober 2005 ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §2 NÖ Kulturflächenschutzgesetz 1994, LGBl. 6145-2, und des §19 Abs8 NÖ Raumordnungsgesetz 1976, LGBl. 8000-14, sowie gemäß Art139 B-VG der Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Moorbad Harbach vom 9. Dezember 2003, mit der das örtliche Raumordnungsprogramm geändert wurde, aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 15. März 2004 und kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 22. März 2004 bis 6. April 2004, soweit die Grundstücke Nrn. 253, 254, 255 und Nrn. 1119, 1120, 1122, 1123 sowie die Grundstücke Nrn. 1287, 1289 - 1292, Nrn. 1127, 1130, Nrn. 250 - 252, Nrn. 1510 - 1514 und Nrn. 1554 - 1556, KG Wultschau, als Grünland - landwirtschaftliche Vorrangflächen ausgewiesen sind, eingeleitet.

Mit Erkenntnis vom 4. März 2006, G131-134/05, V94, 95/05 hat der Verfassungsgerichtshof §19 Abs8 NÖ Raumordnungsgesetz 1976, LGBl. 8000-14, und §2 Abs3 letzter Satz NÖ Kulturflächenschutzgesetz 1994, LGBl. 6145-2, als verfassungswidrig und die in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen als gesetzwidrig aufgehoben.

2. Die belangte Behörde hat daher verfassungswidrige Gesetzes- bzw. gesetzwidrige Verordnungsbestimmungen angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war. Die Beschwerdeführer wurden also durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen in ihren Rechten verletzt (vgl. VfSlg. 10.404/1985).

Die Bescheide waren daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist je eine Eingabegebühr in Höhe von € 180,-

sowie Umsatzsteuer in Höhe von je € 360,- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B1045.2004

Dokumentnummer

JFT_09939683_04B01045_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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